Predigt vom 22.1.2012

 

GOTTESDIENST FÜR DEN DRITTEN
SONNTAG NACH EPIPHANIAS

Pfr. Dr. Martin Klein
Talkirche,
22.1. 2012
Text: 2.Kön 5,1-19a

Der Predigttext
für den heutigen Sonntag ist eine Geschichte aus dem Alten Testament.
Sie eignet sich schlecht dazu, dass ich sie vorlese und dann darüber
predige – nicht nur, weil sie ziemlich lang ist. Deshalb möchte
ich Ihnen die Geschichte lieber einfach erzählen – so, wie ich sie
verstehe. Sie steht im zweiten Buch der Könige, im fünften Kapitel:

Vor sehr langer
Zeit, als es in Israel noch einen König gab, da lebte in Damaskus
in Syrien ein Aramäer namens Naaman. Naaman war das, was man heute
einen „Erfolgsmenschen“ nennt. Er war ein großer, kräftiger Mann
und zugleich ein kluger Kopf mit einem ausgeprägten Machtinstinkt.
Mit diesen Gaben ausgestattet war er Offizier geworden. Er hatte
sich in den ständigen Kriegen mit Israel bewährt und den Israeliten
eine Niederlage nach der anderen zugefügt. In Israel hasste man
ihn dafür und für die hohen Tributzahlungen, die man seinetwegen
nach Damaskus schicken musste. Aber der König von Syrien war natürlich
begeistert. Er machte Naaman zum Armeechef und zu seiner rechten
Hand. Dass der darüber auch reich wurde, versteht sich von selbst.

Eine Traumkarriere
also. Eigentlich hätte Naaman nun glücklich und zufrieden die Früchte
seines Erfolgs genießen können. Aber da war doch etwas, das ihm
die Freude am Leben vergällte: Naaman litt an einer schlimmen Hautkrankheit,
er war aussätzig. Das, was man da-mals Aussatz nannte, war zwar
nicht direkt lebensbedrohlich und auch nicht ansteckend. Aber Aussätzige
galten als unrein. Die Leute ekelten sich vor ihnen; sie machten
einen Bogen um sie, und sie stellten den gesellschaftlichen Verkehr
mit ihnen ein. Für einen Mann in Naamans Position war das natürlich
eine Katastrophe. Er konnte seine Pflichten bei Hofe nicht mehr
wahrnehmen und seine machterhaltenden Beziehungen nicht mehr pflegen.
Der König hielt zwar an ihm fest. Er vertraute weiter auf seinen
Rat. Aber auch das konnte sich rasch ändern. Kurz gesagt: Naamans
Lage war trotz all seiner Erfolge ziemlich verzweifelt.

Da kam Hilfe von
einer Seite, von der er das nie erwartet hätte. Bei einem seiner
letzten Raubzüge nach Israel hatte er ein israelitisches Mädchen
erbeutet. Er hatte es als Mitbringsel seiner Frau geschenkt und
dann vergessen. Aber eines Tages kam seine Frau zu ihm und sagte:
„Erinnerst du dich noch an das israelitische Mädchen, das du mir
mitgebracht hast? Sie hat mir heute etwas erzählt, das dich interessieren
wird: Ach, dass mein Herr doch bei dem Propheten in Samaria wäre,
hat sie gesagt. Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien.“ Naaman
war skeptisch: „Ein israelitischer Prophet soll mich heilen? Selbst
wenn er’s könnte – was ich bezweifle, so wie ich die Israeliten
kenne – ausgerechnet mich wird er bestimmt nicht heilen. Denen kommt
meine Krankheit doch gerade recht! Die hoffen doch bestimmt schon,
dass ich bald weg vom Fenster bin.“

Aber in der Not
greift man bekanntlich nach jedem Strohhalm. Also erzählte Naaman
seinem König von der Sache. „Du solltest hingehen“, sagte der. „Die
Israeliten sind zwar unsere Feinde, aber mir ist egal, wer dich
heilt. Hauptsache, du wirst wieder gesund. Ich brauche dich noch!
Außerdem sind die Israeliten besiegt und haben uns gefälligst zu
gehorchen. Ich werde dir einen Brief an den König von Israel mitgeben.
Da schreib ich rein: Wenn dieser Brief zu dir kommt, so wisse, ich
habe meinen Knecht Naaman zu dir gesandt, damit du ihn von seinem
Aussatz befreist. Dann soll er halt zusehen, wie er das hinkriegt.
Also mach dich auf den Weg, und komm gesund wieder! “

