Auf ein Wort…. Juli/August 2005

„Keinem von uns ist Gott fern.“ Ein kurzer
und bündiger Satz, den man sich leicht merken kann. Dazu noch einer,
den man sofort versteht und gerne hört: Gott ist uns nah, jedem
von uns, ganz gleich, wer wir sind und wo wir sind.

Also können wir ihn auch mitnehmen in die
kommenden Urlaubswochen, an den Ort, an den uns dieses Mal das Fernweh
treibt. Gott geht mit uns, keinem von uns ist er fern. Das hörten
schon Menschen aus aller Welt, als Paulus ihn nach dem Bericht der
Apostelgeschichte in Jerusalem den Leuten zurief. Ein kurzer und
klarer Satz, der uns gut tut.

Aber nicht jeder von uns wird ihn so einfach
für sich annehmen können? Schmerzliche Erfahrungen stehen dazwischen.
Hat nicht Jesus selbst ihm widersprochen, als er seine Gottverlassenheit
am Kreuz herausschrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?“

So mag auch mancher von uns schon gedacht
oder empfunden haben, als er sich fragte, wo Gott denn nun sei in
dieser bedrückenden, zermürbenden und niederschmetternden Lage.
Diese Erfahrung ist so alt, wie der Glaube selbst. So klagt der
Beter des 10. Psalms: „Herr, warum stehst du so ferne, verbirgst
dich zur Zeit der Not?“

So fragen Eltern, die ihr Kind verloren haben.
So fragen Menschen, die unter einer großen Sorge drohen zugrunde
zu gehen. So fragen Schwer- und Schwerstkranke. So fragen Frauen
und Männer, wenn sie in diesen Tagen an die Schrecken und Grausamkeiten
des 2. Weltkriegs und der Konzentrationslager erinnert werden. Warum
warst du da nicht zur Stelle Gott, um gewaltig und bewahrend einzugreifen?
Viele Menschen haben den Glauben an Gott in einer solchen Lebenskrisen
verloren.

Und andere haben ihn gerade so gewonnen, als
Ihnen aller anderer Boden entzogen war. Denn der Satz: „Keinem von
uns ist Gott fern“, ist ein Glaubenssatz. Ich kann ihn für mich
gelten lassen oder auch nicht.

In der „Zeit“ war vor kurzem ein Bericht über
wissenschaftliche Untersuchungen, die der Frage nachgingen, ob es
vielleicht im Menschen eine genetisch angelegte Neigung zum Spirituellen
gäbe, die die einen dann eben zum Glauben befähigten und die anderen
eben nicht. So ließe sich erklären, dass es Glaubende und Ungläubige
gibt. Doch all diese Versuche, das hat die kritische Würdigung ergeben,
stehen auf argumentativ schwachen Füßen. Letzten Endes sind auch
sie nachweislich eine Glaubensfrage. Das trifft auch auf die prinzipielle
Ablehnung Gottes zu. Auch der, der nicht oder nicht mehr glaubt,
glaubt nur, dass es Gott nicht gibt.

Gewiss haben jeden und jede solche Fragen
und Zweifel schon mal bewegt, mal mehr philosophierend mal ganz
existentiell, mal im Moment der Erschütterung durch einen Schicksalsschlag,
mal über längere Phasen des Lebens. Doch es gibt keine allgemein
gültige Antwort. Nur die, die ich für mich selber geben kann.

Gegen all solche Erfahrungen steht der Glaubenssatz
des Paulus: „Keinem von uns ist Gott fern.“ Selbst dann nicht, wenn
ich von dieser Nähe Gottes zur Zeit so gar nichts spüre. Denn zum
Glück ist die Wahrheit des Zuspruchs Gottes nicht abhängig von unserem
Empfinden, sondern allein von seiner beständigen Verheißung. Und
die lautet: „Keinem von uns ist Gott fern.“

Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Glaubenserfahrung
machen und sich so etwas von der heilsamen Nähe Gottes schenken
lassen können.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Herbert Siemon