Christi Himmelfahrt am Klafelder Markt, Donnerstag, 26. Mai 2022

PREDIGT FÜR CHRISTI HIMMELFAHRT

Allianz-Gottesdienst, Klafelder Markt, 26.5. 2022

Text: Dan 7,2-14

Preisfrage: Was wissen Sie über Alexander den Großen? Okay, „333 – bei Issos Keilerei“ – das fällt den meisten noch ein. Aber wo liegt Issos? Und worum ging‘s bei der Keilerei? Da wird’s schon schwieri­ger! Manche wissen vielleicht ein bisschen mehr: Alexander war König von Makedonien, eroberte das riesige Perserreich von Ägyp­ten bis fast nach Indien, starb ziem­lich jung. Und um seine Nach­folge gab es dann die sprichwörtlichen „Diadochen­kämpfe“. Schließ­lich teilten diese Diadochen das Reich unter sich auf und verbreite­ten die griechische Kultur im ganzen Vorderen Orient. Und weil die alten Griechen immer noch ho­hes Ansehen genießen, finden wir das im Zweifel gut.

Die damals Eroberten sahen das allerdings anders. In Jerusalem zum Beispiel. An der abgelege­nen Kleinstadt in den Bergen war Alexan­der achtlos vorbeigerauscht. Aber auch dort lebte man nun unter griechischer Herrschaft, ausgeübt von den Nachfahren des Seleukos, ei­nes der Heerführer Alexanders. Nun, man hatte schon die Assyrer ertragen, die Babylonier, die Perser – man würde sich irgendwie auch mit den Griechen arrangieren. Lange ging das auch ganz leid­lich. Aber dann kam ein Herrscher auf den Thron, der die Juden alles Griechi­sche hassen lehrte: Antiochus IV. Der wollte Ordnung und Einheitlichkeit in seinem Reich – natürlich unter griechischem Vorzei­chen. Alles was davon abwich, wurde rücksichtslos besei­tigt. Jerusalem wurde verwüstet, der Tempel des Herrn geplündert und die Ausübung der jüdischen Religion bei Todesstrafe verboten. Schließ­lich setzte Antiochus dem Ganzen noch die Krone auf: er ent­weihte persönlich das Allerheiligste im Tempel und ließ dort eine Zeus-Statue aufstellen. Das hätte er allerdings besser bleiben las­sen. Denn damit löste er einen Au­fruhr aus, der am Ende die griechi­sche Herrschaft hinwegfegte.

Am Vorabend des Aufstands hatte ein frommer Israelit eine Vision und schrieb sie auf. Weil man bei so etwas besser anonym blieb und weil er sich in der Tradition der alten Propheten sah, lieh er sich dafür den Namen des Propheten Daniel. Der war damals als in Babel unter starkem Druck seinem Glauben treu geblieben, und ihm wollte er nun nacheifern. Hier ist sein Bericht:

Ich, Daniel, sah ein Gesicht in der Nacht, und siehe, die vier Winde unter dem Himmel wühl­ten das große Meer auf. Und vier große Tiere stiegen herauf aus dem Meer, ein jedes anders als das andere.

Das erste war wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah, wie ihm die Flügel ausgeris­sen wurden. Und es wurde von der Erde aufgehoben und auf die Füße gestellt wie ein Mensch, und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben.

Und siehe, ein anderes Tier, das zweite, war gleich einem Bären und war auf der einen Seite aufgerichtet und hatte in seinem Maul zwi­schen seinen Zähnen drei Rippen. Und man sprach zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch!

Danach sah ich, und siehe, ein anderes Tier, gleich einem Panther, das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken und das Tier hatte vier Köpfe, und ihm wurde Herrschergewalt gegeben.

Danach sah ich in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, ein viertes Tier war furchtbar und schrecklich und sehr stark und hatte große eiserne Zähne, fraß um sich und zermalmte, und was übrig blieb, zertrat es mit seinen Füßen. Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere und hatte zehn Hörner. Als ich aber auf die Hörner achtgab, siehe, da brach ein anderes klei­nes Horn zwischen ihnen hervor, vor dem drei der vorigen Hörner ausgerissen wurden. Und siehe, das Horn hatte Augen wie Menschenaugen und ein Maul; das redete große Dinge.

Da sah ich: Throne wurden aufgestellt, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupt wie reine Wolle; Feuerflammen waren sein Thron und dessen Räder loderndes Feuer. Da ergoss sich ein langer feuriger Strom und brach vor ihm hervor. Tausendmal Tausende dienten ihm, und zehntau­sendmal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht wurde gehalten und die Bücher wurden aufgetan. Ich sah auf um der gro­ßen Reden willen, die das Horn redete, und ich sah, wie das Tier getö­tet wurde und sein Leib umkam und in die Feuerflammen gewor­fen wurde. Und mit der Macht der an­dern Tiere war es auch aus; denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt, wie lang ein jedes leben sollte.

Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Ihm wurde gegeben Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschie­denen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.

Wenn man einen Tyrannen kritisiert und trotzdem weiterleben will, muss man aufpassen, was man sagt und schreibt. Das war damals in Jerusalem nicht anders als heute in Russland. Also ist der ganze Text gut verschlüsselt. Damalige Leser werden verstanden haben, was und wer jeweils gemeint ist, aber wir Heutigen kriegen das nicht mehr so genau raus. Klar ist nur, dass das kleine Horn mit der gro­ßen Klappe Antiochus den IV. darstellt. Aber die Details sind auch nicht so wichtig, und erst recht werde ich mich hüten, sie auf Erschei­nungen der Gegenwart zu deuten. Wichtiger ist das, was „Daniel“ grundsätzlich über die Reiche dieser Welt zu sagen hat – nüchtern und ungeschönt, aber auch tröstlich.

Erstens: Die Herrscher dieser Welt behaupten gern, dass sie Ord­nung, Gerechtigkeit und Frie­den bringen. Das reicht von der „Pax Romana“ bis zur „neuen Weltordnung“, die auf jeder US-Dollar-Note beschworen wird. Und auch Wladimir Putin will ja nur die Einheit Russlands wiederherstellen und die ukrainischen Brüder von ihrem bösen Nazi-Regime befreien. Lasst euch bloß nicht täuschen, ruft Daniel uns zu. Das sind auch alles nur Mäuler, die große Dinge re­den. In Wahrheit gab und gibt es keine Weltmacht, die nicht auf Gewalt und Unterdrückung gründet. Hinter der glänzenden Fassade, hinter dem vielleicht gar humanitären Anstrich sind sie alle wilde, fleischfressende Tiere. Der Weg, auf dem ein Augustus zum „Friedens­bringer“ wurde, ist mit unzähligen Leichen gepflastert. Wo die USA Freiheit und Demokratie predi­gen, geht es eher um Einflusszo­nen und Wirtschaftsinteressen, und das oft ohne Rück­sicht auf Verluste – fragen Sie mal die Vietnamesen oder die Iraker. Und um nicht nur von anderen zu reden: Auch unser deutscher Wohl­stand hat viel mit Raubbau und Ausbeutung anderswo auf Er­den zu tun. Also: die Gestalten mögen verschieden sein – mal offen bestialisch, mal schein­bar human – aber sie alle sind Ungeheuer, die aus dem aufgewühlten Meer steigen. Hinter allen stehen die Mächte des Chaos und der Zerstörung. Das klingt bitter, aber ich fürchte, es ist wahr.

Zweitens: Wie groß und stark die Reiche der Welt auch sein mögen, sie werden doch verge­hen, eins nach dem andern. Schon das Daniel­buch blickt auf mehrere untergegangene Impe­rien zurück. Hundert Jahre später gehörte auch das Reich der Seleukiden dazu, geschluckt von den Römern. Die haben sich recht lange gehalten, aber auch von ihnen ist nicht mehr geblie­ben als ein paar imposante Ruinen und Latein als ungeliebtes Schulfach. Danach kamen die Araber, die Mongolen, die Türken, das spanische, französische, britische Kolo­nial­reich, auch ein gewisses „tausendjähriges Reich“, das gott­lob nur zwölf Jahre dauerte. Und jetzt gerade erleben wir wieder eine Zeit schwächelnder Weltmächte. Auch Russland ist ja nur ein Koloss auf tönernen Füßen. Auch Putin wird nicht ewig regieren, sooft er sich auch wiederwählen lässt, und gegen Korruption und wirtschaft­lichen Verfall helfen keine Atomraketen. Das ist zwar für die Welt nicht ungefährlich, denn wer untergeht, reißt meistens vieles mit sich. Und doch ist es tröstlich, dass sich Gewaltherrschaft auf Dauer noch nie ausgezahlt hat.

