Predigt vom 14. Dezember

GOTTESDIENST FÜR DEN DRITTEN
ADVENT

Talkirche, 14.12. 2008
Pfr. Dr. Martin Klein
Text:
Mt 11,2-6

Als aber Johannes
im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger
und ließ ihn fragen: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen
wir auf einen andern warten?“ Jesus antwortete und sprach zu ihnen:
„Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde
sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote
stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist,
wer sich nicht an mir ärgert.“

Wenn einer im
Gefängnis sitzt, dann hat er viel Zeit zum Nachdenken. Auch Johannes
dem Täufer geht es so. Sein Landesherr, der Vierfürst Herodes Antipas,
hat ihn in den Kerker werfen lassen, weil Johannes sich allzu deutlich
zu seinem Ehebruch mit der Frau seines Bruders geäußert hatte. Da
sitzt er nun, den drohenden Tod vor Äugen, und kommt ins Grübeln
über die spärlichen, aber aufregenden Nachrichten, die ihn erreichen.

Er kann sich noch
gut an diesen Jesus aus Nazareth erinnern, den er im Jordan getauft
hat – so wie viele andere auch. Jetzt zieht Jesus durch Galiläa,
spricht wie Johannes von der anbrechenden Herrschaft Gottes und
heilt dem Vernehmen nach Kranke und Besessene. Ein Teil seiner früheren
Anhänger folgt nun Jesus. Sie sind überzeugt: Jesus ist derjenige,
den Johannes angekündigt hat. Der, der nach ihm kommt, der stärker
ist als Johannes, so dass er nicht wert ist ihm die Schuhe zu tragen.
Der nicht mit Wasser sondern mit Feuer taufen wird. Der, durch den
Gottes Herrschaft auf Erden anbrechen wird.

Aber Johannes
selber ist da nicht so sicher. Seine Frage an Jesus macht das deutlich.
Sie zeigt, dass Johannes sich noch nicht einfach als Vorläufer Jesu
versteht, wie es sich den Evangelisten später im Rückblick darstellte.
Er hatte einen angekündigt, der nach ihm kommen sollte, das ist
wahr. Aber Jesus ist ganz anders, als Johannes sich das vorgestellt
hat. Keiner, der erst einmal tüchtig aufräumt unter den verdorbenen
Führern des jüdischen Volkes, dieser Schlangenbrut, mit Herodes,
dem hinterlistigen Fuchs, an der Spitze. Keiner, der die Axt schwingt
gegen die Bäume, die keine gute Frucht bringen. Keiner, der die
Spreu vom Weizen trennt und sie dann ins Feuer wirft. Nicht der
kommende Richter, der Gottes Zorngericht an allen Gottlosen vollzieht.
Nein, für Jesus bedeutet Gottes Herrschaft zuerst Heil und erst
dann Gericht. Er hält zwar Distanz zu den Mächtigen, aber er greift
sie nicht an. Er vernichtet die Sünder nicht, sondern spricht ihnen
Gottes Vergebung zu. Er kann also nicht der sein, der da kommen
soll. Und trotzdem: Das, was Jesus sagt und tut, könnte er nicht,
wenn Gott nicht mit ihm wäre. Also entweder Jesus ist der Kommende,
und Johannes hat sich falsche Vorstellungen von ihm gemacht. Oder
er ist es nicht, sondern nur ein weiterer Bote des Kommenden. Oder
er ist ein falscher Prophet.

Johannes muss
darüber Klarheit haben, bevor es mit ihm zu Ende geht. Deshalb schickt
er seine Leute zu Jesus und lässt ihm die Frage überbringen, die
ihm auf den Nägeln brennt: „Bist du es, der da kommen soll, oder
sollen wir auf einen andern warten?“

Die Juden haben
diese Frage für sich mit Nein beantwortet. Sie warten bis zum heutigen
Tag auf einen anderen, wenn sie denn überhaupt glauben, dass da
noch einer kommt. Und sie haben für ihr Nein gute biblische Gründe.
Keine der Verheißungen, die von einem kommenden Retter sprechen,
lässt sich eins zu eins auf Jesus übertragen: Er hat nicht Israels
Feinde besiegt, er hat kein Friedensreich aufgerichtet, er hat nicht
Gericht gehalten über die Welt. Wie kann er da der Messias oder
der Menschensohn sein?

Viele unserer
Zeitgenossen beantworten die Frage auch mit Nein. Nicht weil sie
auf einen anderen warten, sondern weil sie nicht glauben können,
dass da überhaupt einer kommt. „Retter der Welt“, ob sie nun James
Bond, Frodo Beutlin oder Jesus Christus heißen, gibt es für sie
nur in Büchern und Filmen – oder vielleicht noch in Wunschträumen
über künftige US-Präsidenten. Den wirklichen Jesus aber halten sie
bestenfalls für einen bewundernswerten Menschen, von dem man viel
lernen kann, irgendwo einzusortieren zwischen Buddha und Gandhi.
Auch ein Großteil unserer Kirchenmitglieder, vielleicht auch ein
Teil von Ihnen sieht das so.

Und doch: Dass
die eben erwähnten Bücher und Filme so erfolgreich sind, dass ein
Barack Obama solche Hoffnungen weckt, das zeigt ja, dass wir uns
im Grunde unseres Herzens nach so jemandem sehnen: Nach einem, der
das Böse besiegt und dem Guten zum Durchbruch verhilft. Nach einem,
der unsere aus den Fugen geratene Welt wieder ins Lot bringt. Nach
einem, der wieder gerade biegt, was wir verbrochen haben. Könnte
es sein, dass dieser jemand doch schon längst gekommen ist? Könnte
es sein, dass Jesus Christus doch mehr ist als nur die Hauptfigur
im immer noch meistgekauften Buch aller Zeiten?

Werfen wir dazu
noch einmal einen Blick auf seine Antwort an Johannes den Täufer.
Zunächst könnte man denken, dass diese Antwort gar keine ist, dass
Jesus der Frage ausweicht. Statt einfach Ja oder Nein zu sagen,
verweist Jesus auf das, was geschieht: „Blinde sehen und Lahme gehen,
Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen
wird das Evangelium gepredigt.“ Alles Dinge, die jeder hören und
sehen kann. Und alles Dinge, die Johannes längst weiß. Von Jesu
Taten hat er ja schon einiges gehört. Wie soll ihn diese Antwort
weiterbringen?

Ich denke, er
soll erkennen, dass hinter den Worten Jesu auch Verheißungen der
Propheten stecken. Andere als die, die für Johannes bisher im Vordergrund
standen, aber genauso wichtige. Zum Beispiel diese aus Jesaja 35:
„Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben
geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch,
und die Zunge der Stummen wird frohlocken.“ Oder die aus Jesaja
61: „Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich
gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu
bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den
Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig
sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen
Tag der Vergeltung unsres Gottes.“ Johannes soll sich hinein nehmen
lassen in das, was um Jesus herum und durch ihn geschieht. Er soll
erkennen, dass sich darin zu erfüllen beginnt, was die Propheten
angekündigt haben. Und dann soll er darauf vertrauen, dass Gott
diesen Anfang auch zum Ziel bringt: „Selig ist, wer sich nicht an
mir ärgert“, wer nicht an mir irre wird.

Ob Johannes mit
der Antwort Jesu etwas anfangen konnte, ist uns nicht überliefert.
Aber aufgeschrieben ist sie ja auch nicht als Antwort an Johannes,
sondern an uns. Auch wir können uns nur berichten lassen, was andere
von Jesus gehört und gesehen haben. Insofern sind wir in keiner
anderen Lage als Johannes. Natürlich sind wir zeitlich viel weiter
von Jesus entfernt als er, aber das würde nur etwas ausmachen, wenn
sich das, was Jesus beschreibt auf seine Erdenzeit beschränken würde.
Aber das alles geschieht ja bis heute. Immer noch werden im Namen
Jesu Menschen gesund an Leib und Seele. Immer noch gehen Menschen
plötzlich die Augen auf, und der Glaube an Jesus Christus wird ihre
Sache. Und vor allem: Immer noch wird den Armen das Evangelium gepredigt
und den Gefangenen gesagt, dass sie frei sein sollen. Den Armen
und Gefangenen im wörtlichen Sinne, aber auch denen, die arm sind
an Gefühlen, an Freude, an Geduld, an Gelassenheit, an Selbstvertrauen;
denen die gefangen sind in Angst, Trauer, Verzweiflung und Selbstsucht.
Ihnen allen sagen auch heute noch Menschen im Namen Jesu: ihr seid
reich, ihr seid frei, weil Gott euch liebt. Auch ich sage Ihnen
das heute Morgen, und ich muss es auch mir selber immer wieder sagen.
Mehr Antwort bekommen wir nicht. Aber diese Antwort kann ausreichen,
wenn wir uns auf sie einlassen. Glücklich sind wir, wenn wir das
tun und nicht daran irre werden.

Amen.