Predigt Wenschtkirche, Sonntag, 02.09.2018

GOTTESDIENST FÜR DEN VIERZEHNTEN SONNTAG NACH TRINITATIS

Wenschtkirche, 2.9. 2018

Text: 1. Thess 1,1-10

Ich hab da erst mal eine Frage: Wann haben Sie zuletzt einen Brief geschrieben? Also keine SMS, keine E-Mail, keine Whatsapp-Nachricht, keine Glückwunsch-, Beileids- oder Urlaubskarte, sondern einen richtigen Brief? Und zwar nichts Amtliches oder Geschäftliches, sondern einen persönlichen Brief – einen, der mit „Liebe oder Lieber Sowieso“ anfängt und mit „Herzliche Grüße, Dein XY“ aufhört? Ist wahrscheinlich lange her! Aber versuchen Sie sich trotzdem mal zu erinnern: Womit haben Sie angefangen, wenn Sie einen solchen Brief geschrieben haben – nach der Anrede, meine ich? Haben Sie da erst mal von sich selber erzählt: von schönen oder schlimmen Erlebnissen, von Ihren Sorgen oder Ihren Wünschen, Ihrer Freude oder Ihrem Ärger? Oder ging es zuerst um den Empfänger: darum, wie es ihm oder ihr geht, um Dinge, von denen sie oder er vorher geschrieben hat oder von denen Sie gehört haben? Oder haben Sie erst mal etwas geschrieben, das Ihre Verbundenheit ausdrückt: „Ich muss so oft an Dich denken“ zum Beispiel, oder: „Ich vermisse Dich so sehr“? Und wenn das Letzte zutrifft, haben Sie dann schon mal einen Brief mit den Worten begonnen: „Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass es Dich gibt und dass Du so bist, wie du bist“ – oder so ähnlich? [mal melden lassen]
Hab ich mir gedacht, dass sich da jetzt nicht so viele melden! Ich kenne aber einen, der hat fast jeden seiner Briefe so angefangen. Das war der Apostel Paulus. Die meisten Briefe, die wir von ihm kennen, sind zwar an ganze Gemeinden, nicht an Einzelne gerichtet, aber sie sind trotzdem sehr persönlich – und sie beginnen fast immer mit einem solchen Dank an Gott. Im ersten Brief an die Christen in Thessalonike klingt das zum Beispiel so:

Paulus und Silvanus und Timotheus an die Gemeinde der Thessalonicher in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus: Gnade sei mit euch und Friede!
Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unsern Gebeten und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.
Brüder und Schwestern, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid; denn unser Evangelium kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem Heiligen Geist und in großer Fülle. Ihr wisst ja, wie wir uns unter euch verhalten haben um euretwillen. Und ihr seid unsere Nachfolger geworden und die des Herrn und habt das Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im Heiligen Geist, sodass ihr ein Vorbild geworden seid für alle Gläubigen in Makedonien und Achaia. Denn von euch aus ist erschollen das Wort des Herrn nicht allein in Makedonien und Achaia, sondern an allen Orten hat sich euer Glaube an Gott ausgebreitet, sodass es nicht nötig ist, dass wir darüber etwas sagen. Denn sie selbst verkünden über uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch bekehrt habt zu Gott, weg von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns errettet von dem zukünftigen Zorn.

Ich kann und will jetzt nicht alle Fragen klären, die Ihnen beim Hören vielleicht gekommen sind. Stattdessen bleibe ich beim Grundsätzlichen: bei der Art und Weise, wie Paulus hier von und mit seinen Glaubensgeschwistern spricht. Und ich vergleiche es damit, wie wir üblicherweise reden – miteinander und übereinander. Denn ich denke, wir können da von Paulus einiges lernen.
Das eine: Paulus fängt mit dem Dank an – und wir?
Wenn wir zum Beispiel über unsere Nachbarn reden, heißt es dann: „Ich hab so tolle Nachbarn, so freundlich, so hilfsbereit – ich kann Gott nur danken, dass ich’s mit ihnen so gut getroffen habe“? Oder stöhnen wir erst mal über das Geschrei der Kinder, dass uns entsetzlich nervt, das Gerümpel, das überall rum liegt, den Hund, der neulich doch tatsächlich in unseren Vorgarten – na, Sie wissen schon! „Okay“, sagen Sie jetzt vielleicht, „ist ja schön, wenn Leute nette Nachbarn haben. Aber was soll ich denn machen, wenn meine mich ständig nur nerven und mich noch nicht mal grüßen?“ Nun, es wäre dann zumindest mal einen Versuch wert, ob die Nachbarn vielleicht anders werden, wenn ich ihnen anders begegne. Wenn ich mal mit dem Grüßen und dem Miteinanderreden anfange. Vielleicht lerne ich dann meine Nachbarn von einer ganz anderen Seite kennen. Vielleicht merke ich: die sind ja eigentlich doch ganz in Ordnung – und die Nachbarn umgekehrt merken das auch. Dann wächst da vielleicht was, wofür ich Gott eines Tages danken kann. Und was für Nachbarn gilt, das kann man wohl auch auf Klassenkameraden, Arbeitskollegen oder Gemeindeglieder übertragen. Paulus hätte auch nie erfahren, was für tolle Menschen die Thessalonicher sind und was für wunderbare Gaben Gottes guter Geist in ihnen wecken kann, wenn er nicht auf sie zugegangen wäre, wenn er sich ihnen nicht geöffnet und ihnen von Jesus erzählt hätte. Jetzt möchte er sie als Geschwister im Herrn nicht mehr missen.
Das andere: Paulus freut sich über das, was andere können und haben – können wir das auch?
Ja, von den Thessalonichern kann man sich eine Scheibe abschneiden: Sie haben einen Glauben, der Wirkung zeigt und Ausstrahlung hat. Sie reden nicht nur von der Liebe, sondern sie setzen sie in die Tat um, auch wenn es schwierig wird und Mühe macht. Und sie leben von und mit einer Hoffnung, die standhaft bleibt und die kommende Welt Gottes nicht aus dem Blick verliert. Das hat sich herumgesprochen. Wo immer Paulus Christen aus anderen Gemeinden trifft, erzählen sie ihm von den vorbildlichen Geschwistern aus Thessalonike. Paulus könnte sich darauf natürlich was einbilden. Er könnte sagen: „Ist ja auch kein Wunder – haben sie schließlich alles von mir gelernt!“ Manchmal klingt es fast so, zum Beispiel, wenn er sagt: „Ihr seid unsere Nachfolger geworden“, unserem Beispiel gefolgt. Aber dann wird doch immer wieder deutlich, dass weder Paulus noch die Thessalonicher Grund haben, sich selber auf die Schulter zu klopfen. Denn alles, was an ihnen vorbildlich ist, haben sie von Gott; es ist alles eine Gabe des heiligen Geistes. Und das kann Paulus, das können auch andere Christen den Thessalonichern neidlos zugestehen.
Wir tun uns damit schwerer, besonders wenn anderen etwas besser gelingt als uns. Das kann schon beim Neid auf die dickeren Kartoffeln des Nachbarn anfangen, aber ich rede jetzt – näher am Text – mal lieber von Neid und Missgunst unter Christen. Ich höre zum Beispiel öfter: „Bei den freien Gemeinden, da stehen sonntags so viele Autos vor der Tür!“ Soll heißen: bei denen kommen viel mehr Leute zum Gottesdienst als bei uns. Und manchmal hat das noch den Unterton: Die, die da hinrennen, das sind die, die bei uns fehlen. Ob es umgekehrt auch Neidgefühle der Freigemeindler auf die Landeskirchler gibt, kann ich nicht so beurteilen. Ich weiß nur, dass gelegentlich dann doch mal einer zu uns wechselt, weil es ihm in der freien Gemeinde zu eng war oder zu gesetzlich zuging – womit ich nicht gesagt haben will, dass es generell so ist.
Aus dem, was Paulus an die Thessalonicher schreibt, können wir allerdings etwas anderes lernen. Denn die machten bestimmt auch nicht alles so, wie Paulus es für richtig hielt. Aber er kann sie einfach so stehen lassen, wie sie sind: mit ihren Gaben und mit dem, was diese Gaben Gutes bewirken. Es ist gut so, wie es ist, und das ist ein Grund zum Danken.
Also lasst es uns doch machen wie Paulus: Lasst uns alle miteinander Gott dafür danken, dass Gottes großer Garten ein so artenreiches Biotop ist, dass es so viele verschiedene Arten von Christen gibt. Da sind die einen, die ihren Glauben in einer überschaubaren Gemeinschaft verbindlich leben wollen. Sie finden sich in freien Gemeinden, aber auch innerhalb unserer Landeskirche. Und wir können dankbar sein für die Impulse, die von ihnen an alle Christen ausgehen: zum Beispiel dass es wichtig ist, die persönliche Beziehung zu Jesus Christus zu pflegen und die Bibel beim Wort zu nehmen. Da sind aber auch die anderen, die sich an den Freiräumen und der Vielfalt freuen, die in unserer evangelischen Landeskirche vorhanden ist. Und auch dafür können wir dankbar sein: dass sich in unserer Kirche Christen ganz unterschiedlicher Prägung begegnen können – nicht spannungsfrei, aber doch bereichernd für alle Beteiligten, dass sie mit ihrer immer noch beachtlichen Größe in der Öffentlichkeit präsent ist und Gehör findet und dass sie manche Möglichkeiten besitzt, kirchen- und glaubensferne Menschen mit dem Evangelium zu erreichen, die kleinere Gemeinschaften nicht haben.
Da sind aber auch unsere Geschwister in den anderen Kirchen. In Afrika, Ostasien oder Südamerika, wo die Gemeinden so schnell wachsen wie zu Paulus‘ Zeiten: Gott sei Dank! In den Ostkirchen, die ihren Glauben auch unter schweren Bedingungen treu bewahrt haben, auch unter muslimischer oder kommunistischer Herrschaft: Gott sei Dank! Und nicht zuletzt in der katholischen Kirche, die über über viele Jahrhunderte dafür gesorgt hat, dass der christliche Glaube unsere Kultur, unsere Gesellschaft, unsere Ethik geprägt hat und die uns daran erinnert, dass wir Christen eine Gemeinschaft sind, die die Welt umspannt und die sich um Christi willen mit ihrer Zersplitterung niemals abfinden kann. Gott sei Dank auch für sie!
Zwei Erlebnisse dieses Sommers haben mir diese Dinge wieder neu bewusst gemacht. Da war zum einen meine Reise nach Tansania zu unserer Partnergemeinde in Bagamoyo. Da leben fröhliche und engagierte Christen, die der heilige Geist mit Gaben reich beschenkt hat, obwohl (oder gerade weil?) sie sonst meist nicht zu den Reichen dieser Erde gehören. Es gibt vieles, was wir von ihnen lernen können. Und da war zum anderen ein anglikanischer Gottesdienst in St. Paul’s Cathedral in London während unseres Urlaubs: Christinnen und Christen aus aller Herren Länder und aller Haurfarben waren dort versammelt, haben gemeinsam gesungen, gebetet und auf Gottes Wort gehört und gemeinsam das Abendmahl gefeiert, egal, welcher Konfession sie angehörten.
Ich könnte noch mehr davon erzählen, aber ich denke, es ist klar geworden, worum es mir geht. Ich glaube, die Ökumene der Christenheit wäre entschieden vorangebracht, wenn wir einfach Gott danken würden für alle, die an Jesus Christus glauben, auch wenn sie es anders tun als wir selber. Es müsste keine Aufrufe geben, dass die Kirchen sich doch nun endlich mal zusammenschließen sollen, wenn wir einfach dankbar wären für die Vielfalt an Kirchen und Gemeinden, in denen der christliche Glaube gelebt wird. Denn selbst wenn eine Kirche erstrebenswert wäre, wo alles einheitlich und gleichgeschaltet ist, könnte sie ja doch nicht all den Facetten Ausdruck geben, die die Botschaft des Evangeliums schon in der Bibel hat. Wenn es bei den Kartoffelfesten, die im Moment allenthalben gefeiert werden, nur Pellkartoffeln oder nur Reibekuchen gäbe, wäre das ja auch langweilig und würde der Vielseitigkeit der Kartoffel nicht gerecht. Es ist doch gerade das Spannende, was man aus ein und derselben Kartoffel alles machen kann. Entscheidend ist also die gemeinsame Basis, und dazu gehört für Christen nach Paulus nicht viel: nur der Glaube an den lebendigen und wahrhaftigen Gott und an seinen Sohn Jesus Christus, den Gott von den Toten auferweckt hat und der unser Retter ist. Das ist für jeden Christen genug im Leben und im Sterben. Ansonsten aber darf getrost Vielfalt herrschen. Vielfalt, die wir dankbar annehmen und an der Gott seine Freude hat. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein