Predigt Talkirche, Sonntag, 16.10.2016

GOTTESDIENST FÜR DEN EINUNDZWANZIGSTEN SONNTAG NACH TRINITATIS

Text: Eph 6,10-17

Zuletzt: Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die hinterlistigen Anschläge des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewalti­gen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herr­schen, mit den bösen Geistern im Himmel. Deshalb ergreift die Waffen­rüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leis­ten und alles überwinden und das Feld behalten könnt. So steht nun fest, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an den Beinen gestiefelt, bereit einzutre­ten für das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.

Klingt ganz schön martialisch, dieser Text. Vom „Kämpfen“ ist da die Rede, von einer Waffenrüstung mit Panzer und Schild, Helm und Schwert, vom siegreichen „Behalten des Feldes“. Da schüttelt es den friedensbewegten Bibelleser erst einmal. Und wer uns übel will und nur oberflächlich draufguckt, der mag sagen: „Seht ihr, auch in der Bibel wird zum heiligen Krieg aufgerufen, auch hier ziehen Dschihadis­ten in den Kampf gegen die Feinde Gottes – genau wie im Koran. Also: Egal welche Religion, ohne sie wäre es friedlicher in der Welt!“

Wer aber genauer hinsieht, der entdeckt schnell, dass hier eine ganz andere Art von Kampf gemeint ist. Es geht dabei schon mal nicht um Angriff, sondern um Verteidigung, um Widerstand gegen die Aggres­sion des Bösen. Das sieht man schon an der Art der „Bewaffnung“: Brustpanzer, Helm und Schild sind ausschließlich zum Schutz da; Gürtel und Stiefel dienen der Beweglichkeit, werden aber auch nieman­dem gefährlich; nur das Schwert ist eine Waffe im eigentli­chen Sinn. Und wenn man dann noch beachtet, was mit den Bestand­teilen der Rüstung gemeint ist, dann wird vollends klar, dass es hier nicht um Glaubenskämpfe geht, wie der „Islamische Staat“ sie versteht und wie sie leider auch Christen immer wieder geführt haben.

Der Gürtel, heißt es, steht für die Wahrheit, der Panzer für die Gerech­tigkeit, der Schild für den Glauben, der Helm für das Heil, für die Rettung, die Gott uns zuteilwerden lässt. Das Schwert schließlich ist ein „Schwert des Geistes“, es steht für das Wort Gottes. Zwar kann man mit Worten auch töten, das wissen wir, und zumindest kann man andere mit Worten zutiefst verletzen. Aber das Wort Got­tes ist kein Kampfinstrument, auch kein geistiges, sondern es ist eine Botschaft des Friedens und der Versöhnung. Sie ist es, die wir Christen hinaustragen sollen mit den gut beschuhten Füßen der Freu­denboten, von denen schon beim Propheten Jesaja die Rede ist.

Anders wäre den Feinden, um die es hier geht, auch nicht beizukom­men. Gegen menschliche Angriffe mag man sich mit irdischen Mit­teln noch wehren können – sei’s mit Worten oder notfalls sogar mit Waffengewalt. Aber hier wird nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut gekämpft, sondern gegen die dämonischen Mächte des Bösen. Sie sind die wahren Herren der Welt, sagt der Epheserbrief. Ja, sogar der Himmel ist von ihnen nicht frei. Zwar ist der Sieg über sie eigent­lich schon errungen – davon redet ja das Evangelium von Jesus Chris­tus. Aber auch ein geschlagener Feind kann auf dem Rückzug noch verheerenden Schaden anrichten und vielen Menschen das Leben rauben. Denn wer in die Enge gedrängt wird, schlägt bekannt­lich besonders heftig um sich. Mit solchen Feinden habt ihr es zu tun, sagt der Epheserbrief den christlichen Gemeinden. Aber keine Angst – Gott hält die passende Rüstung für euch bereit, mit der ihr euch verteidigen könnt.

„Aber so kann man das doch nicht mehr sagen“, möchte mir viel­leicht mancher entgegnen. „Oder glaubst du noch an Teufel und Dämonen?“

Nein, das tue ich nicht. Jedenfalls nicht an böse Geister, die ir­gendwo herumflattern, oder an schreckliche Gestalten mit Teufelsfrat­zen, wie wir sie von mittelalterlichen Gemälden kennen – oder aus Grusel- und Fantasyfilmen. Aber ich glaube sehr wohl, dass das Böse in dieser Welt eine unheimliche Macht besitzt. Eine Macht, die über die bösen Taten von Menschen hinausgeht. Eine Macht, die nicht greifbar ist und derer man noch lange nicht habhaft wird, wenn man einzelne Übeltäter dingfest macht. Eine Macht, die bewirkt, dass biedere, anständige Menschen entsetzliche Dinge tun – wie so mancher KZ-Aufseher, der zu Hause ein liebevoller Famili­envater war. Eine Macht, die sich so verselbständigen kann, dass sie das ganze menschliche Zusammenleben vergiftet. Eine Macht, ge­gen die man aus eigener Kraft nicht mehr ankommt, die auch beste Absichten manchmal in ihr Gegenteil verkehrt.

Nazi-Deutschland zum Beispiel konnte mit Waffengewalt besiegt werden, was schwer genug war. Die Hauptverantwortlichen, so sie noch lebten, konnten bestraft werden. Der Ungeist aber, der die Nazis und andere Geißeln der Menschheit hervorgebracht hat, der war damit nicht aus der Welt. Und so kommt es, dass er heute sein Haupt wieder erheben kann – nicht nur in Deutschland, sondern überall. Da wird wieder geglaubt, dass die eigene Nation besser ist als andere und ein natürliches Recht auf „Größe“ hat. Da schottet man sich ab gegen alles Fremde und gräbt die übelsten rassistischen Vorurteile aus. Da zählt nur noch der ei­gene Vorteil – im Privaten wie in der Politik: Hauptsache, mir geht es gut – sollen die anderen doch sehen, wo sie bleiben. Da werden die abenteuerlichsten Verschwö­rungstheorien für wahr gehalten, wenn sie nur die eige­nen Vorurteile bestätigen. Da werden autoritäre Macht­haber bewun­dert und demokratisch gewählte Politiker an den Galgen ge­wünscht. Da tobt sich im Internet hemmungslos der blanke Hass aus. Da werden unter dem Mäntelchen des „christli­chen Abend­lands“ Ansichten vertreten, die zutiefst unchristlich sind, während wahrhaft christliches Verhalten als „Gutmenschentum“ verhöhnt wird. Und das alles machen so genannte „unbescholtene Bürger“, die meinen, man müsse das alles doch noch sagen dürfen.

Und wir? Sind wir Christen von diesem Ungeist schon angesteckt oder haben wir ihm noch etwas entgegenzusetzen?

Ich fürchte, unsere „geistliche Waffenrüstung“ ist in einem ähnlich schlechten Zustand wie die Bundeswehr: Lange haben wir nicht kämp­fen müssen, lange uns nicht mehr bedroht gefühlt. Es war be­quem und kuschelig in unserer gesellschaftlichen Nische, solange die Kirchensteuer reichlich sprudelte. Also haben wir uns dort komforta­bel eingerichtet. Wir haben viel Gutes gesagt und getan, durchaus, so­lange es Konsens war und keinem wehtat. Und wir ha­ben die ande­ren in Ruhe gelassen, solange sie uns in Ruhe ließen. Darüber ist der „Gürtel der Wahrheit“ brüchig geworden, der „Pan­zer der Gerechtig­keit“ hat Rost angesetzt, das „Schwert des Geistes“ ist stumpf, und der „Schild des Glaubens“ hat Löcher bekom­men.

Jetzt aber wäre es an der Zeit, die Rüstung aus der Rumpelkammer zu holen und auf Vordermann zu bringen, denn die Feindseligkeit des Bösen nimmt zu, und vielleicht fliegen schon bald wieder „bren­nende Pfeile“. Wegducken wird nicht reichen, wenn das Unrecht überhandnimmt und Frieden und Freiheit in immer größere Gefahr geraten. Unser Land und unsere Welt brauchen vielmehr Menschen, die sich dem Bösen entgegenstellen. Sie brauchen Leute, die für die Wahrheit eintreten, wo nur noch gelogen und betrogen wird und Fakten nicht mehr zählen. Sie brauchen Streiter für die Gerechtig­keit, wo schreiendes Unrecht herrscht. Sie brauchen das Evangelium des Friedens mehr denn je, um Gewalt und Hass zu überwinden. Sie brauchen Glauben und Halt, wo das Misstrauen regiert und nichts mehr fest steht. Sie brauchen Heil und Rettung, wo Untergang und Vernichtung drohen. Sie brauchen klare und urteilskräftige Worte, wo alle Maßstäbe verschwimmen, wo in all dem uferlosen Gerede die Sprache ihren Wert verliert. Und sie brauchen vor allem Men­schen, die sich nicht zu schade sind, für diese Dinge zu kämpfen – auch wenn es Mühe macht, auch wenn es Widerstand erzeugt und Nachteile bringt, auch wenn es womöglich irgendwann echte Gefahr erzeugt.

Wir Christen können und sollen solche Menschen sein. Wir glauben an Gott, der uns Heil und Rettung schenkt und auch unsere Welt heil machen will. Wir glauben an seine Gerechtigkeit, die letzten Endes das Unrecht besiegt. Wir glauben an Jesus Christus, der die Wahrheit in Person ist. Wir glauben, dass Gott in Christus Frieden geschlossen hat zwischen uns und ihm, dass er so Frieden und Versöh­nung auch unter uns möglich macht. Und wir glauben an den Heiligen Geist, der uns Kraft gibt für die richtigen Worte und Taten, damit deutlich wird, dass die Mächte des Bösen längst verloren ha­ben und nicht das letzte Wort behalten. Lassen wir uns also von unserem Gott das Schwert schärfen und die Rüstung polieren. Bit­ten wir ihn immer wieder um Mut und Ausdauer, um Besonnenheit und Urteilskraft, um den Blick, für das, was dran ist. Scheuen wir uns nicht, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen. Denn er lohnt den Einsatz, und wir dürfen wissen, dass er ein gutes Ende nimmt. Amen.

Ihr Pastor Dr. Martin Klein