PREDIGT FÜR DEN LETZTEN SONNTAG
DES KIRCHENJAHRS
Wenschtkirche, 23.11. 2008
Pfr. Dr. Martin Klein Text:2.Kor 5,1-10
In der Konfi-Projektgruppe,
die diesen Gottesdienst mit vorbereitet hat, haben wir uns beim
letzten Mal mit dem Lied „Tears in Heaven“ beschäftigt – Sie haben
es vorhin gehört. Der Gitarrist Eric Clapton hat es geschrieben,
nachdem sein vierjähriger Sohn tödlich verunglückt war. Es nimmt
Fragen auf, die auch Konfirmanden haben, und viele von Ihnen, die
im letzten Jahr einen lieben Menschen verloren haben, sicher ebenfalls:
„Würdest du meinen Namen wissen, wenn ich dich im Himmel sähe?“
heißt es da. „Würde es wieder wie früher sein? Würdest du meine
Hand halten, mir helfen, dass ich aufrecht stehen kann?“ Fragen,
die ohne Antwort bleiben, auch in Claptons Lied. Trotzdem endet
es tröstlich: „Hinter der Tür ist Friede und Sicherheit, und ich
weiß: im Himmel wird es keine Tränen mehr geben.“
Aber ist das so?
Viele Bibeltexte und Kirchenlieder scheinen das anders zu sehen.
Danach ist noch gar nicht ausgemacht, ob wir nicht am Ende zu den
„törichten Jungfrauen“ gehören, die nicht bereit waren und deshalb
draußen vor der Tür bleiben. Denn da droht nach dem Ende unseres
Lebens oder unserer Welt Gottes strenges Gericht: Unser ganzes irdisches
Leben kommt dabei auf den Prüfstand, und es ist noch nicht entschieden,
ob wir am Ende mit Christus in den Himmel kommen, wo dann in der
Tat „Friede und Sicherheit“ sind, oder ob wir mit dem Satan in die
Hölle gehen müssen, wo „Heulen und Zähneklappern“ herrschen. Vielleicht
haben auch beide Unrecht, und mit dem Tod ist tatsächlich alles
aus, wie viele meinen. Vielleicht ist „hinter der Tür“ einfach gar
nichts, und die Erde ist der einzige Himmel, den wir haben.
Auch der Text,
über den ich heute predigen möchte, geht diesen Fragen nach: Was
wird sein, wenn unsere Lebenszeit abgelaufen ist, und wie wird es
sein? Er steht in einem Brief, den der Apostel Paulus an die Gemeinde
in Korinth geschrieben hat. Wir ahnen sicher schon, dass auch dieser
Text nicht alle unsere Fragen endgültig beantworten wird. Trotzdem
glaube ich, dass es sich lohnt, Paulus zuzuhören. Denn erstens hält
er keine Sonntagsreden, sondern er ist gerade erst selbst mit knapper
Not dem Tod entronnen. In Ephesus war das, und es war nicht das
erste Mal. Und zweitens lebt und schreibt Paulus aus einer Erfahrung,
die für ihn alle bisherigen Maßstäbe gesprengt hat: er ist dem auferstandenen
Christus begegnet. Ich lese 2. Kor 5,1-10:
Wir wissen:
wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben
wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht,
das ewig ist im Himmel. Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns
danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet
werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden.
Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert,
weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen,
damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben. Der uns aber
dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns als Unterpfand den Geist
gegeben hat. So sind wir denn allezeit getrost und wissen: solange
wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn; denn wir wandeln
im Glauben und nicht im Schauen. Wir sind aber getrost und haben
vielmehr Lust, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem
Herrn. Darum setzen wir auch unsre Ehre darein, ob wir daheim sind
oder in der Fremde, dass wir ihm wohl gefallen. Denn wir müssen
alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen
Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut
oder böse.
Der Tod ist die
Grenze auch für unsere sprachlichen Möglichkeiten. Deshalb fällt
es uns schwer, in Worte zu fassen, was wir nach dem Tod erwarten,
erhoffen oder befürchten. Paulus geht es nicht anders. Deshalb benutzt
er verschiedene Bilder. Er redet von der Hütte und vom Haus, vom
Nackt- und Bekleidetsein, von der Fremde und der Heimat. Zum Teil
überschneiden sich die Bilder, und das macht es schwierig, genau
zu verstehen, was er meint. Trotzdem sind mir die Bilder nah, denn
sie sind zeitlos. Eines davon möchte ich mit Ihnen näher betrachten.
Es ist das Bild vom Haus als Symbol für unser Leben.
Als ich vor inzwischen
zwölf Jahren zum ersten Mal über diesen Text gepredigt habe, da
wohnten meine Frau und ich in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Bochum-Linden.
