Predigt, GZ „mittendrin“, Sonntag, 28. Januar 2024

Gottesdienst für den letzten Sonntag nach Epiphanias

Text: 2. Kor 4,6-10

Heute ist der letzte Sonntag nach Epiphanias. Mit ihm endet im Kir­chenjahr die Weihnachtszeit. Jetzt erst? fragt da vielleicht mancher. Gefühlt ist Weihnachten doch schon längst vorbei! Die Weihnachts­bäume sind abgeholt, die Krippen und Herrnhuter Sterne eingemot­tet, die Plätzchen aufgegessen, die Geschenkgutscheine eingelöst, und der Alltag hat uns längst wieder. Die Lokführer streiken, die Bauern protestieren, die AfD ist im Umfragehoch, in der Ukraine und in Gaza ist immer noch Krieg, und wer weiß, was uns in diesem Jahr noch alles blüht. Sorgen über Sorgen, Probleme über Probleme. Wer denkt da noch an „Euch ist heute der Heiland geboren“? An jubilierende Engel? Oder auch nur an die paar friedlichen Stunden bei Kerzenschein?

Trotzdem: Die Botschaft des Weihnachtsfestes bleibt. Sie gilt das ganze Jahr. Deshalb ist es gut, dass uns der heutige Predigttext noch einmal daran erinnert – gerade weil er darum weiß, wie weit unsere irdische Existenz vom Licht der Weihnacht entfernt ist. Ich lese 2. Korinther 4,6-10:

Gott, der da sprach: „Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten“, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuch­tung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die über­schwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir verzagen nicht. Wir sind ratlos, aber wir verzweifeln nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlas­sen. Wir werden niedergeworfen, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.

Paulus spricht hier von sich selbst, von seinem Dienst als Apostel Jesu Christi. Es ist ein Dienst, der sich immer am Rand des Scheiterns bewegt. Überall stößt Paulus auf Widerstand: Bei den Juden, für die der Messias Jesus ein Ärgernis ist. Bei den römischen Behörden, die Aufruhr wittern und die öffentliche Ordnung in Gefahr sehen. Bei anderen christlichen Missionaren, die es falsch und gefährlich fin­den, wie Paulus die Botschaft Jesu auslegt. Ja, selbst in den von ihm gegründeten Gemeinden, die sich von solchen Missionaren verunsi­chern lassen. Mehrmals hat er schon Prügelstrafen erhalten oder ist im Gefängnis gelandet. Gerade erst stand sein Schicksal in Ephesus auf Messers Schneide. Und von den „normalen“ Gefahren auf sei­nen vielen Reisen haben wir dann noch gar nicht gesprochen: von Staub und Hitze, von Räubern und Wegelagerern, von Stürmen und Schiffbrüchen. Dazu kommt noch eine unbekannte Krankheit, von der er immer wieder heimgesucht wird.

Paulus hat also wahrlich kein leichtes Leben. Trotzdem lässt er sich nicht unterkriegen. Er hat eine Vision. Er möchte so viele Menschen wie möglich mit dem Evangelium von Jesus Christus erreichen. Das ist sein Auftrag. Der auferstandene Christus selber hat ihm den gege­ben. Deshalb macht er weiter, trotz aller Schwächen, trotz aller Hindernisse. Und deshalb erlebt er auch, dass es immer weiter geht, dass Gott auch in den dicksten Mauern Türen öffnet, dass tatsäch­lich immer mehr Menschen zum Glauben an Jesus Christus finden. Ja, er ist bedrängt, aber er verzagt nicht. Er ist zu Weilen ratlos, aber er verzweifelt nicht. Er wird verfolgt, aber er ist nie von Gott verlas­sen. Er erlebt Niederlagen, aber er ist noch nicht besiegt.

Man könnte Paulus bewundern dafür: Was für eine Ausdauer! Was für eine Leidensfähigkeit! Was für ein Gottvertrauen! Aber er will gar nicht bewundert werden. Ich habe diese Kraft nicht, sagt er. Sie kommt von Gott, nicht aus mir. Ich bin nur so was wie ein Tonkrug, der Behälter für alles Mögliche in der antiken Welt – gewöhnliche Dutzendware. Aber in dieses unscheinbare und zerbrechliche Gefäß hat Gott einen Schatz hineingelegt. Er, der das Licht geschaffen hat mitten in der Finsternis, er hat es auch in meinem Herzen hell wer­den lassen. Und deshalb hab ich erkannt: In Jesus Christus ist Gott selber Mensch geworden. Auf dem menschlichen Angesicht Jesu strahlt die Herrlichkeit Gottes auf. „Gottheit und Menschheit berüh­ren sich beide – Schöpfer, wie kommst du uns Menschen so nah!“ Davon muss ich reden. Das muss ich bezeugen in Wort und Tat. Ich muss diesen Schatz, dieses Licht zu den Menschen tragen. In aller Schwachheit, in aller Unvollkommenheit, in aller Lebensgefahr, aber ohne jemals das Ziel aus den Augen zu verlieren – so wie Jesus, der den Tod nicht scheute, um uns das Leben zu schenken.

