GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG QUASIMODOGENITI
Text: 1. Petr 1,3-9
64000-Euro-Frage bei „Wer wird Millionär?“: Welches ist das höchste christliche Fest – A Weihnachten, B Ostern, C Christi Himmelfahrt oder D Pfingsten? Der Kandidat, der sich bisher wacker geschlagen hat, muss lange überlegen, entscheidet sich schließlich für Weihnachten – und scheidet aus. Ostern wäre die richtige Antwort gewesen.
Wie bitte, wird sich da mancher Zuschauer gefragt haben, Ostern? Aber an Heiligabend sind die Kirchen doch viel voller! Jeder kennt die Weihnachtsgeschichte (oder glaubt sie zumindest zu kennen), und jeder kann auf Anhieb „O du fröhliche“ oder „Stille Nacht“ vorsingen (jedenfalls die ersten zwei Zeilen), aber fragen sie mal Passanten auf der Straße nach den Emmaus-Jüngern oder nach „Christ ist erstanden“! Mit dem Stichwort „Weihnachtsfreude“ können viele noch was anfangen, aber „Osterjubel“ – haben Sie den gehört in den letzten Tagen oder Spuren davon auf den Gesichtern entdeckt? Oder gar selber gejubelt? Okay, man singt Osterlieder im Gottesdienst, wenn man denn hingeht, aber nach echtem, spontanem Jubel klingt das selten. Manche Pastoren erzählen ihrer Gemeinde deshalb Witze in der Osterpredigt, um ihr das Ostergelächter rauszukitzeln. Aber dass sie zu solch verzweifelten Mitteln greifen, zeigt ja schon, wie wenig Freude die Osterbotschaft selber auslöst.
Doch trotzdem stimmt das mit Antwort B: Ostern ist das älteste und vornehmste Fest der Christenheit. Von Anfang an haben Christen am Sonntag Gottesdienst und Abendmahl gefeiert, weil das der „Tag des Herrn“ war, der Tag der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Und spätestens seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus gibt es das jährliche Osterfest. Weihnachten kam erst zwei-, dreihundert Jahre später. Dass es heute populärer ist als Ostern, jedenfalls bei uns, hat sich erst in den letzten 200 Jahren so entwickelt.
Das hat sicher mit den Veränderungen zu tun, die Glauben und Denken allgemein erfahren haben. Unter der Geburt eines Kindes kann sich eben jeder etwas vorstellen – auch in Zeiten, wo alles wissenschaftlich erklärbar sein muss. Dass einer von den Toten aufersteht, da versagt allerdings jede Wissenschaft. Da gibt es nur noch kritische Fragen: Geht das überhaupt? War das Grab Jesu wirklich nach drei Tagen leer? Und selbst wenn: Hat sich die Welt dadurch irgendwie zum Positiven verändert? Ist das Leben auf Erden nicht immer noch dem Tod unterworfen – und zwar nicht nur dem natürlichen Lebensende, sondern dem gewaltsamen, massenhaften und unzeitigen Sterben in all seinen furchtbaren Formen? Haben die Jünger damals wirklich den Auferstandenen gesehen? Und selbst wenn: Dann konnten die Jünger, die Glücklichen, damals glauben, was sie gesehen haben. Das sind auch wir gewohnt, aber wir sehen ihn ja gerade nicht! Das ist zwar auch bei anderen Dingen so – beim Wind, beim elektrischen Strom oder bei der Liebe – aber von denen können wir wenigstens Wirkungen erleben. Doch spüren wir etwas davon, dass Jesus lebt? Anscheinend nicht oder jedenfalls nicht genug!
Neu sind diese Probleme allerdings nicht. Spätestens seit die letzten direkten Auferstehungszeugen gestorben sind, ist die Christenheit damit konfrontiert, also seit mehr als 1900 Jahren. Schon im Neuen Testament spiegelt sich das wieder. Denn dessen Texte stammen zum größeren Teil erst von Christen der zweiten oder dritten Generation. Das gilt auch für den heutigen Predigttext, einen Abschnitt aus dem ersten Petrusbrief. Er wurde geschrieben, als Petrus, der erste und wichtigste Zeuge der Auferstehung, schon nicht mehr am Leben war. Dass der Brief ihn trotzdem als Absender nennt, ist nicht als Fälschung gemeint, sondern eher als eine Art Gedankenspiel: Wenn Petrus heute noch leben würde und uns schreiben könnte, dann hätte er uns folgendes zu sagen. Und so sollten auch wir die Worte verstehen, mit denen nach dem Eingangsgruß der eigentliche Brief beginnt:
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit. Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus. Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.
