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 Missionar auf Zeit   –2 –
MaZ in Indien – Newsletter4
Liebe Interessenten! Habe mich doch entschlossen, die Pause nichtganz so lang werden zu lassen, denn gerade in der Anfangszeit bin
 ich mit vielen Eindruecken konfrontiert, die ich euch nicht vorenthalten
 möchte, um euch möglichst aktiv an dieser Reise zu beteiligen! Schreibe
 die Newsletter inzwischen auf meinem Laptop vor, d.h. ich kann mir
 also verteilt auf mehrere Tage ganz viel Zeit und Ruhe dafür nehmen
 – immer wieder nutze ich die Pausen, um neue Informationen hinzuzufügen.
 Ich weiss, dass bei vielen von euch der Alltagsstress den Tag bestimmt
 und einige gar nicht dazu kommen werden, alles zu lesen. Ausserdem
 erscheint für mich manche Kleinigkeit oder Banalität hier sehr bedeutsam,
 während manche von euch wahrscheinlich darüber lächeln werden. Umso
 mehr gebe ich mir Mühe, detailliert meine Sicht zu schildern, um
 euch auch an meinen Erfahrungsprozessen teilhaben zu lassen. Hier
 also Newsletter Nummer 4!
 INHALT 
 FUSSBALL – Begeisterung schlägt hoheWellen – bis nach Indien!
Neues aus NesakkaramErziehung auf indisch – und ein fünf-Dollar-WitzHübsch oder hässlich, harmlos oder giftig– die Fauna in Chennai City
Nachtrag: Besuch des Fischerdorfes undder Ureinwohner am 8.6.
Einige interessante Fakten zu IndienBilder!Und zum Nachtisch: Indische Erotik "FUSSBALL – Begeisterung schlägt Wellen– bis nach Indien!"
 Indiens beliebteste Sportart ist Kricket,aber die Fussball-WM in Deutschland sorgt auch hier für Begeisterung
 und manch einer denkt an die Zeit zurück, als Indien fussballerisch
 in Asien richtig gut war, bevor die FIFA Fussballschuhe zur Pflicht
 machte, denn die Inder spielten lieber barfuss. Momentan steht Indien
 glaube ich auf dem 134. Platz der Weltrangliste. Oft werde ich auf
 der Strasse auf Fussball angesprochen: Als ich mich z.B. in einem
 Laden nach einer indischen SIM-Karte für mein Handy erkundigte,
 kam erst die Frage nach meiner Herkunft, und dann die Bemerkung:
 "World Cup! Yeah!"Ich habe bisher keine indische Zeitung
 gesehen, die nicht über die aktuellen Fussballspiele berichtet,
 und im Fernsehen überträgt ein indischer Sender jedes Spiel live.
 Von Gästen des Hauses habe ich erfahren, dass sich in manchen indischen
 Städten wohl sogar Fussball-Fangruppen vor Fernsehern versammeln
 und mit Begeisterung die Atmosphäre geniessen. Vor allem das Eröffnungsspiel
 der Deutschen wurde hochgelobt (ich erinnere mich an eine Schlagzeile:
 "No Ballack, no problem"), die Eröffnungsfeier dagegen
 war nicht so nach dem Geschmack der indischen Journalisten, ein
 Kritiker bezeichnete die Feier als eine misslungene Karnevalsveranstaltung.
 Der bekannteste deutsche Spieler ist Ballack. Deutschland wird als
 Favorit hoch gehandelt, ansonsten sind viele Inder aber eher Brasilien
 zugeneigt, fast jeden Tag ist irgendwo in einer Zeitung ein Bild
 von Ronaldinho zu sehen.Auch im Hause Nesakkaram herrscht ein bisschen
 WM-Atmosphäre: Father Jesu ist sehr interessiert, wir unterhalten
 uns oft über Fussball. Abends sitzen wir teilweise zu zehnt, also
 Father Jesu, einige von den Jungs und ich vor dem Fernseher und
 verfolgen gespannt das Spiel. Blöd nur die Zeitverschiebung: Beim
 Spiel der Deutschen gegen Polen musste ich von 0:30 Uhr bis 2:30
 Uhr ausharren, natürlich war ich allein vor dem Fernseher, aber
 das Warten hat sich ja gelohnt!
 Im Gespräch mit Coordinator Nathan im Bürokamen wir dann auf die Idee: Ja warum denn die Begeisterung nicht
 nutzen und den Jungs zeigen wie’s geht? Zehn Minuten später hatte
 ich eine Pfeife in der Hand und wenige Tage später – nach Absprache
 mit Father Jesu – stand ich Freitag vor einer Woche auf dem Kricket-Sportplatz,
 um mich herum ca. 16 Jungs von Nesakkaram zwischen 12 und 18 Jahre
 alt. Unter den neugierigen Blicken der Kricket-Spieler verwandelte
 sich das Sportgelände in einen Fussball-Trainingsplatz und ich feierte
 meine Premiere als Fussballtrainer. Am Anfang wollte ich es nicht
 übertreiben, also standen eine Dreiviertelstunde lang übungen wie
 Ballkontrolle oder Schusstraining auf dem Programm, und die letzte
 Viertelstunde durften sich die Jungs dann in einem ersten Match
 messen. Abgesehen von einigen disziplinarischen Problemen (einmal
 musste ich äusserst laut werden, als einige Jungs meinten sie könnten
 quasi demokratisch über das von mir bereits gepfiffene Tor abstimmen)
 hat es richtig Spass gemacht.
 Vergangenen Freitag fand dann das zweite Trainingstatt, und trotz sprachlicher Hürden konnte ich doch erfolgreich
 vermitteln, wie Freilaufen und Zuspiel im Zweierteam funktioniert.
 Leider hatten wir wieder nur einen Ball zur Verfügung – nächstes
 Mall sollen es sechs werden, ich hoffe das klappt – und die Jungs
 hatten teilweise schon nach zehn Minuten keine Lust mehr auf Übungen
 und wollten einfach spielen. Die Disziplin liess mehr und mehr nach,
 und als zunehmend meine Anweisungen statt ausgeführt laut diskutiert
 wurden, musste ich nach der zweiten Verwarnung das Training abbrechen
 mit dem Hinweis "Keine Disziplin – kein Fussball!" Fast
 alle waren äusserst verdutzt, als ich mit dem Ball in der Hand schnellen
 Schrittes den Platz verließ. Im Haus dann später waren die Reaktionen
 unterschiedlich: Einige trauten sich nicht mehr in meine Nähe, andere
 kamen grinsend auf mich zu, streckten mir die Hand entgegen und
 entschuldigten sich. Bei vielen konnte ich mir nun Respekt verschaffen.
 Insgesamt kann man das Training also nicht als misslungen betrachten
 – stattdessen haben Spieler und Trainer viel dazu gelernt, und zwar
 nicht nur in Sachen Fussball! Ich bin überzeugt: Das nächste Training
 wird besser! Bleibt zum Schluss nur noch zu sagen: Da wir alle gemeinsam
 die Daumen drücken werden,  MUSS Deutschland einfach gewinnen.
 "Neues aus Nesakkaram" Seit ca. einer Woche wird laut gehämmert inNesakkaram: Der hintere Teil des Gebäudes, als Anbau zu bezeichnen,
 wird im Moment abgerissen. Im Erdgeschoss befanden sich die Räume
 der Mädchen und im ersten Stockwerk Küche und Esszimmer. Die Mädchen
 schlafen nun auch oben vor meiner Tür, die älteren Jungs sind auf
 die Dachterasse umgezogen. Gegessen wird nun im Fernsehzimmer (der
 Fernseher läuft nun dauernd während der Essenszeit, beim Fussball
 lass ich mir das natürlich gefallen…), die Küche ist nun im ehemaligen
 Vorratsraum untergebracht. Dafür, dass die Arbeiter nur jeweils
 einen Hammer zur Verfügung haben, mit dem sie auf Wände und die
 Decken einschlagen, geht der Abriss erstaunlich schnell voran. Maschinen
 besitzen sie keine, wie ich in Erfahrung brachte, es würden höchstens
 mal Bulldozer eingesetzt, aber die kommen ja nicht hinter das Haus.
 Der ganze Schutt wird von Frauen und Männern in Schüsseln geschaufelt
 und auf dem Kopf balancierend zur Strasse und zum Lastwagen gebracht,
 eine Schubkarre habe ich bisher keine gesehen.
 Mittwochabend hat mich dann doch eine ersteKrankheit erwischt: Eine wunderschöne Halsentzündung mit Schluckbeschwerden
 und was sonst dazugehöhrt. Einen Coordinator hatte es ebenso erwischt,
 genauso eine der Aufpasserinnen der Kinder. Wie ich erfuhr, ist
 die Krankheit zu dieser Zeit in Indien nicht unüblich, na denn,
 auch in dieser Sache scheine ich mich also schon anzupassen… Dank
 einer Salzwasser-Gurgel-Kur und einem "Urlaubstag" am
 
 Donnerstag, den ich zum grössten Teil mitmeinem Laptop im Bett verbracht habe, ist jetzt am Sonntag, während
 ich dies hier schreibe, kaum mehr was von der Krankheit zu spüren
 und ich fühle mich wieder annähernd topfit!
 Vergangenen Samstag veranstaltete Nesakkaramin einem der Cluster in Egmore eine grosse Show auf einem Schulgelände.
 Alle Kinder aus den Slums aus diesem Cluster waren eingeladen –
 um die 300 Kinder – und bekamen ein buntes Programm dargeboten:
 Verschiedene Taenze der Tanzgruppen aus den Clustern (auch das ist
 Teil der Arbeit von Nesakkaram: Tanzunterricht fuer die Kinder aus
 den Slums) und ein Puppenspiel, das die Organisators und Coordinators
 zusammen erarbeitet hatten. Zum Schluss bekamen alle Kinder Süssigkeiten
 und die
 gesponserten Notizbücher für die Schule geschenkt.Das bunte Fest sollte hauptsächlich der Motivation der Kinder dienen,
 zur Schule zu gehen und sich die Möglichkeit zu schaffen, aus den
 Slums herauszukommen. Einige Schulabgänger wurden geehrt, sowohl
 Presse als auch lokales Fernsehen waren vor Ort. Noch am selben
 Abend haben wir den Bericht gesehen – grausam schlechte Kamerabilder
 und der Schnitt ebenso schlecht, das war nicht nur meine Meinung.
 Der Grund: Der Sender sei ein freier Sender und qualitativ eben
 nicht so gut… Einen von zwei Zeitungsberichten habe ich gelesen:
 Aus meiner Sicht guter Journalismus, wenn auch nicht gerade unbedingt
 sehr spannend erzählt.In meinen Augen war die Veranstaltung wenig
 kindgerecht, die Kinder, die meisten im Grundschulalter, mussten
 die ganze Zeit unter den strengen Blicken der Organisator und Educator
 auf dem Boden ausharren und dem Puppenspiel ebenso lauschen wie
 der langen Rede eines Gastes. Es gab also keinerlei Spiel oder Aktion
 oder eine Möglichkeit für die Kinder, sich zu bewegen oder aktiv
 zu beteiligen. Die Erwachsenen schliesslich waren alle dermassen
 überzeugt von der in ihren Augen gelungenen Aktion, sodass ich mich
 mit meiner Meinung gänzlich zurückgehalten habe. Kinder in Indien
 ist sowieso ein Thema für sich – mehr dazu im nächsten Kapitel.
 "Erziehung auf indisch – und ein fünf-Dollar-Witz" Die vergangenen Wochen bin ich fast jedenTag mit dem Bus in eines der Slumgebiete zu dem Schulgebäude gefahren,
 vor dem der abendliche Unterricht stattfindet. Teilweise war ich
 sehr verärgert, da die beiden jungen Studenten (vor dieser Schule
 werden die Kinder aus insgesamt zwei Slums unterrichtet, deshalb
 auch zwei Educators) erst sehr spät kamen und ich mit der zunehmend
 grossen Kinderschar allein fertig werden musste, insgesamt dürften
 es so um die 60 Kinder aus beiden Slums sein. Einmal wartete ich
 von 16 Uhr bis um ca. 17:45 Uhr, bis ich dann plötzlich einen der
 Educator bei einigen Kindern sitzen sah. Er hatte mich noch nicht
 mal begrüsst, keine Ahnung seit wann er da sass, er meinte er hätte
 noch einen Freund getroffen und ausserdem habe es einen grossen
 Stau gegeben. Dann sagte er es sei ja schon spät und ich könnte
 ja jetzt nach Hause fahren. Okay!
 Es gestaltet sich als schwierig für mich,mich so in den Unterricht einzubringen, dass ich meine eigenen hohen Erwartungen erfüllen kann. Wer
 mich näher kennt der weiss, dass ich keine halben Sachen mag und in manchen Dingen schnell
 einen perfektionistischen Drang entwickele. Hier musste ich jetzt schnell feststellen,
 dass mich genau das nur unzufrieden macht, deshalb schraube ich inzwischen viele Erwartungen
 zurück und lass mich einfach nur überraschen – vieles läuft nun sehr viel angenehmer. Schon vor
 meiner Abreise wusste ich, dass genau dieser Prozess eintreten würde, und doch musste ich
 natürlich hier erst einmal anecken…
 Der Unterricht selbst läuft ungefähr so ab:
 Ab frühestens 16 Uhr geht der Educator in den Slum, trommelt die Kinder zusammen und spricht auch
 mit einigen Eltern. Jedes Slumgebiet hat einen Treffpunkt, wo dieser Unterricht stattfindet.
 Nach und nach trudeln die Kinder ein, manche mit einem Buch unter den Arm, andere halten eine
 Flasche mit Wasser in der Hand. Dann versucht der Educator nach und nach Ordnung in die
 Kinderschar zu bringen, was sich im Freien – keine Raumbegrenzung, keine Tische oder Stühle,
 keine Tafel, einfach ein sandiger Platz voller Kinder.. – schon mal als sehr schwierig erweist. Der
 Unterricht, den ich bisher beobachten konnte, bestand meistens aus einer Mischung aus Hausaufgabenhilfe
 und einem kleinen Vortrag des Educator, z.B. ueber Buddhismus. Ich habe
 mich bisher hauptsächlich damit beschäftigt, bis zum Eintreffen der Educators für ein bisschen
 Ruhe zu sorgen, manchen mit Englisch weiterzuhelfen oder mich mit einigen Kindern zu unterhalten
 und neue tamilische Wörter zu lernen, die nicht in meinem Tamil-Kauderwelschbuch zu finden sind.
 Die meisten Kinder sind einfach nur superlieb
 und neugierig, unglaublich fröhlich und begrüssen mich oft sehr stürmisch mit den Worten "Hello,
 Sir! Good Morning, Sir! (Evening kennen viele noch nicht…) How are you, Sir?" Viele
 haben noch nie einen Hellhäutigen gesehen. Einmal, als ich im Gespräch vertieft auf dem Boden sass,
 spürte ich eine kleine Hand an meinem Arm und konnte dann beobachten, wie ein kleines Maedchen
 mit grossen Augen staunend meinen Arm betastete und mit den Fingern meine Adern
 nachzeichnete.
 Umso schlimmer sehen mit meinen Augen betrachtet
 die Erziehungsmethoden sowohl in Nesakkaram als auch draußen in den Areas aus.
 Die Erwachsenen pflegen fast durchgängig einen sehr robusten Umgang mit den Kindern.
 Kleinere Klapse sind an der Tagesordnung, aber auch kräftigere Schläge auf den Kopf oder
 Rücken sind durchaus üblich, einer der Educator nimmt sich auch gern schon mal einen Stock
 zur Hilfe. Ältere Kinder kennen das nicht anders und gehen dann genauso mit Schlägen und Stöcken
 auf jüngere Geschwister oder Schüler los, wenn die nicht ruhig sind. Eine meiner Missionen
 vor Ankunft des Educator bestand dann darin, immer wieder die Stöcke einzusammeln, zu zerkleinern
 und wegzuwerfen, sehr zum Staunen der Kinder, die auch irgendwann zu begreifen schienen,
 was ich ihnen klarmachen wollte. Nachdem heute (Montag) wieder der Educator einen Stock zur
 Hilfe nahm, und zwar einen sehr grossen, habe ich es nicht mehr mit ansehen können und mich
 von der Klasse entfernt – ich war kurz davor, ihm den Stock zu entreissen und ihn zu fragen ob es
 ihm Spass machen würde Kinder zu schlagen, wollte ihn aber nicht vor seiner Klasse bloss stellen.
 Leider ist er direkt nach dem Unterricht mit einigen Kindern in den Slum zurück gekehrt, sodass
 ich meine drängenden Fragen an ihn erst später loswerden kann.Wenn bei uns Kinder weinen, ist oft schnell
 Hektik und Sorge angesagt, doch da es hier nur so von Kindern überall wimmelt, weint ständig
 irgendwo ein Kind und es scheint auch keinen sonderlich zu interessieren. Die Mädchen machen
 eigentlich selten Probleme, die Jungs dagegen sind dauernd in irgendwelche Rangeleien
 oder spielerische Kämpfe verwickelt, übrigens gilt dasselbe für die Kinder in Nesakkaram.
