Gottesdienst für Christi Himmelfahrt, Donnerstag, 13.05.2021

Text: Eph 1,20-23

Mit seiner mächtigen Stärke hat Gott an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auf­erweckt hat und ein­gesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Rei­che, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Na­men, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.

„Niemals geht man so ganz, irgendwas von uns bleibt hier“ – so sang einst Trude Herr – immer wieder gern zitiert in Todesanzeigen oder abgespielt bei Trauerfeiern. Viele finden das offenbar tröstlich. Aber ich weiß gar nicht, ob es auf jeden Menschen so zutrifft. Was ist, wenn ich einsam und ohne Nachkommen sterbe oder nur einen Berg Schulden hinterlasse? Aber bei Jesus stimmt es. Etwas von ihm ist hier geblieben, als er gen Himmel fuhr, und das sind wir, seine Gemeinde.

Doch was ist das für eine Hinterlassenschaft, die auf Erden an Jesus erinnert? Ist es ein Verein trauernder Hinterbliebener? Diesen Ein­druck mag die Kirche Jesu Christi manchmal erwecken. Denn sie hat die schlechte Angewohnheit, sich gern nach besseren Zeiten zurückzu­sehnen, als Jesus noch auf Erden wandelte oder als zumin­dest die Kirche noch voll war, die Mitarbeiter zahlreich und der Glaube noch lebendig. Genau besehen war es damals aber gar nicht so viel besser. Und überhaupt geht der traurige Blick zurück immer in die falsche Richtung. „Was steht ihr da und seht gen Himmel?“ bekommen die Männer aus Galiläa gesagt. „Dieser Jesus der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkom­men, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“ Also: Jesus geht nicht nur nicht so ganz, sondern er kommt wieder. Das unterschei­det ihn von all unseren lieben Verstorbenen. Und deshalb ist Trauer nicht der Daseinszweck seiner Gemeinde. Sie schaut nicht zurück, sondern nach vorn. Wohl ihr, wenn man ihr das auch anmerkt!

Allerdings: Jetzt ist Jesus erstmal weg. Jedenfalls ist er nicht mehr sichtbar zugegen. Und das nun schon sehr, sehr lange. Was macht das aus uns, seiner Herde? Verängstigte Schafe, die keinen Hirten haben? Auch diesen Eindruck kann man schon mal gewinnen, beson­ders in letzter Zeit. „Bloß nichts falsch machen, bloß keinen Anstoß erregen, damit nicht noch mehr Leute aus der Kirche austre­ten!“ Das scheint der Hauptgedanke so mancher Kirchen- und Gemein­deleitung zu sein. Ja, ich weiß, man kann auch auf der ande­ren Seite vom Pferd fallen. Eine Kirche, die allzu forsch und ohne Rücksicht auf Verluste ihr Ding durchzieht, die fällt auch auf die Nase; denn ihr wirklicher Zustand hält mir solcher Forschheit selten Schritt. Allerdings ist diese Gefahr in unserer evangelischen wohl eher klein – von Ausnahmen abgesehen. Wir neigen dazu, uns und anderen lieber zu wenig als zu viel zuzumuten. Nur sollten wir uns dann nicht wundern, wenn wir den meisten Menschen auch herzlich egal sind.

Aber ich will mich nicht länger bei dem aufhalten, was die Gemeinde Jesu Christi nicht ist bzw. nicht sein sollte. Lieber frage ich nochmal unseren Predigttext, was denn nun wirklich hier bleibt von Jesus Christus, nachdem er von den Toten auferstanden ist und zur Rech­ten Gottes sitzt. Was hat es auf sich mit seiner Gemeinde, seiner Hinterlassenschaft auf Erden?

Das wichtigste fasst der Epheserbrief in ein Bild: Jesus Christus ist das Haupt der Gemeinde, und die Gemeinde ist der Leib Jesu Christi. Gut, das hören wir heute sicher nicht zum ersten Mal. Aber was heißt das eigentlich?

Es heißt zunächst, dass Christus und seine Gemeinde untrennbar zusammengehören. Ohne Kopf, ohne ein Gehirn, das ihn steuert, ist der Körper tot. Andererseits ist der Kopf aber auch ein Teil des Kör­pers. Und ohne den übrigen Körper, ohne Versorgung mit Blut und Sauerstoff, kann das Gehirn nicht funktionieren. Als Haupt seines Leibes ist Jesus ist also gar nicht weg aus dieser Welt. Sondern wo immer auf Erden seine Gemeinde ist, da ist er auch. Sie mag ihn nicht sehen, sie mag sich manchmal von ihm verlassen vorkommen, aber sie kann gar nicht ohne ihn sein. Und er könnte vielleicht, aber will nicht ohne sie sein. Also können wir in einem ganz beruhigt sein: Solange die Erde steht, solange wird es auf ihr Gemeinde Jesu Christi geben. Kirchengebäude halten nicht ewig, kirchliche Organisa­tionsformen erst recht nicht, und große Zahlen sind uns in der Bibel nirgendwo verheißen. Aber Christus wird bei uns sein bis an der Welt Ende, und wo zwei oder drei in seinem Namen versam­melt sind, da ist er mitten unter ihnen.

