Liebe Leserinnen und Leser,
ich notiere diese Gedanken am Strand von Mátala
auf Südkreta. Bei 23 Grad sitze ich im Sand und genieße den herrlichen
Blick aufs Libysche Meer. In diesen Gewässern ist der Apostel Paulus
auf seiner Romreise in schwere Seenot geraten (spannend nachzulesen
in Apostelgeschichte 27, 7ff). Heute weht von der Syrte aber nur
ein mildes Frühlingslüftchen herüber.
Zu meiner Rechten erhebt sich eine hohe Sandsteinwand
mit den berühmten Wohnhöhlen von Mátala. Hier haben in den 60er
Jahren viele AusteigerInnen gehaust, darunter auch Popgrößen wie
Bob Dylan, Cat Stevens und Joni Mitchell. Sie teilten das Lebensgefühl:
Unsere nur noch an Geld und Kommerz orientierte Gesellschaft lässt
uns zu „eindimensionalen Menschen“ (Herbert Marcuse) verkümmern
– allein ausgerichtet auf Konsum und Gehorsam. Und so suchten sie
hier in der Einsamkeit nach neuen, alternativen Lebensformen.
Viel ist nicht geblieben von den Hoffnungen
und Utopien, von den Träumen und manchmal gewiss auch Traumtänzereien
dieser Zeit. Die legendären Wohnhöhlen stehen mittlerweile unter
Denkmalschutz, und die Lebenserinnerungen vieler ehemaliger BewohnerInnen
kann man am Touristenkiosk auf Hochglanzpapier erwerben.
Ein paar Schritte weiter entdecke ich im Sand
ein Paar ausgelatschte Socken. Gut zu erkennen der Nike-Swoosh –
für viele das Symbol der postmodernen Gesellschaft, die die ganze
„Welt als Supermarkt“ für sich vereinnahmt.
Mir fallen Worte des französischen Autors
Michel Houellebecq ein, der ihr Grundprinzip als direkten Widerspruch
zum 10. Gebot beschreibt: „Du musst begehren. Du musst begehrenswert
sein. Du musst am Wettbewerb teilhaben, am Kampf, am Leben der Welt.
Wenn du aufhörst, existierst du nicht mehr. Wenn du zurückbleibst,
bist du tot.“
Mein Blick wandert zurück zu den verlassenen
Wohnhöhlen.
Nein, hier leben möchte ich nicht. Aber ich
sehe sie jetzt noch einmal mit anderen Augen. Hier haben Menschen
Alternativen gesucht zu einem allein auf Konsum und bloßes Funktionieren
ausgerichtetes Leben. Und vielleicht waren sie zumindest mit diesem
Anliegen den griechisch-orthodoxen Mönchen gar nicht so fern, die
hier auf Kreta ihre zahlreichen Klöster möglichst abgelegen in den
schroffen Bergen errichtet haben.
Eine Alternative leben und für andere sein
– das wünsche ich mir auch für meine Kirche und für mich. Gewiss
nicht durch Flucht an ferne Gestade oder in schroffe Berge. Aber
im konsequenten Hören und Befolgen von Gottes Weisungen:
„Ich bin dein Gott, der für dich sorgt.Du
musst nicht begehren und begehrenswert sein. Im Vertrauen auf mich
findest du erfülltes, vieldimensionales Leben.
Du musst nicht begehren sondern kannst gönnen.
Weil ich, dein Gott, dir dein Leben und alles erdenklich Gute schenke
– und deinen Mitmenschen auch.
Du kannst – ihr könnt eine Alternative sein
in dieser Welt und für diese Welt.“
Mittlerweile zurück in Deutschland erlebe
ich die große Trauer um den verstorbenen Papst mit und teile sie.
Als evangelischer Christ konnte und musste man ihm zwar gewiss nicht
auf allen Wegen folgen. Aber mit diesem Johannes Paul II. verliert
die Welt allemal einen mutigen Zeugen des Evangeliums, der aus seinem
Glauben heraus eine glaubwürdige Alternative zu dem lebte, was er
selber einmal die „Zivilisation des Todes“ nannte. Und einen Menschen,
der Gott sei Dank viele ermutigte, über konfessionelle und andere
Grenzen hinweg für eine Zivilisation des Lebens zu beten und zu
kämpfen.
Ihr Thomas Hölzer, Pfarrer
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