100 Jahre Talkirche

100 Jahre Talkirche

Der Kirchbau
Die größte
Spendenaktion in der Geschichte Geisweids

Als im Jahre 1898 eine selbständige Kirchengemeinde
Klafeld entstand, da war die Gemeinde sozusagen mittellos. Doch
schon in der ersten Sitzung des neuen Presbyteriums fasste man den
Beschluss, dass der Bau einer Kirche oberstes Ziel der Arbeit sein
sollte. Hier stellte sich natürlich zu aller erst die Frage der
Finanzierung. Die meisten männlichen Gemeindeglieder waren Industriearbeiter
mit einem kärglichen Einkommen. Trotzdem zeigte sich in den nächsten
Jahren eine sehr große Spendenbereitschaft.

Der Bau der Kirche kostete am Ende 144.000,-
Mark (ohne Grundstück), die Kosten für das gleichzeitig errichtete
Pfarrhaus beliefen sich auf 26.800,- Mark, 1.650,- Mark musste man
für die hinter der Kirche (heute  Kindergartengelände) Abortanlage
bezahlen. Die Finanzierung stellte sich folgendermaßen dar: Spenden
von Gemeindegliedern (Hauskollekte und Einzelspenden) 34.088,- Mark,
Pfr. Bergmann und der damalige Hilfsprediger Demandt brachten von
Kollektenreisen 7.957,- Mark mit, eine Kollekte in der Kirchenprovinz
Westfalen erbrachte 3.750,- Mark, aus Rücklagen der Gemeinde flossen
14.237,- Mark, aus Zinsen 5.412,- Mark, aus Pachten und Verkäufen
3.605,- Mark, Abfindungssumme aus der Kirchengemeinde Weidenau 10.373,-
Mark.

An größeren Geschenken gingen ein: von der
Provinzialsynode 2.400,- Mark, von der SAG 2.500,- Mark, von der
Bremerhütte 1.500,- Mark, von den Geisweider Eisenwerken 15.500,-
Mark, von der Grube “Neue Haardt” 100,- Mark, von Direktor Weinlig
(Eisenwerke) 500,- Mark, von Geheimrat Dresler in Kreuztal 500,-
Mark, von der politischen Gemeinde Klafeld ein Drittel der Turmuhrkosten
mit 336,- Mark, schließlich ein Legat von Frl. Luise Stein in Dillnhütten
für Orgel und das mittlere Chorfenster in Höhe von 8.000,- Mark.
Die Kirchengemeinde war gezwungen, eine Anleihe in Höhe von 76.500,-
Mark aufzunehmen. Der Restbetrag dieser Anleihe erledigte sich mit
der Inflation im Jahre 1923. Erstaunlich bleibt die ungeheure Leistung,
die die junge Kirchengemeinde mit diesem Bauwerk erbracht hat. Beachtlich
ist die Spendenbereitschaft in der Arbeitergemeinde und die Mobilisierung
breiter Bevölkerungsschichten. Hier ist sicher an erster Stelle
Pfarrer Heinrich Bergmann zu nennen, der von 1892 bis 1922 als Seelsorger
in Geisweid wirkte. Beim Kirchbau stand ihm eine gewählte Baukommission
zur Seite, der vom Presbyterium Handlungsvollmacht erteilt war.
Diesem Gremium gehörten an: Kirchmeister Karl Heinbach, die Presbyter
Julius Textor und Karl Jung, die Repräsentanten (Gemeindevertreter)
Wilhelm Steffe, Artur Gotschalk, Karl Giebeler, der Gemeindevorsteher
(Bürgermeister) Karl Dilling und Heinrich Lohenner. Pfarrer Bergmann
führte den Vorsitz. Der Architekt Gustav Mucke nahm mit beraten
der Stimme an den Sitzungen der Kommission teil. “Sie hat in einer
Unzahl kurzer und langer Sitzungen mit rührender Treue und unter
einstimmiger Anerkennung ihres Amtes gewaltet. Der Erfolg hat ihre
Mühen belohnt” (Pfr. Bergmann). Für die Inneneinrichtung stifteten
die Hebammen den Taufstein, die Presbyter und Repräsentanten (Kirchenvertreter)
die Kanzel und den Altar. Die Kaiserin schenkte zur Einweihung die
Altarbibel und der Evangelische Arbeiterverein die Kanzelbibel.

