31. Oktober 2017

Noch ein Jubiläum …

Jetzt ist er endlich da, der große Tag. Am 31. Oktober ist es genau 500 Jahre her, dass Martin Luther seine 95 Thesen veröffentlichte und die Reformation begann. Gefühlt feiern wir dieses Jubiläum ja schon seit Jahren, aber nun erreicht es seinen Höhepunkt mit festlichen Gottesdiensten an einem ausnahmsweise arbeitsfreien Tag – auch hier in der Talkirche.
Kaum einer denkt jedoch daran, dass an diesem Tag noch ein weiteres Jubiläum ansteht, nämlich 200 Jahre Evangelische Kirche der Union. Denn am 31. Oktober 1817 feierte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen im Berliner Dom erstmals gemeinsam mit Lutheranern und Reformierten das Abendmahl. Das Datum war natürlich bewusst gewählt. 300 Jahre nach der Reformation hielt der König die Zeit für reif, die Spaltung innerhalb der evangelischen Christenheit zu überwinden. Unterstützt wurde er dabei von Theologen wie Friedrich Schleiermacher, die die alten Streitfragen aus dem 16. Jahrhundert als überholt betrachteten.
Natürlich erwartete der König, dass seine Untertanen es ihm gleich taten. Und so folgten die meisten seinem Beispiel, mit mehr oder weniger großer Begeisterung. Auch die reformierten Gemeinden im Siegerland, das damals erst seit kurzem zu Preußen gehörte, schlossen sich größtenteils der Union an. Und neue Gemeinden, z.B. im aufstrebenden Ruhrgebiet, aber auch hier in Klafeld, wurden gleich als unierte Gemeinden gegründet.
Allerdings: Das Beharrungsvermögen von Lutheranern und Calvinisten war weiterhin groß. Ihre Gottesdienstformen blieben sehr verschieden. Die einen lernten im Konfirmandenunterricht weiterhin Luthers Kleinen Katechismus, die anderen den Heidelberger. Ein gemeinsames uniertes Bekenntnis kam dann nie zustande. Und so blieb die Union in Preußen auf halbem Weg stecken. Bis heute gibt es in Westfalen evangelische = unierte, evangelisch-lutherische und evangelisch-reformierte Gemeinden, ja, die Zahl der letzteren wuchs sogar wieder. Auch unsere Gemeinde nennt sich seit den 1950er Jahren „evangelisch-reformiert“. Und ostdeutsche Lutheraner, die nach dem Krieg als Flüchtlinge hierher kamen, hatten es mit der reformierten Tradition nicht immer leicht.
Aber immerhin: Schon seit 200 Jahren erkennen Lutheraner und Reformierte auf ehemals preußischem Gebiet sich gegenseitig an. Sie gehören organisatorisch zu einer Kirche, feiern gemeinsam Abendmahl, und wer als Pfarrerin oder Pfarrer ordiniert ist, kann in jeder Gemeinde Dienst tun, egal, welchem Bekenntnis sie angehört. Auf europäischer Ebene war es erst 1973 soweit, als Lutheraner und Reformierte miteinander die „Leuenberger Konkordie“ beschlossen.
Heute spielen die Unterschiede zwischen „lutherisch“ und „reformiert“ für die allermeisten Kirchenmitglieder keine Rolle mehr – wenn sie diese Unterschiede überhaupt noch kennen. Und außer studierten Theologen versteht keiner, warum und worüber man sich damals überhaupt so zerstritten hat. Friedrich Wilhelm III. mag seiner Zeit voraus gewesen sein, aber heute hätte er keine Mühe, alle seine evangelischen Untertanen am Tisch des Herrn zu vereinen (höchstens, sie überhaupt in die Kirche zu kriegen).
Das lässt mich hoffen – auch im Blick auf die evangelisch-katholische Spaltung. Da sind es jetzt gut fünfzig Jahre, seit wir uns ernsthaft um ökumenische Verständigung bemühen. Und auch dieses Jubiläumsjahr hat trotz aller Herzlichkeit und allem gemeinsamen Feiern noch nicht den großen Durchbruch gebracht. Aber das Beispiel von Lutheranern und Reformierten lehrt uns, dass gut Ding bei Kirchens eben noch viel mehr Weile haben will als anderswo. Ich denke, wir brauchen einfach noch viel Geduld, die Gott uns schenken möge. Wenn in hundert Jahren die Welt noch steht, wird man dann vielleicht unsere Amtsnachfolger zu Vorträgen einladen, um mal zu erklärt zu bekommen, wie das damals war mit Evangelischen und Katholischen und warum die ein halbes Jahrtausend lang nicht zueinander finden konnten. Und womöglich vergisst man 2117 glatt den 600. Jahrestag der Reformation, weil man längst den Tag feiert, an dem der Papst und die evangelischen Bischöfe erstmals gemeinsam beim Abendmahl waren. Wenn ich diesen Tag noch erleben sollte, wäre ich jedenfalls gern mit dabei.

Ihr Pastor Klein