Wir hatten es dort bequem und ruhig und recht billig, mit netten
Nachbarn im Haus und viel Grün drum herum. Als ich aus meiner 12-Quadratmeter-Studentenbude
dort eingezogen war, kam es mir riesig vor. Aber spätestens, als
unsere Paula kam, wurde es eng. Das kombinierte Schlaf-, Arbeits-
und Kinderzimmer quoll über und war konzentrierter Arbeit nicht
besonders zuträglich, zum Duschen mussten wir immer erst die Wickelauflage
von der Badewanne hieven, und überall lag irgend etwas herum, was
sich nirgendwo sinnvoll verstauen ließ. Deshalb sehnten wir damals
den Tag herbei, an dem wir endlich eine schöne große Wohnung oder
gar ein Pfarrhaus bewohnen würden, wo jeder sein Zimmer hat und
vielleicht noch eins für Gäste übrig bleibt.
So ist es auch
mit dem Leben im Allgemeinen. Vom Mutterleib an zieht es allmählich
immer weitere Kreise und erschließt sich neue Lebensräume: Wir werden
geboren, lernen laufen, gehen zur Schule, machen eine Ausbildung,
finden einen Lebenspartner, bekommen vielleicht Kinder und später
Enkel, machen eventuell sogar Karriere. Immer wieder öffnen sich
uns neue Horizonte. Und immer wieder müssen wir dabei Lebensräume
hinter uns lassen, die uns zu eng geworden sind, die nicht mehr
zu uns passen. Das ist gut so. Aber geht es immer so weiter?
Jetzt, zwölf Jahre
später ist unser Wunschtraum längst in Erfüllung gegangen. Wir wohnen
in einem schönen Pfarrhaus mit viel Platz darin und drum herum und
kriegen ihn mit drei Kindern auch gut ausgenutzt. Aber eines Tages
wird es uns so gehen wie jetzt meinen Eltern. Die wohnen auch in
einem großen Haus. Früher, als meine Geschwister und ich und auch
meine Großeltern noch da waren, war es gerade groß genug und voller
Leben. Heute bewohnen es meine Eltern allein. Sie haben sich auf
zwei von vier Etagen zurückgezogen, und mit Hilfe einer tüchtigen
Putzfrau kommen sie noch ganz gut zurecht. Aber was passiert, wenn
es so eines Tages nicht mehr geht? Wer kümmert sich dann um sie?
Die Kinder? Ein Pflegedienst? Oder müssen sie gar in ein Altersheim?
Auch das gilt
genauso für das Leben im Großen und Ganzen. Es besteht aus einer
langen Reihe von Abschieden, und Abschied nehmen fällt immer schwer.
Anfangs heißt „Abschiednehmen“ noch „zu neuen Zielen aufbrechen“.
So nehmen Jugendliche von der Kindheit Abschied, Erwachsene vom
Elternhaus, Eltern und Berufsanfänger von der bisherigen Umgebundenheit.
Aber später sind es die anderen, die beim Abschied weiterziehen,
während man selbst zurückbleibt: Eltern müssen ihre erwachsenen
Kinder loslassen, Rentner ihren Berufe, Gebrechliche ihre Kraft
und Gesundheit, Pflegebedürftige die eigene Wohnung. Kleiner und
kleiner wird der Lebensraum, bis schließlich nur noch ein Bett bleibt,
und endlich gar nichts mehr.
Eine Hütte, ein
Zelt ist unsere irdische Behausung, sagt Paulus. Wie Nomaden in
der Wüste ziehen wir mit ihr von einem Ort zum anderen. Nirgendwo
können wir auf Dauer bleiben. Mag unser Zelt auch prächtig und stabil
sein – allmählich wird es doch zerschlissen von Sonne und Regen
und vom vielen Auf- und Abbauen, bis es irgendwann zusammenbricht
und sich nicht wieder aufbauen lässt.
Und dann? „Wir
wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir
eine Wohnung von Gott, ein ewiges Haus im Himmel, das nicht von
Menschenhand errichtet ist“ (V.1). „Wir wissen“, sagt Paulus. Woher
ist er sich so sicher? Eigentlich kann das doch gar kein Mensch
wissen. Paulus würde wahrscheinlich antworten: „Ich habe gesehen,
dass Jesus lebt, weil Gott ihn von den Toten auferweckt hat. Und
deshalb bin ich überzeugt, dass auch über uns der Tod nicht das
letzte Wort hat.“ Aber ich denke, dass es auch im Leben des Paulus
Momente gab, in denen er sich fragte, ob er sich damals vor Damaskus
nicht doch etwas eingebildet hat. Vielleicht würde er deshalb auch
sagen: „Dass ich meiner Sache so gewiss bin, liegt nicht an mir
selbst, sondern an Gottes gutem Geist, der mir diese Hoffnung schenkt.“
Deshalb nennt Paulus den Geist Gottes das „Unterpfand“, die „Anzahlung“
auf das, was noch kommt.
Den auferstandenen
Christus haben wir nicht gesehen, aber die Hoffnung, die Gottes
Geist bewirkt, die gilt auch für uns. Vielleicht ist er ja schon
dort am Werk, wo wir eine vage Ahnung davon bekommen, dass unser
Leben hier auf Erden nur ein Fragment ist, auch wenn es neunzig
Jahre und mehr dauert – ein Bruchstück eines größeren Ganzen, das
wir erst erkennen können, wenn wir die Grenze des Todes überschritten
haben. Ich glaube, dass aus dieser Ahnung Gewissheit werden kann,
wenn wir Gottes Wirken in Jesus Christus für uns wahr sein lassen.
Ich vertraue darauf, dass uns der Glaube eine Hoffnung geben kann,
die mit dem Tod nicht untergeht. Diese Hoffnung ist nicht unerschütterlich;
manchmal ist sie nur ein schwacher Schlimmer, aber sie trägt, weil
sie von Gott getragen ist.
Ein ewiges Haus
erwartet uns, eines, das nicht mit Händen gemacht ist, sagt Paulus.
Was für ein Haus wird das sein? Wie wird es aussehen? Paulus zeichnet
uns keinen genauen Grundriss, aber ein paar Konturen können wir
doch erkennen.
Eines ist besonders
wichtig: Es wird nicht irgendein Haus sein, sondern mein Haus, so
wie meine irdische Hütte auch nicht irgendeine sondern meine war.
Gott liebt mich so, wie ich bin, so unverwechselbar, wie er mich
erschaffen hat. Und wenn es so ist, dass Gottes Liebe über den Tod
hinausreicht, dann glaube ich, dass ich auch dann ich selbst sein
werde, die Person, zu der Gott Ja gesagt hat, ein für alle Mal.
Ich glaube nicht, dass alles wie früher sein wird. Aber dass ich
meinen Namen noch kenne, bei dem Gott mich gerufen hat, darauf vertraue
ich.
Wenn es aber so
ist, dass ich auch nach dem Tod ich selbst bleibe, weil Gott mich
auch weiter bei meinem Namen ruft, dann bleibe ich auch für mein
irdisches Leben verantwortlich und bin Gott dafür Rechenschaft schuldig.
Deshalb sagt Paulus: „Wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi
offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder
Böse, das er im irdischen Leben getan hat.“ (V.10) Das ist natürlich
keine angenehme Vorstellung, einem Richter gegenüberzustehen, der
nicht nur meine bekannten Wohl- und Missetaten vor Augen hat, sondern
der mich bis ins Innerste durchschaut. Ein Richter, der alles ans
Licht bringt, was ich bisher vor anderen verborgen habe, vielleicht
sogar vor mir selbst. Das kann und sollte uns durchaus einen gewaltigen
Schrecken einjagen. Aber stellen Sie sich vor, es wäre anders: Stellen
Sie sich vor, der Tod würde all das Unrecht endgültig unter den
Teppich kehren, das auf Erden ungesühnt bleibt! Wäre diese Vorstellung
nicht noch viel schrecklicher? Gott will nicht Rache nehmen, aber
er will Gerechtigkeit, und das ist gut so.
Und dann ist noch
eins wichtig: Paulus sagt, dass der Richter kein anderer ist als
Jesus Christus. Derjenige, der meine Schuld beurteilt, ist also
kein anderer als der, durch den Gott mich annimmt, wie ich bin.
Dann kann der Schrecken des Gerichts aber eigentlich nur ein Erschrecken
über mich selber sein: So verstrickt in Schuld bin ich, und so barmherzig
ist Gott trotzdem zu mir. Natürlich habe ich mehr davon, wenn mich
dieser heilsame Schrecken schon auf Erden packt – und meine Mitmenschen
auch. Aber sollte es im Gericht dafür wirklich zu spät sein? Sollte
dann nicht mehr gelten, dass Gott die ganze Welt mit sich versöhnt
hat?
Im Himmel werden
Friede und Sicherheit sein, und es wird dort keine Tränen mehr geben,
singt Eric Clapton. Wenn es stimmt, was Paulus schreibt, dann ist
das mehr als eine vage Hoffnung. Dann ist es eine Gewissheit, aus
der wir jetzt schon leben können – in der Verantwortung vor Gott
dem Richter und im Vertrauen auf seine grenzenlose Liebe.
Amen.
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