Die Pläne für den Kirchbau stammten von dem
renommierten Hagener Architekten Gustav Mucke, der auch die Bauleitung
hatte. Dieser baute zeitgleich eine neue evangelische Kirche in
Dortmund – diese zeigt bis in Details große Ähnlichkeit mit der
Talkirche. In Geisweid baute Mucke außerdem das Haus Lohenner in
der Bodelschwinghstraße und das Haus Flender (heute Hagen) in der
Sohlbacher Straße. Die Baukommission war bemüht, möglichst ortsansässige
Handwerker am Kirchbau zu beteiligen. Aus den Bauakten zu ermitteln
sind: Fa. Johannes Schmeck (Maurerarbeiten), Fa. Hermann Bender
(Zimmerarbeiten), Fa. Römer (Dachdeckerarbeiten), die Firmen Busch,
Kappest, Moll, Brückner, Bode und Giesler (Schreinerarbeiten), die
Firmen Heinrich und Dornseifer (Klempnerarbeiten), die Firmen Grüdelbach
und Irle (Schlosserarbeiten). Der leitende Architekt Mucke fasste
die örtlichen Handwerker offensichtlich hart an und führte ein straffes
Regiment. Zwischen bei den Parteien kam es öfters zu Unstimmigkeiten.
Nach Beendigung der Bauarbeiten machten die Handwerker sich Luft
in einem sarkastischen Gedicht, in dem es u.a. heißt:
 

Se wolle no e Klage-feld
en
nöuje Kir che bauje.
“Ihr Jonge, mir ha zemlich Geld,
mir
wonn itzt speln dr Schlauje!
Mit mosse ha nen Architekt,
os
Handwerkern ha Nubbe,
dä hält se ehjer em Respekt,
da konn
die sich net mucke."

Op aimoal koam dr
Architekt
gemötlich ahgestewwelt.
“Ich weiß net, trenkt dä
Ma och Sekt,
mir schint dä ahgenewwelt!"
“Eh ich mich
all den Herrn stell vor,
ich erst noch einen schlucke:
Handwerker,
packe ich am Ohr!
Ich bin Architekt Mucke!"

Doa koam och noch
vam “Berg” en “Ma”,
on woll noch helfe dröcke,
doch hä verstonn
gar nix doava,
nur soll sich jeder böcke:
“Ihr Handwerker,
reicht billig ein,
damit nicht zu ihr gucket,
von auswärts
Konkurrenz kommt rein,
die Entscheidung hat Herr Mucke."

“Der Mörtel, Maurer,
scheinet mir,
der ist ja ein zu sieben,
so hab ich beim Vergeben
dir,
die Sach’ nicht vorgeschrieben!"
“O, Hannes, du
muurscht sost so got,
wat jeder kan begucke:
doch itzt em
Spießfaß lejt din Hot,
en fort jät dich dr Mucke".

Die Zemmerlüh om
hohe Turm,
wat moßte di doch kroatsche,
on wenn och grad’
net bels dr Sturm,
mr konn doch ronner latsche.
At Trenkgeld
doachte se em Hirn,
se woll’nt bim Rechtfest schlucke,
gehostet
– et goaw “Böffelsbirn”,
dat Deng, dat hät sin Mucke.

Dr Klempner doachte
obgewäckt:
“Ech mache gore Renne
on loaße mich vam Architekt
net
ahböffeln on schänne."
On doch blufft en dä Karle a,
als
wöll hä än verschlucke.
Bim Bier glas sät dr Klempner schma:
“Wat
es de Welt voll Mucke!”

Va wierem koam dr
Glockema
bet dä bekränzte Glocke,
dä leß sich net so bluffe
a,
wie Schöäfersch Katz vom Dogge.
De Glockeklonge d, fis,
a,
ganz herrlich durch de Lucke,
du reist hä heim noa Apolda,
he
blew dr Hagener Mucke.

Mr hatte och en
Baukommissioa,
die woll doch och war schwätze.
Dr. Architekt
schwinn säate doa:
“Hier könnt ihr euch hin setzen,
ihr dürft
nur von weitem euch
die Arbeit schon angucken;
denn, kommt
ihr mir in mein Revier,
dann fang’ ich an zu mucken."

En schöane Kirche
wur geboujt,
dat es net abzestriere,
die Handwerker ha sich
geplaujt,
woarn fertig och biziere,
nur woarn so al berenaij
verkoart,
hatte det Herz voll Mucke,
dän Architekt am Kircheort
woll’n
se net me ahgucke.

Ihr Handwerkslü,
wenn öwer lang
de Kircheglocke lüre,
da sätzt auj op de Kirchebank,
vergeßt
die Drangsalziere,
dankt Gott, dat et geroare schöar,
dat
Werk lößt sech begucke!
En jeder goaw sin bestes her,
ihr
on ouj Architekt Mucke!

 

Im Übrigen fällt der Kirchbau in eine Zeit,
da sich die Gemeinde Klafeld-Geisweid in einer schnellen Aufwärtsentwicklung
befindet. Viele Neuerungen sind in diesen Jahren zu verzeichnen.
Seit Oktober 1897 tragen die Straßen der Gemeinde Namen. Seit dem
1.1.1900 gibt es am Ort ein Standesamt (für Klafeld-Geisweid, Dillnhütten,
Birlenbach, Buchen und Sohlbach, seit 1902 auch für Nieder- und
Obersetzen), 1902 wurde in der damaligen Schulstraße ein kommunales
Gemeindehaus erbaut, im gleichen Jahr wurde eine Gasleitung durch
die Gemeinde gelegt. Im November 1904 eröffnete die elektrische
Kreisbahn ihre Strecke bis zum Gasthof Reuter in Dillnhütten. Die
Gemeinde legte unter großen finanziellen Opfern die “Neue Königstraße”
quer durch die Wiesen und Felder des Tales vom Hause des Schmiedemeisters
Gimbel in Klafeld bis zum Hause des Schuhmachermeisters Neuser in
Geisweid an. Im Jahre 1908 erhielt die Gemeinde nach langen Kämpfen
in der Gemeindevertretung eine Wasserleitung. Diese wurde am 1.3.1909
in vollen Betrieb genommen. So war der Kirchbau eingebettet in eine
ganze Serie neuzeitlicher Errungenschaften. Alles zusammen gab dem
Ort ein sehr verändertes Aussehen.


Richtfest Talkirche

Vor 100 Jahren fand das Richtfest
der Talkirche statt.

In den Jahren 1904 bis 1906 bewegte der Bau
der neuen Klafelder Kirche (heute Talkirche) sehr stark die Gemüter
der Klafelder und Geisweider Gemeindeglieder.

Anfang August 1904 geschah der erste Spatenstich,
und am Sonntag, 9. Oktober 1904 konnte die feierliche Grundsteinlegung
erfolgen. Ortspfarrer Bergmann predigte über Esra 3, 10-12 (Tempelbau):
„Der Grund zum Hause Gottes ist gelegt – der Grund ist Jesus Christus
– der Grundstein ein Dankstein, ein Denkstein, ein Eckstein und
Merkstein".

Zugleich mit der Kirche wurde das nebenstehende
Pfarrhaus errichtet. Dieses konnte im Oktober 1905 von der Familie
Bergmann bezogen werden.

Im Sommer 1905 kam es zu einem Unfall auf
der Kirchenbaustelle. Infolge tagelangen, strömenden Regens brach
ein Mauervorsprung ab, auf den das Dachgebälk als Lager aufgelegt
war. Drei schwere Dachbalken stürzten in die Tiefe und begruben
den Zimmermann Otto Herr aus Geisweid unter sich. Der junge Mann
blieb aber wie durch ein Wunder unverletzt, indem sich die Balken
wie zu seinem Schutze kreuzweise über ihn wölbten.
 


Am 21. Juli konnte das Richtfest im Innenraum
des Rohbaus in Gegenwart des Presbyteriums, der Baukommission und
der Handwerker begangen werden.

Am 28. September 1905 konnte der Turm im Mauerwerk
vollendet werden. Am 28. Oktober des gleichen Jahres konnte – nachdem
die schwierige Arbeit der Aufrichtung des Turmhelmes vollendet war
– von dem Schlossermeister Karl Grüdelbach aus Klafeld das etwa
8 Zentner schwere schmiedeeiserne Kreuz mit dem Hahn aufgerichtet
werden. So erreichte die Spitze des Turmes eine Höhe von 61,5 Metern.
Pfr. Bergmann schreibt dazu:„Es war eine lebensgefährliche Arbeit,
bei der Tausende von Augen zum Turme aufschauten".

Bald darauf setzte der in Diensten der Fa.
Dienenthal (Sarx) in Siegen stehende Monteur Eduard Fick aus Klafeld
die Blitzableiterspitze auf.

Burkhard Schäfer


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Vor 100 Jahren:

Glockenweihe in Geisweid

In diesem Jahr feiern wir das einhundertjährige
Jubiläum der Talkirche. Das ist uns Anlass, an das Geschehen vor
genau 100 Jahren zu erinnern. Am 22. Januar 1906 erfolgte die feierliche
Einholung der neuen Kirchenglocken. Gegossen wurden sie von der
bekannten und renommierten Glockengießerei Franz Schilling in Apolda
in Thüringen und waren auf die Töne d, fis und a gestimmt.

Mit einem
Bahntransport trafen sie auf dem Geisweider Bahn hof ein. Dort lud
man sie auf hohe Wagen des Fuhrunternehmers Eberhard Brücher. Anschließend
wurden die Glocken, die Wagen und die Zugpferde reich bekränzt und
geschmückt. Die Schulkinder der Klafelder, Geisweider und Birlenbacher
Schule bildeten ein Spalier vom Bahnhof bis zur neuen Kirche. Eine
große Menschenmenge versammelte sich an den Straßen und vor der
Kirche, um dem Geschehen beizuwohnen. An der Spitze des feierlichen
Zuges gingen das Presbyterium und die Repräsentanten (Kirchenvertretung)
und Pfarrer Bergmann im Talar. Es herrschte kaltes, klares Winterwetter.

Vor der Kirche an gekommen stieg Pfarrer Bergmann auf den Wagen
neben die große Glocke und stimmte das Lied “Du, meine Seele, singe”
an, las den 100. Psalm und sprach – nach verschiedenen Liedvorträgen
der Schulkinder – über 1. Kor. 13, 13: “Nun aber bleiben Glaube,
Hoffnung, Liebe; aber die Liebe ist die größte unter ihnen”. Diesem
Vers waren die Namen der Glocken entnommen. Die größte Glocke trug
den Namen “Glaube”, war auf d gestimmt, wog 32 Zentner und hatte
einen Durchmesser von 1,39 m. Auf ihr fand sich die Jahreszahl Anno
Do mi ni MDCCCCV (1905) und die Inschriften “Kommt, denn es ist
alles bereit. L.UC. 14,17" und ”Gen Himmel schweb’ ich,  zum
Himmel heb’ ich des Menschen Herz; das Leben weih’ ich, die Klänge
leih’ ich zu Freud und Schmerz". Die mittlere Glocke, die fis-Glocke,
wog 15 Zentner und hatte einen unteren Durchmesser von 1,08 m. Sie
trug den Namen “Liebe” und die Inschriften “Die Liebe hört nimmer
auf. 1. Kor. 13,13" und ”Zum Tagwerk weck’ ich, am Abend wink’
ich zu sanfter Ruh; den Festtag grüß’ ich, die Jugend führ’ ich
dem Altar zu". Die kleinste Glocke, auf a gestimmt, wog 9 Zentner
und hatte einen Durchmesser von 0,90 m. Sie zeigte die Inschrift
“Hoffnung” als Name und die Worte “Hoffnung läßt nicht zu schanden
werden. Röm. 5, 5" und ”Zur Hilfe läut’ ich, zur Andacht lad’
ich der Christen Chor; um Tote klag’ ich, Gebete trag’ ich zu Gott
empor".

Der Kirchmeister Carl Heinbach war zuvor zu Metall-
und Klangproben in Apolda gewesen und mit sehr günstigen Resultaten
zurückgekommen. Der Glockensachverständige hatte die Tonreinheit
und die Tonfülle als sehr befriedigend bewertet. Pfarrer Bergmann
schrieb später: “Unser Geläute wurde und wird allgemein für eins
der schönsten und besten des Siegerlandes erklärt”. Der Gesamtpreis
für die Glocken, Fracht, Glockenstuhl und Montage betrug 6.532,35
Mark. Die Glocken wurden in den folgenden Tagen außen am Turm in
die Höhe gezogen und in den eisernen Glockenstuhl gehängt. Es wurde
zu einem großen Ereignis im Ort, als am 27. Januar 1906 – dem Geburtstage
des Kaisers – die Glocken erstmals geläutet wurden. Zu gleich schickte
man S. Majestät ein Huldigungstelegramm nach Berlin. Pfarrer Bergmann
war ein großer Patriot und von Herzen Monarchist. Die Glocken erklangen
dann nochmals am da rauffolgen den Sonntag und am 27. Februar zur
Feier der Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares. Nun schwiegen sie
bis zum Vorabend der Kirchweihe am 11. Juli 1906.

Leider konnten
sich die Geisweider und Klafelder nicht lange erfreuen an ihrem
schönen Geläute: schon 1917 mussten die große und die mittlere Glocke
für Kriegszwecke abgeliefert werden. Seit 1919 hängen nun drei Gussstahlglocken
des Bochumer Vereins im Turm der Kirche. Sie tragen u.a. die Inschrift
“Als Bronze mußt’ gehn ich in ehrener Zeit”. Leider sind sie nicht
so wohltönend wie ihre vielgerühmten Vorgänger. Immerhin stehen
sie mittlerweile schon 86 Jahre im Dienst.

Burkhard Schäfer