Predigt vom 10. August

GOTTESDIENST FÜR DEN ZWÖLFTEN SONNTAG NACH
TRINITATIS

mit Taufe von Tim Edelmann, Chelsy Rick und
Vivien Samiev
Pfarrer Dr. Martin Klein
Talkirche, 10.8. 2008

Text: 1. Kor 3,9-15

Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid
Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Ich nach Gottes Gnade, die mir
gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein
anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut.
Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher
ist Jesus Christus. Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber,
Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar
werden. Der Tag des Gerichts wird’s klar machen; denn mit Feuer
wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist,
wird das Feuer erweisen. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf
gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen,
so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden,
doch so wie durchs Feuer hindurch.

Wissen Sie, warum evangelische Kirchen meistens
zugeschlossen sind? Nun, das hat unterschiedliche Gründe. Die Lutheraner
wollen nicht, dass jemand was hinausträgt; die Reformierten dagegen
fürchten, dass jemand was hineinbringt. Die einen sorgen sich um
ihre Kunstschätze, die anderen um ihre bild- und schmucklose Kargheit.

Das ist natürlich nur ein Witz. Aber einer
mit realem Hintergrund: Tatsächlich sind die meisten evangelischen,
aber auch etliche katholische Kirchen fest verschlossen, wenn nicht
gerade Gottesdienst ist. Bei einer alten Dorfkirche in Dortmund,
die ich mal besichtigen wollte, war sogar der Kirchhof mit einem
hohen Gitterzaun gesichert, und in die Fenstersimse waren Glasscherben
einbetoniert. Eine Kirche muss schon hohen Sehenswert besitzen,
wenn man sie zu bestimmten Zeiten besichtigen kann, aber auch die
sind oft eng begrenzt. Auch unsere Klafeld-Geisweider Kirchen sind
in der Regel zu.

Natürlich verstehe ich die Gründe dafür. Ich
weiß ja, wie gern auch in und um Kirchen herum geklaut, randaliert
und mutwillig zerstört wird. Entsprechend unruhig wird man, wenn,
wie jüngst in der Wenschtkirche, plötzlich irgendwelche Schlüssel
und Gegenstände verschwinden. Und man kann ja vom Küster oder Pastor
auch nicht erwarten, dass er immer parat steht, um potenziellen
Besuchern aufzuschließen. Trotzdem finde ich es schade, dass man
viele unserer Kirchen nur zu Gottesdienstzeiten betreten kann. Denn
unabhängig von ihrem Alter und ihrem kunsthistorischen Wert geben
Kirchen Zeugnis von einer Kultur, die vielen der Menschen, die heute
um sie herum leben, fremd geworden ist. Sie könnten ihnen Raum bieten,
um zur Ruhe zu kommen, an eine Geschichte anzuknüpfen, die auch
ihre ist, sich ihren Wurzeln zu nähern und so letztlich das Fundament
zu entdecken, von dem Paulus spricht: „Einen anderen Grund kann
niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“

Nun könnten Sie zwar zurecht einwenden, dass
der Glaube nicht an irgendwelchen Gebäuden aus Holz und Stein hängt.
Aber für mich sind die verschlossenen Kirchen auch nur ein Symptom
für einen tiefer liegenden Mangel, den ich an uns Christen heutzutage
wahrnehme: Wir haben über die Jahrhunderte hinweg einen großen Schatz
geerbt, nämlich das Evangelium von Jesus Christus, das allen Manschen
Heil und Leben verheißt. Aber wie unsere Kirchen halten wir auch
diesen Schatz, auf den sie hinweisen unter Verschluss – außer zu
besonderen und eng begrenzten Zeiten. Viele tun es wohl deshalb,
weil sie seinen wahren Wert nicht kennen, so dass sie gar nicht
erst auf den Gedanken kommen, dass dieser Schatz ihnen selbst oder
anderen etwas bedeuten könnte. Aber selbst diejenigen, die wissen,
wie wertvoll diese Botschaft ist, lassen die Schatztruhe zu. Vielleicht,
weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen, wenn sie anderen etwas
davon zeigen. Vielleicht, weil sie meinen, dass nur Experten – also
Theologen – damit ordentlich umgehen können. Vielleicht auch, weil
sie denken, dass die oder der es gar nicht verdient haben, diesen
Schatz zu Gesicht zu bekommen. Und so gleicht die Christenheit hier
und heute weithin einem Museum: zu bestimmten Zeiten werden sachkundige
Führungen angeboten, aber ansonsten beherbergt es Gegenstände, die
man als geschichtsbewusster Mensch zwar erhalten muss, aber im heutigen
Alltag nicht mehr gebrauchen kann. Kinder wie Tim, Chelsy und Vivien
haben so kaum eine Chance, den Glauben, auf den sie getauft sind,
kennen zu lernen und bewusst damit zu leben – obwohl wir ihnen das
doch heute versprochen haben.

Was müsste geschehen, damit sich das ändert?
Wie kann aus dem altehrwürdigen Bauwerk Kirche, das wir mit immer
weniger Erfolg gegen den Verfall sichern, wieder eine betriebsame
Baustelle werden? So eine wie die, von der Paulus im Predigttext
spricht: Wo alle mit anpacken, so dass der Bau Gottes wächst und
gedeiht? Ich finde, wir müssten dazu die Grundsätze wieder neu beachten
lernen, die Paulus aufstellt, um die Arbeit auf dem Bau Gottes zu
beschreiben. Wenn ich recht sehe, sind das vor allem zwei:

Der erste Grundsatz: Um das Fundament müssen
wir uns keine Gedankten mehr machen. Denn das Fundament ist schon
da, und es hält und trägt seit 2000 Jahren: „Einen anderen Grund
kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“
In Jesus Christus sind Gott und Mensch miteinander versöhnt, ein
für alle Mal. Das heißt: Auf dieser Basis ist Glaube überhaupt erst
möglich: ein Band des Vertrauens zwischen mir und Gott. Nur auf
dieser Basis macht es Sinn, Kinder zu taufen und ihnen Verheißungs-
und Segensworte mitzugeben. Nur auf dieser Basis können wir so etwas
wie Kirche bauen: eine Gemeinschaft von Menschen, die Gott in ihrer
Mitte hat. Es heißt aber auch: abseits von diesem Fundament müssen
wir mit unseren Bauwerken scheitern. Wenn die Kirche ihr Fundament
vergisst, wenn sie nicht mehr auf Christus baut, sondern auf ihre
Unverzichtbarkeit für das Sozialgefüge oder auf ihre Meinungsführerschaft
in Sachen Wertevermittlung oder auf ihr Auch-dabei-Sein bei allem,
was gerade „in“ ist, dann kann sie nur noch Luftschlösser bauen,
die der Wind verweht, oder Sandburgen, die von der nächsten Flut
weggespült werden. Ich habe den Eindruck, dass solche zweifelhaften
Bauwerke in letzter Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen, während
das eigentliche Fundament der Kirche immer mehr verschütt geht.
Es wäre also an der Zeit, es endlich wieder freizulegen. Das macht
sicher mehr Mühe und weniger Eindruck, als mal eben eine schöne,
bunte Kulisse hinzustellen. Aber wenn wir wirklich eine Kirche sein
wollen, in der auch unsere Kinder noch ein geistliches Zuhause finden,
dann sollten wir diese Mühe nicht scheuen. Gott wird sie nicht unbelohnt
lassen.

Und der zweite Grundsatz: „Wir sind Gottes
Mitarbeiter“. Auf Baustellen sind Leute, die nur herumstehen und
zuschauen, nicht willkommen, denn sie bringen sich selbst in Gefahr
und sind eine Gefahr für andere. Deshalb hängt dort immer das Schild:
„Betreten der Baustelle verboten“. Auch auf Gottes Baustelle sind
bloße Zuschauer nicht gefragt. Allerdings heißt die Konsequenz dort
nicht: „Betreten verboten“ sondern „Mitmachen erwünscht“: Wer die
Baustelle betritt, der soll auch mit bauen. Denn anders als auf
einem gewöhnlichen Bau gibt es keinen, der nicht irgendetwas zum
Gelingen beitragen könnte. Da kann der eine gut reden, der andere
gut zuhören, der eine hat gute Ideen, der andere kann kräftig zupacken,
der eine kann nüchtern kalkulieren, der andere einfühlsam mit Menschen
umgehen – all diese Gaben und noch viele andere werden gebraucht.
Sicher gibt es dabei Tätigkeiten, die mehr oder weniger Gewicht
haben. Gemeinden zu gründen, wie Paulus es tat, war etwas anderes
als beim Abendmahl den Tisch zu decken. Und auch heute ist es wohl
eine größere Aufgabe, in einer Gemeinde Pfarrer oder Presbyter zu
sein als in seiner Straße den Gemeindebrief auszutragen. Trotzdem
ist es wichtig festzuhalten, dass vor Gott die großen und die kleinen
Aufgaben dasselbe Ansehen haben. Beide müssen treu erfüllt werden,
damit der Bau gedeiht. Was vor Gott mit der Größe der Aufgabe wächst,
ist nur die Größe der Verantwortung. Dazu hat Paulus mahnende Worte
zu sagen: „Ein jeder sehe zu, wie er baut, denn vor Gott wird das
Werk eines jeden offenbar werden.“ Und er rechnet damit, dass nicht
jedes Bau-Werk vor Gottes Gericht bestehen kann. Paulus nimmt also
nicht schon den guten Willen für die Tat, wie wir es bei Kirchens
so gern tun, sondern es geht ihm darum, dass jeder bei seiner Aufgabe
sein Bestes gibt. Das heißt vor allem: dass keiner das Fundament
aus den Augen verliert und jeder darauf so gut baut, wie er kann.
Und Paulus rechnet auch damit, dass die Qualität der Arbeit hier
auf Erden nicht unbedingt zu erkennen ist: da mag etwas wie Gold
glänzen und sich dann im Feuer des Gerichts doch als Heu und Stroh
entpuppen. Ich weiß also noch nicht, ob meine Arbeit als Pfarrer
vor Gott wird bestehen können. Und Sie als Eltern und Paten wissen
auch noch nicht, ob Ihnen das mit der christlichen Erziehung so
gelingt, wie Sie es heute bei der Taufe versprochen haben. Vielleicht
müssen wir zusehen, wie ein Großteil unseres Lebenswerks vor Gott
in Flammen aufgeht. Deshalb ist es mehr als ein kleiner Trost für
mich und für uns alle, dass wir selber nicht mit unserem Werk verbrennen
werden, wie Paulus sagt. Wir selber werden Gottes Gericht überstehen,
wenn auch sozusagen mit angesengten Haaren. Denn dass wir gerettet
sind für Zeit und Ewigkeit, das ist in Jesus Christus beschlossen
und besiegelt. Das ist uns allen seit unserer Taufe gültig zugesprochen.
Das ist das Fundament, das wir nicht mehr errichten müssen. Wir
sind verantwortlich für unser Tun und Lassen. Die Verantwortung
für unser Heil und Leben hat Gott auf sich genommen, weil wir sie
nicht tragen könnten. Deshalb muss uns unsere Verantwortung keine
drückende Last sein. Im Gegenteil: sie kann ein Ansporn sein, der
uns mehr erreichen lässt, als wir uns vorher zugetraut hätten. Und
auch das sagt Paulus: Gute Arbeit bekommt von Gott auch ihre Anerkennung.
Er weiß es durchaus zu schätzen, wenn wir auf seiner Baustelle mit
Eifer bei der Sache sind.

Zum Schluss eine kleine Anekdote, die uns
über das Gesagte vielleicht noch ein wenig weiter nachdenken lässt:
Drei Arbeiter an einer Dombauhütte werden nach ihrer Tätigkeit gefragt.
Der erste sagte: „Ich schleppe Steine aufs Gerüst und mauere sie
ein.“ Der zweite sagte: „Ich verdiene hier mein Geld.“ Der dritte
sagte: „Ich baue mit am Dom.“ Drei Antworten, drei Arbeitseinstellungen.
Welche wäre wohl die unsere?