Wenschtkirche, Sonntag, 9. Juni 2019
Text: Apg 2
Als sie aber das hörten, ging‘s ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: „Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ Petrus sprach zu ihnen: „Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird.“ Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen.
Ach was, waren das noch Zeiten! 3000 Menschen sollen zu Pfingsten in Jerusalem getauft worden sein – ein Gemeindewachstum von 2600 Prozent an einem einzigen Tag! Wir hatten heute nur eine Taufe, und das ist schön. Aber wir werden gleich noch hören, dass wir in der vergangenen Woche auch drei Gemeindeglieder begraben mussten. Macht eine Bilanz von –2. Um die Hälfte sollen die Kirchen in Deutschland bis 2060 schrumpfen. Und ohne Hermine und ihren Anhang wären wir schon froh, wenn heute dreißig Menschen in der Wenschtkirche säßen.
Geht es also zu Ende? Glimmt das Feuer von Pfingsten nur noch oder ist es gar schon ausgebrannt? Sind die Christen vom Aussterben bedroht und kommen bald auf die rote Liste des Artenschutzes? Jedenfalls hierzulande sieht es oft so aus.
Aber wie wir gehört haben, war die Ausgangslage damals auch ziemlich trostlos: Jesus ist erst tot, dann ist er auferstanden, aber weg, und irgendwo in Jerusalem verbarrikadiert sich ein kleines Häuflein von Männern und Frauen und wartet auf – ja, worauf eigentlich? Auf die Erleuchtung? Auf das Ende der Welt? Oder doch nur auf die nachgeholte Verhaftung? Ich bin jedenfalls sicher, dass sie sich unter dem Kommen des Heiligen Geistes nicht wirklich etwas vorstellen konnten – bis es passierte.
Und was ist da passiert? Jedenfalls nichts, was die Jüngerinnen und Jünger Jesu selber hätten hervorbringen können – weder durch meditative Versenkung, noch durch das Absingen von Lobpreisliedern, noch durch intensives Bibelstudium – und erst recht nicht durch Bedarfsanalyse oder Strategieentwicklung. Das Sturmgebraus kam vom Himmel, heißt es, nicht aus einem „Brainstorming“. Und dass plötzlich jeder Petrus verstehen konnte, war ein Wunder und nicht das Ergebnis von Rhetorikseminaren und Sprachkursen.
Damit will ich unsere Bemühungen, die Menschen heute mit der Botschaft Jesu zu erreichen, gar nicht klein reden und schlecht machen. Sie sind nötig, auch wenn nicht jede gute Idee funktioniert und nicht jede funktionierende Idee gut ist. Und wir brauchen davon eher noch deutlich mehr als weniger. Aber dass der Geist Gottes weht und der Funke überspringt, das können wir nicht machen. Es steht einfach nicht in unserer Macht. Es ist uns aber verheißen, dass es geschieht. Und es geschieht auch, öfter als wir denken. Wir sollten nur nicht erwarten, dass es sich immer gleich in der kirchlichen Mitgliederstatistik niederschlägt.
Ein Beispiel: Auch in der DDR waren die Christen ein kleines Häuflein: ohne Macht und Einfluss, oft schikaniert und ohne große Möglichkeiten zu öffentlicher Wirksamkeit. Aber vor dreißig Jahren gab es plötzlich einen Moment, da sprachen sie mit ihren Friedensgebeten genau die Sprache, die die Menschen brauchten und verstanden. Und das hatte gewaltige Wirkung. Immer mehr Menschen kamen und gingen dann auf die Straßen, und die meisten von ihnen hatten mit Kirche nichts am Hut. Doch am Ende brachten sie einen scheinbar allmächtigen und allwissenden Staatsapparat zu Fall. Die Christen, die sich als erste zu solchen Gebeten trafen, in der Leipziger Nikolaikirche und anderswo, die hätten sich diese Wirkung niemals vorstellen können. Aber es geschah. Und es brachte der Kirche zwar kaum neue Mitglieder, aber es brachte 17 Millionen Menschen die Freiheit. Der Geist weht eben, wo er will und wie er will.
Heute weht er vielleicht am stärksten ganz außerhalb von Kirchenmauern. Bei Fridays-for-Future zum Beispiel. Oder auf You-Tube, wo ein junger Mann mit blauen Haaren auf einmal den richtigen Ton trifft, um vielen klarzumachen, was falsch läuft in unserem Land. Noch sage ich „vielleicht“. Aber es wäre doch toll, wenn junge Menschen hier eine Sprache gefunden hätten, die den Leuten „durchs Herz geht“, wie es in der Apostelgeschichte heißt, und sie zu etwas bringt, was in vierzig Jahren keine Klimakonferenz, kein grünes Parteiprogramm und auch keine christliche Predigt geschafft hat, nämlich endlich Ernst zu machen mit der Bewahrung der Schöpfung. Wenn es so käme, wider alle Hoffnung, dann wäre auch das für mich ein Werk des heiligen Geistes. Denn es mögen sich zwar längst nicht alle Christen nennen, die da aktiv sind. Aber ich denke, es steckt mehr Jesus und mehr Gottesgeist in ihnen, als ihnen selber bewusst ist.
Schön und gut, mögen Sie jetzt denken, aber kommt es denn auf die Kirche, die erkennbare Gemeinschaft der Christen gar nicht mehr an? Damals und später hat der heilige Geist doch dafür gesorgt, dass die Gemeinschaft der Christen wuchs. Dürfen wir das denn nicht mehr von ihm erwarten? Doch, natürlich dürfen wir das. Anderswo auf Erden geschieht es ja auch, auf vielfältige Weise. Und auch bei uns kommen Menschen zum Glauben, denen das nicht unbedingt in die Wiege gelegt war – gar nicht wenige Flüchtlinge zum Beispiel. Über jeden Einzelnen von ihnen herrscht Freude im Himmel, und so sollte es auch auf Erden sein. Und eines Tages sind es vielleicht auch wieder viele, die zu uns stoßen. Ich bin nur ziemlich sicher, dass wir dann davon völlig überrascht sein werden und es nicht als unseren eigenen Erfolg verbuchen können. Denn so steht es schon bei Sacharja: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ Bis dahin bleibt uns nur die Bitte: „Komm, heiliger Geist, erfülle unsere Herzen und erfülle die Welt!“ Und wo wir ihm den Weg bereiten können, da lasst es uns fleißig tun – dann wird uns auch das Warten nicht zu lang! Amen.
Ihr Pastor Martin Klein