Predigt Wenschtkirche, Sonntag, 21.02.2016

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG REMINISZERE

Text: Röm 5,1-5

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn ha­ben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns aufgrund der Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedräng­nis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoff­nung, Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Bedrängnis – an diesem Stichwort bin ich hängen geblieben, als ich den Text gelesen habe. Ja, habe ich mir gedacht, an diesem Stichwort bekommst du den Text zu fassen. Hier hast du sozusagen das „Pa­ck-Ende“, das ihn mit unserer Wirklichkeit verbindet. Wachsende Be­drängnis – die nehme ich deutlich wahr, wenn ich mich um­schaue in meiner Umgebung, in unserer Kirche, in unserem Land, in unserer Welt.

Ich sehe die Bedrängnis des Planeten Erde: den Klimawandel mit seinen fatalen Folgen, den Raubbau an den natürli­chen Ressourcen, sieben Milliarden Menschen, von denen der größere Teil in Armut und Elend lebt. Und womöglich machen sich bald noch viel mehr von ihnen auf den Weg, um bei uns einen Anteil an dem Wohl­stand zu ergattern, in dem wir viel zu lange auf ihre Kosten gelebt haben.

Ich sehe die Bedrängnis unserer Politiker: Sie sind inzwischen mit so vielen komplizierten Problemen auf einmal kon­frontiert, dass auch die Fähigsten unter ihnen mit ihrer Lösung über­fordert sind. Oder wissen Sie, wie man gleichzeitig mehrere Bürger­kriege beendet, den Terror besiegt, die Flüchtlingskrise bewältigt, die EU-Finanzen vor dem Kollaps bewahrt, überhaupt den europäischen Laden beieinan­der hält und nebenher noch die Energiewende schafft?

Auch unsere Kirche sehe ich in Bedrängnis. Nicht weil sie mit weni­ger Geld und Gemeindehäusern auskommen muss. Auch nicht weil der muslimische Bevölkerungsanteil wächst. Sondern weil ihr Glau­bensfundament bröckelt. Weil immer weniger Menschen bereit sind, sich in ihr zu engagieren – sei’s haupt- sei’s ehrenamtlich. Und weil sie immer mehr Menschen völlig egal ist. Obwohl diese Bedrängnis immer noch harmlos erscheint, wenn ich an die vielen Geschwister denke, die anderswo brutal verfolgt und unterdrückt werden.

Und schließlich sehe ich die vielfältigen Bedrängnisse der Menschen um mich herum: die Bedrängnis der Alten, die ihren Alltag kaum noch bewältigen können; die Bedrängnis der Berufstätigen, die sich zerrieben vorkommen zwischen all den Anforderungen, die Be­drängnis der Familien, denen der Zusammenhalt und die nötige Zeit füreinan­der fehlt, die Bedräng­nis der Kinder und Jugendlichen, die mit Hoffnungen und Erwartungen bepackt werden, die sie kaum er­füllen können.

Also: das Stichwort „Bedrängnis“ beschreibt eine Wirklichkeit, die uns vertraut ist. Aber was Paulus dazu sagt, das klingt für uns reich­lich seltsam: „Wir rühmen uns der Bedrängnisse“. – Bedrängnis als Ruhmesblatt? Was soll das? Sollen wir etwa stolz darauf sein, wenn es uns schlecht geht? Sollen wir uns etwa freuen über all die Belas­tungen, die wir selbst und andere uns auferlegen? Empfiehlt Paulus uns Galgenhumor als Ausweg aus der Krise?

Natürlich tut er das nicht. Denn der Satz geht ja noch weiter: „Wir rühmen uns der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Ge­duld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden.“ Also: Nicht über die Bedrängnis freut sich Paulus, sondern über ihre positiven Folgen: Geduld – Bewährung – Hoffnung – nicht zu Schanden wer­den.

So ähnlich trösten wir uns ja auch manchmal: „Vielleicht hat der ganze Schlamassel ja auch sein Gutes.“ Oder: „Was uns nicht um­bringt, macht uns nur noch härter!“ Aber wenn ich noch mal drüber nachdenke, muss ich zugeben: Ich bekomme Bedrängnis, Ge­duld, Bewährung, Hoffnung nicht so einfach auf die Kette, wie Pau­lus das tut. „Bedrängnis bringt Geduld“? Stimmt doch gar nicht! Wer in Be­drängnis ist, bekommt es mit der Angst zu tun, gerät in Panik, stürzt sich bestenfalls in den Mut der Verzweiflung, aber er wird doch nicht geduldig! „Geduld bringt Bewährung“? Gut, wer in der Bedrängnis durchhält, standhaft bleibt, geduldig ausharrt, von dem kann man hinterher sagen, dass er sich bewährt hat. Aber es kann auch anders ausgehen. Schon mancher, der in Bedrängnis stur auf seinem Stand­punkt beharrt hat, ist daran gescheitert und mit fliegen­den Fahnen untergegangen. „Bewährung bringt Hoffnung“? Okay, wer einmal eine schwierige Lage durchgestanden hat, der geht vielleicht mit mehr Zuversicht den nächsten Schwierigkeiten entgegen. Aber man­chen lässt der erfolgreiche Kampf ums Dasein auch abstumpfen oder zum Zyniker werden. „Hoffnung lässt nicht zu Schanden wer­den“? Schön gesagt – aber auch nicht schöner als: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ oder „Hoffen und Harren hält manchen zum Narren“!