Der, der hier schreibt, weiß also genau, wie es um die Menschen in den christlichen Gemeinden steht. Er weiß um die „vielfältigen Anfechtungen“, die sie erleben, als kleine Glaubensgemeinschaften in einer heidnischen Umgebung. Sie ecken an mit ihrem Lebensstil, in dem die alten sozialen Schranken keine Rolle mehr spielen. Sie werden misstrauisch beäugt, weil sie Rituale pflegen, die ihrer Umgebung rätselhaft sind. Sie ernten Kopfschütteln damit, dass sie einen Gekreuzigten für Gottes Sohn halten. Und sie gelten als Staatsfeinde, weil sie den sichtbaren Standbildern des Kaisers die Verehrung verweigern und stattdessen einen unsichtbaren Gott anbeten. Also werden sie benachteiligt, schikaniert, verhört und bedroht, müssen mehr und mehr um ihr Leben fürchten. Da wird sich mancher Christ gefragt haben, ob es sich eigentlich lohnt, das alles auf sich zu nehmen. Woher er die Gewissheit nehmen soll, dass es stimmt, was er glaubt, wo doch die meisten Menschen, die er kennt, diesen Glauben ablehnen. Und wann denn nun endlich die neue Welt Gottes sichtbar wird, die doch mit Jesu Auferstehung begonnen haben soll.
Vielen Christen auf der Welt geht es heute noch so oder gar schlimmer – zum Beispiel in Pakistan am Ostersonntag. Wir allerdings leben in einem anderen Umfeld. Wir haben alle Freiheit, unseren Glauben zu leben, unsere Institutionen sind rechtlich geschützt, und trotz Schwund bilden wir immer noch einen wichtigen gesellschaftlichen Faktor in unserem Land. Aber die Fragen sind bei uns im Grunde die gleichen: Warum glauben wir noch, was offenbar immer weniger Menschen glauben können? Warum engagieren wir uns noch für eine Kirche, für die sich anscheinend kaum noch jemand interessiert – es sei denn, sie produziert Skandale, über die man sich entrüsten kann? Und warum greift Gott nicht ein? Warum lässt er zu, dass seine Schöpfung ruiniert und seine Geschöpfe massenhaft ums Leben gebracht werden? Wenn es schon den Gläubigen um 100 nach Christus schwer wurde, auf Gottes neue Welt zu warten, wie sollen wir da noch die Geduld bewahren – im Jahr des Herrn 2016?
Um darauf zu antworten, mache ich es jetzt mal so wie der Schreiber des ersten Petrusbriefes und versuche mir vorzustellen, was Petrus uns auf solche Fragen hin zu sagen hätte. Ich denke, er würde uns vor allem zu einem Perspektivwechsel raten. Er würde sagen: Schaut nicht zuerst auf das, was euch belastet und beschwert, was euch ins Zweifeln und Grübeln bringt, sondern schaut auf das, was Gott euch schon geschenkt hat. Beginnt nicht mit Bitten und Klagen, sondern mit Lobpreis und Dank. „Gelobt sei Gott, der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“ So beginnt der Predigttext. Er verweist auf das, was schon geschehen ist, und richtet von dort unseren Blick auf die Zukunft, auf die wir hoffen dürfen. Erst danach kommt die Gegenwart in Betracht mit ihren „vielfältigen Anfechtungen“, mit ihrem „nicht sehen und doch glauben“. Und das ist eine Sichtweise, die auch uns gut täte.
Also schauen wir zunächst zurück, auf das, was schon geschehen ist. „Gott hat uns wiedergeboren“, heißt es da. Das klingt anders und ist auch anders als wenn sich jemand hinstellt und im Brustton der Überzeugung von sich sagt: „Ich bin ein wiedergeborener Christ“ – und dann, wie mancher US-Präsidentschaftskandidat, womöglich noch eine „wiedergeborene“ Politik propagiert. Denn das klingt immer so, als könnte ein Mensch zu seiner Wiedergeburt etwas beitragen, als wäre sie die Folge einer bewussten menschlichen Entscheidung. So haben es fromme Evangelisten zwar immer gepredigt, aber so steht es nicht im Neuen Testament. Dort heißt es „Gott hat uns wiedergeboren“ und niemand sonst. So wie wir uns das irdische Leben nicht selber geben können, so ist auch das neue Leben als Christ ein reines Geschenk Gottes. Nicht unsere Entscheidung zählt, sondern allein Gottes Barmherzigkeit. Nicht unsere Bekehrung ist das Datum, das alles ändert, sondern der Tag, an dem Gott Jesus von den Toten auferweckt hat. Nun muss diese schon geschehene Wiedergeburt nur noch bei uns ankommen – durch die Verkündigung des Evangeliums, durch das sichtbare Zeichen der Taufe. Aber auch das liegt nicht in unserer Hand, sondern ist Sache des heiligen Geistes. Wer also Christ ist, der ist auch wiedergeboren, der trägt das neue Leben, das Gott uns schenkt schon in sich. Nichts ist dem mehr hinzuzufügen.
Wenn das aber so ist, dann müssen wir nicht mehr ständig auf das schauen, was noch fehlt. Denn dann haben wir Grund zur Hoffnung. Das neue Leben in uns kann und wird Früchte tragen, Früchte, die dann auch zu sehen und zu spüren sind. Das ist uns versprochen. Und das geschieht ja auch, wenn wir nur mal darauf achten. Denn es ist ja nicht wahr, dass alles immer nur schlimmer und schlechter wird – weder in unserem persönlichen Umfeld, noch in unserer Kirchengemeinde oder in unserem Land, noch in der Welt im Ganzen. Es geschieht auch viel Gutes, im Großen wie im Kleinen.
Wenn Sie jetzt nach Beispielen fragen, dann nenne ich mal ein paar, die mir so einfallen:
Erstes Beispiel: Letzte Woche war wieder Kibiwo in unserer Gemeinde. Rund 100 Kinder haben dabei viel Spaß gehabt und eine Menge über Gott erfahren. Und knapp 40 Jugendliche und junge Erwachsene haben mit großem Einsatz daran mitgearbeitet. Es ist also nicht wahr, dass Kirche nur noch was für alte Leute ist.
Zweites Beispiel: Ab morgen sollen Flüchtlingsfamilien in die ehemalige Albert-Schweitzer-Schule im Wenscht einziehen. Mancher Anwohner, dem das nicht passt, wird deshalb wohl demnächst AfD wählen. Aber viele sind auch bereit, sich zu engagieren, damit diese Menschen hier ein wirkliches Zuhause finden, und sie tun sich dafür zusammen – über Partei-, Konfessions- und Sympathiegrenzen hinweg.
Und auch über das Weltgeschehen gibt es nicht nur schlechte Nachrichten. Dass es zum Beispiel seit letzten Herbst ein verbindliches Weltklimaabkommen gibt oder dass die USA und Kuba sich näher kommen, das ist doch gut. Dass es in Teilen von Syrien inzwischen eine Waffenruhe gibt, das ist auch gut. Und dass auf Erden heute längst nicht mehr so viele Menschen verhungern wie noch vor dreißig Jahren, das ist erst recht gut.
Ja, ich weiß, vieles von dem, was ich aufgezählt habe, ist noch lange nicht gut genug, und manches entwickelt sich auch zum Schlechten und macht uns zu Recht große Sorge. Und ich weiß auch, dass das Gute nur selten aus purer Nächstenliebe geschieht, sogar, wenn die handelnden Personen Christen sind. Aber die Beispiele zeigen doch, dass vieles sich zum Guten wenden kann, wenn Menschen nur wollen und sich einig werden. Und Christen, die Gott zu einer lebendigen Hoffnung wiedergeboren hat, die haben doch erst recht allen Grund, dabei mitzutun und sich dafür einzusetzen, oder?
Also lasst uns, wie es später im ersten Petrusbrief heißt, Rechenschaft ablegen von der Hoffnung, die in uns ist. Lasst uns Zeichen setzen für das neue Leben, das Gott uns geschenkt hat, und für seine neue Welt, die wir herbeisehnen. Lasst uns Ostern wieder als echtes Freudenfest feiern und dann auch österlich handeln: für das Leben und gegen den Tod. Dann muss das Warten auf „der Seelen Seligkeit“ uns auch nach 2000 Jahren nicht lang werden. Und sicher wird der auferstandene Christus lieber einer Welt offenbar, die dem Reich Gottes schon ein wenig ähnlicher geworden ist. Unsere und seine Freude werden dann umso größer sein. Amen.
Pfarrer Dr. Martin Klein