Predigt vom 19.12.2010

 

GOTTESDIENST FÜR DEN VIERTEN
ADVENT

Pfr. Dr. Martin Klein
Talkirche,
19.12. 2010
Text: Lk 1,26-38

Und im sechsten
Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in
Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die versprochen
war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau
hieß Maria.

Und der Engel
kam zu ihr hinein und sprach: „Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr
ist mit dir!“ Sie aber erschrak über die Rede und dachte: „Welch
ein Gruß ist das?“

Und der Engel
sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott
gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären,
und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und
Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den
Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das
Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“

Da sprach Maria
zu dem Engel: „Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann
weiß?“

Der Engel antwortete
und sprach zu ihr: „Der heilige Geist wird über dich kommen, und
die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das
Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe,
Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in
ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt,
dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“

Maria aber
sprach: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt
hast.“

Und der Engel
schied von ihr.

Maria erfreut
sich zurzeit wieder großer Beliebtheit. Jedenfalls als Vorname für
neugeborene Mädchen. Seit Jahren steht Marie fast immer ganz oben
auf der Namenshitliste, dicht gefolgt von Maria, und dann sind da
noch die all die Miriams, Mias und Maikes. Allerdings hat diese
Namensgebung heutzutage nicht mehr viel mit der Religion zu tun.
Wenn früher jemand Maria hieß, konnte man mit ziemlicher Sicherheit
davon ausgehen, dass die Eltern gut katholisch waren. Heute ist
Maria gerade in Ostdeutschland besonders beliebt, wo die Christen
und erst recht die Katholiken eine Minderheit sind. Also heißen
wohl nur deshalb so viele Kinder Marie oder Maria, weil es gut klingt
und gerade Mode ist.

Oder steckt doch
mehr dahinter? Eine unbewusste Sehnsucht vielleicht nach dem, wofür
Maria steht – nach Unschuld, nach Reinheit, nach Demut und damit
ungefähr nach dem Gegenteil von dem Mädchen- und Frauenbild, das
uns tagtäglich in den Medien präsentiert wird? Denn die vermitteln
uns ja folgende Methoden, wie man heutzutage als Frau groß rauskommen
kann: Entweder man ist intelligent und ehrgeizig und bootet die
männliche Konkurrenz aus, indem man sie an nüchterner Sachlichkeit
und Machtinstinkt noch übertrifft – Modell Angela Merkel. Oder man
gibt sich bewusst dämlich und perfektioniert mit viel Silikon, Styling
und Zickigkeit das Bild, das sich der Durchschnitts-Macho ohnehin
von den Frauen macht, und wickelt ihn so um den Finger – Modell
Daniela Katzenberger. Oder man setzt auf den Ach-wie-süß-Faktor
unverbrauchter Jugendlichkeit – Modell Lena Meyer-Landrut. Zu Maria,
soviel steht fest, passt höchstens das Letztere, aber auch das nicht
wirklich. Und vielleicht finden das ja mehr Menschen, als man denkt,
im tiefsten Innern gut so.

Also: Was sagt
uns Maria, die Mutter Jesu, noch im 21. Jahrhundert? Erst recht
uns Evangelischen, die wir’s ja gemeinhin nicht so mit ihr haben?
Etliche von uns hegen ja immer noch den Verdacht, dass bei den Katholiken
die Trinität nicht aus Vater, Sohn und heiligem Geist besteht, sondern
aus Maria, Jesus und dem Papst – in dieser Reihenfolge. Und wenn
man sich gewisse Auswüchse des Marienkults in Tschenstochau, Lourdes
oder Fatima so anschaut, dann scheint dieser Argwohn sogar berechtigt
zu sein. Gegen so viel „Aberglauben“ kehren wir Protestanten gern
unseren aufgeklärten Verstand hervor. Wir sagen dann: Wenn Jesus
wirklich Mensch war, dann muss er auch einen menschlichen Vater
gehabt haben. Sonst wäre er ja gar kein Nachkomme König Davids gewesen,
denn von dem stammte Josef ab, nicht Maria. Und dass Herrscher und
Helden, Religionsstifter und Philosophen Göttersöhne waren, das
haben die alten Ägypter, Griechen und Inder geglaubt und noch der
Dichter Vergil von Kaiser Augustus behauptet, aber wir, die wir
an den einen Gott glauben, sind über so etwas doch längst hinaus.
Also nichts mit Jungfrauengeburt, die im Neuen Testament ohnehin
nur an zwei Stellen vorkommt, geschweige denn mit bleibender Jungfräulichkeit,
unbefleckter Empfängnis und leiblicher Himmelfahrt Mariens. So etwas
können wir als denkende Christenmenschen gar nicht glauben wollen,
auch wenn „geboren von der Jungfrau Maria“ immer noch in unserem
Glaubensbekenntnis steht. Wenn wir so denken, haben wir übrigens
Juden und Muslime in seltener Einbracht an unserer Seite.

