Jetzt konnte Pfarrer
Raimar Leng Superintendentin Annette Kurschus zu einer Gesprächsrunde
im Kirchenladen begrüßen. Was ich die Superintendentin schon immer
mal fragen wollte, lautete das Angebot an die Gäste. Auf die erste
Frage, vor welcher besonderen Herausforderung sie die Kirche heute
sehe, antwortete die leitende Theologin des Kirchenkreises Siegen,
sie sehe die Versuchung für Kirche, aus Angst vor Verlust von Mitgliedern
und Ansehen in der Gesellschaft ihr ureigenes Evangelium in seiner
Anstößigkeit nicht mehr deutlich genug zu artikulieren. Kurschus:
„Die Menschen fragen uns gerade in unserer Widerständigkeit an.
Kirche ist nicht da zur Bestandswahrung ihrer selbst, sondern sie
ist gesandt in die Welt, als Salz der Erde und Licht der Welt. Salz
gibt Geschmack und es kann in einer Wunde brennen; Licht gibt Orientierung
und macht manches Versteckte offenbar. Kirche darf in der
Gesellschaft nicht immer nur auf Beifall aus sein.“
Schnell kam die
Sprache auf die finanzielle Situation der Kirche. Richtig rechnen
zu können ist zwar unabdingbar, aber im kirchlichen Leben, so Kurschus,
hat der Umgang mit Geld auch eine theologische Dimension: „Wir müssen
auch das nüchterne Wirtschaften geistlich verantworten.“ Geld ist
nach reformiertem Verständnis ein uns von Gott anvertrautes Gut,
dass zum Wohl des Menschen und damit zur Ehre Gottes zu verwalten
ist, wie alle anderen Güter der Erde auch
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Superintendentin
Annette Kurschus beantwortet Fragen im Kirchenladen in der Siegener
Oberstadt.
Pfr. Raimar Leng moderierte das Gespräch.
(Foto
Karlfried Petri)
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Allerdings seien,
in den vergangenen Jahrzehnten des finanziellen „Wohlstands“ so
manche Arbeitsbereiche ins Leben gerufen und manche Gebäude errichtet
worden, deren Unterhaltung für die Zukunft nicht zu sichern sei.
„Wir sind in Zeiten deutlich geringer werdenden Finanzmittel angehalten,
sehr genau zu überlegen, wo wir unsere Prioritäten setzen, und viel
präziser zu definieren, was uns warum wichtig ist. Auch das ist
eine Herausforderung theologischer Art.“ Nach ihrer Einschätzung
sind die Presbyterien und Synoden aufgerufen, jetzt die Weichen
für die Zukunft zu stellen, auch wenn es sich dabei oft um unbequeme
und undankbare Entscheidungen handelt. Kurschus: „Dieser Prozess
wird mit Schmerzen verbunden sein. Menschen werden womöglich diesen
Weg nicht mitgehen. Wenn beispielsweise eine Kirchengemeinde ihre
Predigtstätten von fünf auf zwei reduziert, dann wird es Gemeindeglieder
geben, die die Gottesdienste und womöglich andere kirchliche Veranstaltungen
nicht mehr besuchen.“ Daher ist für sie eine vordringliche Frage,
wie bei immer größeren Einheiten die Nähe zu den Menschen nicht
verloren geht.
Deutlich wurde
im Zuge des Gesprächs, dass die Kirche auch denjenigen Menschen
wichtig ist, die kirchliche Angebote für sich selbst nicht nutzen.
Pfarrerinnen und Pfarrer, so die Erfahrungen der Superintendentin,
haben bei den Menschen einen großen Vertrauensvorschuss. Dessen
sollten sich die kirchlichen Mitarbeitenden bewusst sein. Damit
sei auf der anderen Seite ein hoher Anspruch verbunden. Die Menschen
erwarten von der Kirche und ihren Mitarbeitenden moralische Integrität
und eine Vorbildfunktion.
Um Menschen den
Zugang zu kirchlichen Angeboten zu erleichtern, werden zunehmend
sogenannte niederschwellige Angebote, wie beispielsweise der
Kirchenladen „offenBar“, eingerichtet. Niederschwelligkeit in den
Angeboten habe nichts zu tun mit Banalität, Plattheit oder Inhaltslosigkeit,
so Kurschus. Hier kommt der Begriff „Qualität“ ins Spiel. „Das Evangelium
will nicht irgendwie, sondern angemessen und qualifiziert unter
die Leute.“ Auch Räume spielen dabei eine Rolle. Für die Theologin
bietet beispielsweise eine Kirche eine andere Gottesdienstatmosphäre
als ein Gemeindehaus. „Als ‚fremde‘ Räume, die sich von unseren
Wohnräumen unterscheiden, bieten Kirchen in besonderer Weise die
Möglichkeit, dem ‚Anderen‘ des christlichen Glaubens spürbar zu
begegnen.“ Ihr sei es daher wichtig, die schönen, großen Kirchen,
die auch optisch die Präsenz von Kirche in der Welt deutlich machen,
zu erhalten, obwohl das kostspielig ist.
Darauf angesprochen,
was sie sich für die nahe Zukunft der Kirche im Siegerland wünsche,
antwortete die Superintendentin: „Ich wünsche mir, als Kirche stärker
im gesellschaftspolitischen Geschehen Akzente zu setzen. Armut und
Bildung, Migration und Asyl sind aktuelle Themen, zu denen Kirche
biblisch begründet Wichtiges zu sagen hat, damit ein Zusammenleben
im Sinne des biblischen ‚schalom‘ gelingt.“
kp
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