Denn das ist das zweite, was das Bild vom Haupt und Leib besagt: Weil der Kopf zum Körper gehört, wird er nicht von außen, sondern von innen gesteuert. Er bestimmt sich selbst, er ist frei in seinem Tun, gerade weil er ein Gehirn hat, das ihn beherrscht und bewegt. So ist es auch mit der Gemeinde Jesu Christi: Sie ist ein Ort der Frei­heit, gerade weil Jesus Christus ihr Herr ist. Je mehr sie ihm folgt, je mehr sie nach dem fragt, was er will, desto weniger macht sie sich von dem abhängig, was die Leute von ihr denken. Auf der anderen Seite: Je bewusster sie Jesus Christus in ihrer Mitte wahrnimmt, desto weniger stellt sie sich selber in den Mittelpunkt, desto weni­ger geht es ihr darum, nur den eigenen Bestand zu sichern.

So weit, so gut. Aber wie geht das denn nun praktisch? Wie können wir als Gemeinde bewusst wahrnehmen und davon leben, dass wir der Leib Christi sind und er unser Haupt?

Zum ersten: indem wir gemeinsam Gottesdienst feiern, am besten mit Abendmahl. Denn dabei können wir Christus in unserer Mitte erleben, das hat er uns versprochen. Deshalb ist es mir auch so wich­tig, dass wir trotz Pandemie und trotz aller Einschränkungen hier in der Kirche beisammen sind. Denn Jesus Christus ist zwar auch im Fernseh- oder Onlinegottesdienst mitten unter uns, und es ist ein Segen, dass wir diese Möglichkeiten haben. Aber zum Leib Christi gehört eben auch seine körperliche Dimension. Ohne leibhaftiges Beisammensein fehlt ihm etwas. Unser Glaube will uns ganz erfas­sen, mit allen Sinnen, mit Hören und Sehen, mit Schmecken und Fühlen, mit echter Nähe und Gemeinschaft. Zugegeben: Gottes­dienste nach Corona-Schutzkonzept lassen da auch noch viel zu wün­schen übrig. Aber jedenfalls für mich zeigen sie doch mehr von der Verbundenheit des Leibes Christi als bloß virtuelle Begegnun­gen.

Und zum zweiten: Dass wir der Leib Christi sind, das zeigt sich auch daran, dass wir in unserem täglichen Leben dem Willen Jesu folgen, als Einzelne und als Gemeinde. „Was würde Jesus dazu sagen?“ Das war das Lebensmotto Martin Niemöllers als Gegner der Nazis und später der Aufrüstung im Kalten Krieg. Er meinte damit nicht, dass es für jede Situation eine konkrete Handlungsanweisung Jesu gibt, die ich einfach befolgen muss. Dann wäre ich ja doch nur ein fernge­steuerter Befehlsempfänger. Aber er meinte, dass ich der Bibel sehr wohl entnehmen kann, was konkret dem Geist Jesu entspricht und was nicht. Nämlich Liebe statt Hass, Vergebung statt Vergeltung, Wahrhaftigkeit statt Lüge, Zuversicht statt Verzagtheit. Wenn wir uns daran orientieren, dann folgen wir Jesus nach, dann erweisen wir uns als Glieder seines Leibes.

„Niemals geht man so ganz, irgendwas von uns bleibt hier“, und im Fall von Jesus sind das wir, seine Gemeinde – so habe ich meine Predigt begonnen. Aber damit kann ich sie noch nicht beschließen. Denn unser Predigttext geht deutlich darüber hinaus. Dort ist Jesus Christus nicht nur das Haupt seiner Gemeinde, sondern das „Haupt über alles, der alles in allem erfüllt“. Nicht nur Herr der Kirche soll er sein, sondern Gott hat ihn eingesetzt „über alle Rei­che, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht al­lein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen“. Es kann ja auch gar nicht anders sein. Denn wenn Gott Mensch wird, dann ist kein Mensch davon ausgenommen. Wenn er in Christus Sünde und Tod überwindet, dann nicht nur für ein paar handverlesene Auser­wählte, sondern für alle Welt. Sicher, Jesus Christus wirkt und ist gegenwärtig in seiner Gemeinde.  Aber wie klein würde es ihn ma­chen, wenn er darauf beschränkt bliebe? Wie armselig wäre es, wenn er keine anderen Hände hätte als unsere Hände? Der beliebte Spruch, der das behauptet, ist ja gut gemeint, aber trotzdem grundver­kehrt.

Nein, so wichtig sollte sich das kleine Häuflein der Christen nicht nehmen. Wir sind nicht die Stellvertreter Christi auf Erden. Wir sind nur der Anfang dessen, was er mit der Welt noch vorhat. Schon jetzt hat Gott ihn dazu eingesetzt. „Jesus Christus herrscht als König“, das gilt. Und „alles wird ihm untertänig“, darauf gehen wir zu. Was wir Christen der übrigen Welt voraushaben, ist nur, dass wir darum schon wissen, dass wir seine Herrschaft schon anerkennen. So legen wir Zeugnis ab von ihm und seiner Wiederkunft. So ist unsere Gemein­schaft ein Vorzeichen für das kommende Reich Gottes. Ob man uns das wohl anmerkt? Gott gebe es! Amen.

Ihr Pastor Martin Klein