Predigt vom 23.10.2011

 

GOTTESDIENST

FÜR DEN ACHTZEHNTEN SONNTAG NACH TRINITATIS

Pfr. Dr. Martin Klein
Wenschtkirche,
23.10. 2011
Text: Mk 10,17-22

Und als Jesus
sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder
und fragte ihn: „Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das
ewige Leben ererbe?“ Aber Jesus sprach zu ihm: „Was nennst du mich
gut? Niemand ist gut als Gott allein. Du kennst die Gebote: »Du
sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht
stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden
berauben; ehre Vater und Mutter.«“ Er aber sprach zu ihm: „Meister,
das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.“ Und Jesus sah
ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: „Eines fehlt dir.
Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst
du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!“ Er
aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er
hatte viele Güter.

Und Jesus sah
um sich und sprach zu seinen Jüngern: „Wie schwer werden die Reichen
in das Reich Gottes kommen!“ Die Jünger aber entsetzten sich über
seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen:
„Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter,
dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins
Reich Gottes komme.“ Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und
sprachen untereinander: „Wer kann dann selig werden?“ Jesus aber
sah sie an und sprach: „Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht
bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“

 

Nein, dieser Mann,
der da zu Jesus kommt, ist kein schlechter Mensch. Er hat niemanden
umgebracht, wohl noch nicht mal jemandem den Tod gewünscht. Er war
seiner Frau stets ein treuer Ehe-mann. Er ist wohlhabend, ja, aber
er hat sich nie auf Kosten anderer bereichert. Nie hat er seine
Mitmenschen verleumdet. Und seine Eltern hat er stets in Ehren gehalten
und im Alter für sie gesorgt, bis sie starben. Und wahrscheinlich
hat er auch die Gebote beachtet, die Jesus nicht zitiert: Er hat
sich immer zu dem einen Gott bekannt und es damit ernst gemeint,
keine Bilder angebetet, den Namen des HERRN nicht missbraucht und
den Ruhetag heilig gehalten. Ein durch und durch anständiger Israelit,
an dem kein Falsch ist. Und er weiß auch, dass Geld nicht alles
ist, dass er seinen Besitz nicht mitnehmen kann, wenn er einmal
sterben muss. Würde er Jesus sonst nach dem ewigen Leben fragen?

Wenn dieser reiche
Mann evangelisch wäre und heute bei uns in Geisweid wohnen würde,
wäre er bestimmt ein hoch angesehenes Mitglied unserer Kirchengemeinde.
Er ginge regelmäßig zum Gottesdienst, würde immer reichlich spenden,
säße vielleicht im Presbyterium. Und sollte er eines Tages sterben,
würden wir seiner bestimmt ehrenvoll gedenken und sagen, dass andere
Reiche sich an ihm ein Beispiel nehmen könnten.

Auch Jesus sagt
über den reichen Mann kein einziges schlechtes Wort und macht ihm
keine Vorhaltungen. Im Gegenteil: er gewinnt ihn lieb, heißt es,
und gemeint ist wahrscheinlich, dass er ihn sogar umarmt oder küsst.
Er hätte ihn gern im Kreis seiner Jünger, die ihm nachfolgen. –
Aber warum um alles in der Welt verbaut er ihm dann dermaßen den
Weg? Warum besteht er auf der einen Forderung, die der Reiche nicht
zu erfüllen bereit ist?

„Eines fehlt dir:
Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst
du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!“ –
Musste das denn wirklich sein? Die reichen Frauen, die Jesus nach
Lukas finanziell unterstützt haben, durften ihren Besitz doch auch
behalten. Und beim Zöllner Zachäus ist Jesus offenbar damit zufrieden,
dass der nur die Hälfte seines Vermögens den Armen gibt. Die Christenheit
wäre früh am Ende gewesen, wenn alle, die zum Glauben kamen, sämtlichen
Besitz verkauft hätten. Denn wer hätte dem Paulus dann seine Reisen
bezahlt? Wer hätte noch ein Haus zur Verfügung stellen können, in
dem die Gemeinde sich treffen konnte? Wer hätte den Armen der nächsten
Generation noch etwas Gutes tun können? Und das setzt sich fort
bis zum heutigen Tag. Stellen Sie sich vor, die Vermögenden unserer
Gemeinde würden ihren Grundbesitz verkaufen, ihre Aktiendepots auflösen
und den ganzen Gewinn an „Brot für die Welt“ spenden – wer würde
uns dann noch ein „freiwilliges Kirchgeld“ zahlen oder das neue
Gemeindezentrum finanzieren helfen?

Also: Was fangen
wir mit dieser Geschichte an? War Jesus eben doch ein weltfremder
Revoluzzer, so ein „Occupy-Wall-Street“-Typ – vielleicht ganz sympathisch,
aber nicht wirklich ernst zu nehmen? Oder hat seine Antwort einen
Sinn, der auch uns heute weiterbringen könnte?

Ich glaube, dazu
müssen wir noch mal genauer hinschauen. Und da fällt erst einmal
die Frage auf, die der Reiche Jesus stellt: „Guter Meister, was
soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ Ein frommer Jude
hätte sich über diese Frage gewundert. Wieso muss der noch nach
dem ewigen Leben fragen, wenn er doch auf vorbildliche Weise die
Gebote Gottes beachtet? Jeder Rabbi hätte dem Reichen auf seine
Frage geantwortet: „Halte dich an die Tora, an Gottes gute Weisung
für sein Volk, und du hast das ewige Leben. Mehr verlangt Gott nicht
von dir.“ Aber diese Antwort scheint dem Reichen nicht zu genügen.
Er muss wohl spüren, dass ihn trotz seines tadellosen Lebenswandels
irgendetwas von Gott trennt, dass seine Beachtung der Gebote eben
doch nicht automatisch zum ewigen Leben führt. Deshalb fragt er
Jesus. Er nennt ihn nicht nur „Meister“, Rabbi, sondern „guter Meister“,
und das ist eine ungewöhnliche Anrede. Er erwartet, dass Jesus zu
diesem Thema mehr und anderes zu sagen hat als der durchschnittliche
Toragelehrte.

Deshalb muss ihn
die erste Antwort Jesu enttäuscht haben. Denn der weist die Anrede
„guter Meister“ zurück. Er hat keinen Sonderweg zum ewigen Leben
zu bieten, sondern nur den Verweis auf Gott, den einzig Guten, und
seine Gebote. Jeder Rabbi in Israel hätte genau das Gleiche gesagt.

„Das habe ich
alles gehalten von Jugend auf“, sagt der Reiche. Jeder andere wäre
wahrscheinlich stolz darauf. Wer von uns könnte das schon im Brustton
der Überzeugung von sich sagen? Aber so wie der Reiche das sagt,
klingt es wie: „Das habe ich alles gehalten, aber ich habe das Gefühl,
es reicht nicht.“

Und jetzt gibt
Jesus ihm recht. „Ja, in der Tat“, sagt er, „eins fehlt dir. Und
deine Frage nach dem ewigen Leben zeigt mir, dass du es eigentlich
weißt, aber es dir nicht eingestehen willst: Dein Reichtum steht
dir im Weg. Er steht dir im Weg bei der Erfüllung des ersten und
wichtigsten aller Gebote, nämlich dich nur an den einen Gott, den
Gott Israels, zu halten und keine anderen Götter neben ihm zu haben.
Dein Herz ist nicht ungeteilt bei deinem Gott, sondern es hängt
mindestens genauso sehr an deinem Besitz. Mag sein – obwohl es sehr,
sehr schwer ist – , dass andere Reiche das schaffen: Gott von ganzem
Herzen, von ganzer Seele und mit allen Kräften zu lieben und ihren
Besitz als Leihgabe Gottes zu betrachten, die ihnen nicht gehört,
sondern nur zu treuen Händen überlassen ist. Aber du schaffst es
jedenfalls nicht. Du lässt dich gefangen nehmen von dem, was du
hast und bist, und deshalb verbaut dir dein Besitz den Weg zum ewigen
Leben. Also lass ihn los! Verkaufe deine irdischen Schätze und erwirb
dir dafür einen Schatz im Himmel! Und dann komm und folge mir! Nur
so wirst du frei werden und Gott ungeteilt dienen können.“

Ich denke, dass
auch diese Antwort Jesu den Reichen nicht überrascht hat. Im Stillen
wusste er sicher, dass genau das kommen würde. Es ging ihm so wie
dem Dicken, der seinen Arzt fragt, ob er ihm nicht ein paar Wunderpillen
zum Abnehmen verschreiben kann, aber im Grunde schon ahnt, was der
ihm empfehlen wird, nämlich strikte Diät und viel Bewegung. Und
so geht er traurig weg. Er schafft es nicht, seinen Besitz loszulassen,
und bestätigt damit, woran sein Herz am Ende wirklich hängt.

Immer wieder im
Lauf der Kirchengeschichte gab es Menschen, die das lasen und spürten:
damit bin ich gemeint. Mir geht es ganz genauso wie diesem armen
reichen Mann. Ich bin reich, aber ich habe keinen Schatz im Himmel.
Und einige von ihnen haben geschafft, was er nicht konnte: Sie haben
alles verkauft und den Armen gegeben und anschließend selber ein
Leben in Armut, aber im Einklang mit Gott geführt. Der heilige Antonius
gehörte dazu, der im 3. Jahr-hundert nach Christus das erste Kloster
gründete und später Einsiedler wurde. Und Franz von Assisi gehörte
dazu. Auch er wurde Mönch und fand dabei viele Weggefährten. Beide
haben nie bereut, was sie taten und zu ihrer Zeit viel zur Erneuerung
der Kirche und des Glaubens beigetragen. Aber auch das war nicht
immer so. Martin Luther ging ebenfalls diesen Weg, aber aus Angst,
nicht aus freien Stücken, bis er herausfand, dass es jedenfalls
für ihn der falsche Weg war.

Und so möge auch
jeder von uns sich heute selber prüfen: Bin ich gemeint mit dem,
was Jesus sagt? Steht auch mir etwas im Weg, wenn ich mit Gott leben
und Jesus nachfolgen will? Woran klebe ich fest und kann es nicht
loslassen? Am Geld? An Macht und Einfluss? An einer Sucht, die meine
Gesundheit ruiniert? An dem, was früher mal gut und richtig war,
aber es vielleicht nicht mehr ist? Oder kann ich guten Gewissens
sagen: Nein, mein Herz hängt nicht an vergänglichen Dingen; ich
freue mich an ihnen und danke Gott für das, was er mir schenkt,
aber ich kann es auch leichten Herzens abgeben, wenn es an der Zeit
ist?

Ich sag’s Ihnen
gleich: So ganz leichten Herzens könnte ich nicht alles aufgeben.
Es sind vor allem Menschen, aber eben doch auch Dinge, an denen
mein Herz hängt, wenn auch hoffentlich nicht ganz und gar. Insofern
bin ich auch eins von den Kamelen, die nun mal nicht durch ein Nadelöhr
passen. Und insofern könnte ich in die entsetzte Frage der Jünger
einstimmen: „Wenn das so ist, wenn Reichtum und Reich Gottes sich
so sehr gegenseitig ausschließen, wer kann dann selig werden?“ Wo
doch selbst das Herz der Armen oft am Reichtum hängt, nämlich an
dem Reichtum, den sie nicht haben!

Es bleibt mir
also nur, mich auf die letzten Worte Jesu zu berufen – nicht als
faule Ausrede, wohl aber als Trost: „Bei den Menschen ist’s unmöglich,
aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“ Nur
er kann das Bild vom Kamel und vom Nadelöhr so verändern, wie manche
Ausleger es vergebens versucht haben: Dass aus dem „Kamel“ ein dickes
Tau wird, von dem vielleicht wenigstens eine dünne Faser durch das
Nadelöhr passt, oder dass mit dem „Nadelöhr“ eine kleine Tür in
der Stadtmauer gemeint ist, durch die man mit viel Drücken und Schieben,
Ducken und Baucheinziehen das Kamel ohne Gepäck gerade noch so durchgequetscht
kriegt. Wenn ich so, ohne alles und mit knapper Not, doch noch das
ewige Leben erlange, dann will ich Gott danken und zufrieden sein.

Amen.