Missionar auf Zeit – 1 –

Missionar auf Zeit

Wie viele von Ihnen sicher wissen, ist Dominik
Winkel, aus unserer kath. Schwester-Gemeinde
im Wenscht, seit Mai
diesen Jahres im fernen Indien als Missionar auf Zeit (MaZ).
In
unregelmäßigen Abständen erreichen uns Berichte aus Indien per e-mail
(neudeutsch: Newsletter). Damit Sie an den spanndenden und interessanten
Erfahrungen teilhaben können, habe ich an dieser Stelle die Nachrichten
aus Fernost in chronologischer Reihenfolge zusammengestellt.
Viel
Spaß beim Lesen.

 


Missionar auf Zeit   – 1

MaZ in Indien – Newsletter
1

Liebe Interessenten des MaZ-Indien-Newsletters!

Mein Abflug steht kurz bevor, die Nervosität
steigt! Bevor ich am 30. Mai das Land verlasse, teste ich hiermit
die Funktionsfähigkeit des Newsletter-Systems.Ich hoffe es ist in
Ordnung, wenn ich der Einfachheit halber alle Empfänger pauschal
mit "Du" anrede – dahinter verbirgt sich keine Respektlosigkeit…

Der Newsletter wird nicht regelmäßig kommen
– du darfst gespannt sein und immer voller Hoffnung sein…
Alle
vergangenen Newsletter werden übrigens auf der Gemeindehomepage
archiviert. Zusätzlich zum Newsletter werden auf der Homepage –
je nachdem wie ich es schaffe – auch Berichte und Bilder aus Indien
veröffentlicht. Also immer mal wieder auf der Homepage vorbeischauen
– es lohnt sich! Bilder selbst werde ich in dem Newsletter nur selten
mitsenden, wenn überhaupt. Die Bilder finden dann eher ihren Platz
direkt auf der Homepage.

www.st-marien-geisweid.de

Wer mich in Indien erreichen möchte, kann
das am besten über E-Mail tun:

dominic.winkel@gmx.de

Wer mir mal schreiben möchte (oder mir ein
Paket mit deutschen Leckereien schicken möchte…), kann das natürlich
gern tun:

Nesakkaram (SEEDS)
11, 1st cross road,
Lake Area, Nungambakkam, Chennai – 600 034

Nun zur vergangenen Aussendungsfeier am 12.
Mai:
So viel Resonanz hätte ich ganz und gar nicht erwartet,
umso mehr bin ich schlicht überwältigt von dem, wie die Aussendungsfeier
und das folgende Beisammensein verlaufen sind. Es gab große Überraschungen
und bewegende Momente, die mir mit Sicherheit noch lange positiv
im Gedächtnis bleiben und die ich mit nach Indien tragen werde.
Vielen Dank für die schönen Wünsche, für die tollen Geschenke und
großzügigen Gaben!

Nun möchte ich die Gelegenheit nutzen, besonders
denen, die bei der Aussendungsfeier am 12. Mai geholfen haben, ganz
herzlich zu danken!!

Es sind zu nennen (Reihenfolge durcheinander!)

  • Die beiden Rückkehrerinnen Michaela Werthebach
    und Katharina Weber-Yamoah für ihre Vorbereitung und spannenden
    und anschaulichen Informationen
  • Organist Marius Hartmann für das klasse
    Orgelspiel
  • dem Bläserkreis des CVJM Geisweid unter
    Leitung von Jürgen Katz, der einen super Klang präsentierte,
    extra einen Termin verschoben hat und sich es nicht nehmen ließ,
    ein von mir komponiertes Stück aufzuführen
  • meinem" Flötenchor, der mit fast
    allen Ehemaligen gekommen ist und ohne mein Wissen Stücke geprobt
    und dann aufgeführt hat, das hat mich schlicht umgehauen! Hier
    vor allem Danke an die spontane Chorleiterin Verena Linker!
  • all denen die eine Fürbitte vorbereitet
    haben
  • Anne Krause für den Dienst in der Kirche
  • unseren beiden duften Obermessdienerinnen
    Linda Gerloff und Verena Linker
  • Vikar Michael Melcher für seine Hilfestellung
    und tollen Ideen bei der Vorbereitung der Messe und für die
    Zelebration
  • Pfarrer Karl-Hans Köhle für seine Unterstützung
    und seine Bereitschaft, an dem Freitagabend mitzuzelebrieren
  • Gerlinde Linker, unsere "Video-Diva"
  • meinem Freund Thorsten Wroben fürs Filmen
    und Fotografieren
  • dem PGR für sein großes Entgegenkommen
    und die Vorbereitungen für die Feier, besonders zu nennen Martina
    Geitzhaus, Michael Neuser, Irene Koll und Christine Bänfer
  • Benjamin Kempfe, der Grillmeister der
    KJG mit seinem spontanen Kollegen Laurenz Lohmeyer
  • den fleißigen Küchenhelferinnen
  • den starken Frauen und Männern, die auf-
    oder abgebaut haben
  • und alle die, dich sich sonst mit ihrem
    Einsatz beteiligt haben
  • und alle die die ich vergessen habe zu
    erwähnen

Mein besonderer Dank gilt natürlich all denen,
die durch ihr Kommen und / oder ihrem persönlichen Segenswunsch
gezeigt haben, dass ich ihnen wichtig bin!! Danke auch an alle,
die leider nicht kommen konnten, aber in Gedanken mit bei der Feier
gewesen sind!

Wenn alles klappt, kommt der nächste Newsletter
direkt aus Chennai!

Viele herzliche Grüße,

Dominic Winkel

Datum: 22.05.2006, Autor: Dominic
Winkel



MaZ in Indien – Newsletter
2

Dominic Winkel als "Missionar
auf Zeit" in Indien

Liebe Interessenten des MaZ-Indien-Newsletters!

Es ist gleich 19:30 Uhr, ich sitze hier ganz
in der Nähe meiner Unterkunft in einem Internet-Cafe und tippe diesen
ersten Newsletter aus Indien!

"Reise und Ankunft"

Die beiden Flüge, Düsseldorf-Dubai, Dubai-Chennai
liefen problemlos. Ich habe entweder geschlafen, lecker gegessen
oder mich den tollen Geschenken aus der Heimat gewidmet, einige
durfte ich ja erst im Flugzeug öffnen, dafür haben sie mich umso
mehr positiv umgehauen…
Vor dem Flughafen stand eine riesige
Menschenmenge, und irgendwo leuchtete mir auf weissem Papier mein
Name entgegen… Der Mann stellte sich als Joseph vor, im Taxi gings
dann nach Nungambakkam Lake Area. Ich wurde sehr nett empfangen,
Bruder Joy zeigte mir alles und ich richtete mich in meinem eigenen
Zimmer ein, das direkt neben dem grossen Schlafraum der Jungen liegt,
der auch als Aufenthaltsraum oder Spielraum etc. genutzt wird. Vor
allem die Kinder, besonders die Mädchen begrüssten mich alle sehr
freundlich und neugierig, ich glaube sie haben mich sehr schnell
und problemlos in die Gemeinschaft aufgenommen.

"Wetter"

Inzwischen habe ich mich schon ein bisschen
daran gewöhnt, fast den ganzen Tag ueber in der Hitze zu schwitzen,
nachts mit offenen Fenstern und rauschendem Ventilator zu schlafen
und trotzdem morgens schweissnass aufzuwachen. Also das Klima ist
schon ziemlich krass, bin natürlich gerade zur heissesten Zeit gekommen.
Ein bisschen kann man es vergleichen mit der Mittagshitze in einem
deutschen Ausnahme-Supersommer kurz vor Gewitter… Aber wie gesagt,
ich gewöhne mich langsam und lerne mit der Hitze umzugehen. Z.B.
trinke ich inzwischen ungefaehr 3 Liter Wasser am Tag, habe eine
eigene Wassertonne im Zimmer mit ungefahr 25 Litern.

"Essen"

Also das Essen ist einfach super, eben typisch
indisch, meistens Reis, dazu verschiedene Sossen mit Fleisch oder
Gemüse, auch mal Nudeln oder ähnliches, also bisher sehr abwechslungsreich
und lecker, sicherlich wird eine Phase kommen in der ich mich nach
deutscher Küche sehne, aber im Moment geniesse ich die Mahlzeiten
des hauseigenen Koches. Was die Schärfe anbetrifft, wundere ich
mich im Moment selbst: Natürlich ist alles sehr scharf (vergleichbar
mit türkischem Doener extra scharf), aber ich habe bisher nichts
ausgelassen und vertrage es bisher ohne Probleme, sowohl während
des Essens als auch nachher, ich hoffe das bleibt so.

"Die Arbeit"

Erst heute ist der Direktor, Father Jesu,
von einem Ausflug zurückgekehrt, gleich werden wir evtl. meine Aufgabenbereiche
besprechen. Bisher bin ich ausführlich in die Arbeit von Nesakkaram
eingeführt worden, seit Beginn 1989 haben die Projekte stetig zugenommen,
Strassenkinder ist also nur ein Arbeitsbereich von vielen.  Es
gibt auch eine Homepage, wo einiges aufgeführt ist, schaut doch
mal rein:

www.childucare.org

Die Homepage ist sehr professionell, da waren
indische Experten am Werk, die um einiges praktischer ausgebildet
sind als ich, was Web-Design und Web-Programmierung anbetrifft…
Das
muss vorerst genügen, Abendessen ruft und ich möchte nicht zu spät
kommen. Also bis jetzt ist noch Gewöhnungsphase angesagt, aber bisher
ohne Probleme!

Viele herzliche Grüsse nach Deutschland,

Dominic

Datum: 03.06.2006, Autor: Dominic
Winke
l



MaZ in Indien – Newsletter
3

Liebe Interessenten!

Dies wird nun ein etwas längerer Bericht,
teile ihn deswegen extra in Kapitel ein. Ausserdem werde ich dann
wohl vorerst eine Pause einlegen, denn meine Befürchtung, nicht
so genau zu wissen was ich hier tun kann, hat sich wohl eher ins
Gegenteil verkehrt, im Moment bin ich mehr als 12 Stunden am Tag
aktiv, eingeschlossen einige wenige Pausen.

Erst einmal vielen Dank an alle, die sich
bei mir mal gemeldet haben! Ich komme gar nicht damit nach, jede
einzelne E-Mail persönlich zu beantworten, und bitte da um Geduld
und Nachsicht.

INHALT

  • Nesakkaram / SEEDS – die Hintergründe
  • Mein Tagesablauf
  • Abends am Strand
  • Slum-Mythos wurde Wirklichkeit
  • Abschliessende Bemerkungen

"Nesakkaram / SEEDS – die Hintergründe"

Father Jesu, der Direktor und Gruender von
Nesakkaram, Bruder Joy und die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
(insgesamt sind es ca. 45 inklusive Fahrer, Koch etc.) geben sich
grosse Mühe, mir die Arbeit und die Organisation zu erklären und
mir möglichst alle meine Fragen zu beantworten. Im Folgenden versuche
ich nun grob etwas von dem zusammenzutragen, was ich gelesen und
gehört habe, sicherlich nicht hundertprozentig korrekt, aber ich
hoffe annähernd:

Der Franziskaner Jesu war Ende der 80er Jahre
in einem Zug in der Nähe von Chennai unterwegs, als er auf einen
kleinen Jungen traf, der im Zug saubermachte und dafür von den Reisenden
Kleingeld verlangte. Father Jesu sprach mit diesem Jungen und fasste
aus dieser Begegnung heraus den Entschluss, mehr für die Kinder
in Chennai zu tun. Alles fing erst sehr klein an, 1989 wurde das
Projekt Nesakkaram, auf deutsch grob üebersetzt "sorgende Hände",
unter dem offiziellen englischen Namen "Streets Elfins Education
and Development Society" (SEEDS) gegründet.

Inzwischen sind es viele Projekte, die von
Nesakkaram aus gesteuert werden. Der Hauptsitz von SEEDS befindet
sich ca. 6 km entfernt vom Zentrum von Chennai in einem Viertel
der Reichen in Numgambakkam, Lake Area. Das dreistöckige Gebaeude
mit Dachterasse ist für indische Verhältnisse in einem sehr guten
Zustand, im Erdgeschoss befinden sich einige Büroräume, im ersten
Stockwerk Schlafräume, Fernsehzimmer, Küche und Esszimmer, im zweiten
Stock ein weiterer Schlafraum meiner!), ein grosser Mehrzweckraum
und ein Raum mit kleiner Kapelle fuer die Messfeiern der Brüder.

