GOTTESDIENST FÜR DEN LETZTEN SONNTAG NACH EPIPHANIAS
Text: Offb 1,9-18
Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.
Fürchte dich nicht! Diese Aufforderung steht sehr oft in der Bibel. Einmal für jeden Tag des Jahres, hat mal jemand gezählt – ohne dass ich das jetzt nachgeprüft hätte. Wahrscheinlich steht es deshalb so oft da, weil wir Menschen es so nötig haben.
Auch in diesem Vers aus der Offenbarung gilt die Aufforderung einem Mann, der allen Grund hat, sich zu fürchten. Er heißt Johannes, lebt am Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus in Kleinasien und hat in seiner Gemeinde wohl das Amt eines Presbyters inne. Damals mussten Presbyter sich gottlob noch nicht mit Strukturreformen, Personalfragen, Gebäudeerhaltung und ähnlichem herumschlagen, sondern konnten sich dem widmen, was nach dem ersten Petrusbrief ihre vornehmste Aufgabe ist, nämlich als gute Vorbilder die Herde Gottes zu weiden, die ihnen anbefohlen ist, also nach Kräften dafür zu sorgen, dass sie das bekommt und behält, was sie für ihr geistliches Leben braucht.
Der Presbyter Johannes nimmt diese Aufgabe besonders ernst. Er lebt seinen Glauben vorbildlich, und das hat ihn weit und breit bekannt gemacht. In ganz Kleinasien genießt er hohes Ansehen. Und er ist ein Mann mit Rückgrat: Er kann es mit seinem Glauben nicht vereinbaren, neben Jesus Christus noch einem anderen göttliche Ehre zu erweisen, nämlich dem Kaiser in Rom. Genau das verlangen aber die römischen Herren von ihren Untertanen. Wer es nicht tut, dem Kaiser nicht opfert und auch noch laut sagt, warum, der hat mit der Todesstrafe zu rechnen. Johannes ist gerade noch davon gekommen. Man hat ihn nicht getötet, sondern nur verbannt, weil man seinen Einfluss fürchtet. Jetzt sitzt er auf der kleinen Insel Patmos vor der Küste Kleinasiens und hat, wie gesagt, allen Grund sich zu fürchten und Sorgen zu machen: Was wird aus mir? Werde ich hier jemals heil wieder weg kommen? Und was wird aus meinen Gemeinden? Wie werden sie ohne mich zurechtkommen? Werden sie sich in alle Winde zerstreuen? Werden die Römer sie alle umbringen? Oder werden sie sich verführen lassen, dem Kaiser zu opfern, weil ich sie nicht mehr davon abhalten kann?
Mit diesen Gedanken im Kopf hat Johannes eines Sonntags eine Vision: Er sieht Jesus Christus, den Auferstandenen, in seiner ganzen himmlischen Herrlichkeit:
Ich sah sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich Golderz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht.
Das ist natürlich nur ein Versuch, etwas zu beschreiben, was man in menschlichen Worten nicht beschreiben kann. Wenn Künstler diese Beschreibung gemalt oder gezeichnet haben, war das Ergebnis meistens unfreiwillig komisch. Klar wird nur: Hier erscheint und spricht einer mit der ganzen Macht und Autorität Gottes.
Christus kündigt Johannes weitere Gesichte an; die soll er aufschreiben und an die sieben Gemeinden in Kleinasien senden: nach Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Lao-dikeia. Und wie ein Motto steht über allem, was noch folgt, der Satz, den ich zu Beginn gelesen habe: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige.“
Der Erste: Das heißt, er war immer da, schon bevor die Schöpfung begann, oder modern gesprochen: schon bevor der Urknall erfolgte.
Der Letzte: Das heißt, er wird immer da sein, auch wenn wir alle längst gestorben sind, auch wenn alle Mächte dieser Welt längst der Vergangenheit angehören, auch wenn es die Erde eines Tages nicht mehr geben sollte. Mit diesen Worten ist endgültig klar, was die Art der Erscheinung schon deutlich machte: Nur der ewige Gott kann so reden.
Aber dann kommt noch was: Der Erste und der Letzte ist auch der Lebendige. Das ist das Entscheidende. Und die Fortsetzung des Satzes sagt uns auch, warum: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Wenn man diese Aussage beim Wort nimmt, macht sie stutzig. Bisher haben wir zu Recht gesagt, dass nur Gott so erscheinen und so reden kann. Aber kann Gott auch sagen: „Ich war tot?“ Kann Gott etwa sterben? Dieser Gedanke widerstrebt uns. Und für einen strengen Muslim ist er eine solche Lästerung, dass irgendwelche Karikaturen über den Propheten Mohammed dagegen harmlos sind. Aber genau hier unterscheiden wir Christen uns eben grundlegend von den Muslimen. Genau darum geht es, wenn wir an Jesus Christus glauben. Denn damit sagen wir: So wie Jesus, so ist Gott, er ist „Gottes geliebter Sohn, an dem er Wohlgefallen hat“, wie wir in der Schriftlesung gehört haben. Daraus folgt dann aber auch: Als Jesus am Kreuz gestorben ist, da ist Gott mit ihm gestorben. Darauf kommt es an. Denn wenn nur der Mensch Jesus gestorben wäre, dann wäre er genauso mausetot wie jeder andere auch. Doch wenn Gott stirbt, wenn er den Tod auf sich nimmt, dann geht das nicht schlecht für Gott aus, sondern für den Tod. Jesus Christus war tot, und Gott mit ihm, aber gerade deshalb ist er auch auferstanden. Er ist der Lebendige und hat den Tod überwunden. Nichts kann den noch schrecken, der sich auf ihn verlässt.
Deshalb braucht Johannes sich nicht zu fürchten. Selbst wenn ihn die Römer umbringen – Jesus Christus bleibt doch der Lebendige. Selbst wenn sie alle Christen mundtot machen – Jesus Christus wird doch der wahre Herr der Welt bleiben. Und er wird seine Leute nicht im Stich lassen – weder im Leben noch im Sterben.
Das gilt auch für uns Christenmenschen hier und heute. Im Vergleich zu Johannes’ Zeiten sind die aktuellen Probleme unserer Kirche und Gemeinde vergleichsweise harmlos. Wir müssen uns nur auf schrumpfende Zahlen einstellen – den Christen damals ging’s ans Leben. Uns kehren nur Menschen den Rücken zu oder bleiben gleichgültig am Rand der Gemeinde sitzen – aber selbst wenn manche von ihnen uns verspotten, muss uns das keine Angst machen. Bei uns werden nur Pfarrstellen gestrichen und Presbyterien nicht voll – aber kein Pfarrer oder Presbyter wird für seine Überzeugung ins Gefängnis gesteckt oder auf eine einsame Insel verbannt. Was würde Johannes wohl sagen, wenn er mitbekommen würde, was wir heute bei Kirchens für Probleme wälzen? Wie wir uns die Köpfe zerbrechen über Strukturen und Konzeptionen? Wie wir lamentieren über leere Kirchenbänke und wie Konservative und Liberale sich gegenseitig die Schuld dafür geben? Wie manche so stur auf dem Wortlaut nebensächlicher Bibelstellen beharren, dass sie deshalb aus der Kirche austreten und Leserbriefe ohne Ende schreiben? „Kinder“, würde er sagen, denn diesen Ausdruck benutzte er gern, „habt ihr denn sonst keine Sorgen? Merkt ihr denn nicht, wie unverschämt gut es euch immer noch geht – verglichen mit uns damals oder verglichen mit anderen Weltgegenden? Und merkt ihr nicht, wie sehr ihr oft an den wirklichen Problemen vorbeidiskutiert?“ Denn es gibt ja wahrlich genug zu tun für Christen in dieser Welt, damit der Glaube nicht verschwindet, die Liebe nicht erkaltet und die Hoffnung nicht zuschanden wird. Natürlich können wir das alles aus eigener Kraft nicht schaffen. Aber das müssen wir auch gar nicht. Denn auch für uns ist Jesus Christus der Erste, der Letzte und der Lebendige. Da mag es mit uns als Einzelnen oder als Gemeinde auf und ab gehen – am Sieg Gottes über den Tod, am Kommen seiner neuen Welt ist nicht mehr zu rütteln. Und damit sind auch alle Sorgen, die uns plagen, bei ihm gut aufgehoben. Amen.
Ihr Pastor Martin Klein