Text: Jesaja 7,10-14
König Ahas von Juda hatte es nicht leicht. Sein Vorgänger, der alte Usia, war beim Volk beliebt gewesen, denn zu seiner Zeit ging es dem Land gut. Aber seit Ahas in Jerusalem regierte, ging alles schief: Die Ernten waren schlecht, mit der Wirtschaft ging’s bergab, und jetzt drohte auch noch Krieg. Und natürlich sagten die Leute: Ahas ist schuld. Er sitzt in seinem Palast, lässt es sich gut gehen und tut nichts gegen unsere Probleme. Ahas fand das ungerecht, denn was sollte er schon machen? Das Wetter konnte er nicht ändern, der Wirtschaft ging es überall schlecht, und gegen die mächtigen Assyrer, die ein Land nach dem anderen eroberten, konnte er auch nichts ausrichten. Seine Nachbarn, die Könige von Israel und Syrien, wollten ihn überreden, mit ihnen gegen Assur in den Krieg zu ziehen. Aber davon hielt er gar nichts, denn die Assyrer waren viel stärker als sie alle zusammen. Da war es besser, man verhielt sich ganz still und unauffällig. Dann übersahen sie einen vielleicht und ließen einen leben.
Während er über das alles nachgrübelte, kam ein Bote mit Neuigkeiten, und die waren schlecht: In Ephraim, an der Grenze zu Juda, waren Truppen aufmarschiert. Die Könige von Israel und Syrien rüsteten zum Krieg gegen Ahas. Sie wollten ihn durch einen anderen König ersetzen, der nach ihrer Pfeife tanzte.
Nun wurde Ahas ernsthaft nervös. In wenigen Tagen konnte Jerusalem schon belagert sein. Sofort machte er sich auf den Weg und inspizierte die Stadtmauern – alt und brüchig – und die Wasserversorgung – schwach und ungesichert. Was sollte er da bloß machen? Allein hatte Juda keine Chance. Es brauchte Verbündete. Aber wen? Die Nachbarvölker, Ammon, Moab, Edom? Die freuten sich doch nur, wenn Juda eins auf den Deckel bekommt! Ägypten? Zu weit weg. Blieben also nur – die Assyrer! Die würden nur zu gern in Israel und Syrien einmarschieren. Aber sie halfen Ahas bestimmt nur, wenn er sich ihnen unterwarf. Und dann war er beim Volk endgültig unten durch. Ein Nachkomme des großen König David, der sich zum Knecht der Assyrer machte? Damit würde er den Ruf des ganzen Königshauses ruinieren. Er konnte sich schon denken, was er sich dann anhören müsste.
Und wie aufs Stichwort sah er auch schon seinen größten Kritiker nahen: Jesaja, den Propheten. Woher der nur wieder wusste, wo er den König finden konnte? Schon öfter hatte Ahas das Gefühl, dass der Mann Gedanken lesen konnte. Und Jesajas Worte bestätigten diesen Verdacht:
„Der Herr weiß, was für Pläne du hegst, o König. Und er lässt dir sagen: Tu das bloß nicht! Wenn du die Assyrer einmal rufst, wirst du sie nicht wieder los. Dann musst du ihnen gehorchen und kannst nicht mehr dem Gott deiner Väter dienen. Stattdessen bleib einfach ruhig, vertrau auf den Herrn und fürchte dich nicht vor dem König von Israel und dem König von Syrien! Sie sind wie zwei verbrannte Holzscheite: Sie rauchen noch ein wenig, aber ihre Glut ist schon verloschen. Sie können dir nichts anhaben.“
„Da bin ich nicht so sicher“ entgegnete Ahas. „Gottvertrauen ist ja gut und schön. Aber Kriege gewinnt man mit militärischer Stärke. Und dafür brauche ich assyrische Hilfe. Sonst verliere ich meinen Thron.“
Jesaja schüttelte den Kopf. „Du wirst deinen Thron nicht verlieren“, sagte er. „Gott hat König David versprochen, dass immer einer seiner Nachkommen in Jerusalem König sein soll. Und als du König wurdest hat Gott dir gesagt: Ich will dich schützen wie meinen eigenen Sohn.“
„Aber das sind doch alles nur Worte“, rief Ahas. „Was ich brauche, sind Waffen und Soldaten.“
„Na gut“, sagte Jesaja. „Wenn dir Worte nicht reichen, dann bitte Gott doch um ein Zeichen dafür, dass er dir hilft.“
Ahas winkte ab. „Ein Zeichen? So was wie ein Blitz aus heiterem Himmel? Nein, danke! Ich bin doch nicht abergläubisch. Und außerdem heißt es doch: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“
„Schade, Ahas“ erwiderte Jesaja. „Ich fürchte, dir ist nicht mehr zu helfen. Aber ein Zeichen gibt dir der Herr trotzdem: Es kommt die Zeit, da wird eine junge Frau schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen. Den wird sie Immanuel nennen – Mit-uns-ist-Gott. Er wird auf dem Thron Davids sitzen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben. Er wird den Krieg abschaffen und ein Fürst des Friedens sein. Und er wird seine Herrschaft nicht mit Gewalt ausüben, sondern mit Recht und Gerechtigkeit. Das wird der Herr tun, denn er liebt sein Volk. Leb wohl!“
Der Prophet drehte sich um und ging, und Ahas schaute ihm noch lange nach. Frieden? Recht? Gerechtigkeit? Ein schöner Traum! Aber die Wirklichkeit sah leider anders aus. Zurück in seinem Palast schrieb er folgenden Brief an den König von Assur: „So spricht Ahas, der König von Juda: Ich bin dein Knecht und dein Sohn. Komm her und hilf mir aus der Hand der Könige von Israel und Syrien, die gegen mich Krieg führen.“ Er drückte sein Siegel auf den Brief und übergab ihn einem Boten, der ihn nach Ninive bringen sollte. „Träum weiter, Jesaja!“ dachte er. „Ich kann mir keine Träume leisten.“
Heutige Politiker können König Ahas wohl gut verstehen. Denn sie handeln ja meist mach den gleichen Grundsätzen: Gemacht wird erstens das, was geht, und zweitens das, was mir den eigenen Kopf bzw. die nächste Wiederwahl rettet. Ideale, Überzeugungen, Glaube gar – das alles wird dabei eher als störend empfunden. Bestenfalls sorgt es für ein bisschen schlechtes Gewissen. Und weil wir alle ja im täglichen Leben auch nicht viel anders handeln, wäre ein Mensch wie Jesaja bei uns wohl auch bald als Träumer verschrien.
„Ruhig bleiben und auf Gott vertrauen“, so habe ich Jesajas Devise umschrieben. „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“, so lautet sie wörtlich in der Bibel. Aber reicht das denn wirklich, wenn Armeen aufmarschieren oder Viren sich verbreiten, wenn der Kampf gegen die Klimakatastrophe uns über den Kopf wächst, wenn unser Wohlstand, unsere Gesundheit, unser Leben bedroht ist?
Nun, Jesaja hätte sicher nichts dagegen gehabt, wenn Ahas so schnell wie möglich die Stadtmauer ausgebessert und seine Truppen verstärkt hätte. Auch heute wäre er sicher nicht gegen Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen aller Art. Aber er kreidet es dem König an, dass es für ihn neben der Realpolitik und dem eigenen Vorteil keine andere Wirklichkeit mehr gibt. Für Jesaja ist aber diese andere Wirklichkeit entscheidend. Nach ihr verdankt Ahas seinen Thron dem Versprechen Gottes an David und deshalb trägt er auch vor Gott Verantwortung für das, was er tut. Denn nur in dieser anderen Wirklichkeit gibt es die Dinge, nach denen sich alle Menschen sehnen: wahren Frieden, echte Gerechtigkeit, unverrückbares Recht. Gott hält sie dort für uns bereit. Aber nicht, damit wir uns dorthin träumen bis zum nächsten bösen Erwachen, sondern damit sie von dort aus Eingang finden in unsere ganz andere Realität. Und genau das ist der Glaube, zu dem Jesaja seinen König auffordert: auf den Frieden, das Recht, die Gerechtigkeit Gottes vertrauen und dann entsprechend handeln.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass das so nicht funktioniert. Nur weil ich klare Vorstellungen vom wahren Frieden und der echten Gerechtigkeit habe, muss es mir noch lange nicht gelingen, hier und jetzt etwas davon umzusetzen. Wenn ich es ungeschickt anstelle, erreiche ich manchmal sogar eher das Gegenteil – siehe Irak, siehe Afghanistan. Nein, Gott muss seinen Frieden und seine Gerechtigkeit schon selber in die Welt bringen, damit daraus mehr als eine vage Hoffnung wird und mehr als ein paar nobelpreiswürdige Aktionen.
Deshalb gibt Gott dem Ahas ein Zeichen, auch gegen seinen Willen. Deshalb kündigt er ihm die Geburt eines neuen, eines ganz anderen Königs an. Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst – so lauten seine Titel. Immanuel – „mit uns ist Gott“, so soll sein Name sein. Und vom Neuen Testament her nennen wir ihn Jesus – „Gott rettet“ sein Volk. Seit er gekommen ist und weil er gekommen ist, seit da dieses Kind in Windeln gewickelt in einer Krippe lag, ist Gott mit uns. Seitdem haben Friede, Recht und Gerechtigkeit eine Adresse auf dieser Erde. Seitdem sind sie aus unserer Wirklichkeit nicht mehr wegzudenken, so sehr sie auch von den Mächtigen ignoriert werden mögen. Seitdem können wir gewiss sein, dass der Ruf nach Frieden und Gerechtigkeit auf Erden nicht mehr verstummen wird, bis er endlich Antwort findet in Gottes neuer Welt.
Ein Traum? Ja, vielleicht ist es ein Traum. Aber dann einer von der Sorte, wie ihn Martin Luther King geträumt hat. Sein Traum von einer besseren Welt gab ihm die Kraft auf seine gewaltlose Art für diese Welt zu kämpfen. Und er hat viel bewegt, auch wenn er das Ziel nicht erreicht hat. Also sollten auch wir uns das Träumen weder selber verbieten, noch es uns verbieten lassen. Und wenn unsere Träume uns dann noch dazu bringen, völlig realitätsfremd, weil uneigennützig zu handeln, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Wenn wir es noch nicht getan haben, sollten wir gleich nach Weihnachten damit anfangen. Amen.
Ihr Pastor Martin Klein