 Manch einer der Jungen legt auch eine erstaunliche Hartnäckigkeit an den Tag, die
 ich in dieser Form bisher nur in Indien erlebt habe: So war ein Junge aus einem Area z.B. in der
 Lage, zehn andere Jungs um sich zu scharen, um dann pausenlos auf mich einzureden und mit
 immer demselben Witz und leichten Variationen (irgendwie ging es darum, dass er spielerisch
 andere Kinder an mich verkaufen wollte und dafür fünf Dollar verlangte) die anderen Jungen
 bei Laune zu halten. Fünf Minuten machte es mir Spass, zehn Minuten konnte ich es ertragen
 und mit schiefem Lächeln weiter mitspielen, aber dann war meine Geduld doch am Ende. Nur mit
 viel Kreativität gelang es mir schliesslich, diese Truppe noch möglichst sanft aufzulösen. Am
 nächsten Tag versuchte derselbe Junge es wieder, und wieder standen nur Sekunden nach seiner
 Ankunft zehn Jungs grinsend um mich herum und in ihre Gesichter stand die Frage geschrieben
 "Wie das Spiel wohl diesmal ausgehen wird?" Es war schnell vorbei: Ich griff auf dem Boden
 nach Sand und Steinen, drückte sie in die Hand des Jungen, die wieder nach den altbekannten fünf
 Dollar verlangte, und bemerkte: "Now you are a rich man!" Das Gelächter der zehn Jungen
 half, dem fünf-Dollar-Witz endlich ein Ende zu bereiten. Ich glaube dieser Junge würde ein
 guter Rikscha-Fahrer in Touristengebieten – mit seiner Hartnäckigkeit könnte er wahrscheinlich
 gut Geld verdienen. Ich musste an meine erste Indien-Tour mit meiner älteren Schwester denken,
 als ein Rikscha-Fahrer mehr als eine Stunde neben uns ausharrte (oder waren es zwei Stunden?),
 um mit allen möglichen Tricks an seine Provision vom Hotel zu kommen, die wir nicht
 zahlen wollten.Weder die Erziehungsmethoden noch das zuletzt
 geschilderte Verhalten des Jungen möchte ich verurteilen. Ich kann auch nichts dazu sagen,
 wie die Erziehung in den Familien und in der Schule aussieht, da ich hier noch keinen Einblick
 hatte, obwohl ich z.B. von einem Coordinator erfahren habe, dass einige Lehrer in bestimmten Schulen
 durchaus die Kinder schlagen. Aber trotzdem möchte ich euch auch diese Seite der Kinder
 und allgemein der Erziehung aus meiner Perspektive geschildert nicht vorenthalten
 – gehört sie doch zum vollständigen Bild mit dazu!
 "Hübsch oder hässlich, harmlos oder giftig– die Fauna in Chennai City"
 Ich erinnere mich an viele Reaktionen zu Hause,als ich erzählte dass ich nach Indien gehen: "Igitt! Da gibt es doch ganz viele eklige und gefährliche
 Tiere!" Deshalb hier nun einiges zur Tierwelt: Inzwischen hatte ich mit einigen tierischen
 Bewohnern in Nesakkaram Kontakt: Am nervigsten von allen und eben nicht ungefährlich sind
 die Moskitos, sie sind immer da, auch wenn man sie erst bemerkt, wenn sie schon längst zugestochen
 haben. Manche Arten können z.B. Dengue-Fieber (Viruserkrankung) oder Malaria
 (verursacht durch einzellige Parasiten, die die roten Blutkörperchen zerstören) übertragen,
 deshalb versuche ich immer Stiche zu vermeiden, aber einen 100%igen Schutz gibt es nicht.
 Moskitos haben äesserst gute Sinnesorgane: Sie können Menschen anhand des steigenden Kohlendioxidgehalts
 in der Luft auf 16 Meter Entfernung aufspüren, ausserdem werden sie
 vom Fussgeruch des Menschen angelockt. Nur die Weibchen der Stechmücken saugen Blut, Schwellung
 und Juckreiz des Stiches werden durch den in die Wunde injizierten Speichel der
 Mücke verursacht. Dann krabbeln im Haus überall Ameisen herum, die grössten Exemplare, ähnlich
 unserer Waldameise, sind harmlos, dagegen ist der Biss der kleinsten Sorte (ungefaehr
 nur 2 Millimeter gross) umso schmerzhafter, einmal hatte ich mich auf einem Tisch aufgestützt,
 auf dem einige dieser kaum wahrzunehmenden Ameisen herumliefen – ca. 15 Minuten brannte
 meine Hand als ob ich auf eine heisse Herdplatte gepackt haette… Einige recht grosse Käfer
 habe ich auch schon gesehen, einen Hundertfüssler, dann einige Spinnen, aber nur ganz kleine.
 Die Kakerlaken sind  im Haus nur im Keller zu finden, wobei mich eines nachts eine im Zimmer besuchte,
 sie war wohl über die Palme durch mein Fenster gekommen. Wollte gerade ins Bett gehen,
 als sie vor meinen Füssen herkrabbelte, ein schönes grosses ausgewachsenes Exemplar, zusammen
 mit den langen Fühlern hatte sie ungefaehr die Länge einer Hand. Mit Hilfe
 einer entzweigesägten Plastik-Colaflasche konnte ich sie schliesslich in die Falle locken und nach
 draussen befördern. Kakerlaken bzw. Schaben stechen und beissen zwar nicht, es ist auch
 bisher wohl nicht sicher erwiesen, ob sie Krankheiten übertragen können, trotzdem wollte ich nicht
 unbedingt so einen Untermieter haben. Ehrlich gesagt weicht bei dieser Sorte auch mein biologisches
 Interesse einem leichten Anflug von Ekel…Geschlossene Fenster und Glasscheiben in den
 Häusern sind in Indien äusserst unüblich, deshalb kommen auch grössere Tiere zu Besuch
 wie z.B. die Katzen, die sich hauptsächlich zur Essenszeit zwischen den Gitterstäben hindurchquetschen,
 am Tisch einfinden und dann maunzend um Futter betteln. Eine Katzenmutter
 habe ich jetzt häufiger mit ihrem ein Monat alten Jungen gesehen, die beiden streunen meistens
 im Büro herum, wo sie sich sicher fühlen. Vier Junge hatte sie zur Welt gebracht, wie mir
 Brother Joy berichtete (im Gegensatz zu Father Jesu mag er Katzen, weshalb die auch oft in seinem
 Zimmer Unterschlupf finden), doch zwei sind gestorben und eins hat sie aufgefressen, nun
 ist nur das eine übrig. Auch Geckos laufen schon mal im Haus herum, einmal krabbelte im grossen
 Raum einer an der Wand entlang, als die Kinder abends gerade Hausaufgaben machten.
 Mit Hilfe einiger Jungs, einem Besen und einem Eimer haben wir den Gecko eingefangen und
 draussen freigelassen, der kleine Kerl war nach der Jagd ganz am Ende… Zum Spass habe ich
 im Beisein einiger Kinder die Hand zum Mund geführt (das indische Zeichen für Essen) und
 mir den Bauch gerieben, seitdem glauben immer noch manche, wir in Deutschland würden Geckos
 essen (das gepflegtes Pils dazu nicht zu vergessen)…
 Draussen begegnen einem dann hauptsächlich
 Hunde, massenweise Krähen und viele Greifvoegel, die in grosser Höhe ihre Kreise
 ziehen. Und natürlich die heiligen Kühe, die oft mitten auf der Strasse stehen oder sich inmitten
 von Müllbergen von Speiseresten ernähren. Auch Skorpione soll es im Stadtgebiet geben, und
 zwar wohl die schwarzgefärbte Gattung mit einem besonders starken Gift, das unter Umständen
 für den Menschen tödlich sein kann. Als ich mich danach erkundigte, erklärte Brother Joy wie
 immer grinsend, dass die Skorpione auch schon mal in den Garten des Hauses kaemen, um dort nach
 Insekten zu jagen, wenn auch selten. Ich beschloss spontan, den Garten zu meiden. Skorpione
 sind aber – dies zur Beruhigung – erstens nachtaktiv und zweitens sehr scheu, einen
 Menschen greifen sie nur an, wenn sie sich bedroht fühlen.
 "Nachtrag: Besuch des Fischerdorfes undder Ureinwohner am 8.6."
 Die Bilder sind ja bereits online, die meistenmit Beschriftungen, sodass ich nur wenig nachtragen muss:
 Das Fischerdorf, das durch den Tsunami fast
 komplett zerstört wurde, heisst Kattupallikuppam. Nesakkaram hilft auch hier den Kindern, indem
 eine Abendschule angeboten wird. Die rund 60 Wohnhäuser, die im Moment aufgebaut werden,
 werden mit Hilfe einer anderen indischen Organisation finanziert. Nesakkaram hilft
 aber vielleicht bei der Errichtung eines Versammlungshauses – danach wurde zumindest
 Father Jesu beim Besuch angesprochen, er muss noch auf die Genehmigung der Gelder warten.
 Die Bootstour war einfach klasse: Wir sind mit einem Fischerboot aufs Meer hinausgefahren
 und konnten anderen Fischern bei ihrer Arbeit zusehen. Auf einem Bild bin ich mit Father
 Jesu zu sehen, auf dem anderen stehe ich inmitten der Fischer, neben mir der zustaendige Nesakkaram-Coordinator
 Visuvanathan.
 Auch der Besuch des Ureinwohner-Dorfes am
 selben Tag war äusserst interessant. Keiner kümmerte sich um die am Stadtrand in ärmlichsten
 Hütten lebenden Familien, bis Father Jesu auf sie stiess. Mit Finanzmitteln der Missionszentrale
 der Franziskaner sollen für die Familien ganz in der Nähe der Hütten rund 20 neue Steinhäuser
 errichtet werden. Der Besuch diente vor allem dazu, die Aufteilung auf die Häuser vorzunehmen
 – keine einfache Sache, es wurde lange und auch schon mal lauter diskutiert.
 Das Thema Ureinwohner in Indien wird oft unter
 den Teppich gekehrt, heute leben grob geschätzt rund 70 Mio. der "Adivasi"
 aufgeteilt in ca. 450 Stammesgruppen in Indien. Indien ist gross, deshalb gab es zwischen den Hindus
 und den Adivasi wohl selten Streit, doch gerade im Laufe der neueren Geschichte sind viele Ureinwohner
 enteignet oder ausgebeutet worden, und nicht selten leugnet das die Regierung.
 "Einige interessante Fakten zu Indien"
 Fläche:           3,2Mio. km² (BRD: 357.000 km²)
 Einwohner:    1,07 Milliarden
 => das sind ca. 16% der gesamten Weltbevoelkerung! (BRD: 82 Mio.)
 
 – Stadt / Land:    28% / 72%
 (BRD: 88% / 12%)
 – Tamil Nadu:    62,11 Mio.
 (Bundesstaat, Hauptstadt ist Chennai)
 – Chennai (Madras):    6,4
 Mio. (viertgrösste Stadt Indiens)
 – Mumbai (Bombay):    16 Mio.
 (grösste Stadt Indiens, BRD: Berlin: 3,4 Mio.)
 Wachstumsrate:    1,44% (BRD:0,02%)
 Alphabetisierung:    56% (BRD:
 99%)
 Religionen: 
 Hindus:            82%Muslime:         12%Christen:           2,3%Sikhs:                2%Buddhisten:     0,7%Dschainisten:  0,4%andere             0,6% Sprachen:    24, die von mdst.1 Mio. Menschen gesprochen werden + weitere Sprachen und Dialekte
 Gesetzl. Mdst.lohn:    54,28Rupien pro Tag (= ca. 1 EURO)
 
 rund ein Drittel der indischenBevöelkerung hat zum Überleben weniger als 1 US$ am Tag, vor allem die ländliche
 Bevölkerung ist betroffen
 demgegenüber stehen rund 61.000Millionäre (in US$)
 Kinderarbeiter:    80-115 Mio.schätzen Menschenrechtsorganisationen, obwohl Kinderarbeit gesetzlich verboten ist. Höchste Rate weltweit!
 
  Branchen:    Landwirtschaft,Lumpensammeln, Haushaltshilfe, Teppichweberei, Ziegelei, Prostitution, Zigarettenherstellung,
 Produktion von Feuerwerkskörpern, Seidenindustrie
 Prostituierte:    ca. 10 Millionen,davon geschätzt 20% unter 18 Jahre
 
 Kinderprostitution ist ein grossesProblem in Indien, es herrscht ein reger "Handelsverkehr"
 zwischen den benachbarten
 Ländern und Indien. Oft ist es so, dass sich die Frauen in  finanzielle Abhängigkeit
 zu ihren Kunden begeben; die Männer bezahlen die Wohnung und das Essen und nehmen
 dafür die Dienste der Frau in Anspruch. Oft haben die Prostituierten Kinder,
 die Mädchen werden dann sehr schnell an die Kunden und an die Prostitution herangeführt.
 Männliche Touristen, die sich in Indien an Kindern vergehen, stammen in den meisten
 Fällen aus den USA und  – aus Deutschland.
 AIDS:        2005rund 5,1 Mio. registrierte HIV-Positive, nur Südafrika hat mehr
 im Weltvergleich
 Filmindustrie:    Indiens Filmindustrieist noch vor Hollywood die grösste der Welt, Bollywood bezeichnet dabei nur die Produktionen aus
 Mumbai (Bombay, deswegen auch statt dem ’H’ ein ’B’) und Kolkata (Kalkutta), die Filme aus
 Chennai haben mit Bollywood nichts zu tun
 "Bilder!" Wer die Bilder noch nicht gesehen hat, solltedas unbedingt nachholen! Sie sind zu finden in der Galerie der Gemeindehomepage. Habe mir viel
 Muehe gemacht und fast jedes Bild beschriftet, jetzt hoffe ich noch auf entspechende Zugriffszahlen!
 
 "Und zum Nachtisch: Indische Erotik" Man könnte sagen eine Schönheit aus der Heimatbrachte mich durch eine Bemerkung auf die Idee, noch ein paar Dinge zum Thema "Küssen
 verboten" und Frauen in Indien zu schreiben: Mann und Frau gehen, auch wenn sie verheiratet
 sind, in der Öffentlichkeit eher auf Abstand. Händchenhalten ist nicht üblich, schon gar
 nicht Arm in Arm. Küsse zwischen Liebenden in der Öffentlichkeit sind eigentlich völlig tabu.
 Wenn in einem indischen Film geküsst wird, dann sieht man jeweils nur die Hinterköpfe. Man könnte
 also sagen dass Sex im engsten Sinne in der indischen Öffentlichkeit nicht vorkommt.
 Genauso gehört dazu, dass nackte Haut zu zeigen
 in Indien äusserst verpönt ist (insbesondere bei Frauen, Männer dürfen schon mal mehr
 zeigen). Männer tragen meistens lange Hosen und dazu ein Hemd, Frauen den Sari, der sehr geschickt
 die weiblichen Kurven verhüllt und kaum Haut ans Licht lässt. Ist für uns kaum vorstellbar,
 leben wir doch in einer Welt, in der hautenge Jeans, tiefe Ausschnitte und Striptease-Shows
 zum Alltag gehören.
 Nackte Haut zu zeigen ist nicht verboten,
 man könnte also durchaus als Touristin den Versuch starten, im Bikini am Strand herumzulaufen,
 doch zu empfehlen ist das nicht. Ich kann nicht vorhersagen, was dann passieren würde, aber
 ich könnte mir gut vorstellen, dass sich die Frauen wahrscheinlich sehr aufregen und weiter am
 Bild der "billigen weissen Frau" basteln würden, während die Männer ihre Augen nicht von der
 halbnackten Frau lassen könnten und diese wohl auch nach einer Weile durchaus bedrängen würden.
 Natürlich können die Inder auch Filme aus dem Westen sehen, und das ist auch der Grund,
 dass sich leider in mehr und mehr Köpfen das Bild festsetzt, weisse Frauen seien billig
 und für alles zu haben (in welchem Film wird schliesslich nicht geküsst oder nach zehn Minuten schon
 im Bett "gekuschelt"…). Dies führt vermehrt in den grossen Städten Indiens dazu, dass Frauen
 aus Europa oder den USA von indischen Männern bedrängt werden. Mein Reiseführer ist deshalb
 auch nicht gerade sparsam mit Tipps für weibliche Touristen. Als noch freizügiger
 gelten in Indien übrigens die Afrikaner.Natürlich ist in Sachen nackter Haut auch
 in Indien Bewegung, gerade in den Grossstädten: In den Medien, besonders im Internet, im TV und
 in Magazinen fallen mehr und mehr die Hüllen bzw. gelangen "Aussichten" aus dem Westen
 nach Indien, auch das Thema Sexualitaet an sich ist nicht mehr absolutes Tabuthema. Gleichzeitig
 werden natürlich die Fundamentalisten immer lauter mit ihren Beschwerden: Erst gestern
 (Mittwoch) wurde in den TV-Nachrichten berichtet, dass sich einige über die Schuluniform der
 Mädchen beschwert haben: Der Rock, der einige Zentimeter über das Knie reichte, sei ihnen
 nicht lang genug. Während übrigens die Anzahl der Liebesheiraten gegenüber den sonst üblichen
 arrangierten Ehen ansteigt, steigt auch in den grossen Städten nach und nach die Zahl der
 Scheidungen.Das Thema ist natürlich viel komplexer als
 ich hier in den paar Zeilen beschreiben kann, aber vielleicht konnte ich ein paar Ansätze liefern,
 und jeder möge sich seine eigene Meinung darüber bilden. So sehr man versucht ist, vieles als
 überholt oder anti-freiheitlich einzuordnen, kann man dieser Lebensweise aber auch viele positive
 Aspekte abgewinnen – das ist zumindest mein Eindruck im Moment. Gerade in Indien prallt
 ja in krasser Weise langbewährte Tradition auf moderne Einflüsse, umso interessanter finde
 ich es die Reaktionen und Folgen zu beobachten.
 Viele herzliche Gruesse aus Indien, Dominic Datum: 01.07.2006, Autor: Dominic Winkel |