Auf ein Wort…..

Liebe
Leserin, lieber Leser,

„Mit 66 Jahren,
da fängt das Leben an“, sang einst Udo Jürgens. Und viele singen
ein ähnliches Lied: Wenn ich erst in Rente bin, wenn die Kinder
aus dem Haus sind, wenn ich endlich volljährig bin, wenn ich meine
Ausbildung abgeschlossen habe, wenn ich erst den Mann oder die Frau
fürs Leben gefunden habe, wenn ich wieder gesund bin – dann geht
das Leben richtig los. Bis dahin scheint das Leben so eine Art Wartesaal
zu sein, in dem wir nur herumsitzen und auf bessere Zeiten hoffen.

Wie eine Einladung
in diesen Wartesaal kommt mir die Losung für das neue Jahr vor.
Christus spricht: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Lebe ich
denn noch gar nicht? Oder lebe ich vielleicht nicht richtig? Oder
nicht genug? Woher soll ich denn wissen, ob mein Leben wirklich
gut und sinnvoll ist? Ob ich meine Lebensmöglichkeiten voll ausschöpfe?
Natürlich, es gibt Tage, da rauscht das Leben einfach nur an einem
vorbei. Tage, an denen ich schon froh bin, wenn ich mit den Aufgaben,
die mein Leben mir stellt, einigermaßen zurechtkomme.

Aber es gibt eben
auch Tage, an denen ich viel Freude am Leben habe, Tage, die erfüllt
sind und die mich spüren lassen, wie lebendig ich bin – schon jetzt
und nicht erst dann, wenn bessere Zeiten anbrechen.

Für Jesus und
seine Jünger brechen an diesem Abend schwere Zeiten an. Es ist der
letzte Abend, den sie gemeinsam verbringen. „Ich lebe, und ihr sollt
auch leben“, sagt Jesus, obwohl er weiß, dass er schon bald verhaftet
und hingerichtet wird. Er wird also gar nicht leben, sondern sterben.
Und als der, der schon so gut wie tot ist, spricht er vom Leben:
Ihr sollt leben, wie auch ich lebe! Das verspricht Jesus seinen
Jüngern, die schon bald ohne ihn dastehen werden und sich verwaist
fühlen. Und sich dann fragen, ob es richtig und sinnvoll war, Jesus
ihr Leben anzuvertrauen.

Jesus hat den
Tod vor Augen, aber er spricht von einem Leben, das der Tod nicht
endgültig zerstören kann. Denn Gott schenkt das Leben und hebt es
auf, wenn es hier zu Ende geht. Nicht mehr der Tod setzt die Bedingungen
dieses Lebens, sondern Gott, der Schöpfer. Wenn Jesus sagt: Ich
lebe, und ihr sollt auch leben, dann spielt er also nicht ein Leben
nach dem Tod gegen das Leben vor dem Tod aus. Das Leben, das er
verspricht, ist kein Wartesaal, in dem ich nur auf bessere Zeiten
hoffen kann oder auf das Jenseits. Es gehört voll und ganz in unsere
Gegenwart, in unseren Alltag. Aber dieses Leben hat eine andere
Tiefe. Es lebt aus dem Vertrauen auf Gott, der das Leben schenkt,
erhält und neu schafft. Menschen, die ihrem Schöpfer vertrauen,
werden leben, schon hier und jetzt und dann auch in Ewigkeit.

„Ich lebe, und
ihr sollt auch leben“, spricht Jesus Christus. Das ist unsere Losung
für das neue Jahr. Ein Wort, das mich nach vorne schauen lässt,
auch wenn es gilt, Altes zurückzulassen. Und ihr sollt auch leben.
Ja, ich will leben, an das Leben glauben, auch wenn der Tod immer
wieder ins Leben hineingreift. Auch wenn es mir manchmal schwer
fällt, Lebensfreude zu spüren oder die nötige Lebenskraft aufzubringen.
Ja, ich will leben und mich nicht ständig fragen, ob ich schon lebe,
noch lebe oder genug lebe. Denn mein Leben, das mir an manchen Tagen
so klein und gewöhnlich vorkommt und dann wieder ganz großartig,
steht unter diesem Versprechen: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“

Ein Jahr voller Leben wünscht Ihnen

Ihre Pastorin
Almuth Schwichow