50 Jahre Wenschtkirche – Rückblick
und Ausblick
Der Bau des evangelischen
Gemeindezentrums Wenscht hängt aufs Engste mit der Entstehung der
Wenschtsiedlung zusammen. Zwischen 1952 und 1961 entstanden hier
1600 Wohneinheiten vor allem für die Beschäftigten der Stahlwerke
Südwestfalen, die den Bau der Siedlung denn auch kräftig förderten.
Viele „Flüchtlinge“ aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, aber
auch Einheimische und Zugereiste aus der näheren Umgebung fanden
hier ein neues Zuhause. Anfang der sechziger Jahre lebten schließlich
rund 4500 Menschen in der „Gartenstadt Wenscht“.
Die Kirchengemeinde
Klafeld sah von Anfang an die große Herausforderung, die ihr damit
gestellt war. Mit den bestehenden Gebäuden im Tal war die kirchliche
Versorgung der Siedlung kaum zu gewährleisten, zumal es zwischen
den Neubürgern und den alteingesessenen Klafeldern und Geisweidern
noch erhebliche Barrieren gab, die so leicht nicht zu überwinden
waren. Im Dezember 1953 bildete das Presbyterium deshalb einen „Ausschuss
für die Wenschtsiedlung“. Neben Pfarrer Erich Schmidt, dem die Frage
„Wie wird Siedlung zur Gemeinde?“ ein Herzensanliegen war, das er
mit großem Einsatz vorantrieb, gehörten diesem Ausschuss der Kirchmeister
Gellbach sowie die Presbyter Buchner, Dreisbach, Heider und Schepp
an. Ziel der Ausschussarbeit war die Errichtung eines evangelischen
Gemeindezentrums auf der Wenschthöhe.
Kirchturm
im Rohbau
Allerdings hatte
die Gemeinde für ein solches Vorhaben eigentlich kein Geld. An der
Talkirche liefen umfangreiche Reparatur- und Renovierungsmaßnahmen,
die nach den Kriegsjahren dringend nötig waren. Das Jugendheim in
Setzen war gerade fertig und noch nicht abbezahlt, und im 1951 geschaffenen
III. Bezirk wurde ein Pfarrhaus gebraucht. Trotzdem sah man sich
in der Pflicht, diese weitere Baumaßnahme irgendwie zu stemmen.
So beschloss das Presbyterium am 6. Februar 1954 auf Vorschlag des
Wenscht-Ausschusses, Mittel für den Grundstückserwerb bereit zu
stellen und einen Architekten mit der Planung eines Gemeindezentrums
zu beauftragen. Die Bewältigung der Kosten verursachte danach noch
manches Kopfzerbrechen, gelang aber schließlich, obwohl die Gesamtkosten
am Ende mit 508 204,62 DM fast doppelt so hoch lagen wie ursprünglich
veranschlagt. 26 % der benötigten Mittel kamen durch Spenden und
Zuschüsse zusammen, 14 % aus laufenden Mitteln der Gemeinde, 60
% mussten über Darlehen finanziert werden.
Richtfeier
am 22.7.1956
Als der Bebauungsplan
für die Reihenhaussiedlung im Vorderen Wenscht stand, wurde noch
1954 mit dem Ankauf der benötigten Grundstücke an der oberen Ziegeleistraße
begonnen. Danach fiel am 27. Juli 1955 der endgültige Beschluss
zum Bau einer Kirche mit Gemeindezentrum. Den Entwurf erstellte
Oberbaurat Brunne aus Hemmerde, der auch die Siedlung im Vorderen
Wenscht geplant hat, die Bauleitung übernahm der Geisweider Architekt
Karl-Heinz Stutte. Am 7. November 1955 fand der erste Spatenstich
statt, und am 22. Juli 1956 erfolgte im Beisein von Superintendent
Ernst Achenbach sen. die Grundsteinlegung. Am gleichen Tag wurde
übrigens das fünfzigjährige Bestehen der Talkirche gefeiert. Obwohl
da der Rohbau schon weitgehend stand, zog sich die Fertigstellung
noch in die Länge – aus finanziellen Gründen, aber auch weil die
erreichbaren Handwerker mit dem Großprojekt Wenscht alle Hände voll
zu tun hatten. Am Heiligen Abend 1956 läuteten die Glocken im Turm
zum ersten Mal, aber erst Ende 1957 konnten die Gemeinderäume in
Betrieb genommen werden. Am 4. Advent hielt dort Pastor Schmidt,
der inzwischen selbst als Siedler in den Rehweg gezogen war, den
ersten Gottesdienst und taufte auch gleich die ersten vier Kinder.
