Predigt vom 18.Mai 2008

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG TRINITATIS

Tal- und Wenschtkirche, 18.5. 2008
Pfr. Dr. Martin Klein

Text 2.Kor 13,13

Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die
Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!

Mit diesem Gruß beendet der Apostel Paulus seinen zweiten Brief
an die Korinther, mit ihm endet auch der für heute vorgeschlagene
Predigttext. Und dieser Text wurde deshalb für diesen Sonntag ausgewählt,
weil er eine der wenigen Stellen im Neuen Testament ist, die Gott,
Jesus Christus und den heiligen Geist in einem Atemzug nennen. Denn
heute ist Trinitatis. Die Christenheit feiert das Fest der heiligen
Dreieinigkeit Gottes aus Vater, Sohn und heiligem Geist. Mit diesem
Tag erreicht der Festzyklus des Kirchenjahres, der sich von Advent
und Weihnachten über die Passionszeit und Ostern bis Himmelfahrt
und Pfingsten erstreckt, seinen abschließenden Höhepunkt. Nach Trinitatis
werden die Sonntage dann schlicht durchnummeriert, bis wieder ein
neues Kirchenjahr beginnt.

Aber: Wird dieses Fest wirklich noch gefeiert? Schreibt noch
jemand wunderbare Kantaten dazu mit Pauken und Trompeten, wie es
der alte Bach getan hat? Gibt es aus diesem Anlass noch irgendwo
festliche Gottesdienste, denen man das auch anmerkt? Mit Pfingsten
– inhaltlich auch nicht leicht zu vermitteln – geben wir uns ja
noch Mühe, feiern ökumenische Gottesdienste, machen Pfingstausflüge
oder laden zur „Nacht der offenen Kirchen“ ein. Aber Trinitatis?
Wie um alles in der Welt sollen wir das bloß an den Mann oder die
Frau bringen, wo doch heute immer alles anschaulich, eingängig und
erlebbar sein soll? Und wissen wir überhaupt selber noch, worum
es da geht?

Die Lehre von der Dreieinigkeit scheint für die Theologie so
etwas zu sein wie die Allgemeine Relativitätstheorie für die Physik:
eine hochabstrakte Formel, mit der es für den Normalsterblichen
zwar irgendwie seine Richtigkeit haben muss, wenn ein Genie wie
Einstein sie bewiesen hat, die aber das Fassungsvermögen unserer
schlichten Gemüter weit übersteigt. Der Unterschied zwischen Relativitätstheorie
und Trinitätslehre besteht allerdings darin, dass die Physiker heute
selbstverständlich mit Einsteins Formel arbeiten, während immer
mehr Theologen die Trinitätslehre für überholt, ja für unangemessen
halten, um Gott zu beschreiben. Dass Gott zwar eines Wesens ist,
aber in drei Personen – Vater, Sohn und Heiliger Geist – existiert,
ist für sie eine theologische Spitzfindigkeit des vierten, fünften
Jahrhunderts nach Christus, die mehr griechisch-philosophisch als
biblisch gedacht ist. Denn dort, in der Bibel, steht das so nirgends,
nicht im Neuen, und erst recht nicht im Alten Testament. Auch der
Gruß aus dem zweiten Korintherbrief oder die Taufformel aus Matthäus
28, die der Sache am nächsten kommen, stellen die drei nur nebeneinander
und sagen nichts über ihr Verhältnis zueinander. Und ein Vers im
ersten Johannesbrief, der lange als biblischer Beleg der Dreieinigkeit
galt, erwies sich später als nachträglich hineingemogelt.

Demnach scheint man sich durchaus mit dem begnügen zu können,
was heute wohl die große Mehrheit der Christen über Gott denkt und
von ihm glaubt: Wenn wir von Gott sprechen, dann meinen wir in erster
Linie den Vater im Himmel, den Schöpfer der Welt. Jesus ist für
uns vor allem Mensch, vielleicht einer, der Gott besonders nahe
war, vielleicht auch „Gottes Sohn“ oder „der Herr“. Aber schlicht
und einfach zu sagen „Jesus ist Gott“, das klänge selbst in frommen
Ohren eher fremd. Und der heilige Geist, den verstehen wir als eine
Kraft, die von Gott ausgeht, als ein Band, das die Gemeinschaft
der Christen zusammenhält, aber wie soll man sich diesen Geist als
Person vorstellen – und warum auch? Dass noch Johannes Calvin damit
einverstanden war, einen Leugner der Trinität in Genf auf den Scheiterhaufen
zu bringen, scheint uns heute unfassbar und dämpft etwas die Vorfreude
auf seinen 500. Geburtstag im nächsten Jahr.

Weil die Dinge so stehen, beginnen wir unsere Gottesdienste und
taufen wir unsere Kinder zwar immer noch „im Namen des Vaters und
des Sohnes und des Heiligen Geistes“, aber weithin sprechen wir
damit eine altehrwürdige Formel nach, die für uns längst ihren ursprünglichen
Sinn verloren hat. Dann wäre allerdings die Frage, warum wir eigentlich
immer noch daran festhalten und diesen alten Zopf nicht endlich
abschneiden. Warum sagen wir nicht einfach „im Namen Gottes“? Warum
taufen wir nicht einfach „im Namen Jesu“, wie es schon in der Apostelgeschichte
öfter heißt?

Ich denke, wir sollten das deshalb nicht tun, weil der Vergleich
mit der Relativitätstheorie noch tiefer reicht, als bisher bedacht.
Denn in der Physik verhält es sich ja so: zur Erklärung und Nutzung
der Kräfte, deren Wirken wir alltäglich erleben, reichen die klassischen
physikalischen Gesetze bestens aus. Um einen Motor zu konstruieren
oder ein Gebäude zu errichten, brauche ich kein E = mc². Aber je
tiefer man in die Geheimnisse der Natur vordringt, in die Weite
des Weltraums oder ins Innere eines Atoms, desto mehr stößt die
klassische Physik an ihre Grenzen, desto mehr entdeckt man Gesetzmäßigkeiten,
die unser Vorstellungsvermögen übersteigen, aber trotzdem richtig
und nachweisbar sind. Inzwischen rechnen die Physiker ja schon nicht
mehr nur mit vier Dimensionen wie Einstein, sondern mit neun oder
noch mehr.

Genauso, denke ich, ist es auch mit Gott: Je mehr ich über ihn
nachdenke und je tiefer ich die biblischen Aussagen über ihn, über
Jesus über den heiligen Geist durchdringen will, desto mehr Dimensionen
entdecke ich, desto mehr Verschiedenes muss ich in eins zusammendenken,
wenn ich an dem biblischen Urbekenntnis festhalten will, dass Gott
einer ist. Und wenn schon die Wunder der Schöpfung vom Atom bis
zum Weltall unsere Vorstellungskraft übersteigen, wie viel mehr
muss das dann beim Schöpfer aller Dinge der Fall sein. Als denkender
Mensch, der glaubt, kann ich nicht anders, als auch über Gott nachzudenken
und doch muss ich wie Paulus immer wieder kapitulieren und zum Lobpreis
übergehen: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit
und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte
und unerforschlich seine Wege!“

Und genau das ist der Sinn des Trinitatisfestes: Dass wir nicht
meinen, mit Weihnachten, Ostern und Pfingsten sei alles über Gott
gesagt. Dass wir nicht denken, nun hätten wir ihn begriffen, wüssten
über ihn Bescheid und könnten ihn sozusagen abspeichern auf der
großen Festplatte unseres Lebens-Computers. Denn auch das Tiefsinnigste,
was je über Gott gedacht und gesagt wurde, kratzt nur an der Oberfläche
dessen, was über ihn zu sagen wäre. Das wussten auch die Väter der
Alten Kirche, die die Lehre von der Dreieinigkeit formuliert haben.
Es war ihnen klar, dass eins nie gleich drei sein kann, und doch
fühlten sie sich gerade durch das biblische Zeugnis genötigt, es
so zu formulieren. Denn da war nun mal vom Vater, vom Sohn und vom
Heiligen Geistes als Dimensionen Gottes die Rede, manchmal, wie
in unserem Predigtvers, sogar in einem Atemzug. Also mussten sie
die drei in ein Verhältnis zueinander bringen, das trotzdem festhielt,
dass Gott einer ist. Nie haben sie gedacht, damit hätten sie’s ein
für alle Mal erfasst. Und immer wieder gehen sie vom Denken und
Formulieren in den Lobpreis über: „Ehr sei dem Vater und dem Sohn
und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, so auch jetzt und
immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Aber noch mal zurück zu 2. Korinther 13,13. Denn dieser Vers
war mir zwar ein willkommener Anlass, einmal grundsätzlich etwas
zum Thema Dreieinigkeit zu sagen. Aber er beschränkt sich ja nicht
darauf, Jesus Christus, Gott und den heiligen Geist nebeneinander
zu stellen. Er ordnet ihnen jeweils auch noch etwas zu: Jesus Christus
die Gnade, Gott die Liebe und dem heiligen Geist die Gemeinschaft.
Und diese drei wiederum sollen „mit uns allen“ sein. Damit bin ich
bei dem einzig zureichenden Grund, warum ich mir überhaupt über
Gott Vater, Sohn und heiligen Geist Gedanken mache. Denn als bloße
Spielerei bleibt das Nachdenken belanglos, und ich kann es mir schenken.
Anders sieht es aus, wenn ich die Gnade, die Liebe und die Gemeinschaft,
von denen hier die Rede ist, selber erfahren habe. Denn dann bin
ich durch Gottes Gnade gewiss geworden, dass er mich liebt und dass
er Gemeinschaft gestiftet hat zwischen mir und ihm, aber auch mit
allen, die mit mir an ihn glauben. Und dann will ich verstehen,
so gut ich kann, warum Gottes Liebe ihn dazu gebracht hat, Mensch
zu werden in seinem Sohn Jesus Christus. Warum seine Gnade mir nicht
anders zuteil werden konnte als dadurch, dass er selber meine Schuld
und meinen Tod auf sich nahm. Und warum Gemeinschaft mit Gott und
zwischen den Gläubigen nicht anders möglich ist als dadurch, dass
Gott als heiliger Geist zu uns kommt und bei uns einzieht. Und ich
bin überzeugt: Je mehr ich das verstehe und verinnerliche, desto
mehr bin ich bereit, auch entsprechend zu handeln: selber gnädig
zu sein, Liebe zu üben und Gemeinschaft zu leben und anzugehen gegen
Unbarmherzigkeit, Hass und Vereinzelung. Vorhin habe ich festgestellt,
dass das Nachdenken über den dreimal einen Gott immer nur im Lobpreis
enden kann. Auch Akte der Gnade, Taten der Liebe und Zeichen der
Gemeinschaft – nicht nur mit Herz und Mund, sondern auch mit Händen
– , auch die sind eine Weise des Lobpreises. Vielleicht sind sie
sogar die beste Weise.

Amen.