Und wie ist das bei uns? Wir sind natürlich nicht Paulus. Wir sind keine Apostel. Wir sind nur ganz nor­male Christenmenschen. Aber auch wir tragen diesen Schatz in uns. Und auch wir sind nichts ande­res als irdene Gefäße. Das ist uns ja auch klar, wenn wir ehrlich zu uns sind. Alles Irdische ist zerbrechlich wie ein tönerner Krug: Ehen, Familien, Freundschaften sind zerbrech­lich. Wohlstand ist zerbrech­lich. Frieden ist zerbrechlich. Demokratie ist zerbrechlich, wenn sie in die falschen Hände gerät. Das ökologische Gleichgewicht ist zerbrech­lich, wenn menschli­che Gier es durcheinanderbringt. Und wie zerbrechlich ist erst ein Menschenleben – wie schnell kann eine Krankheit, ein Un­fall, ein Gewaltakt es auslöschen! Das Wissen da­rum, die Bilder da­von stürzen auf uns ein – so geballt wie nie zuvor. Es bedrängt uns von allen Seiten. Es macht uns ratlos. Es drückt uns nieder. Es verfolgt uns bis in die eigenen vier Wände, bis in den Schlaf. Wir sind nicht Paulus, wir erleiden nicht seine Bedrängnisse, aber seine Erfahrung machen wir auf unsere Weise auch.

Und doch ist da dieser Schatz, in all unserer Zerbrechlichkeit. Das Licht, das Gott in der Finsternis erstrahlen lässt. Der göttliche Glanz auf dem menschlichen Angesicht Jesu Christi. Der Mensch gewor­dene Gott als Wickelkind im Futtertrog. Der Lobgesang der himmli­schen Heerscharen. Der Stern, der den Weisen den Weg zeigt. Die Gewissheit: Gott ist da, hier bei uns und für uns. Und dieser Schatz bleibt. Er vergeht nicht wie die Weihnachtsfeiertage. Er wird nicht entsorgt wie der Baum oder weggepackt wie sein Schmuck. Er ver­liert nicht schon bald seinen Wert wie so viele Geschenke. Nein, er bleibt da, für immer.

Oft denken wir nicht diesen Schatz. Oft sehen wir nur seine schäbige und zerbrechliche Verpackung. Oft denken wir, er ist unerreichbar fern, tief begraben unter dem Berg unserer Probleme. Aber so ist es nicht. Der helle Schein ist da in unseren Herzen. Gott hat ihn uns gegeben, und Gott nimmt nichts wieder zurück. Es darf Licht werden und licht bleiben in unserem Leben. Damit wir die Wege sehen, die aus der Bedrängnis führen. Damit wir die Lösungen finden, die uns aus der Ratlosigkeit befreien. Damit wir spüren, dass wir nicht verlas­sen sind. Damit wir unsere Niedergeschlagenheit überwinden, uns aufrichten und die Lichter sehen, die uns Hoffnung geben.

Ein solches Licht ist mir letzten Donnerstag auf dem Bismarckplatz aufgegangen: So viele Menschen, die aufgestanden sind für die Men­schenwürde, die Freiheit, die Demokratie und gegen eine Par­tei, die all das verachtet, auch wenn sie es im Munde führt. Natür­lich sind nicht alle, die dort waren, vom christlichen Glauben moti­viert, viele aber schon. Etliche von ihnen waren zum ersten Mal über­haupt auf einer Demo. Und ich bin überzeugt: Da war etwas spürbar von dem Schatz in irdenen Gefäßen. Denn die Liebe Gottes gilt allen. Er ist Mensch geworden, nicht Deutscher oder Europäer. Christus ist das Licht der Welt, nicht eines angeblich christlichen Abendlands. Und wer Menschen sortieren will nach solchen, die bleiben dürfen, und solchen, die gehen müssen, stellt sich gegen Gottes Liebe und Gottes Gebot. Denn Gott, der da sprach: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, der sprach auch: „Der Fremd­ling soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer, und du sollst ihn lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr, euer Gott.“

Also: Da wo Menschen die Liebe Gottes in die Welt tragen, da wo sie diese Liebe weitergeben in Wort und Tat und Konsequenzen daraus ziehen, auch für politisches Handeln, da ist sozusagen das ganze Jahr Weihnachten. Da sieht das Volk, das im Finstern wandelt, ein helles Licht. Da leuchtet der helle Schein in unseren Herzen und wird für alle sichtbar – vielleicht nur schwach, vielleicht nur gebro­chen, weil wir nun mal schwache, zerbrechliche Menschen sind, aber doch unübersehbar. Und es wird wahr, was Jochen Klepper gedichtet hat:

Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und –schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.
Amen.

Ihr Pastor Martin Klein