Und so bleibt
in der protestantischen Bibelauslegung von Maria oft nicht mehr
übrig, als dass sie ein einfaches Mädchen aus Nazaret war, dass
sie mit einem Bauhandwerker namens Josef verheiratet war und mindestens
sieben Kinder hatte, von denen eines Jesus hieß. Dass der dann irgendwann
anfing, vom Vater im Himmel zu reden und als Prediger und Heiler
durchs Land zu ziehen, hat sie nicht nur nicht verstanden, sondern
sie hat ihn sogar für verrückt erklärt und gemeinsam mit seinen
Brüdern versucht, ihn wieder nach Hause zu holen – nachzulesen im
Markusevangelium, Kapitel 3, Vers 21 und 31. Später, nach Ostern,
hat sie dann zwar zur christlichen Gemeinde gehört, aber dort keine
besondere Rolle gespielt. Schon bald verlieren sich ihre Spuren
im Dunkel der Geschichte, und alles, was sonst von ihr berichtet
wird, gehört ins Reich der Legende.

Aber wenn ich
die erste und wichtigste dieser Legenden, den heutigen Predigttext,
wieder lese, dann merke ich, dass ich mich mit diesen mageren Fakten
nicht zufrieden geben kann. Denn ich glaube ja, dass Jesus Gottes
Sohn ist, weil Gott ihn von den Toten auferweckt hat, obwohl auch
das kein Historiker beweisen kann. Und wenn ich das glaube, dann
mache ich mir zwangsläufig Gedanken darum, wie ich es denn verstehen
soll und wie es dazu kam, dass in Jesus Gott und Mensch eins wurden.
Und wenn ich das tue, komme ich irgendwann bei seiner Geburt an
und damit auch bei seiner Mutter Maria. So geht es mir, und so ging
es schon denen, die die Geschichte aus dem Lukasevangelium zuerst
erzählt haben. Ihnen ging es darum, wer Jesus für sie ist, und eben
deshalb ging es ihnen auch um Maria.

Aber was sagt
die Geschichte nun über die Mutter Jesu? Zuerst kommen auch hier
die schlichten Fakten: Da ist ein Mädchen namens Maria, verlobt
mit einem Mann namens Josef, einem Nachkommen Davids, und beide
leben in Nazaret, einem unbedeutenden Ort in Galiläa. Aus der Tatsache,
dass Maria verlobt war, kann man als Kenner der Zeitumstände ihr
Alter erschließen: etwa zwölf Jahre oder wenig mehr. Dass war damals
das übliche Verlobungsalter. Denn die Väter waren bestrebt, ihre
Töchter unter die Haube zu bringen, bevor sie womöglich auf dumme
Gedanken kamen. Also suchten sie einen passenden Ehemann, schlossen
einen Ehevertrag mit ihm, und nach etwa einem Jahr wurde geheiratet.
Solange blieben die Mädchen noch im Elternhaus. Wenn man das bedenkt,
kann man sich außerdem vorstellen, was Maria sich anhören musste
bzw. was hinter ihrem Rücken getuschelt wurde, sobald herauskam,
dass sie schwanger war. Es erschien ja nicht jedem ein Engel, um
die Sache zu erklären.

Um so erstaunlicher
ist für mich, wie Maria in dieser Geschichte reagiert. Da kommt
der Erzengel Gabriel, sozusagen der Generalfeldmarschall der himmlischen
Heerscharen, in ein galiläisches Kuhdorf zu ihr, einem x-beliebigen
Teenager, und sagt ihr: „Sei gegrüßt, du Begnadete, du wirst die
Mutter von Gottes Sohn werden!“ Und Maria? Die erschrickt zwar ein
wenig und fragt auch noch mal nach, wie das denn zugehen soll, aber
dann sagt sie schlicht: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe,
wie du gesagt hast.“ Da hätte ich mir aber ganz andere Reaktionen
vorstellen können: „Ich bin doch noch viel zu jung!“ – „Was sollen
denn die Leute denken?“ – „Was wird Josef, was werden meine Eltern
sagen?“ – „Warum gerade ich? Ich bin doch völlig ungeeignet für
so was!“ Solche Einwände werden uns immerhin von den Großen des
Alten Testaments überliefert, von Mose, Jesaja oder Jeremia. Warum
nicht von Maria? Hat sie gar nicht recht begriffen, worum es geht?
– Nun, ich denke, der Erzähler geht davon aus, dass Gabriel es ihr
verständlich erklärt hat. Ist sie in Gegenwart des Engels vielleicht
irgendwie in Trance geraten und zum willenlosen Werkzeug geworden?
– Auch davon hören wir kein Wort. Ist sie einfach ein braves Mädchen,
das tut, was man ihr sagt? – Vielleicht, aber ich glaube, das ist
nicht der springende Punkt. Hätte sie denn überhaupt Nein sagen
können? War das Ganze bei Gott nicht längst beschlossene Sache?
– Darüber kann man lange spekulieren, aber ich glaube nicht, dass
Gott einen Menschen gegen seinen Willen zu irgendetwas zwingt, und
sei es, eine wichtige Rolle bei der Rettung der Menschheit zu spielen.

Nein, ich denke,
die Geschichte will uns etwas anderes sagen, nämlich, dass Maria
bewusst und aus freien Stücken Ja gesagt hat zu dem, was Gott mit
ihr vor hatte. Sie hat Ja gesagt dazu, Gottes Sohn zur Welt zu bringen.
Und dieser Tatsache kann man gar nicht genug Gewicht beimessen.
Wenn Christen, egal welcher Konfession, Maria für ihr schlichtes
Ja verehren und den Hut vor ihr ziehen, dann hat sie das verdient.
Dass Maria ein Mensch war und nicht Gott, dass ist auch den glühendsten
katholischen Marienverehrern klar. Dass sie aber aus freien Stücken
den Sohn Gottes zur Welt gebracht hat – wie auch immer man sich
das biologisch vorstellen soll – und dass sie deshalb zu Recht „Mutter
Gottes“ genannt wird, das haben auch Luther oder Calvin nie bestritten.
Viele evangelische Christen unserer Tage wissen das nur nicht mehr
so recht.

Deshalb möchte
ich für mein Teil ein paar Dinge in Zukunft nicht mehr vergessen:

Erstens war es
eine Frau und konnte nur eine Frau sein, der Gott die höchste Ehre
zuteil werden ließ, die einem Menschen überhaupt zuteil werden kann.
Dass die katholische Kirche das für Maria anerkennt, aber alle anderen
Frauen von bestimmten Ehren ausschließt, halte ich nun allerdings
für zutiefst inkonsequent – aber vielleicht packen wir Evangelischen
uns da erst mal an die eigene Nase: Bei uns gibt es Pfarrerinnen
auch erst seit etwa fünfzig Jahren, und mancher meint ja immer noch,
dass Weib habe in der Gemeinde zu schweigen. Streng genommen dürfte
dann allerdings der Lobgesang der Maria auch in keiner Kirche mehr
erklingen.

Zweitens möchte
ich nicht vergessen, dass man als Mensch nichts Besseres tun kann,
als das geschehen zu lassen, was Gott mit uns vorhat. Zwar erscheint
uns in der Regel kein Engel, um uns Gottes Pläne zu erläutern. Aber
ich denke, mit aufmerksamem Achten auf die Zeichen der Zeit, mit
Nachdenken, Bibellesen und Gebet können auch wir recht gut erkennen,
was Gottes Wille für unser Leben ist.

Drittens und letztens:
Das anzunehmen, was wir von Gott empfangen, kann größer und schwieriger
sein, als alle Versuche, uns aus eigener Kraft zu dem zu machen,
was wir gern wären. Und doch passt es vielleicht besser zu uns als
die Pläne, die wir uns selber ausdenken. Marias Pläne fürs Leben
sahen sicher anders aus: einen guten Ehemann finden, Kinder bekommen,
die dann auch gut geraten, in Frieden und wohl versorgt alt werden.
Mutter des Messias zu werden, wäre ihr im Traum nicht eingefallen,
und es hat ihr wohl alles in allem mehr Leid als Freude gebracht.
Und doch war sie und keine andere in Gottes Augen genau die richtige
dafür und nahm diese Entscheidung Gottes an. Es wäre schön und hilfreich,
wenn in dieser Hinsicht wieder mehr Menschen sich Maria zum Vorbild
nähmen – evangelische und katholische, Männer und Frauen.

Amen.