Einholen
der Glocken am 9.12. 1956
Nun konnte es
endlich an den Ausbau der Kirche gehen. Noch bis unmittelbar vor
der Einweihung wurde daran hektisch gearbeitet. Auch das große Sgraffito
von Hermann Kuhmichel an der Chorwand – eine Stiftung des Künstlers
– entstand erst wenige Wochen vorher und löste im Presbyterium erst
einmal heftige Diskussionen aus. Aber dann, am 29. Juni 1958, war
es so weit: Bei typischem Siegerländer Sommerwetter („Bedeckt –
diesig – abends Sonne“ hielt P. Schmidt in seinem Tagebuch fest)
und im Beisein von Präses Wilm, Superintendent Achenbach, der gesamten
Lokalprominenz aus Kirche, Kommune und Stahlwerken sowie einer zahlreich
versammelten Gemeinde fand die feierliche Schlüsselübergabe statt.
Der Präses hielt eine Ansprache über Epheser 2,17-22, und Pastor
Schmidt predigte über Apostelgeschichte 15,7-12, wobei er am Beispiel
von Juden- und Heidenchristen der Apostelzeit das ungehinderte Zusammenwachsen
von „alter“ und „neuer“ Gemeinde anmahnte.
Seitdem hat das
Gemeindezentrum Wenscht fünfzig Jahre lang treue Dienste getan.
An der Ausstattung wurde im Lauf der Jahre noch manches verbessert
(vom Einbau der Orgel 1960 bis zum Anbau einer Behinderten-Toilette
200.), aber äußerlich ist der Bau weitgehend unverändert geblieben.
Schon während der Bauzeit und erst recht danach entwickelte sich
ein reges Gemeindeleben, das dem Wagnis, dieses Haus zu bauen, im
Nachhinein recht gab: für alle Altersgruppen und viele verschiedene
Interessen fanden die Wenschter hier offene Türen, so dass wirklich,
wie erhofft, „Kirche mitten in der Siedlung“ entstand.
Heute erleben
wir andere Zeiten. Der Wandel der Bevölkerungsstruktur und der Lebensart
hat auch die Gemeindearbeit im Wenscht nicht unberührt gelassen.
Die beiden Pfarrstellen, die in der Gründerzeit der Siedlung errichtet
wurden, hat die Gemeinde inzwischen wieder verloren. Gruppen wie
die Frauenhilfe und der Kirchenchor, die das Wenschter Gemeindeleben
lange Zeit geprägt haben, mussten sich in den letzten Jahren schweren
Herzens auflösen. Wurde vor fünfzig Jahren nicht nur in unserer
Gemeinde ein Haus nach dem anderen errichtet, um mit der wachsenden
Bevölkerung und ihren Bedürfnissen Schritt zu halten, so ist heute
Rückbau angesagt, weil wir immer weniger werden und entsprechend
auch immer weniger Geld und Personal zur Verfügung steht. Der Tiefpunkt
dieser Entwicklung war am 30. September 2007 erreicht, als auf einen
Schlag vier Kirchen und Gemeindehäuser geschlossen werden mussten.
Das Gemeindezentrum
Wenscht allerdings hat dadurch noch einmal eine ganz neue Funktion
bekommen. Es ist sozusagen über die Grenzen der Siedlung hinausgewachsen,
für die es ursprünglich bestimmt war, und beherbergt jetzt die Kinder-,
Jugend- und Konfirmandenarbeit sowie besondere Gottesdienstangebote
für die ganze Gemeinde. Auch sonst hier hat mancher Gemeindekreis,
der seine bisherige Bleibe verloren hat, Zuflucht gefunden und füllt
die Räume mit Leben. Ob und wie lange es dabei bleiben wird, ist
noch nicht abzusehen. Aber wer schon mal bei einer „Guten-Abend-Kirche“
gewesen ist oder etwas von der Kinderbibelwoche in den Osterferien
mitbekommen hat, wer sieht, wie an manchen Abenden alle Räume belegt
sind und sich dadurch Gemeindeglieder begegnen, die sich sonst nie
getroffen haben, der kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass die
Wenschtkirche mit fünfzig, trotz bröckelndem Putz, ihren zweiten
Frühling erlebt. Den sollten wir auf jeden Fall erst einmal dankbar
genießen und nutzen zum Wohl der ganzen Gemeinde. Und für die Zukunft
gilt weiterhin das alte Psalmwort: „Wenn der HERR nicht das Haus
baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.“ In diesem Sinne: Alles
Gute und Gottes Segen zum Fünfzigsten!
Pfr.
Dr. Martin Klein
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