Auf ein Wort…..

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Mensch, wo bist du?“ – Ich kann mir gut vorstellen,
wie jemand diesen Satz in sein Handy spricht. Ungeduldig steht er
am vereinbarten Treffpunkt, doch der, auf den er wartet, lässt sich
nicht blicken. Schließlich greift er zum Telefon und ruft an: „Mensch,
wo bist du denn?“

„Mensch, wo bist du?“ – Diese Frage steht
als Losung über dem Evangelischen Kirchentag, der im Mai in Bremen
gefeiert wird. Hier ist es Gott, der den Menschen anruft. Wer so
angesprochen wird, der ist gerade nicht da. Er stellt sich nicht
der Verantwortung, entzieht sich, versteckt sich. So wie die beiden
ersten Menschen, Adam und Eva im Paradiesgarten. Wenn Sie die Geschichte
im 1. Buch Mose nachlesen, werden Sie feststellen, dass es dort
heißt: „Adam, wo bist du?“ Aber das hebräische Wort Adam bedeutet
übersetzt nichts anderes als „Mensch“. Die Geschichte vom „Sündenfall“,
wie sie in der Bibel überschrieben ist, ist also eine Geschichte
über das Menschsein, über die Möglichkeiten und Grenzen des Lebens,
unsere Wünsche und Versuchungen, Ziele und Herausforderungen.

Gott, so wird erzählt, hat mitten in der Wüste
einen Garten angelegt. Die ersten Menschen sollen ihn bebauen und
bewahren. Sie haben alles, was sie brauchen und müssen sich nur
an eine Regel halten: Von dem einen Baum, dem Baum der Erkenntnis
von Gut und Böse, dürfen sie nicht essen. Aber sie tun es natürlich
doch, verführt von der Schlange und getrieben von ihrer eigenen
Neugier, von dem Wunsch, Grenzen zu überschreiten. Da, so heißt
es, wurden ihnen die Augen aufgetan. Und was sehen sie? Nicht, dass
sie wie Gott sind, wie die Schlange es ihnen versprochen hat, sondern
dass sie nackt sind. Nackt waren sie von Anfang an, doch sie schämten
sich nicht. Nun aber haben sie ihre Unbefangenheit verloren. Sie
schämen sich voreinander und flechten sich Schurze aus Feigenblättern.
Und sie schämen sich auch vor Gott und verstecken sich im Gebüsch.

Gott lässt die Sache nicht einfach auf sich
beruhen. Gegen Abend geht er durch seinen Garten und sucht die Menschen:
„Mensch, wo bist du?“, ruft er. Gott ruft den Menschen zur Verantwortung.
Denn seit der Mensch weiß, was gut und böse ist, trägt er selbst
die Verantwortung für sein Tun und Lassen und dann eben auch die
Konsequenzen.

„Mensch, wo bist du?“ – Unter diesem Motto
geht es beim Kirchentag um die Suche nach Menschlichkeit in unserer
Gesellschaft. Die Losung soll nachdenklich stimmen und fragt: Mensch,
wofür stehst du im Leben? Wo schlägt dein Herz? Wo ist dein Standpunkt?
Mensch, wo bist du, wenn Wälder, Flüsse und das Klima zerstört werden?
Wo bist du, wenn Menschen im Elend leben und an Hunger sterben?
Mensch, wo bist du in der Einsamkeit der Hochhäuser und im Leid
der Slums? Mensch, wo bist du, wenn Kinder vernachlässigt und Alte
abgeschoben werden? Wo bist du, wenn Menschen wieder einmal die
Grenzen überschreiten, die im Leben heilsam sind? Mensch, wo bist
du?

Gott helfe uns, dass wir auf seine Frage antworten
können: Hier bin ich, Herr!

Ihre Pastorin
Almuth Schwichow