So einfach erschließt sich die Logik also nicht, mit der für Paulus das eine aus dem anderen folgt. Entweder sind seine Worte auch nur so eine hilflose Ermunterung wie „wird schon wieder“ oder „wer weiß, wofür’s gut ist“. Oder wir haben noch nicht alles bedacht, was Paulus dazu bringt, die Dinge so zu sehen. Um das zu tun, müssen wir den ganzen Abschnitt wohl noch mal im Zusammenhang hören:

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn ha­ben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns aufgrund der Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedräng­nis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoff­nung, Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.

„Wir sind gerecht geworden durch den Glauben“ – das ist der Aus­gangspunkt, von dem aus Paulus so reden kann, wie er es tut. Gott hat durch Jesus Christus dafür gesorgt, dass wir ihm recht sind, dass zwi­schen uns und Gott alles in Ordnung ist. Und im Glauben daran, im Vertrauen darauf wird es für uns wahr – für uns ganz persönlich und für uns als Gemeinschaft der Christen.

Wir sind Gott recht, und weil das so ist, haben wir Frieden mit Gott. Weil das so ist, haben wir Zugang zu seiner Gnade und Vergebung. Weil das so ist, füllt Gott unser Herz bis zum Rand mit seiner Liebe. Weil das so ist, verbindet er sich untrennbar mit uns durch seinen heiligen Geist. Und weil das so ist, lässt Gott uns hoffen auf eine Zukunft, in der wir selbst und die Welt heil werden.

Nur weil Paulus das glaubt, darauf vertraut, davon überzeugt ist, hat es Hand und Fuß, was er über die Bedrängnisse sagt. In der Be­drängnis ausharren und sie durchstehen, das kann nur, wer außerhalb der Bedrängnis einen festen Halt hat. Meine Not aushalten, das geht nur, wenn ich weiß: Was auch immer geschieht, meinen Frieden mit Gott, meine Hoffnung auf seine Zukunft kann mir niemand nehmen. Und je mehr ich spüre, wie mich diese Hoffnung trägt, desto stärker wird sie werden und mich nicht zugrundegehen lassen.

Einer von denen, die so gelebt haben, wie Paulus es hier beschreibt, war Martin Luther King, schwarzer Baptistenpfarrer (als solcher auch begeisterter Gospelsänger), Bürger­rechtler und Friedensnobel­preisträger. Wenige Stunden, bevor ihn die tödliche Kugel eines wei­ßen Rassisten traf, sagte er in seiner letzten Rede: „Ich weiß nicht, was jetzt kommt, aber es kommt mir auch nicht da­rauf an. Ich bin ohne Sorge. Ich würde gern lang leben, so wie jeder. Ein langes Le­ben ist eine gute Sache. Doch das alles kümmert mich jetzt nicht. Ich will jetzt einfach Gottes Willen tun. Er hat mir er­laubt, auf den Berg zu kommen. Ich habe drüben die andere Seite gesehen. Ich habe das Gelobte Land gesehen. Möglich, dass ich nicht mit euch dahin kom­men kann. Aber das sollt ihr jetzt wissen: Zu­sammen, als Volk, wer­den wir das Gelobte Land betreten. Darum bin ich heute glücklich. Nein, ich mache mir um nichts mehr Sorgen. Ich fürchte keinen Menschen. Denn meine Augen haben Gottes Kom­men, seine Herr­lichkeit gesehen.“

Um so zu leben – und zu sterben – muss man kein Martin Luther King sein. Dazu könnte ich viele Beispiele nennen, und Sie könnten es bestimmt auch. Ich könnte von vielen Menschen erzählen, denen ihr Glaube dazu verhilft, ihr Päckchen zu tragen, ob es nun groß oder klein ist. Und ich denke, wir alle können dazu gehören. Wir alle kön­nen uns bei Gott immer wieder die Kraft holen, die uns der Bedräng­nis standhalten lässt. Nicht zuletzt dazu feiern wir heute Gottesdienst. Denn dabei begegnet uns immer wieder neu die Liebe Gottes, die wir in uns aufnehmen kön­nen. Sie begegnet uns in guten, tröstlichen Worten, in mitreißenden, frohmachenden Liedern, ob alt oder neu, in Brot und Wein beim Abendmahl. Möge sie unser Herz auch heute wieder füllen und uns dann dorthin be­gleiten, wo unsere Bedrängnis auf uns wartet. Amen.

Pfr. Dr. Martin Klein