GOTTESDIENST FÜR DEN VIERTEN
ADVENT
Talkirche, 20.12. 2009 Pfr. Dr. Martin Klein Text:
Phil 4,4-7
Freuet euch in
dem Herrn allezeit, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte
lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um
nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen
mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher
ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus
Jesus.
Jetzt ist sie
wieder da: die Zeit der guten Wünsche. Je näher das Weihnachtsfest
rückt, desto öfter bekomme ich sie zu hören und zu lesen: „Tschüss
und schöne Feiertage“, werde ich beim Bäcker verabschiedet. „Frohes
Fest und n’ guten Rutsch“ wünscht mir der Bekannte, den ich auf
der Straße treffe. „Firma XY wünscht allen ihren Kunden ein friedvolles
Weihnachtsfest und ein erfolgreiches neues Jahr“, lese ich in der
Zeitung. „Wir wünschen euch allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest“,
schreibt uns meine Schwester. Und auch ich selbst mache von solchen
Wunschformeln im Moment reichlich Gebrauch. Meistens wünsche ich
„frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr“ – nicht besonders originell,
aber dafür fast universell verwendbar.
Aber wirklich
nur fast. Manchmal verkneife ich mir auch die guten Wünsche, weil
sie der blanke Hohn wären. In einer früheren Gemeinde musste ich
zum Beispiel einmal kurz vor Weihnachten einen älteren Mann beerdigen,
der an Krebs gestorben war. Bis fast zum Schluss hatte er die Rolle
des starken Beschützers seiner ebenfalls schwer kranken Frau gespielt,
auch als er selber kaum noch aufstehen konnte. Nun stand sie ganz
allein da, denn auch der einzige Sohn lag nach einem Herzinfarkt
im Krankenhaus. Sie hat damals keine „frohen“, sondern sehr einsame
und traurige Weihnachten erlebt. Zahlreiche ähnliche Beispiele könnten
wir auch hier bei uns finden: schwer Kranke, Trauernde und Depressive,
die von der Festfreude ringsum noch zusätzlich bedrückt werden;
arbeitslose Mütter oder Väter, die von Hartz IV leben müssen und
ihren Kindern keine Geschenkeberge auftürmen können; Ehepaare und
Familien, bei denen der Haussegen schon lange schief hängt und bei
denen das erzwungene weihnachtliche Beisammensein regelmäßig im
großen Krach endet.
Und wie steht
es mit Ihnen? Freuen Sie sich auf Weihnachten? Oder haben Sie auch
Angst vor dem Alleinsein oder vor Streit mit Ihren Lieben? Oder
kommen Sie gar nicht dazu, sich zu freuen – vor lauter Putzen, Backen,
Kochen, Einkaufen, Geschenke besorgen, Briefe schreiben und daneben
noch Arbeiten Müssen? Ich selbst jedenfalls merke mal wieder, wie
wenig ich in den letzten Tagen zum Luftholen gekommen bin. Wahrscheinlich
gibt es deshalb zur Zeit diese vielen guten Wünsche. Denn wünschen
tut man sich ja immer das, was man nicht hat. Vielleicht ist das
auch mit Weihnachten so: Wir wünschen uns deshalb ein frohes Fest,
weil wir so oft ein bloß geschäftiges oder gar deprimierendes Fest
erleben. Wir wünschen uns deshalb ein paar sorgenfreie Tage, weil
uns die Sorgen spätestens nach Neujahr sowieso wieder einholen.
Und wir wünschen uns ein friedvolles Fest, weil wir schon so oft
zu Weihnachten Streit zwischen Menschen und Krieg zwischen Völkern
erlebt haben. Wir haben die guten Wünsche also bitter nötig. Aber
ob sie was helfen?
Und da kommt nun
also der Apostel Paulus daher und ruft uns zu: „Freut euch in dem
Herrn allezeit, und abermals sage ich euch: Freuet euch! – Sorgt
euch um nichts! – Der Friede Gottes wird euch bewahren!“ Zu jeder
Zeit sich freuen können? Sich um nichts sorgen? In wirklichem Frieden
geborgen sein? Bitte, lieber Paulus, wie soll das denn gehen? Wo
wir das doch kaum für drei Tage Weihnachten schaffen – und das trotz
des gewaltigen Aufwands, den wir dafür treiben! Wenn im Gottesdienst
am Heiligabend die ausnahmsweise voll besetzte Kirche laut und kräftig
„O du fröhliche“ singt, dann springt vielleicht auch in unserem
Herzen ein ganz kleiner Freudenfunke über. Wenn wir das Glück haben,
unser Fest mit kleinen Kindern zu feiern, die im weihnachtlich geschmückten
Zimmer noch leuchtende Augen bekommen – dann können wir vielleicht
wirklich für einen Moment unsere Sorgen vergessen. Und wenn der
Kerzenschein unser Haus in ein warmes und freundliches Licht taucht,
während es draußen dunkel und still ist, dann kehrt vielleicht für
einen Augenblick tatsächlich Frieden ein. Aber ist es uns jemals
gelungen, davon etwas festzuhalten, es mitzunehmen in den Alltag?
„Immer fröhlich, alle Tage Sonnenschein“ – das haben wir zwar früher
in der Sonntagschule gesungen, aber als Lebensmotto taugt es doch
nur für Traumtänzer.
Seltsam ist allerdings,
dass Paulus wenig Anlass für Traumtänzereien hat, als er diese Sätze
diktiert. Er sitzt im Gefängnis. Ihm wird der Prozess gemacht, weil
er glaubt, dass Jesus Christus und nicht der Kaiser in Rom der Herr
der Welt ist, und weil er das jedem erzählt, der es hören oder nicht
hören will. Er muss mit dem Schlimmsten rechnen, sein Leben hängt
an einem seidenen Faden. Und währenddessen ziehen seine theologischen
Gegner durch die Gemeinden und machen ihn und seine Arbeit schlecht.
Jetzt verunsichern sie sogar die Gemeinde in Philippi, wo er seine
treusten Freunde hat. Paulus muss das alles wehrlos mit ansehen.
Er kann nur Briefe schreiben, aber nicht immer hat er damit Erfolg.
Zum Verzweifeln ist das, aber Paulus ruft zur Freude auf. Sein Prozess
steht auf Messers Schneide, aber er schreibt: „Sorgt euch nicht“.
In seinen Gemeinden herrscht Streit und die Obrigkeit führt Krieg
gegen die neue Lehre, aber Paulus schreibt vom Frieden Gottes. Wenn
wir ihm mal zugute halten, dass er nicht im Knast verrückt geworden
ist, muss er dafür einen triftigen Grund haben.
Das ganze Geheimnis
steckt in einem kleinen Sätzchen, das man leicht übersehen kann:
„Der Herr ist nahe!“ Das ist einer der schlichten, aber doch bedeutungsvollen
Kernsätze, die die ganze Bibel durchziehen. „Wo ist ein so herrliches
Volk, dem ein Gott so nahe ist wie uns der Herr, unser Gott, sooft
wir ihn anrufen?“ So bekennt das alte Israel (Dtn 4,7). „Das Himmelreich
ist nahe herbeigekommen“, das verkündigen Johannes der Täufer und
Jesus (Mk 1,15). „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag nahe herbeigekommen“,
sagt Paulus im Römerbrief (13,14). Gott will seinen Menschen, seinen
Geschöpfen nahe sein, das ist die Botschaft, die hinter all diesen
Aussagen steckt. Und genau darum geht es auch bei Advent und Weihnachten.
So nahe kommt uns Gott, wie Jesus den Kindern nahe war, als er sie
umarmte und segnete. So nahe kommt er uns, wie Jesus seinen Freunden
nahe war, als er mit ihnen aß und trank. So nahe, wie Jesus seiner
Mutter Maria nahe war, bevor sie ihn zur Welt brachte. Und wenn
es wirklich stimmt, dass es Gott selbst war, der uns in Jesus nahe
gekommen ist, dann galt das nicht nur für die Zeit seines irdischen
Lebens. Sondern dann behält es seine Gültigkeit für alle Zeit, bis
es eines Tages allen offen vor Augen steht. Wenn Paulus sagt: „Der
Herr ist nahe“, dann meint er vor allem diese Zukunft, den Tag,
an dem es der ganzen Welt deutlich wird, was Gott durch Jesus Christus
zum Heil seiner Schöpfung getan hat. Aber bis es soweit ist, ist
Gott nicht einfach wieder in der Ferne verschwunden. Dass er uns
nahe ist, weil er in Jesus Mensch geworden ist, dabei bleibt es
auch hier und jetzt. Deshalb sagt Paulus, dass die, die an Christus
glauben, „in Christus“ sind. Da wo sie ihren Glauben leben, einzeln
und als Gemeinde, da leben sie sozusagen im gleichen Raum mit Jesus
Christus. Noch ist es dunkel in diesem Raum, so dass wir ihn nicht
sehen können. Aber wir können Zeichen dafür entdecken, dass er uns
nahe ist: zum Beispiel einen Zuspruch, der uns tröstet, ein Lied,
das uns froh macht, Brot und Wein, die uns miteinander und mit Christus
verbinden.
Weil ich darauf
vertraue, dass das wahr ist, möchte ich Ihnen heute folgenden Wunsch
für die Feiertage mit auf den Weg geben: Ich wünsche Ihnen, dass
sie etwas davon spüren, dass Gott Ihnen nahe ist – auch, aber nicht
nur zur Weihnachtszeit. Vielleicht merken Sie dann, dass man sich
über die Geburt Jesu freuen kann, auch wenn man nicht in fröhlicher
Stimmung ist. Vielleicht erleben Sie, dass da einer ist, der Ihnen
die Sorgen tragen hilft, die auch der Kerzenschein nicht vertreiben
kann. Und vielleicht erfahren Sie etwas von dem inneren Frieden,
den Gott schenkt, auch wenn das Weihnachtsfest seinem Ruf als „Fest
des Friedens“ mal wieder keine Ehre macht. Und wer weiß – vielleicht
wird Ihr Weihnachtsfest gerade dann auch nach außen fröhlicher,
sorgenfreier und friedlicher, als es die beste Weihnachtsstimmung
bewirken kann. In diesem Sinne wünsche ich nun wirklich jedem und
jeder von Ihnen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.
Amen.
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