Predigt, Wenschtkirche, Sonntag, 15. Juli 2018

Gottesdienst zum Tag der Schöpfung

7. Sonntag nach Trinitatis

Thema: „Kann denn Mode Sünde sein?“

(Jes 2,7.9; 3,14-24; 61,10-11)

Das, was ich anhabe, ist wahrscheinlich das fairste und nachhaltigste Kleidungsstück hier im Raum. Es kommt nie aus der Mode, denn es wird schon seit 200 Jahren nach dem gleichen Schnitt hergestellt – und der war schon damals nicht modern. Deshalb trage ich es auch schon seit 24 Jahren. Und weil es aus gutem Stoff ist und solide verarbeitet wurde, ist es immer noch recht gut in Schuss. Es besteht aus reiner Schurwolle von artgerecht gehaltenen Schafen. Und die kleine, selbständige Schneiderin aus Witten-Bommern, die es genäht hat, ist dafür anständig bezahlt worden. Wenn es dermaleinst dann doch zerschlissen sein wird, dann lässt es sich ohne problematische Rückstände entsorgen. Und es hat noch einen unschlagbaren Vorteil: Niemand kann sich darüber aufregen, wie unmöglich der Pastor im Gottesdienst mal wieder angezogen ist.
Auch als Pastor kann man freilich nicht immer im Talar herumlaufen. Und mit meinen übrigen Kleidungsstücken hänge ich genauso mit drin wie alle anderen. Zwar bin ich gegen Modetrends ziemlich resistent und trage meine Klamotten oft so lange, bis sie auseinanderfallen. Aber beim Kauf achte ich dann doch mehr darauf, was mir gefällt und was es kostet, und nicht darauf, wo und wie dieses Teil hergestellt wurde.
Gilt also auch mir die Anklage, die der Prophet Jesaja einst den Reichen und Mächtigen in Israel entgegenschleuderte: „Euer Land wurde voll Silber und Gold“, heißt es dort, „und eurer Schätze war kein Ende; euer Land wurde voll Rosse, und eurer Wagen war kein Ende. Aber gebeugt wurde der Mensch, gedemütigt der Mann.“ (Jes 2,7 u. 9) „Ihr habt den Weinberg abgeweidet, und was ihr den Armen geraubt, ist in eurem Hause. Warum zertretet ihr mein Volk und zerschlagt das Angesicht der Elenden?“ (Jes 3,14-15) Und müsste auch mich die Strafe treffen, die Jesaja den modebewussten Damen der feinen Gesellschaft androhte? „Weil die Töchter Zions stolz sind und gehen mit aufgerecktem Halse, mit lüsternen Augen, trippeln daher und tänzeln und klimpern mit den Spangen an ihren Füßen, deshalb wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions kahl machen, und der Herr wird ihre Schläfe entblößen. Zu der Zeit wird der Herr den Schmuck der Fußspangen wegnehmen und die Stirnbänder, die Ohrringe, die Armspangen, die Schleier, die Hauben, die Fußkettchen, die Gürtel, die Fingerringe, die Nasenringe, die Feierkleider, die Mäntel, die Tücher, die Täschchen, die Spiegel, die Hemden, die Kopftücher, die Überwürfe. Und es wird Gestank statt Wohlgeruch sein und ein Strick statt eines Gürtels und eine Glatze statt lockigen Haars und statt des Prachtgewandes ein Sack, Brandmal statt Schönheit.“ (Jes 3,16-24)
Es gab ja von Zeit zu Zeit Menschen, die der Mode ein solches Strafgericht bescheren wollten: Es gab den Dominikanermönch Girolamo Savonarola, der im Florenz der Renaissance ein riesiges „Fegefeuer der Eitelkeiten“ entfachte. Es gab die englischen Puritaner, die schlichte Kleidung für alle zur Vorschrift machten. Und es gab Mao Tse-tung, der alle Chinesen in hässliche blaue Kittel steckte. Aber erstens gingen solche Maßnahmen immer mit Gewalt und Unterdrückung einher, zweitens hatten sie nie dauerhaften Erfolg und drittens hielten sich die Anstifter oft selber nicht an ihre Befehle.
Also: Mode als Eitelkeit oder Dekadenz zu verteufeln, das geht zu leicht nach hinten los. Menschen durch gleiche Kleidung gleich zu machen, das funktioniert nicht. Und Strafgerichte sollten wir sowieso lieber Gott überlassen. Aber dass es auch bei der Kleidung auf Erden gerechter zugeht, das ist durchaus in Gottes Sinne und das liegt auch im Bereich unserer Möglichkeiten.
Vielleicht sollten wir uns dazu an etwas erinnern, was ebenfalls beim Propheten Jesaja steht, in Kapitel 61: „Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt. Denn gleichwie Gewächs aus der Erde wächst und Same im Garten aufgeht, so lässt Gott der Herr Gerechtigkeit aufgehen und Ruhm vor allen Völkern.“ (Jes 61,10-11) Gerechtigkeit kann man also anziehen – oder besser: man bekommt sie angezogen. Gott schenkt uns neue Kleider. Er schenkt uns das Heil. Er bringt in Ordnung, was kaputt ist zwischen uns und ihm. Und damit sorgt er dafür, dass wir nun auch das in Ordnung brin-gen können, was kaputt ist zwischen uns und unseren Mitmen-schen. Er sorgt dafür, dass Gerechtigkeit wachsen kann – vor al-len Völkern und für alle Völker. Paulus drückt es im Galaterbrief so aus: „Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,27-28).
Wer dieses neue Kleid trägt, das Gott uns in Christus schenkt, und wer sich dessen bewusst ist, dass er dieses Kleid anhat, der kann entsprechend leben, auch was die Mode angeht.
Der weiß zum Beispiel um die Gefahr, die in einem alten Sprichwort steckt: „Kleider machen Leute“, sagen wir. Denn so ist es ja nun mal: Leute, die wir nicht kennen, beurteilen wir fast zwangs-läufig nach ihrem äußeren Erscheinungsbild. Also wird die adrett gekleidete junge Frau die Lehrstelle eher kriegen als die Mitbewerberin mit der Punkfrisur und der löchrigen Jeans, auch wenn sie sonst bestens qualifiziert ist. Und schon der Jakobusbrief klagt darüber, dass der Herr mit den teuren Klamotten und dem goldenen Ring im Gottesdienst den besten Platz bekommt, während der schäbig gekleidete Arme sich irgendwo hinten in die Ecke stellen muss. (Das könnte bei uns nicht passieren, meinen Sie? Na, ich hoffe es!) Auf der anderen Seite gibt es aber auch unzählige Geschichten, in denen Menschen krachend daneben liegen, wenn sie von der Kleidung auf die Person schließen. Da entpuppt sich dann der fürsorgliche Polizist in Uniform als dreister Dieb, der alten Leuten die Wertsachen aus der Wohnung klaut. Und der Jugendreferent mit dem hageren Rauchergesicht und der verwaschenen Jeansjacke, der dienstlich am Pfarrhaus klingelt, bekommt von den barmherzigen Pfarrerskindern eine Eintopfdose von Aldi in die Hand gedrückt – so geschehen vor et-lichen Jahren in Dortmund.
Also: Das Sprichwort „Kleider machen Leute“ sollten wir nicht einfach so hinnehmen, sondern es sollte uns eine Warnung sein: Versucht nicht, durch eure Kleidung etwas darzustellen, was ihr nicht seid, und beurteilt Menschen nicht nach dem, was sie anhaben. Erst recht gilt das, wenn wir durch unseren Glauben wissen, dass der Wert eines Menschen sich nie daran bemisst, was wir an ihm sehen, sondern daran, wie Gott ihn sieht. Und Gott sieht uns alle zuerst und entscheidend als seine Geschöpfe, die er unendlich liebt und für deren Rettung er selbst den Tod nicht scheut. Kleidung oder gar Mode spielen dafür keine Rolle.
Und dann noch was: „Kleider machen Leute“, das kann man auch umdrehen: „Leute machen Kleider“ – und so wird eine Tatsache daraus, die wir gern verdrängen. Alles, was wir anziehen, hat irgendjemand gemacht. Und oft hat sie oder er dafür nur einen Hungerlohn bekommen und sich Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Darüber haben wir in diesem Gottesdienst einiges erfahren. Hoffentlich haben wir es nicht wieder vergessen, wenn wir das nächste Mal Klamotten kaufen gehen. Und hoffentlich tun wir dann unseren Teil dafür, dass diese Ungerechtigkeit aufhört. Perfekt wird uns das sicher nicht gelingen, dafür ist die Sache zu kompliziert. Aber wir können auf jeden Fall mal anfangen: mit Kleider-Tauschaktionen zum Beispiel, wie es gleich eine geben wird, und ein paar weitere Tipps gibt’s noch schriftlich zum Mitnehmen. Auch in Sachen Mode für Gerechtigkeit zu sorgen, das steht uns jedenfalls gut. Denn die neuen Kleider, die Gott uns schenkt, die machen aus uns tatsächlich Leute, die ihm die Ehre geben. Und das sollte man dann auch merken. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein