Predigt Wenschtkirche, Sonntag Jubilate, 8. Mai 2022

KONFIRMATIONSGOTTESDIENST

Text: 2. Kor 3,17

Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

Liebe Konfis,

wenn ich zur Konfirmation predige, dann knüpfe ich gern an ein Bild oder einen Gegenstand an. Vor ein paar Jahren war es eine Weinrebe – einige erinnern sich vielleicht. Letztes Jahr war es ein Staffelstab. Und für euch heute ist es nun das hier: [Maske hochhal­ten].

„Im Zeichen der Maske“ – das könnte in der Tat über eurer Konfi-Zeit stehen. Denn euren Jahrgang hat die Pandemie nun wirklich voll erwischt. Schon auf den ersten Fotos, die wir von euch gemacht ha­ben, ist der „medizinische Atemschutz“ allgegenwärtig – teils über der Nase, teils unterm Kinn. Und heute schaue ich hier immer noch in vermummte Gesichter. Die Steigerung war zwischendurch noch die schwarze Kachel auf dem Bildschirm mit eurem Namen drauf – das sind wir jetzt zum Glück drüber weg. Aber die Maske sind wir halt immer noch nicht ganz los.

Ich geb zu: Ich hab mich mit den Dingern immer schwer getan. Ich hab ja verstanden, dass sie mich und andere vor Ansteckung schützen – nicht perfekt, aber einigermaßen. Und mir ist auch klar, dass sie verglichen mit Lockdown und Ausgangssperre meine Freiheit kaum einschränken. Trotzdem fühle ich mich beengt und unwohl, wenn ich eine Maske aufsetzen muss. Und ich rede auch lieber mit Menschen, die keine Maske aufhaben. Ich versteh sie dann einfach besser – nicht nur, weil ich sie dann besser höre, sondern weil ich auch besser in ihren Gesichtern lesen kann.

Aber was soll ich klagen? Ihr habt die Masken ja viel öf­ter und länger tragen müssen als ich. Inzwischen habt ihr euch womöglich so daran gewöhnt, dass euch „oben ohne“ etwas fehlt. Manchmal fandet ihr‘s vielleicht sogar ganz gut, euch dahinter verstecken zu können – damit andere nicht so leicht erkennen, was ihr gerade denkt oder wie ihr euch fühlt. Und bestimmt seid ihr lieber mit Maske zur Schule gegangen, als ohne zu Hause hocken zu müssen. Trotzdem seid ihr sicher froh, wenn das alles jetzt langsam mal zu Ende geht.

Die Masken sind ja nur was Äußerliches. Ich sehe sie aber als Zei­chen für etwas, das viel tiefer geht. Sie stehen dafür, dass Freiheit immer auch Grenzen hat und nie selbstverständlich ist. Ihr habt diese Erfahrung früher gemacht als viele Jahrgänge vor euch. Ihr musstet wegen der Pande­mie auf vieles verzichten. Ihr seht jetzt, wie die Men­schen in der Ukraine um ihre Freiheit kämpfen – mit Waffen, weil’s nicht anders geht. Und ihr seht oft klarer als wir Älteren, dass wir die Vorräte der Erde nicht mehr so frei und hem­mungslos verbrau­chen können, wenn wir weiter auf diesem Planeten leben wollen.

Mit alledem im Gepäck habt ihr nun zwei Jahre Konfi-Zeit erlebt. Ihr habt euch mit dem christlichen Glauben beschäftigt, habt Erfahrun­gen mit Kirche und Gemeinde gesammelt, so gut das in die­sen Zeiten ging. Ich frage mich, was ihr davon mitnehmt, was euch weiterhilft bei dem, was ihr sonst noch erlebt und was euch Angst und Sorge bereitet. Ein wenig davon konnte man den Glaubenssät­zen entneh­men, die ihr bei unserer Freizeit im Januar formuliert habt. Aber ich glaube, es steckt auch etwas davon in den Konfirmations­sprüchen, die ihr euch ausgesucht habt.

Aus manchen spricht einfach der Wunsch, dass Gott mit euch geht und euch behütet bei allem, was passiert. Andere suchen nach Leitlinien fürs tägliche Leben: Böses mit Gutem überwinden; nicht nur von Liebe reden, sondern auch entsprechend handeln; nicht auf das schauen, was irdischen Gewinn verspricht, sondern was der Seele guttut. Aber stärker als sonst höre ich da eben auch die Sehnsucht nach Freiheit: auffliegen wie ein Adler, laufen und nicht müde wer­den, Wälle erstürmen und über Mauern springen. Mit Gott, im Ver­trauen auf ihn kann ich das alles, sagen diese Bibelworte. Und am besten bringt es wohl der Spruch von Alex auf den Punkt: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“

Dieser Satz aus dem zweiten Korintherbrief ist schön kurz, aber ich unterstelle mal, dass du ihn nicht nur deshalb ausgesucht hast. Denn er hat es auf jeden Fall in sich, und deshalb bleibe ich da mal noch einen Moment.

Bevor der Apostel Paulus diesen Satz schreibt, spricht er von dem, was es für Menschen schwer macht, mit Gott in Verbindung zu tre­ten. Da liegt, schreibt Paulus, sozusagen eine Decke, eine Maske über allen Begegnungen mit Gott. Sie verhüllt das, was Gott uns sa­gen, was er uns schenken will. Wenn es anders wäre, wenn ich Gott unverhüllt und unmaskiert begegnen würde, dann würde diese Begeg­nung auch ganz anders laufen. Denn dann würde ich begreifen, dass Gott die Liebe ist und dass er mich bedingungslos lieb hat. Und diese Liebe ist hochansteckend – wie bei Omikron, nur noch viel mehr. Sie würde mich packen, sich bei mir einnisten, von mir übersprin­gen auf andere. Ruckzuck würde eine Welle daraus, die um die ganze die Welt läuft. Und exponentielles Wachstum von Liebe – dagegen wären wohl noch nicht mal die Herren Wiehler und Lauter­bach.

Aber da ist eben diese Hülle, die das verhindert. Denn, so sag ich es mit meinen Worten, viele Menschen trauen Gott nicht über den Weg. Sie können einfach nicht fassen, wie gut ihnen seine Liebe tun würde. Und deshalb ziehen sie lieber eine Maske auf, damit sie sich nicht bei ihm anstecken. Diese Masken gibt es in verschiedenen Ausfüh­rungen. Auf einer steht: „Wer weiß, ob es Gott überhaupt gibt?“ Auf einer anderen steht: „Mag sein, dass es Gott gibt, aber ich spür nichts davon.“ Oder: „Danke, mir geht’s gut, ich brauche nichts von Gott.“ Vielleicht steht da aber auch: „Ich tue Gutes und halte mich an die Regeln – mehr kann Gott doch nicht von mir wollen.“ Oder: „Ich hab mir schon mein Urteil über Gott und die Welt gebil­det, das lass ich mir nicht durcheinanderbringen.“ Und dann gibt es noch spezielle Masken für Pfarrer und ähnliche Leute. Da steht dann drauf: „Soll ich den Menschen wirklich ungeschützt und ungefiltert sagen, was ich von Gott glaube und was in der Bibel über ihn steht? Können sie das überhaupt verstehen? Laufen sie mir dann nicht weg oder lachen mich aus?“ Und dann sagen sie nur ein paar Nettigkeiten über Gott, die keinem wehtun, aber auch niemanden wirklich interessie­ren. Schade!

Paulus allerdings ist überzeugt, dass Gott es trotzdem schafft, uns zu begegnen. Dazu ist er in Jesus Mensch geworden, hat uns durch Je­sus gezeigt, wie er wirklich ist, ganz unverhüllt. Er hat sich nicht gescheut, sich anstecken zu lassen mit allem, was uns in dieser Welt belastet: mit unseren Sorgen und Ängsten, mit unseren Krankheiten und unserem Leid, mit unserer Verwundbarkeit und Sterblichkeit. Er hat all das auf sich genommen, damit wir davon frei sein können. Und so kommt Paulus schließlich zu der Aussage: „Wo der Geist des Herrn ist, wo wir dem Herrn Jesus Christus, dem menschgeworde­nen, liebenden Gott begegnen, da ist Freiheit.“

Das ist ein steiler Satz, klar. Da hat man eine Weile dran zu kauen. Und gerade deshalb ist es ein guter Konfirmationsspruch, denn da sollt ihr ja länger was von haben. Ich hab heute mal diesen einen Spruch in den Mittelpunkt gestellt, weil es genau diese Freiheit ist, die ich euch 22er Konfis wünsche. Denn ich glaube, dass gerade ihr sie dringend braucht. Sie lässt zwar die Dinge, die euch belasten, nicht einfach verschwinden – weder Pande­mie noch Kriegsgefahr, weder die große Klimakrise noch die kleinen alltäglichen Zwänge. Aber sie macht es möglich, dass ihr damit leben könnt. Mit dieser Freiheit werden Angst und Sorgen euch nicht erdrü­cken. Mit ihr verliert ihr nicht den Blick für das, was trotz allem gut ist. Mit ihr behaltet ihr die Hoffnung, dass am Ende doch die Liebe siegt, nicht Hass und Gewalt. Mit ihr könnt ihr wirklich über Mauern springen, laufen und nicht müde werden. Mit ihr könnt ihr erkennen, welche Lebensziele sich wirklich lohnen, was wirklich wertvoll ist und bleibt.

Besser gelingt das übrigens, wenn ihr nicht allein unterwegs seid, sondern zusammen mit anderen. Denn so könnt ihr euch gegenseitig Mut machen und gemeinsam schaffen, was allein nicht geht. Ich glaube, dass unsere Gemeinde ein Ort ist, wo man das erleben kann – zum Beispiel neulich in der Kibiwo oder demnächst bei der Jugend­freizeit. Es wäre also schön, wenn ihr dabei bleibt, wenn ihr mit­macht und euch bei uns einen Platz sucht. Einige machen das schon, und das ist toll, aber es dürfen gern noch mehr werden.

Natürlich müsst ihr nicht. Auch das gehört zu der Freiheit, die Gott euch schenkt. Auch wenn wir uns vorerst nicht wiedersehen sollten, geht ihr mit Gott, und er lässt euch nicht allein. Aber wenn ihr euch wirklich von Gottes Liebe anstecken lasst, dann wird sie euch auch immer wieder mit anderen zusammenführen. Denn zur Liebe – egal in welcher Form – gehören bekanntlich immer mindestens zwei. Also lasst getrost die Masken beiseite, wenn es um Gott geht. Denn bei ihm gilt: Ansteckung macht gesund. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein