Predigt vom 27.03.2011

 

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
OKULI

Pfr. Dr. Martin Klein
Wenschtkirche,
27.3. 2011
Text: Mk 12,41-44

Und Jesus setzte
sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte
in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam
eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen
einen Pfennig. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen:
„Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten
gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle
etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut
ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“

Wenn bei uns im
Gottesdienst der Klingelbeutel herumgeht oder am Ausgang die Kollekte
gesammelt wird, dann geht es dabei sehr diskret zu. Alle legen rein,
so viel oder so wenig sie wollen, und die Presbyter, die das Geld
sammeln, schauen den Leuten freundlich ins Gesicht, aber nicht auf
die Finger.  Es soll ja hinterher nicht heißen: „Die Frau X
war aber heute wieder knickerig!“ oder: „Dass der Herr Y mit solchen
Scheinen um sich schmeißen kann!“ Und über restliches Urlaubskleingeld
oder Einkaufschips, die man beim Zählen schon mal findet, wird großzügig
hinweggesehen.

Jesus war da weniger
zurückhaltend. Er schaute den Spendern im Tempel von Jerusalem einfach
über die Schultern und dachte sich anscheinend gar nichts dabei.
Und er gab dazu auch noch Kommentare ab!

Ort des Geschehens
ist die Schatzkammer am inneren Vorhof des Tempels. Dort wurde alles
Geld und Gut gesammelt, das Juden aus aller Welt zum Unterhalt des
Tempeldienstes spendeten. Zu diesem Zweck standen dort dreizehn
Opferstöcke. Zwölf davon waren für das Sammeln der festen Tempelsteuer
bestimmt: ein Schekel pro Jahr und Familie. Und der dreizehnte war
für freiwillige Spenden da. An diesem Opferstock saß nun offenbar
Jesus und schaute zu. Das Geld floss reichlich. Denn bei denen,
die was hatten, gehörte es zum guten Ton, großzügig für den Tempel
zu spenden – erst recht zum Passahfest, wo viele Pilger in der Stadt
waren. Mitten zwischen diesen reichen Leuten erschien nun aber auch
eine arme Witwe und warf zwei Lepta in den Opferstock. Ein Lepton
– Scherflein heißt es bei Luther –, das war die Kupfermünze mit
dem niedrigsten Geldwert. 128 Lepta ergaben einen Denar, den üblichen
Tageslohn für einen Landarbeiter. Das „Scherflein der Witwe“ war
also fast die kleinste Gabe, die man überhaupt geben konnte. Trotzdem
war es die einzige von den vielen Spenden, die Jesus besonders bemerkenswert
fand: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle,
die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss
eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt,
alles, was sie zum Leben hatte.

Und so war es
auch. Allein stehende Witwen hatten damals wirklich nichts – es
gab für sie weder Rente noch Sozialhilfe. Sie waren selber auf die
Wohltätigkeit anderer angewiesen. Wenn eine solche Witwe das bisschen
Geld, das sie sich absparen konnte, in den Tempel brachte, dann
musste ihr der Gottesdienst, der dort geschah, wirklich sehr viel
wert sein.

Das, was Jesus
sagt, leuchtet uns unmittelbar ein. Natürlich bedeuteten für die
arme Frau ein paar Kupfermünzen mehr als ein Sack Goldstücke für
die reichen Männer, und natürlich ist ihre Gabe deshalb mehr wert
als alle anderen. Das scheint selbstverständlich zu sein, und es
ist auch nicht besonders originell. Ein jüdischer Rabbi oder ein
indischer Buddhist hätten das auch sagen können und haben es in
ähnlichen Geschichten auch ähnlich gesagt. Aber ist es wirklich
so selbstverständlich wie es klingt? Dieser Frage möchte noch ein
wenig nachgehen und erzähle dazu zwei Beispiele aus unserer Zeit.

Beispiel eins:
Bill Gates und Warren Buffett waren bis vor kurzem die beiden reichsten
Männer der Welt. Zusammen besitzen sie ein geschätztes Privatvermögen:
von 106 Milliarden US-Dollar. Seit Jahren stecken die beiden riesige
Summen in wohltätige Stiftungen. Und im vergangenen Jahr haben sie
gemeinsam die Superreichen der Erde aufgefordert, einen Großteil
ihres Vermögens für gute Zwecke zu spenden. „The Giving Pledge“
haben sie ihre Kampagne genannt: „Das Versprechen zum Abgeben“.
Vierzig US-Milliardäre haben schon ihre Beteiligung zugesagt.

Beispiel zwei:
In meiner früheren Gemeinde in Dortmund, gab es eine Frau, mit der
ich zweimal im Jahr ein Krankenabendmahl gefeiert habe: um die sechzig,
geschieden, aufgrund eines Schlaganfalls halbseitig gelähmt und
deshalb seit vielen Jahren Frührentnerin, wahrlich nicht mit Reichtümern
gesegnet. Das Geld reichte gerade mal für die Miete, das Essen und
was man sonst noch so zum Leben braucht, aber z.B. kaum noch für
die Zuzahlungen bei Ärzten und Medikamenten. Trotzdem bekam ich
jedes Mal, wenn ich bei ihr war, einen Umschlag mit 25 € für „Brot
für die Welt“ zugesteckt.

Nehmen wir mal
an, Jesus hätte die beiden bei ihrem Tun beobachtet, so wie die
Spender damals im Tempel von Jerusalem: Bill Gates oder Warren Buffett
mit ihren Milliarden und die Dortmunder Frührentnerin mit ihren
25 Euro. Und nehmen wir mal an, er würde das, was er da sieht, auch
so ähnlich kommentieren: „Wahrlich, ich sage euch: Diese Rentnerin
aus Dortmund hat mehr gespendet als die Milliardäre aus Amerika.
Denn sie haben etwas von ihrem Überfluss gegeben; sie aber hat von
dem wenigen, das sie hat, alles gegeben, was sie entbehren konnte.“
Hätte er recht damit?

Wahrscheinlich
würden Sie, die hier heute morgen sitzen, sagen: Ja, er hat recht.
Denn vermutlich fühlen Sie sich von Ihrer Lebenssituation her der
armen Rentnerin näher als den reichen Männern, auch wenn es Ihnen
finanziell deutlich besser geht. Und ich bin geneigt, Ihnen recht
zu geben.

Aber ich könnte
auch verstehen, wenn Bill Gates und Warren Buffett oder andere Reiche,
die viel spenden, jetzt protestieren würden. „Okay“, könnten sie
sagen, „es tut uns nicht besonders weh, auf ein paar Tausender oder
auch ein paar Millionen oder Milliarden zu verzichten. Aber immerhin:
wir tun es. Wir fühlen uns durch unseren Reichtum dazu verpflichtet,
unseren Teil zum Gemeinwohl beizutragen – im Gegensatz zu vielen
anderen, die alles für sich behalten – sogar die Steuern, die sie
eigentlich zahlen müssten. Und als Dank dafür hören wir dann: Der
will ja nur sein Gewissen beruhigen! oder: Da will wieder einer
für seine Großzügigkeit gelobt werden! Das finden wir ausgesprochen
unfair.“ An diesem Protest ist was dran. Schließlich könnten wir
bei Kirchens den Laden dicht machen, wenn es nicht auch noch ein
paar Reiche gäbe, die Kirchensteuern zahlen, spenden oder einer
Gemeinde den Rest für eine neue Orgel dazu tun. Und Geiz ist ja
heutzutage „geil“ und keineswegs nur ein Laster der höheren Gehaltsstufen.

Deshalb denke
ich, wir haben Jesus noch nicht richtig verstanden, wenn wir nur
auf die Höhe der Spenden schauen. Jesus kommt es weder auf die absolute
Summe an, noch auf die Summe in Relation zum gesamten Besitz. Ihm
geht es um die Einstellung, mit der jemand gibt. Der armen Witwe
ist einfach der Gottesdienst im Tempel soviel wert, dass sie dafür
alles gibt, was sie geben kann. Und wenn ein Reicher mit der gleichen
Einstellung eine große Spende abgibt, dann ist sie genauso viel
wert – wegen der Einstellung, nicht wegen der Höhe der Summe. Wir
alle, ob reich oder arm, schulden Gott nicht etwas, sondern alles,
nämlich uns selbst. Alles, was wir sind und haben, hat Gott uns
gegeben. Es ist nicht unser Besitz, sondern er hat es uns geliehen,
und wir sollen damit verantwortlich umgehen. Wir können und sollen
unser Geld und Gut, unsere Gaben und Fähigkeiten einsetzen zur Ehre
Gottes und zum Nutzen der Menschen, die er geschaffen hat und liebt.
Darauf kommt es an, dass wir das erkennen und in die Tat umsetzen.

Ich für mein Teil
möchte mir das immer wieder neu zu Herzen nehmen. Und was speziell
meinen Umgang mit Geld angeht, möchte ich mir folgenden Rat geben
– wenn er Ihnen gut erscheint, mögen Sie ihn für sich übernehmen:
Bedenke, dass du für deinen ganzen Besitz vor Gott Verantwortung
trägst, und dann überleg, wie viel Geld du für deinen Lebensunterhalt
und für den deiner Familie benötigst. Wahrscheinlich bleibt dann
noch genug übrig, mit dem du anderen Menschen Gutes tun kannst.
Vielleicht muss es nicht der ganze Restbetrag sein, aber denk mal
darüber nach, ob es nicht mehr sein könnte, als du bisher dafür
einkalkuliert hast. Wenn du dann weißt, wie viel von deinem Geld
du abgeben kannst und willst, dann mach dir klar, welche so genannten
„guten Zwecke“ dir besonders am Herzen liegen – vielleicht weil
du einen persönlichen Bezug dazu hast oder weil du weißt, dass deine
Spende dort besonders sorgfältig verwendet wird und gut angelegt
ist. Und dann setz dein Geld gezielt für diese Dinge ein. Lass dir
kein schlechtes Gewissen machen, wenn du anderen Spendenaufrufen
nicht nachkommst, auch wenn sie noch so gut begründet sind. Du würdest
dich sonst nur verzetteln und könntest mit deinen paar Kröten sowieso
nicht die Not der ganzen Welt beheben. Bilde dir auf deine Spendierfreudigkeit
nichts ein, aber wenn du nur noch missmutig geben kannst, dann lass
es lieber. Denn „einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, hat Paulus
gesagt. Und wenn dir doch einmal die Lust am Geben vergeht, dann
erinnere dich an folgenden Spruch Salomos: „Wer sich des Armen erbarmt,
der leiht dem HERRN, und der wird ihm vergelten, was er Gutes getan
hat.“

Amen.