Nicaragua – das Land der tausend Vulkane

finnhermeling1Ein Jahr in dem kleinen Land im Herzen Mittelamerikas. Ich berichte über das Leben in Managua, der Hauptstadt Nicaraguas

„Oye, Cele!“ – „Hör mal, Weißer!“. Ich gehe über den Markt Roberto Huembes. Nicht nur durch meine Kleidung falle ich auf. Auch meine blonde Haarfarbe und weiße Hautfarbe machen mich zu einem reichen, gutzahlenden Kunden. Nach fast 5 Monaten schenke ich den Rufen kaum noch Aufmerksamkeit. Nur noch selten versucht man, mich mit sanftem Händegriff am Stand zu behalten. Die Frau mittleren Alters fragt nochmal: „Was suchst du, Hosen, Hemden, Schuhe? Frag einfach!“, und zeigt auf ihren Laden hinter sich. Schmunzelnd antworte ich: „Ich suche Ananas!“ Aber anstatt eines unfreundliches „Ich-verkaufe-kein-Essen“ zeigt sie mir die Richtung, in die ich gehen muss. An einem Essensstand angekommen, verhandle ich mit dem Mann um den Preis einer Ananas. Und wieder mal bin ich der weiße, gutzahlende Kunde und soll fast das Doppelte des normalen Preises zahlen. Wir einigen uns auf 20 Cordoba, umgerechnet 60 Cent, ein guter Preis für uns beide.

Etwa so sehen die regelmäßigen Einkäufe aus, die ich jede Woche tätigen muss. Auch sonst falle ich auf, im Bus, im Taxi, im Restaurant, beim Gehen auf der Straße. Anfangs hatte ich damit noch ein Problem, wenn man mir auf der Straße mit „Cele!“ – „Weißer!“(sprich ‚Tschehle‘) hinterherruft. Mittlerweile bin ich hier in Nicaragua richtig angekommen, und kann das Wort „Cele“ nicht nur übersetzen, sondern es tatsächlich auch verstehen. Es geht bei „Cele“ nämlich nicht direkt um die Hautfarbe, sondern bedeutet eher etwas wie „feiner Herr“, was fast immer positiv, seltener negativ gemeint ist. So habe ich jetzt gelernt, Missverständnisse zu erkennen und zu tolerieren. Es ist die eine Sache, Dinge zu lernen; die andere, Dinge tatsächlich zu begreifen.

Auch der christliche Glaube spielt hier eine große Rolle. Ein Großteil der Menschen ist katholischer Konfession. Im Unterschied zu Deutschland sind die Kirchen selten prachtvoll oder groß, sonder eher klein und improvisiert. Unter einem Wellblechdach stehen einige Holzbänke, ein Tisch vorne, ein Rednerpult, das war´s. Trotzdem findet die Kirche großen Zulauf. Viele Menschen schöpfen daraus täglich Kraft für ihr Leben. Auch wenn ich in einem extrem armen Land lebe (das zweitärmste Land Amerikas, wo viele Leute weniger als 2 Euro am Tag verdienen), sieht man selten richtiges Elend. Jeder zieht sich so gut an, wie er kann; und auch ein Bekannter, der jetzt seit einigen Tage kein Dach mehr über dem Kopf hat, ist trotzdem immer gut angezogen. Der Mangel an Geld ist hier nicht gleichbedeutend mit dem Verlust der Würde.

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So vergesse ich manchmal, wo ich lebe. Auch wenn es Stadtteile gibt, in denen man sich nachts besser nicht alleine aufhält, kann ich mich frei und sicher bewegen und muss nicht ständig mit Überfällen rechnen. Nicaragua erscheint so als durchschnittlich reiches Land. Wenn meine Sicherheit aber durch eine Diktatur auf Kosten anderer gestützt wird; wenn ein nicht mal zwölfjähriger Junge mit einem schweren Sack auf dem Rücken im Bus Wasser verkaufen muss, dann merke ich, dass hier in Nicaragua noch viel getan werden muss; und dass dieses Land noch am Anfang seiner Entwicklung steht. Wo in Deutschland in der jüngeren Generation Englisch ein Standard ist, spricht hierzulande kaum jemand, auch nicht die Jugendlichen, Englisch. Die Bildung ist einfach zu schlecht. Umso mehr freue ich mich, dass ich bei Padre Fabretto in einem Zentrum mitarbeiten kann. Auch wenn meine Arbeit vermutlich weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein ist, lege ich einen Grundstein für einen langen Weg hin zu besserer Bildung.

Ich bedanke mich bei allen zu Hause, die mir und nachfolgenden Generationen dieses Jahr möglich gemacht haben und freue mich schon auf einen weiteren Bericht und darauf, nach meiner Rückkehr mehr zu erzählen. Über meine Erfahrungen berichte ich ausführlicher im Internet auf www.hola-nicaragua.de. Ich bin auch per E-Mail (markushermeling@gmx.de) zu erreichen. Außerdem möchte ich allen Gleichaltrigen einen Auslandsfreiwilligendienst ans Herz legen. Man übernimmt nicht nur Verantwortung für seine Mitmenschen, sondern kann sich auch persönlich bilden und seinen eigenen Horizont erweitern.

Finn Hermeling