Das war ein Befehl,
und als alter Soldat musste Naaman natürlich gehorchen. Mit angemessenem
Gefolge machte er sich auf den Weg nach Samaria. Gleich nach seiner
Ankunft überbrachte er dem König von Israel den Brief seines Herrn.
Der las das Schreiben und war entsetzt. „Was erwartet euer König
eigentlich noch alles von mir? Erst soll ich Tribut zahlen, dass
mir kaum das letzte Hemd bleibt, und jetzt soll ich auch noch Kranke
heilen! Was glaubt er denn, wer ich bin? Etwa ein Gott, der töten
und lebendig machen kann? Er sucht doch nur einen Anlass, damit
er einen neuen Krieg anfangen kann! Geh und sag deinem Herrn, dass
ich alles tue, was er will, aber er soll bitte keine Wunder von
mir erwarten!“

Das war’s. Naaman
verließ den Königspalast genauso krank, wie er ihn betreten hatte.
Er blieb noch ein paar Tage in Samaria, unschlüssig, was er tun
sollte. Die Heilung, die er suchte, hatte er nicht gefunden-den.
Aber er konnte doch auch nicht einfach unverrichteter Dinge wieder
nach Hause ziehen. Während er darüber nachdachte, ließ ihn der König
noch einmal zu sich rufen. „Es hat sich inzwischen her-rumgesprochen,
weshalb du hier bist“, sagte er. „Auch ein Gottesmann, der hier
in der Nähe wohnt, hat davon gehört. Er heißt Elischa. Der hat mir
sagen lassen, ich soll dich zu ihm schicken, damit du merkst, dass
ein Prophet in Israel ist.“ – „Ein Prophet“, dachte Naaman. „Auch
das israelitische Mädchen hat doch von einem Propheten gesprochen.
Vielleicht kann er ja tatsächlich was. Ich werd mal zu ihm gehen.
Schaden kann’s nicht!“

So machte er sich
auf den Weg zum Haus des Propheten Elischa. Um Eindruck zu machen,
nahm er sein ganzes Gefolge mit. Zu ihm hinein zu gehen war natürlich
unter seiner Würde. Er blieb vor der Tür auf seinem Wagen und wartete,
bis der Prophet sich zu ihm hinaus begeben würde, um ihn angemessen
zu begrüßen. Aber statt des Propheten selbst kam nur ein Bote, und
der überbrachte eine seltsame Nachricht: Geh hin und wasche dich
sieben Mal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil, und
du wirst rein werden.

„Wie bitte“, sagte
Naaman und merkte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg. „Das
ist doch wohl eine Unverschämtheit! Das soll ein Gottesmann sein?
Da hab ich in Damaskus aber schon ganz andere gesehen. Die sind
zu dem Kranken hingegangen, haben inbrünstig die Augen verdreht,
salbungsvoll ihren Gott angerufen, theatralisch mit den Händen gewedelt,
und dann war der Kranke geheilt. So was in der Art habe ich hier
auch erwartet. Statt dessen soll ich mich im Jordan waschen – in
dieser trüben stinkenden Brühe! Dann hätte ich auch in Damaskus
in einen Fluss springen können! Da ist wenigstens das Wasser sauber.
Aber das ist mal wieder typisch Israel! Die reden nur immer von
ihrem Gott, aber man bekommt einfach nichts, was man sehen oder
anfassen könnte! Worte, Worte, immer nur Worte! Das ist wirklich
die mieseste Religion, die ich je kennen gelernt habe.“ Sprach’s,
wendete seinen Wagen und sprengte davon, Richtung Damaskus. Sein
Gefolge hatte Mühe, ihm zu folgen.

Als sie Naaman
dann doch wieder einholten, war seine Wut etwas abgeklungen. Deshalb
wagte einer seiner Diener ihn anzusprechen. „Herr“, sagte er, „wenn
dir der Prophet etwas Großes geboten hätte – langes Fasten zum Beispiel,
ein Brandopfer mit hundert Stieren oder eine Millionenspende an
die Prophetengenossenschaft – dann hättest du es doch getan, oder?“
– „Ja, schon“, gab Naaman zu. „Ich würde alles tun, um gesund zu
werden. Aber im Jordan baden – das ist doch einfach lächerlich!“
Der Diener ließ nicht locker. „Du vergibst dir doch nichts, wenn
du es versuchst“, sagte er. „Es ist doch nur eine Kleinigkeit, und
der Jordan ist gar nicht weit weg!“ Da gab Naaman schließlich nach.
„Na gut, ich probier’s. Aber wehe dir, wenn es nicht funktioniert!“

Also bogen sie
bei der nächsten Gelegenheit rechts ab und ritten zum Jordan hinunter.
Und wie Elischa gesagt hatte, stieg Naaman in den Fluss und tauchte
sieben Mal unter. Als er nach dem siebten Mal wieder auftauchte,
war das Wunder geschehen: seine Haut war wieder glatt und rein wie
bei einem Baby. Naaman erkannte sofort, dass das nicht am Wasser
liegen konnte. Wie oft hatte er in allem möglichen gebadet, und
es hatte nichts geholfen! Nein, es war das Wort des Propheten gewesen,
das dieses Wunder bewirkt hatte – das schlichte Wort, das er zuerst
so verachtet und dann doch befolgt hatte. Was musste das für ein
Gott sein, dem dieser Prophet diente! Ein Wort nur von ihm, durch
einen Menschen gesprochen, und alles war anders geworden: Er war
wieder gesund, er konnte wieder am Leben teilnehmen, aber noch mehr:
Er war ein anderer Mensch als vor seinem Bad im Jordan. Er beschloss,
noch einmal zu Elischa zurückzukehren und ihm zu danken.

Diesmal stieg
er ab von seinem Wagen und ging durch die niedrige Tür zu Elischa
ins Haus. „Nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen, außer
in Israel. Deshalb sag mir, wie ich dir danken kann – du kannst
von mir verlangen, was du willst!“ Aber Elischa sagte: „So wahr
der HERR lebt, vor dem ich stehe, ich nehme nichts von dir. Ihm
sollst du danken, nicht mir.“ – „Das will ich auch tun“, sagte Naaman.
„Ich werde nie mehr anderen Göttern opfern, sondern allein dem HERRN.“
Deshalb bitte ich dich nun um eine Gabe: „Lass mich zwei Maultierladungen
Erde aus Israel mitnehmen, damit ich deinem Gott auf seinem eigenen
Land opfern und zu ihm beten kann. Und noch etwas bitte ich dich:
Du weißt, ich bin in Damaskus eine hochgestellte Persönlichkeit.
Es gehört zu meinen Pflichten, dass ich den König begleite, wenn
er in den Tempel Rimmons geht, um dort zu opfern. Der HERR möge
mir verzeihen, wenn ich das auch weiterhin tue!“ Naaman war gespannt,
wie Elischa auf diese Bitten reagieren würde. Würde er die Sache
mit der Erde nicht für finsteren Aber-glauben halten? Und musste
er das Zugeständnis an die syrische Staatsreligion nicht als faulen
Kompromiss verurteilen? Ihm wurde klar, dass er im Grunde noch kaum
etwas über den Gott Israels wusste. Er kannte weder seine Gebote
noch die Art und Weise, wie man ihn verehrte. Er wusste nur eins:
Auf das Wort dieses Gottes konnte man sich verlassen. Er hatte ihn
geheilt und dafür schuldete er ihm sein Leben.

Elischa sagte
zuerst gar nichts. Weder Belehrungen, noch Ermahnungen, noch Vorwürfe.
Er schaute Naaman nur lange in die Augen, und dann sagte er: „Zieh
hin mit Frieden!“ Mehr nicht. Naaman wusste zuerst nicht, was er
damit anfangen sollte. War das nun eine Zustimmung oder eine freundliche
Absage an seine Bitten? Er wartete, ob Elischa noch etwas sagen
würde. Aber es blieb dabei: „Zieh hin mit Frieden!“ Und schließlich
wurde Naaman klar, was diese Worte für ihn bedeuteten: Ja, er hatte
das gefunden, was die Israeliten Schalom nannten: Frieden mit einem
feindlichen Volk und ihrem Gott, Gesundheit für seinen Körper, Heil
für seine Seele, und das hieß letztlich: Frieden mit sich selbst.
Diesen Frieden, diesen Schalom würde ihm niemand mehr nehmen können.
Er würde mit Frieden im Herzen nach Damaskus zurückkehren. Und alles
weitere würde sich dort finden. Es würde sich schon zeigen, wie
er dem Gott Israels auf seine Weise dienen konnte – auch als Nicht-Israelit,
auch in einem fremden Land. Denn er hatte ja am eigenen Leib erfahren,
dass dieser Gott keinen Unterschied machte zwischen Freund und Feind,
zwischen „uns“ und „denen“. Jeder konnte bei ihm Frieden finden,
so wie er. Getrost und voller Freude machte er sich auf den Heimweg.

Amen.