Nesakkaram ist klassisch hierarchisch organisiert:
An der Spitze der Direktor Father Jesu, unter ihm Bruder Joy, dann
folgen drei sogenannte Coordinators (Koordinatoren), die für vier
"Clusters" (man könnte übersetzen Bezirke) in Chennai
zuständig sind. Sie sind meistens auch gleichzeitig für bestimmte
Fachbereiche wie Gesundheit oder Bildung verantwortlich. Die Bezirke
wurden selbst festgelegt, sie verteilen sich auf Süd- und Zentralchennai
und teilen sich wiederum in jeweils 5-6 "Centres" (man
könnte sagen Unterbezirke) auf, für jeweils zwei von ihnen ist ein
Organiser (Organisator) zuständig. Nahezu gleichzusetzen mit den
Centres sind die "Areas" (= Slum-Gebiete oder Gebiete
mit vielen Armen / Benachteiligten), in jedem Area gibt es einen
Lehrer, meistens ein Student. Ganz unten in der Hierarchie kommen
schliesslich so Leute wie ich, die "Volunteers". Ich bin
nicht der einzige "Fremdling" bei Nesakkaram, bis gestern
waren zwei Mädels aus Holland (insgesamt 3 Monate) und zwei aus
Dänemark (nur eine Woche) ebenso im Projekt tätig.

SEEDS beinhaltet aktuell u.a. folgende Projekte:

  • Strassenkinder und Kinder aus Slums:
    Natrlich besteht die erste Prioritaet darin, das Überleben der
    Kinder zu sichern, doch direkt danach legt SEEDS vor allem Wert
    auf Bildung, um die Kinder aus dieser Umgebung herausholen zu
    können. Deshalb bekommen die Kinder, die morgens in eine Schule
    gehen, nachmittags in jeweils einem Area noch zusätzlich Unterricht,
    abends findet darüberhinaus eine Art Abendschule für die Kinder
    und Jugendlichen statt, die nicht zur Schule gehen können (z.B.
    weil sie für die Familie arbeiten gehen) bzw. die herausgeworfen
    wurden oder sich weigern. Täglich werden auf diese Weise rund
    1.700 benachteiligte Kinder in Chennai von Nesakkaram unterstützt.
  • Ausreisser-Kinder: SEEDS kümmert sich
    auch um Kinder, die von zu Hause vertrieben wurden oder aufgrund
    von Streit oder Gewalt in der Familie ausgerissen sind. Der
    Bahnhof Egmore ist Endstation für die Züge von auswärts, hier
    befindet sich ein kleines Büro von SEEDS, von wo aus diese Kinder
    identifiziert und angesprochen werden. Die Kinder kommen in
    Numgambakkam unter (zur Zeit ca. 45), sie werden in Chennai
    zur Schule geschickt, schlafen und essen im Haus, während sich
    die Mitarbeiter darum bemühen, mit der Familie Kontakt aufzunehmen.
    Im besten Fall werden die Kinder zurück in ihre Familie integriert.
  • Selbsthilfegruppen für Frauen: SEEDS
    hilft auch unterdrückten oder benachteiligten Frauen, die sich
    durch die Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe z.B. finanziell
    unabhängig machen, indem sie kleine Arbeitsgemeinschaften bilden
    und so ihr eigenes Geld verdienen können.
  • Ausbildung und Arbeitssuche: Neben der
    Schulausbildung leistet SEEDS auch Unterstützung bei einer nötigen
    Ausbildung und der damit verbundenen Jobvermittlung für die
    Jugendlichen.
  • Tsunami-Hilfe: An dem riesigen Badestrand
    von Chennai erinnert rein optisch eigentlich nichts mehr an
    die schlimme Katastrophe im Dezember 2004, aber besonders die
    Fischer leiden immer noch unter der Zerstörungskraft der Riesenwelle,
    denn sie haben fast alles verloren. SEEDS hilft in einem Dorf
    den Fischerfamilien, wieder Lebensmut zu bekommen und neu zu
    beginnen, bietet eine Abendschule für die Kinder an.
  • Unterstützung für die Eingeborenen: SEEDS
    hilft einem Eingeborenen-Dorf und errichtet demnächst über 20
    Steinhaeuser für die Familien, die bis jetzt in Hütten aus Holz
    und Blättern leben.

"Mein Tagesablauf"

Im Moment geht es darum, dass ich mir möglichst
viele Bereiche anschaue, um mich nachher auf einen zu konzentrieren.
Ausserhalb der offiziellen Arbeitszeit (10 Uhr bis 18 Uhr inklusive
Mittagspause, Abendschule ist natürlich noch später) lebe ich das
Leben im Haus mit, d.h. morgens verabschiede ich die Kinder, frühstücke
mit Father Jesu und Bruder Joy und mit evtl. weiteren Gästen, esse
mit ihnen zu Mittag, und direkt nach der Arbeit ist von 18-20 Uhr
Hausaufgabenhilfe fuer die Kinder angesagt (ich kann natürlich nur
beim Englischen weiterhelfen), 20 Uhr Abendessen, danach bis 21:30
Uhr Spielzeit mit den Kindern. Am Wochenende finden schon mal Aktionen
oder Touren statt, leider ist aber auch häufig der Fernseher an
und der ist natürlich dann für die Kinder umso interessanter.

Die Mädchen schlafen unten im Haus, ca. 30
der Kinder sind Jungen, und die schlafen nachts auf einer Decke
im grossen Mehrzweckraum direkt vor meiner Tuer, das heisst ich
bin voll im Geschehen integriert…

"Abends am Strand"

Sonntagabend hat mich ein Junge zum Badestrand
von Chennai geführt. Nach dem Tsunami war der angeblich schon nach
ca. einer Woche wieder aufgeräumt. Unglaublich, welche Menschenmassen
sich auf diesem riesigen Sandstrand tummeln. Allerdings liegt hier
kaum einer wie wir das kennen, entweder sitzen die Leute oder stehen.
Da nackte Haut verpönt ist, ausserdem die Inder kein Sonnenbad nötig
haben, gibt es also hier auch nicht das Phaenomen des Massenbrutzelns
in der Sonne. Dafür wird abends mehr gespielt  (Ballspiele),
die Kinder lassen Drachen steigen, an Verkaufsständen werden Waren
angeboten und in der Dämmerung kann man die Liebespärchen beobachten,
die sich händchenhaltend eng aneinandergeschmiegt Liebesbekundungen
ins Ohr fluestern. Man sollte wissen: Auch Küssen in der Öffentlichkeit
ist stark verpönt!

"Slum-Mythos wurde Wirklichkeit"

Zweimal bin ich nun in einem Slum gewesen:
Dieser "Mythos" ist also für mich nun in eine eigene,
seltsame Wirklichkeit aufgegangen. Seltsam sage ich deshalb, weil
man ja ein sehr starres Bild von einem "Slum" im Kopf
hat, das bei mir stark durchgerüttelt wurde. Natürlich muss man
dazu sagen, dass die Slums in Chennai sich vermutlich erstens von
Slums in anderen Ländern und zweitens von Slums in anderen Staedten
stark unterscheiden.

Die zwei Areas in Chennai, die ich besucht
habe, bestehen aus einer Ansammlung von bis zu 60 Hütten oder Verschlägen,
die aus Holz und Blättern oder sogar aus Stein bestehen, auch hier
gibt es wieder Unterschiede je nach Area. Beide Areas befinden sich
in Flussnähe, zwischen den Häusern verlaufen lehmige Trampelpfade,
rundherum lagern sich oft Berge von Müll an. Die einfachsten Hütten
muss man kriechend durch ein Loch betreten, sie haben einen Lehmboden
oder sind mit Holzplatten ausgelegt. Die Dächer sind spitzwinklig
und bestehen aus Palmenblättern. Die besseren Häuser sind aus Stein,
haben sogar teilweise Türen und annähernd normale Einrichtung, meine
damit bunt zusammengewürfelte Möbelstücke. Gekocht wird draussen
auf offenen Feuerstellen, d.h. zur Essenszeit steigt Rauch auf über
den Slums, und überall brodelt und zischt es in den metallenen Schüsseln
und Töpfen. Als erstes begrüssen einen die Kinder, freundlich lachend
laufen sie hinter einem her, viele haben mitbekommen dass die Weissen
zur Begrüssung die Hand geben, und deswegen musste ich oft viele,
viele Kinderhände schütteln, und jeder Händedruck wird wie ein Grossereignis
gefeiert. Manchmal kam ich mir echt vor wie in den klassischen Dokumentationen
der Europaeer, der im Nirgendwo ein Eingeborenen-Dorf besucht.

Die Erwachsenen sind ebenso freundlich, aber
zurückhaltender, geht man auf sie zu, lachen sie einen an und versuchen
in sehr gebrochenem Englisch Fragen zu stellen. Besonders die Männer
starren mich schon mal an wie einen Ausserirdischen, daran habe
ich mich aber inzwischen gewöhnt. Gestern bin ich sogar von einer
Familie zum Abendessen eingeladen worden, allerdings war es schon
sehr spät und wir, Coordinator Mr. Pandian und ich mussten doch
recht zügig nach Hause. Indien ist das Land der krassen Widersprüche,
auch in den Slums. Viele Hütten sind mit elektrischem Strom ausgestattet
und, kaum zu glauben, aber wahr, sogar mit Kabelfernsehen. Erst
habe ich mich gewundert, woher diese Gesänge aus den Hütten kommen,
bis ich gestern dann die Fernseher selbst gesehen habe, sogar in
den ärmlichsten Hütten flimmert es bunte Bilder. Natürlich habe
ich die Mitarbeiter und auch Father Jesu gefragt, wie das sein kann,
jeder hat mir eine andere Antwort gegeben: "Fernsehen ist ihnen
eben wichtig!" oder  "Sie haben nichts ausser dem
Fernsehen, das ist ihr einziges Medium!" oder "Sie haben
zwar kaum etwas zu essen, aber keiner will auf das Fernsehen verzichten,
gerade dann  wenn die Frau oder der Mann von der schweren und
schlecht entlohnten Arbeit zurückkommt!" Wie sie aber letztendlich
an die Fernseher kommen und wer die wild verlegten Kabel hergeschafft
hat, habe ich nicht so ganz verstanden. Angeblich bieten bestimmte
Firmen das an, verbunden mit Ratenzahlungen oder Kreditsystemen,
teilweise müssen das die Familien nicht bezahlen, oder aber sie
stürzen sich in Schulden. Doch trotz alledem habe ich die Slums
erfahren als eine Umgebung, in der ein Leben nicht viel unwürdiger
sein kann. Die Kinder sind bewundernswert fröhlich, aber sie spielen
im Dreck und im Müll, viele bekommen nicht genug Essen und werden
medizinisch nicht versorgt. Die Erwachsenen versuchen irgendwie,
Ordnung in dieses Chaos aus Dreck und Gestank zu bringen, etwas
zu schaffen, das man annähernd als häuslich und familiaer bezeichnen
kann. Wenn die Frauen oder Maenner arbeiten, dann für einen Hungerlohn
von den Reichen, nicht selten müssen die Kinder ebenfalls erste
Arbeiten verrichten. Immerhin besuchen einige der Kinder die Schule
und/oder auch die Klassen von Nesakkaram, aber sie werden es alle
sehr schwer haben, aus dieser Umgebung herauszukommen.

"Abschliessende Bemerkungen"

Am Sonntag war ich zum ersten mal in einer
katholischen Messe, ein sehr tolles Ereignis, vorgestern habe ich
spontan Kindern aus einem Slum eine Englischstunde gehalten, und
heute habe ich gleich zwei Projekte besucht: Ein Fischerdorf, das
durch den Tsunami zerstört wurde, und ein Ureinwohner-Dorf, in dem
Nesakkaram demnächst über 20 Häuser errichten wird. Dazu mehr im
nächsten Newsletter, der wie gesagt erst nach längerer Schreibpause
kommen wird, da ich kaum Zeit habe. Doch ich denke hiermit gibt
es erst mal genug Material!

Ansonsten freue ich mich weiterhin über viele
liebe Grüsse aus der Heimat, dankeschön! Die Gebete haben bisher
alle volle Wirkung entfaltet, mir geht es weiterhin erstaunlich
prächtig, habe immer grossen Hunger, ich denke ein gutes Zeichen!

Da ich die Bilder erst bearbeiten und brennen
und dann im Internet-Cafe per stockender Verbindung hochladen muss,
erweist sich der Bilderservice als äusserst mühsam, ich bitte um
Verständnis. Aber erste Bilder wird es die nächsten Tage auf jeden
Fall geben, ich hoffe spätestens am Wochenende, also immer mal wieder
auf die Homepage St. Marien gehen und in die Bildergalerie hineinschauen.

Meine herzlichsten Grüsse nach Deutschland,
wo es nun wohl endlich Sommer wird!

Dominic

Datum: 10.06.2006, Autor: Dominic
Winkel