Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 13.02.2022

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG SEPTUAGESIMAE

Text: Jer 9,22-23

So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich des­sen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Treue, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.

„Eigenlob stinkt“, sagt der Volksmund. Wenn man das wörtlich nähme, dürfte man die nähere Umgebung vieler Zeitgenossen nur noch mit Gasmaske betreten. Denn wer in der Medienflut unse­rer Zeit noch Aufmerksamkeit finden möchte, der scheint ohne Loblie­der auf sich selber nicht auszukommen. Eher selten kommt das Eigen­lob so platt und plump daher wie bei Donald Trump (für sich selber ist er wohl immer noch „der beste Präsident, den Gott je er­schaffen hat“). Nein, da gibt es geschick­tere Methoden. Beson­ders gut sind darin natürlich die Weisen, die sich ihrer Weis­heit rüh­men. Die sagen nie: „Entschuldi­gung, aber ich weiß das einfach bes­ser“. Sondern sie lassen sich als Experten in die Talkshow einladen und spielen dort subtil aber deut­lich ihre intellektuelle Überlegenheit aus. Aber auch die Star­ken, wenn sie gescheit sind, lassen nicht ein­fach ihre Muskeln spie­len (die körperlichen oder die in den Waffenarse­nalen), sondern sie erzählen davon, wie ihr steiniger Weg nach oben durch Krisen und Niederlagen sie stark gemacht hat. Und die wirklich Reichen protzen nicht mit fetten Klunkern oder rassigen Sportwagen, son­dern sie gründen Stiftungen und lassen sich – am besten scheinbar widerwil­lig – als Wohltäter feiern.

Aber wir sollten nicht länger von anderen reden. Denn mal ehrlich: Wir helfen doch alle gern kräftig nach, um gut dazustehen vor uns selbst und den anderen. Wir wissen ganz genau, was die Regieren­den in Stadt, Land und Bund dringend tun müssen und ge­ben damit zu verstehen: Wenn wir da am Ruder wären, dann würde alles ganz anders laufen. Wir alle erzählen gern unsere kleinen Helden­ge­schich­ten, um durchblicken zu las­sen, was wir für Kerle oder für starke Frauen sind oder mal waren. Wir alle führen gern unsere neu­sten Besitztümer vor, damit alle sehen, was wir uns leis­ten kön­nen. Und wenn man uns lobt für unse­ren selbstlosen Einsatz oder unsere Spendenfreude – geben wir‘s zu: dann hören wir befrie­digt zu und fühlen uns gern bestätigt, dass wir zu den Guten gehö­ren.

Ja, das „sich selbst rühmen“ hat viele Facetten und Erscheinungsfor­men, und ich glaube, niemand ist ganz frei davon. Es ist ja auch gar nichts dagegen einzuwenden, wenn man mich verdientermaßen lobt und wenn das mein Selbstbewusstsein stärkt. Und falsche Beschei­denheit muss auch nicht sein. Aber wenn es bei all unserem Dichten und Trachten nur darum geht, dass wir in möglichst günsti­gem Licht erscheinen – vor uns selber, vor den anderen, auch vor Gott – dann stimmt etwas nicht. Denn das Bild, das wir dann von uns entwerfen, ist ein Zerrbild. Es entspricht nicht unserem wahren Selbst. Denn das ist nie nur weise, sondern immer auch dumm. Es ist nie nur stark, sondern immer auch schwach. Es ist nie nur reich, sondern immer auch arm. Und deshalb bekommen wir es nie aus eigener Kraft hin, so zu sein, wie wir selbst und andere uns gern sehen. All die Enthüllungen über dunkle Affären von einst bewun-der­ten Erfolgsmenschen, all die Heldengeschichten, die als Lügen enttarnt werden, zeigen uns das immer wieder. Und was un­sere eigenen Schwachpunkte angeht, die unser erwünschtes Selbst-Bild durchkreuzen: die kennen wir selber am besten. Also Vorsicht mit erhobenen Zeigefingern und moralischer Entrüstung!

Aber genug davon. Nun wird es Zeit, uns dem zuzuwenden, was der Prophet Jeremia uns anstelle des Eigenlobs empfiehlt, nämlich folgen­des: „Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin, der Treue, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.“ Demnach gibt es also auch ein Eigenlob, das nicht stinkt. Eigen­lob ist dann in Ord­nung, sagt Jeremia, wenn es sich mit dem Gotteslob verbindet und ihm den Vorrang einräumt. Wenn ich mich irgendeiner Sache rüh­men kann, dann der, dass ich Gott kenne und deshalb klug bin. Denn dann weiß ich, dass Gott treu und barmher­zig ist und dass er dem Recht und der Gerechtigkeit auf Erden zum Durchbruch verhel­fen will. Und nur darauf kann ich mich verlassen – nicht auf mich selbst und meine eigenen Kräfte.

So weit, so gut. Aber wie komme ich denn dazu, dass ich Gott kenne? Ich kann ihn ja nicht sehen, ich kann ihn nicht erfassen, ich werde nie fertig damit, mir eine angemessene Vorstellung von ihm zu machen. Vielleicht lobe ich mich auch deshalb lieber selber, denn mich kenne ich ja – oder glaube mich jedenfalls zu kennen.

Wenn wir dazu auf andere Stellen der Bibel achten, dann stellen wir fest: Gott können wir nur kennen, wenn er uns zuvor erkannt hat. Und „erkennen“, das geschieht in der Bibel nicht nur mit dem Ver­stand, sondern es umfasst die ganze Person. „Jemanden erkennen“, das heißt, mit ihm eine umfassende Beziehung einzugehen. Damit ist schon klar: Zu Gott können wir eine solche umfassende Bezie­hung nicht aufbauen. Dafür sind wir zu klein und begrenzt und Gott zu groß und unendlich. Aber umgekehrt geht es. Gott geht mit uns eine Beziehung ein und er bleibt uns treu, weil er uns liebt. Das sagt schon das Alte Testament für die Beziehung zwischen Gott und sei­nem Volk Israel. Und das Neue Testament bestätigt das und weitet es aus, in dem es davon spricht, dass Gott selber Mensch wird. Wer das erkennt durch Gottes guten Geist, der kennt Gott. Das heißt nicht, dass er alles über Gott weiß, aber er weiß alles über ihn, was nötig ist, um bei ihm festen Halt zu finden im Leben und im Sterben.

Wer Gott auf diese Weise kennt, sagt Jeremia, der ist auch klug, der gewinnt Einsicht. Und zu dieser Klugheit dürfen wir uns nun in der Tat ungehemmt beglückwünschen. Denn sie lässt uns die Welt im Licht Gottes sehen – das heißt: nicht so, wie sie nach außen er­scheint oder erscheinen möchte, sondern so, wie Gott sie sieht, also wie sie wirklich ist.

Das ist einerseits sehr ernüchternd. Denn Gott durchschaut alles Eigenlob, alles Schönreden und alle Selbstüberschätzung, und ohne sie stehen wir ziemlich nackt und bloß da. Wir müssen uns eingeste­hen, dass wir weder uns selbst optimieren, noch die Welt verbes­sern können – ja, dass es uns nicht einmal gelingt, die Welt so zu erhalten, wie Gott sie geschaffen und uns anvertraut hat. „Offenba­rungseid“ nennt man so etwas im Konkursverfahren.

Aber solche Ernüchterung ist auch sehr heilsam. Denn sie wird uns künftig davor bewahren, unser Vertrauen auf menschliche Weisheit, menschliche Stärke und menschlichen Reichtum zu setzen – sei es bei den so genannten Großen dieser Welt, sei es bei uns selber. Wer klug ist und Gott kennt, der muss auf keinen angeblichen Heilsbrin­ger mehr hereinfallen. Der kann die Illusionskünstler durchschauen, die mehr scheinen als sein wollen. Und der kann Nein sagen, wenn solche Gestalten ihn für ihre dubiosen Ziele vereinnahmen wollen. Hätte es vor 90 Jahren, als die Nazis sich die Macht griffen, bloß mehr von dieser Klugheit gegeben! Und gäbe es bloß heute mehr davon, wo so mancher Demagoge mit Lug und Trug Anhänger um sich schart und Wahlen gewinnt!

Und noch was: Wer klug ist und Gott kennt, der muss sich nicht mehr dessen rühmen, was er weiß und kann und hat, aber er kann all das einsetzen, um im Namen Gottes Recht und Gerechtigkeit in die Welt zu tragen. Der kann sich einsetzen für diejenigen, denen ihr Menschenrecht und damit Gottes Recht vorenthalten wird – und das, ohne dabei Unterschiede zu machen. Der kann sich engagieren für verfolgte Christen, aber dabei verfolgte Muslime und verfolgte Bürgerrechtler nicht vergessen. Der kann von Politik und Wirtschaft fordern, mehr gegen die Erderwärmung zu tun, aber dabei nicht vergessen, sich auch mit dem eigenen Energieverbrauch zu beschäf­tigen. Und der kann meinetwegen auch für mehr Freiheit in Sachen „Corona“ demonstrieren, wenn er dabei nicht vergisst, dass sehr viele Menschen in punkto Freiheit ganz andere Sorgen haben.

Ich belasse es bei diesen wenigen Beispielen. Wenn wir Gott ken­nen, dann sind wir ja klug genug, um selber zu wissen, wo gerade unser Einsatz möglich und gefragt ist. Wir haben viele Gaben, Gott sei Dank! Mögen wir sie einsetzen, nicht zur eigenen Ehre, sondern zum Lob und zum Ruhme Gottes. „Denn“, so sagt er uns durch Jere­mia, „solches gefällt mir“. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein