Predigt Talkirche, Sonntag, 27.01.2019

GOTTESDIENST FÜR DEN LETZTEN SONNTAG NACH EPIPHANIAS

Text: Mt 17,1-9

Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“ Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“ Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinab gingen, gebot ihnen Jesus und sprach: „Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“

Manchmal wünsche ich mir, Jesus hätte es uns Menschen leichter gemacht, an ihn zu glauben – wenigstens ein bisschen. Sicher, da sind seine vollmächtigen Predigten und seine Wundertaten. Selbst wenn man die Evangelien kritisch liest und annimmt, dass viele Worte und Taten Jesus erst später zugeschrieben wurden, bleibt da immer noch genug übrig, um aufzuhorchen und hinzuschauen – auch nach 2000 Jahren. Aber Jesus als Person hat so gar nichts Göttliches an sich, selbst in den Evangelien nicht, die ihn doch als Sohn Gottes bekennen. Er trägt keine Aura der Erhabenheit mit sich herum. Er schwebt nicht hoch über den Niederungen des Allzumenschlichen. In seiner Gegenwart hat niemand ehrfurchtsvoll die Schuhe ausgezogen wie Mose am Berg Horeb. Stattdessen erzählt uns das Neue Testa-ment, wie Jesus fröhlich feiert, isst und trinkt, so dass manche ihn gar als „Fresser und Weinsäufer“ beschimpfen. Es erzählt uns, wie Jesus sich auf den Straßen Galiläas staubige Füße holt, wie ihn die Müdig-keit übermannt nach einem anstrengenden Tag, so dass ihn selbst ein Sturm nicht aufweckt. Wir hören, wie er Kinder umarmt, sich mit Frauen von zweifelhaftem Ruf unterhält, Aussätzige berührt und bei Zöllnern und Sündern ebenso einkehrt wie bei Pharisäern und Schriftgelehrten. Wir lesen, wie Jesus im Tempel zornig um sich schlägt, wie ihn im Garten Getsemane das heulende Elend packt und wie er nackt und hilflos am Kreuz krepiert. Wir erfahren, wie er Menschen überzeugt und für sich gewinnt, aber andere auch abstößt und sie sich zu Feinden macht. Ein beeindruckender, großartiger Mensch, gewiss, einer, der heftiges Für und Wider auslöst – aber Gottes Sohn? Wenn Jesus diesen Anspruch erhoben hat, schon wäh-rend seines Erdenlebens, dann ist er den hieb- und stichfesten Beweis dafür schuldig geblieben.
Nur ein einziges Mal, nur für einen Moment hat Jesus den Schleier gelüftet, so erzählt es der heutige Predigttext. Nur seine drei engsten Vertrauten waren dabei, und die durften hinterher nichts davon sagen. Nur sie haben für einen Augenblick den „wahren“ Jesus gesehen: eine himmlische Lichtgestalt mit strahlend weißem Gewand, die sich von gleich zu gleich – nein, besser: als erster unter Gleichen mit Mose und Elia unterhält: den beiden größten unter den Großen des Alten Testaments, den beiden einzigen, denen Gott selbst auf seinem heiligen Berg erschienen ist. Nur Petrus, Jakobus und Johannes haben die Stimme Gottes vom Himmel gehört, die ihnen bestätigt, was sie sehen: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“
Wie so oft in den Evangelien, begreift Petrus als erster, was hier geschieht. Nun hat er die Bestätigung für das, wozu er sich ein Kapitel vorher bekannt hat: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ Aber Petrus ist es auch, der daraus wieder einmal den falschen Schluss zieht. Denn er möchte diesen Moment festhalten. Er möchte auf dem Berg bleiben und für die himmlischen Gestalten dort eine Behausung bauen. Vielleicht denkt er auch an das, was Jesus droht, wenn er wieder hinabsteigt vom Berg: an die Feinde, an das Leiden, an den Tod. Hier oben ist Jesus davor sicher. Hier kann ihm die Welt nichts anhaben. Hier kann sie nur vor ihm niederfallen und ihn anbeten.
Aber – wäre es wirklich der wahre Jesus, den sie dort anbeten würden? Ich muss an das erste Mal denken, dass Jesus im Matthäusevangelium auf einem hohen Berg stand. Damals führte ihn der Teufel dort hinauf und zeigte ihm „alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit“. Und er sagte zu ihm: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“
Dem Teufel würde es also gefallen, wenn Jesus sich auf dem Berg der Verklärung häuslich niederließe und die Anbetung der ganzen Welt genösse. Denn dieser Jesus wäre seine Kreatur: Ein Jesus, der sein himmlisches Wesen missbraucht, um Macht und Einfluss zu gewinnen. Ein Jesus, der durch seine göttliche Gestalt die Menschen zum Gehorsam zwingt, statt ihnen die Freiheit des Glaubens zu lassen. Ein Gott, der sich nur für eine Weile als Mensch verkleidet hat, aber nie wirklich Mensch geworden ist. Wenn es so wäre, dann wäre das Licht der Verklärung zwar immer noch strahlend und Ehrfurcht gebietend, aber es wäre ein kaltes Licht, das uns entweder tötet oder blind werden lässt – ein Licht ohne Wärme, ohne Leben, ohne Liebe.
Aber Gott sei Dank kommt Petrus mit seinem Angebot nicht zum Zug. Denn Jesus hat diese Versuchung längst hinter sich gelassen. Deshalb fällt Gott selber Petrus ins Wort und rückt seinen und unseren Blickwinkel zurecht: Wir sollen nicht den Himmel auf der Erde festhalten, sondern auf Jesus hören, und zwar auf den irdischen, nicht auf den himmlischen. Der muss seinen Weg auf der Erde erst zu Ende gehen, ehe die himmlische Herrlichkeit sein Platz ist. Deshalb sehen die drei fürs Erste wieder niemanden als Jesus allein. Deshalb sollen sie niemandem etwas sagen, bevor Jesus von den Toten auferstanden ist. Deshalb spricht Jesus schon beim Abstieg vom Berg wieder von seinem Leiden und Sterben. Deshalb nimmt er vielleicht auch dieselben drei Jünger mit, als er im Garten Getsemane seine dunkelste Stunde erlebt. Erst, indem er auch den Tod auf sich nimmt, wird Jesus wirklich wahrer Mensch, unser Bruder, der alles mit uns teilt. Und erst dann kann er auch wahrer Gott sein, unser Herr, der den Tod besiegt hat und dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden.
Das, was die drei Jünger hier erleben, und was wir uns manchmal wünschen, macht das Glauben also gar nicht leichter. Im Gegenteil: Wenn Christus uns hier und jetzt in seiner göttlichen Herrlichkeit erscheinen würde, wäre der Glaube überflüssig. An seine Stelle wür-de das Wissen treten, aber solange wir hier auf Erden leben, würde uns dieses Wissen zu einer falschen Sicherheit verleiten. Denn Zwei-fel und Anfechtung können zwar eine Qual sein, aber sie haben auch ihre heilsame Seite. Sie bewahren uns davor, unser Vertrauen auf die falschen Dinge zu setzen. Und sie verhindern, dass wir unsere Vor-stellung von Gott mit Gott selber verwechseln. Deshalb ist es gut, dass der Zweifel zum Glauben gehört. Er ist der Preis dafür, dass Gott auf unser freies Vertrauen setzt, nicht auf unseren erzwungenen Gehorsam.
Ich kann von mir sagen, dass ich diesen Preis gern zahle. Denn Menschen, deren Überzeugung von keinerlei Zweifel getrübt wird, die sind mir gerade deshalb schon immer suspekt gewesen. Ich denke da zum Beispiel an eine bestimmte Sorte Leserbriefschreiber aus der Siegener Zeitung. Das sind Menschen, die in punkto Glauben alles zu wissen meinen und keinerlei Abweichung davon gelten lassen. Menschen, die denken, dass alle ganz genau so glauben und die Bibel genau so wortwörtlich nehmen müssen wie sie selber, um wahre und echte Christen zu sein. Solche Menschen können zwar lang und breit über ihren Glauben reden und schreiben, aber sie können sich nicht wirklich mit anderen darüber austauschen. Denn sie lassen keinen Zweifel und keine andere Meinung zu, weil sie beides nur als Gefahr für ihren Glauben sehen können und nicht auch als Chance zur Bereicherung und Vertiefung.
Nun sind die meisten, an die ich da jetzt denke, ansonsten durchaus freundliche und liebenswerte Zeitgenossen, die niemandem etwas zu Leide tun wollen. Aber wenn Menschen, die keinerlei Zweifel haben, Macht gewinnen – jetzt mal ganz unabhängig davon, an was sie glauben – dann machen sie mir richtig Angst. Denn dann neigen sie dazu, lieber das Unglück oder gar den Tod vieler Menschen in Kauf zu nehmen, als an ihrer Überzeugung zu zweifeln. Die Führer von islamistischen Terrorgruppen sind so welche, klar. Aber die engli-schen Politiker die ohne Rücksicht auf Verluste aus der EU raus wollen, gehören auch dazu. Und Donald Trump, der an nichts glaubt außer an sich selbst, das aber ohne jeden Anflug von Skrupeln, der ist erst recht so einer. Ich weiß nicht, wieviel Schaden er und seines-gleichen in dieser Welt noch anrichten werden. Aber ich gäbe viel darum, wenn das Zeitalter der Ideologen endlich mal vorbei wäre, egal, was sie sich auf die Fahnen schreiben: das Christentum oder den Islam, den Kommunismus oder den freien Markt, die Nation / das Volk oder das eigene Ego.
Aber jetzt bin ich wieder bei Wunschträumen. Bleiben wir lieber bei der Wirklichkeit mit all ihren Anfechtungen. Und bleiben wir bei dem, was die Stimme Gottes den drei Jüngern mit auf den Weg gibt: „Das ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören!“ Und was hören wir da? Zum Beispiel dies: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Mt 5,44f) Oder das: „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Mt 16,25f) Oder jenes: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch der erste sein will, der sei euer Knecht.“ (Mt 20,26f) Oder folgendes: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ (Mt 6,19-21) Wer Ohren hat, zu hören, der höre – und handle danach! Amen.

Ihr Pastor Martin Klein