Predigt vom 3.4.2011

 

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
LAETARE

Pfr. Dr. Martin Klein
Wenschtkirche,
3.4. 2011
Text: Joh 6,51-58

 

Jesus sprach
zu ihnen: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist.
Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses
Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.“

Da stritten
die Juden untereinander und sagten: „Wie kann der uns sein Fleisch
zu essen geben?“ Jesus sprach zu ihnen: „Wahrlich, wahrlich, ich
sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und
sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch
isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde
ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre
Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst
und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich
der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen,
so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. Dies ist das
Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern,
die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird
leben in Ewigkeit.“

„Das ist eine
harte Rede; wer kann sie hören?“ So reagieren die Jünger auf diese
Worte Jesu. Und es kommt zu einer Spaltung unter ihnen: Viele verlassen
Jesus, nur wenige bleiben da.

Ich kann sie gut
verstehen. Denn auch mir gehen diese Verse ziemlich quer runter.
Jesu Fleisch essen (wörtlich heißt es sogar: „zerkauen“)? Sein Blut
trinken? Ja, sind wir denn Kannibalen oder Vampire? Bei solchen
Sprüchen ist es kein Wunder, dass sich bei Römern und Griechen bald
das Gerücht verbreitete, die Christen würden bei ihrem Abendmahl
kleine Kinder schlachten und verspeisen. Das war natürlich ein entsetzliches
Missverständnis, und selbstverständlich sind Jesu Worte nicht wörtlich
zu nehmen. Aber es gibt eben Bilder und Vergleiche, die sind einfach
daneben, weil sie Gedankenverbindungen auslösen, die an der Sache
vorbeigehen und zu Missverständnissen geradezu einladen. Dieser
Abschnitt aus dem Johannesevangelium ist in der Hinsicht mindestens
grenzwertig.

Manche Ausleger
haben deshalb versucht, ihn elegant loszuwerden. Als Aussage des
irdischen Jesus kann er ohnehin nicht gelten. Wie alle Jesus-Reden
bei Johannes ist auch die so genannte „Brotrede“ in Joh 6 vom Evangelisten
formuliert. Was er Jesus sagen lässt, das ist geprägt von dem, was
er und seine Gemeinde von Jesus glauben: dass er nämlich der Christus,
der Sohn des lebendigen Gottes ist. Und so ist es auch hier. Aber
die besagten Ausleger gehen noch darüber hinaus. Sie meinen, dass
dieser spezielle Abschnitt auch nicht vom Evangelisten stammt, sondern
erst später angefügt wurde. Eine so genannte „kirchliche Redaktion“
habe mit dieser und anderen Erweiterungen das recht eigensinnige
Evangelium an den kirchlichen „Mainstream“ anpassen wollen. An dieser
Stelle habe man zum Stichwort „Brot des Lebens“ vor allem Aussagen
über das Abendmahl vermisst und sie deshalb ergänzt. Und die Verfasser
dieser Ergänzung hätten in punkto Abendmahl ganz handfest-real gedacht:
Für sie verwandeln sich Brot und Wein beim Abendmahl tatsächlich
und leibhaftig in Fleisch und Blut Christi. So dienen sie dann allen,
die davon gläubig essen und trinken, als Heilmittel für die Seele,
das Unsterblichkeit verleiht. Dieses Abendmahlsverständnis, das
wir zuerst beim Kirchenvater Ignatius von Antiochien um 100 nach
Christus finden, ist für die katholische Kirche sehr prägend geworden.
Die Reformatoren dagegen haben es abgelehnt. Sollte es an dieser
Stelle nachträglich ins Johannesevangelium eingefügt sein, könnten
wir Evangelischen es also getrost ad acta legen.

Aber dass es sich
so verhält, ist keineswegs sicher. Gut möglich, dass die Zuspitzung
auf das Abendmahl vom Evangelisten selber stammt. Dann wollte er
uns sagen: Jesus ist das Brot des Lebens, das heißt, nur in ihm
können wir zu Gott und zum wahren, ewigen Leben finden, und konkret
erfahrbar wird das durch das Brot und den Wein des Abendmahls.

Wenn es so ist
– und ich glaube, es ist so –, dann müssen wir uns freilich noch
mal Gedanken machen: Wie ist das denn nun beim Abendmahl? Christus
lädt uns ein an seinen Tisch, sagen wir gern. Er ist mitten unter
uns, wenn wir Abendmahl feiern, sagen wir auch. Und irgendwas muss
das mit dem Brot und dem Wein zu tun haben. Denn sonst könnte Christus
ja auch so mitten unter uns sein. Schließlich hat er uns das schon
für den Fall versprochen, dass zwei oder drei sich in seinem Namen
versammeln. Aber was genau verbindet Brot und Wein mit Jesus? Was
haben sie mit seinem Leib oder gar Fleisch und seinem Blut zu tun?
Oder bleibt es jedem selber überlassen, sich da irgendetwas vorzustellen?

Bekanntlich haben
auch evangelische Christen sich darüber lange und heftig gestritten.
Brot und Wein sind beim Abendmahl wirklich Leib und Blut Christi,
hat Martin Luther gesagt. Schließlich hat Jesus doch gesagt: „Nehmt
und esst, das ist mein Leib.“ Brot und Wein sind nur Zeichen, hat
Ulrich Zwingli entgegnet. Sie bedeuten, dass Christus wirklich und
leibhaftig für uns gestorben ist. Aber jetzt sitzt er samt seinem
verklärten Leib zur Rechten Gottes – wie soll dieser Leib dann gleichzeitig
auf Erden in einem Stück Brot zu finden sein? Darüber haben sich
die beiden heftigst entzweit, anno 1529 in Marburg. Und so kam es,
dass die Reformation in ein lutherisches und ein reformiertes Lager
zerfiel. Zeitweise haben die sich gegenseitig heftiger bekriegt
als Protestanten und Katholiken.

Gott sei Dank
ist das vorbei. Denn im Laufe des vergangenen Jahrhunderts hat sich
herausgestellt, dass es im Neuen Testament diesen Gegensatz von
„ist“ und „bedeutet“ gar nicht gibt. Der kam eher dadurch zustande,
dass Luther und Zwingli aus verschiedenen Denktraditionen des Mittelalters
stammten. Also konnten sich die reformierten und lutherischen Kirchen
Europas 1973 auf dem Leuenberg bei Basel darauf einigen, dass ihr
unterschiedliches Abendmahlsverständnis sie nicht mehr trennt. Seitdem
können sie uneingeschränkt gemeinsam Abendmahl feiern. „Im Abendmahl
schenkt sich der auferstandene Christus in seinem für alle dahingegebenen
Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.“ So
lautet die Formel auf die man sich verständigt hat. Wie Christus
nun genau „mit Brot und Wein“ gegenwärtig ist, das hat man damals
bewusst offen gelassen. Ja man hat sogar gesagt, dass die Gefahr
besteht, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln, wenn man es zu genau
wissen will.

Wenn wir in unseren
Predigttext schauen und vom „Fleisch essen“ und „Blut trinken“ lesen,
mag uns das zu schwammig vorkommen. Aber es ist natürlich richtig:
Immer wenn jemand festlegen wollte: „So ist es, und nicht anders“,
hat dies die Spaltung unter Christen vertieft. Und weil die katholische
Kirche da bis heute sehr festgelegt ist, gibt es ihrerseits eben
keine Abendmahlsgemeinschaft mit uns Evangelischen. Auch ich werde
mich also hüten, Sie heute morgen in dieser Hinsicht auf irgendetwas
festzulegen. Zwar klingt unser Predigttext da sehr genau und konkret,
aber er ist eben innerhalb des Neuen Testaments auch nur eine von
vielen Stimmen. Immerhin macht er mir Mut, Ihnen konkret zu sagen,
wie ich persönlich über die Art der Gegenwart Christi beim Abendmahl
denke. Und Sie mögen dann selber überlegen und beurteilen, was Sie
für sich damit anfangen können.

Ich glaube, dass
auch beim Abendmahl Brot und Wein nichts anderes sind als Brot und
Wein – oder Traubensaft. Deshalb ist es für mich kein Unglück, wenn
mal ein Stück Abendmahlsbrot versehentlich auf den Boden fällt oder
ein Schluck Wein verschüttet wird. Dem Leib Christi und dem neuen
Bund in seinem Blut fügt das keinerlei Schaden zu. Und wenn ich
verbliebene Reste hinterher nicht gern wegwerfe, dann deshalb, weil
ich das bei Lebensmitteln sowieso zu vermeiden versuche, nicht deshalb,
weil die Abendmahlsreste irgendwie besonders heilig wären. Für mich
sind Brot und Wein Symbole, aber solche, die wirklich etwas bedeuten
und die ich deshalb mit entsprechender Achtung behandle. Durch sie
erfahre ich, welchen Sinn das Leiden und Sterben Jesu für mich haben,
und das nicht nur mit dem Verstand, sondern mit allen Sinnen: ich
höre die Einsetzungsworte, ich sehe und berühre das Brot und den
Kelch, ich rieche und schmecke das Brot und den Wein. Und damit
„schmecke und sehe ich, wie freundlich der Herr ist“. Schade finde
ich es deshalb, dass bei unseren üblichen Abendmahlsfeiern die sinnlichen
Eindrücke auf ein Minimum reduziert sind. Hier im reformierten Siegerland
gibt es ja immerhin richtiges Brot und nicht nur Oblaten, die nach
nichts schmecken und einem auch nichts zu kauen geben. Aber satt
macht so ein kleines Stück Brot natürlich auch nicht. Und trotz
all der guten Gründe, die für Traubensaft statt Wein sprechen: ein
guter Schluck Wein ist einfach ein intensiveres Erlebnis als ein
Schluck Saft. Wenn’s also nur nach mir ginge und ich auf niemanden
Rücksicht nehmen müsste, gäbe es beim Abendmahl richtiges Brot und
richtigen Wein – noch besser eine richtige Mahlzeit. Deshalb lade
ich herzlich ein zum Gottesdienst am Gründonnerstag, weil wir das
Abendmahl wenigstens da mal so feiern.

Und was schmecke
und sehe ich nun genau in, mit und unter Brot und Wein? Ich drücke
es immer noch gern mit den Worten des Heidelberger Katechismus aus:
So gewiss, wie ich das Brot breche und zerbeiße, so gewiss wurde
Christi Leib für mich am Kreuz zerschunden und gebrochen. Und so
gewiss ich den Wein aus dem Kelch in meinen Mund rinnen lasse und
trinke, so gewiss wurde Christi Blut für mich vergossen. Er ist
gestorben, um damit Gottes Liebe zu mir und allen Menschen ans Ziel
zu bringen. Er hat damit alles überwunden, was mich von ihm trennt
– selbst den Tod. Deshalb ist er auferstanden und lebt. Deshalb
dürfen wir mit ihm leben und sein – hier auf Erden und bis in Ewigkeit.
Deshalb ist er da, wenn wir Abendmahl feiern, und wir nehmen ihn
bei uns und in uns auf, so gewiss wie das Brot und den Wein. Und
deshalb schließt er uns mit sich zu einer Gemeinschaft zusammen,
so gewiss, wie wir alle am Brot und am Wein teilhaben. Und auch,
was uns untereinander trennt, wird dadurch überwunden. Mögen wir
daran denken, wenn wir das nächste Mal zum Abendmahl zusammen sind.

 Amen.