Das dritte und letzte fasse ich in ein bekanntes Zitat von Gustav Heine­mann: „Lasst uns der Welt antworten, wenn sie uns furchtsam machen will: Eure Herren gehen, unser Herr aber kommt!“ Denn dass die Herren der Welt gehen, reicht noch nicht – solange dann nur neue Herren kommen, die auch nicht besser sind. Aber irgend­wann wird es da sein, das „Ende der Geschichte“. Dann wird Gott, der „Uralte“, der immer da war, vor aller Augen seine Herr­schaft aufrichten, und er wird sie dem übertragen, der aussieht „wie eines Menschen Sohn“ – auf immer und ewig.

So steht es bei Daniel. Aber gilt das noch? Denn das Reich des Antio­chus war dann ja doch nicht das letzte der vier Tiere. Auch die Rö­mer waren es nicht, wie man zur Zeit des Neuen Testaments dachte. Und wir müssen damit rechnen, dass auch die gegenwärtigen Welt­mächte noch nicht die letzten sein werden. Geht es also doch immer so weiter? Ist die Hoffnung auf Gottes neue Welt vergebens?

Nicht, wenn Jesus Recht hatte, als er das mit dem Menschensohn auf sich selber bezog. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es für uns klingt. Denn im Buch Daniel sind mit dem Menschen­sohn die „Heiligen des Höchsten“ gemeint: diejenigen aus Israel, die ihrem Gott treu geblieben sind. Ihnen wird zum Lohn die Herrschaft über die Welt übertragen (V.18.22.27). Wenn Jesus also von sich als dem Menschensohn spricht, dann meint er damit: „Es gibt letztlich nur einen Heiligen des Höchsten, nur einen wirklich treuen Israeliten, und das bin ich. Wenn der Menschensohn kommen wird mit den Wolken des Himmels, dann wer­den es alle erkennen.“ Als Jesus sich entsprechend äußerte, als gefesselter Gefangener vor dem Hohen Rat, da war das eine gewaltige Provokation. Der Hohepriester konnte gar nicht anders, als ihn dafür zum Tode zu verurteilen. Und doch ist es wahr, glauben wir als Christen. Nicht, weil Jesus es ge­sagt hat, sondern weil Gott es bestätigt hat, als er Jesus von den Toten aufer­weckte. Seitdem hat der Menschensohn seinen Platz zur Rechten Gottes. Seitdem hat er seine Weltherrschaft schon angetre­ten. „Je­sus Christus herrscht als König“ – allem äußeren Anschein zum Trotz. Das feiern wir heute an Christi Himmelfahrt. Und weil er schon herrscht, hat unsere Hoffnung festen Grund. Unser Herr kommt, weil er schon da ist. Und es kommt die Zeit, wo alle es se­hen und sich dazu bekennen müssen.

Wie sieht sie aus, diese Herrschaft? Nun, sie ist eben die Herrschaft eines Menschen, nicht von wilden Tieren. Eines Menschen, der so ist, wie Gott ihn gemeint hat. Eines Menschen, der seine Verantwortung für Gottes Schöpfung ernst nimmt. Eines Menschen, der nicht auf Gewalt und Unterdrückung setzt, sondern auf Frieden und Gerechtig­keit. Eines Menschen, der sich nicht an Gottes Stelle set­zen will, sondern Gott treu bleibt und gerade so ganz mit ihm eins ist. Und auf diese wahre Menschlichkeit müssen wir nicht warten. Sie hat längst begon­nen. Überall wo Menschen wirklich menschlich handeln, unterstellen sie sich der Herr­schaft des Menschensohns – bewusst oder unbewusst. Und überall dort, wird etwas von seiner Herrschaft sichtbar, nicht erst irgendwann, sondern hier und jetzt.

Ja, unser Herr kommt. Er ist schon unterwegs. Mit jedem Akt der Menschlichkeit kommt er näher. Und wenn die Leute das nicht mer­ken, dann lasst es uns ihnen sagen. Und lasst uns selber so handeln, als wahre Menschensöhne und –töchter in der Nachfolge Jesu. wie der Men­schensohn Jesus es uns gezeigt hat. Dann werden es doch wie­­der ganz viele sein, die Heili­gen des Höchsten. Und wir alle dür­fen dazugehören. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein