Predigt vom 24.7.2011

 

GOTTESDIENST FÜR DEN FÜNFTEN
SONNTAG NACH TRINITATIS

Pfr. Dr. Martin Klein
Hamme,
Paul-Schneider-Haus, 4.7. 1999
Schüren, 19./26.6 2005
Tal-
und Wenschtkirche, 24.7. 2011

Text: Joh 1,35-42

Der Predigttext
veranlasst mich, heute mit folgender Frage zu beginnen: Wie wird,
wie bleibt man eigentlich eine einladende Gemeinde? Ich setze dabei
einfach mal voraus, dass die Evangelisch-Reformierte Kirchengemeinde
Klafeld eine einladende Gemeinde sein will – wie, na, sagen wir,
fast alle anderen Gemeinden auch. Und ich hebe auch gern hervor,
dass wir auf diesem Gebiet nicht die Schlechtesten sind. Viele empfinden
zum Beispiel die „Guten-Abend-Kirche“ als einladendes Angebot und
nehmen es auch wahr, andere kommen über die Kindergärten oder über
die Konfirmandenarbeit zu uns. Und ich könnte eine ganze Reihe Menschen
aufzählen, die gerade in den letzten Jahren näheren Kontakt zu unserer
Gemeinde gefunden haben, sich bei uns wohl fühlen und dann auch
an der einen oder anderen Stelle mitarbeiten – im Konfi-Team zum
Beispiel oder beim „Grünen Hahn“. Das ist gut so. Aber es funktioniert
nicht immer. Beim Ökumenischen Kinderfest zum Beispiel herrscht
immer wieder Hochbetrieb im und ums Gemeindezentrum Wenscht. Aber
nur ein Bruchteil der Leute kommt morgens schon zum Gottesdienst.
76 Konfis langweilen sich zurzeit mehr oder weniger regelmäßig in
unseren Gottesdiensten, und nach den Ferien kommen noch mal so viele
neue dazu. Aber wenn wir ihnen anbieten, einen Jugendgottesdienst
ganz nach ihren Wünschen vorzubereiten und zu feiern, findet sich
kaum einer, der mitmacht. Da ertappe ich mich schon mal bei dem
Gedanken, ob ich die Leute eigentlich immer erst mit irgendetwas
ködern muss – mit Spiel und Spaß, mit Kaffee und Kuchen oder auch
nur mit einer Unterschrift auf dem Konfi-Pass, damit sie dafür in
Kauf nehmen, mit der Bibel und den wesentlichen Inhalten unseres
Glaubens konfrontiert zu werden. Ich weiß, dass ich mit diesem Gedanken
wahrscheinlich vielen Leuten, auch vielen Jugendlichen Unrecht tue.
Und so ohne Weiteres lässt sich das „Eigentliche“ auch nicht vom
„Uneigentlichen“ trennen. Aber trotzdem: Die Frage ist da, und vielleicht
ja nicht nur bei mir. Deshalb möchte ich das mit der einladenden
Gemeinde noch etwas genauer klären und drei Fragen stellen:

  1. Wozu laden
    wir eigentlich ein?
  2. Wer lädt
    wen ein?
  3. Was haben
    wir den Eingeladenen zu bieten?

Wenn wir diese
Fragen beantworten können, sind wir, glaube ich, ein gutes Stück
weiter. Und der heutige Predigttext kann uns dabei einige Hilfestellung
bieten. Er steht in Johannes 1 und lautet folgendermaßen:

 

Am nächsten
Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er
Jesus vorübergehen sah, sprach er: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“
Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach.

Jesus aber
wandte sich um und sah sie nachfolgen, und sprach zu ihnen: „Was
sucht ihr?“ Sie aber sprachen zu ihm: „Rabbi, wo ist deine Herberge?“
Er sprach zu ihnen: „Kommt und seht!“ Sie kamen und sahen’s und
blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde.

Einer von den
zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nach-gefolgt waren,
war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen
Bruder Simon und spricht zu ihm: „Wir haben den Messias gefunden.“
Und er führte ihn zu Jesus.

Als Jesus ihn
sah, sprach er: „Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst
Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.“

 

So weit der Text.
Und nun noch einmal die erste er drei Fragen: Wozu laden wir
eigentlich ein?

Ist doch klar,
könnte man denken. Wir wollen, dass mehr Menschen einen Platz in
unsere Gemeinde finden. Also sollten wir sie zu uns einladen: Zum
Gottesdienst zuallererst. Aber auch zur Frauenhilfe, zum Teen-Treff,
zum Kirchenchor, zu Gemeindefesten und so weiter. Das ist ja auch
alles richtig. Aber wir sollten dabei eins nicht vergessen: Für
den, der eingeladen wird, unterscheidet sich unsere Einladung erst
einmal nicht grundlegend von einer Einladung zum Seniorenclub der
AWO oder zum Grillfest des Kleingartenvereins. Ob er sie annimmt
oder nicht, ist für ihn letztlich egal. Echte Bedeutung bekommen
unsere Einladungen nur, wenn hinter ihnen die große Einladung steht,
die alle anderen umfasst und übertrifft: Die Einladung zu Jesus
Christus. Im Predigttext wird das ganz deutlich: Johannes der Täufer
zeigt auf Jesus und sagt zu seinen Jüngern: „Siehe, das ist Gottes
Lamm!“ Und Andreas sagt zu Simon: „Wir haben den Messias gefunden.“
Und dann bringt er ihn zu Jesus.

Mit dieser Einladung
tun wir uns heute oft schwer, sogar im frommen Siegerland, und das
obwohl wir uns doch in jedem Gottesdienst zum Glauben an Jesus Christus
bekennen. Und das Problem besteht nicht nur darin, dass wir ihn
nicht leibhaftig vor Augen haben wie die Menschen damals. Wir wissen
auch sonst wenig darüber, wo man denn die Gegenwart Jesu Christi
heute erfahren kann, wo etwas da-von zu spüren ist, dass Gott tatsächlich
Mensch geworden ist. Deshalb wäre es wirklich zu billig, wenn wir
einfach sagen würden: „Komm zu Jesus, und alles wird gut!“ Dann
müssten wir uns die Rückfrage gefallen lassen: „Wo ist er denn,
dieser Jesus? Und wenn du mir das nicht sagen kannst, wieso behauptest
du dann, dass bei ihm alles gut wird?“ So wie die Dinge stehen,
müssten wir also erst einmal selber das tun, was die beiden Johannes-Jünger
tun, als sie Jesus treffen. „Meister“, fragen sie ihn, „wo ist deine
Herberge?“ Ich übertrage das für uns einmal so: „Wo bist du zu Hause,
Jesus? Wo können wir dich finden? Wo können wir dir begegnen?“ Und
Jesus antwortet ihnen und uns: „Kommt und seht!“ Letztlich sind
es also gar nicht wir, die einladen. Jesus selbst lädt uns zu sich
ein. „Kommt und seht“ – für uns könnte diese Einladung vielleicht
so lauten: „Beschäftigt euch mit der Bibel. Da schreiben Menschen,
die meine Nähe erfahren haben, und durch ihre Worte hindurch will
ich euch begegnen.“ Oder: „Kommt zur Ruhe im Gebet. Werdet still
und lasst mich auf euch wirken, dann könnt ihr spüren, dass ich
da bin.“ Oder: „Kommt zum Abendmahl! Schmeckt und seht, wie freundlich
der Herr ist. So gewiss, wie ihr das Brot esst und den Wein trinkt,
so gewiss bin ich mit meiner Liebe für euch da.“ Erst wenn wir uns
so haben einladen lassen, erst wenn wir selber gekommen sind und
gesehen haben, können wir andere einladen.

Nun zur zweiten
Frage: Wer lädt wen ein?

Eigentlich ist
das nach dem Gesagten schon klar. Wenn es wichtig ist, dass wir
das weitergeben, was wir selber erfahren haben, dann reicht es nicht,
den Gemeindebrief zu verteilen oder für besondere Aktionen Plakate
aufzuhängen und Handzettel zu drucken. Und es würde auch nicht reichen,
wenn wir einen Marketing-Experten mit einer tollen (und teuren)
Werbekampagne beauftragen würden. Das alles hilft gar nichts, wenn
wir nicht persönlich für das einstehen, wovon wir überzeugt sind
– wir Pfarrerinnen und Pfarrer zuerst, aber alle anderen Christenmenschen
auch. Das Christentum wäre nie eine Weltreligion geworden, wenn
es nicht immer wieder Menschen gegeben hätte, die von Jesus und
seiner Sache begeistert waren und auch andere dafür begeistern konnten.
Diese Begeisterung kann man natürlich nicht hervorzaubern. Aber
ich vertraue darauf: Wenn Jesus Christus uns begegnet in der Bibel,
im Gebet, im Gottesdienst, dann springt der Funke des heiligen Geistes
auf uns über und begeistert uns im wörtlichen Sinne. Und auch ein
kleiner Funke kann helle Flammen entfachen.

Tja, und wen laden
wir ein? Die Menschen in unserem Predigttext wenden sich schlicht
an ihre nächste Umgebung: Johannes an seine engsten Anhänger, Andreas
an seinen Bruder Simon, die beiden später an Philippus, der aus
dem gleichen Dorf kommt wie sie, und Philippus schließlich an seinen
Freund Nathanael. Wir müssen also nicht gleich in ferne Länder ziehen,
um Menschen unseren Glauben weiterzugeben. Wir können in unseren
Familien anfangen: bei unseren Kindern und Enkeln, in unserem Freundeskreis
oder in unserer Nachbarschaft. Wenn auch nur einige von ihnen sich
einladen lassen, ist schon viel gewonnen.

Und schließlich
noch die dritte Frage: Was haben wir den Eingeladenen zu bieten?

An dieser Frage
könnte man verzweifeln. Denn verglichen mit den Dingen, die heutzutage
„in“ sind, haben wir anscheinend nicht viel zu bieten. Kirche ist
bei aller Liebe in der Regel weder so mitreißend wie ein Rock-Konzert
oder ein Bundesligaspiel, noch so entspannend wie ein Wellness-Wochenende,
noch so geheimnisvoll wie ein esoterischer Zirkel. Ausnahmen – wie
der Kirchentag alle zwei Jahre oder auch manche gelungene Aktion
in unserer Gemeinde – bestätigen die Regel. Natürlich sollten wir
uns fragen, ob das so sein muss. Ob bei uns nicht immer noch vieles
zu nüchtern und bürokratisch ist, zu trocken und kopflastig, zu
altbacken und langweilig, zu gut gemeint und schlecht gemacht. Und
es ist ja nicht so, als ob es nicht tausend Ideen gäbe, was man
anders und besser machen könnte. Trotzdem bleibt es dabei: in punkto
Unterhaltsamkeit und Erlebniswert werden wir in unserer schnelllebigen
Mediengesellschaft nie mithalten können. Das können Gottschalk,
Kerkeling und Co. einfach besser. Aber dafür werden wir auch nicht
gebraucht. Das, was wir zu bieten haben, ist etwas völlig anderes
und unendlich wertvolleres. Wir haben den zu bieten, den Johannes
„Gottes Lamm“ und Andreas „den Messias“ nennt. Wir haben den zu
bieten, der alles wegträgt, was uns von Gott trennt, den, der Gottes
neue Welt wirklich werden lässt. Bei ihm ist erfülltes Leben finden
statt einer Fülle von Erlebnissen. Ruhe statt Reizüberflutung. Fester
Halt statt ständig wechselnde Moden und Launen. Menschen, die füreinander
da sind, statt aneinander vorbei zu leben. Die Freude an diesem
Herrn ist unsere Kraft. Da liegen unsere Stärken. Da haben wir mehr
zu bieten als irgendjemand sonst – einschließlich der weltanschaulichen
Konkurrenz. Oder wo gibt es sonst noch einen Gott wie unseren Gott,
der sich nicht zu schade ist, sich selbst für seine Menschen aufzuopfern?
Wir haben also überhaupt keinen Grund, unser Licht unter den Scheffel
zu stellen. Und wir müssen mit unserer Einladung nicht hinterm Berg
halten: „Kommt und seht: Wir haben den gefunden, der uns das Leben
schenkt!“ Was für ein Angebot! Wenn diese Einladung ankommt, müsste
dann nicht eigentlich jede Kirche jeden Sonntag bis auf den letzten
Platz gefüllt sein? Man wird ja wohl noch fragen dürfen – und vielleicht
ein bisschen träumen.

Amen.