100 Jahre Talkirche

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100 Jahre Talkirche:

Die Talkirche als ein vorzügliches
Architekturdenkmal

Von wo man sich auch immer unserem Ort nähert:
stets fällt die Kirche mit ihrem mächtigen roten Ziegeldach und
dem hohen schlanken Turm ins Auge. Mit dem Standort hat man vor
100 Jahren eine glückliche Wahl getroffen. Und auch mit der ausgeführten
Architektur bewies der Architekt G. Mucke, dass er fachlich auf
der Höhe der Zeit stand. Stilgeschichtlich ist die Talkirche ein
besonders gelungener Bau des späten Historismus. Mit Historismus
bezeichnet man die Kunstrichtung, die aufs Stärkste das 19 Jahrhundert
geprägt hat. Dabei entwickelte man keinen eigenen Stil, sondern
griff auf Stile der Vergangenheit zurück, wie Romantik, Gotik, Renaissance
oder Barock.

Talkirche und Pfarrhaus
          
Pfarrhaus
und Talkirche

Für den evangelischen Kirchenbau der Zeit gab
es um 1900 zwei ganz unterschiedliche Richtlinien. Das eine war
das “Eisenacher Regulativ” von 1861. Es wurde von Vertretern aller
deutschen evangelischen Landeskirchen verabschiedet. Eine Kernaussage
lautet: “Die Würde des christlichen Kirchenbaues fordert Anschluss
an einen geschichtlich entwickelten christlichen Bau styl und empfiehlt
in der Grundform des länglichen Vierecks…. vorzugsweise den sogenannten
germanischen (gothischen) Styl.” Da bei sollte vorne ein Chorraum
abgesondert werden, der den Altar auf nahm. Vor dem um einige Stufen
erhöhten Chor sollte seitlich die Kanzel angeordnet werden. Gegenüber
(im Rücken der Gemeinde) sollte die Orgel auf einer Empore ihren
Platz finden. Dort sollte auch der Turm errichtet werden.

Das Eisenacher Regulativ duldet Emporen nur
aus praktischen Gründen und fordert ihre Unterordnung unter den
Gesamteindruck eines freien Raumes. Theologisch folgen diese Empfehlungen
stark konservativ – lutherischen Bestrebungen des 19 Jahrhunderts,
die die Sakramente aufwerten wollten. Eine deutliche Gegenbewegung
folgte 1891 mit dem “Wiesbadener Programm”. Dieses will den evangelischen
Kirchenbau nicht mehr an einen bestimmten Kunststil binden.
 

Der Kirchenraum soll hier funktionell und symbolisch
für die um Wort und Sakrament geeinte, zur gottesdienstlichen Feier
versammelte Gemeinde angelegt sein. Eine Scheidung zwischen Chor
und Schiff soll nicht stattfinden. Die Prinzipalstücke (Altar, Kanzel
und Orgel) werden dafür zentral und übereinander angeordnet. Es
ist nun interessant zu sehen, dass im Siegerland die neu gebauten
evangelischen Kirchen vor dem Ersten Weltkrieg dem (modernen) Wiesbadener
Programm folgen:

Innenraum Talkirche

Talkircheninnenraum

 Neunkirchen (1902 – 1903), Deuz (1909
– 1910), Wilnsdorf (1911 – 1913). Allein die Klafelder Kirche wird
hier noch nach dem Eisenacher Regulativ gebaut. Für diese (nicht
mehr “moderne”) Grundentscheidung mögen zwei Gründe ausschlaggebend
gewesen sein. Ein mal ist der damalige Ortspfarrer Bergmann als
ein Vertreter des “Kulturprotestantismus” anzusehen, der nicht so
starkt konfessionell (reformiert) geprägt war. Andererseits hatte
der Architekt Mucke bis dahin für lutherisch geprägte Gemeinden
in Westfalen Kirchen nach dem (älteren und konservativen) Eisenacher
Regulativ gebaut. Dazu kommt die Tatsache, dass auch die Weidenauer
Mutterkirche (“Haardter Kirche”) 1882/83 nach dem gleichen Prinzip
gebaut worden war. Der ganze Bau ist im frühgotischen Stil gehalten.
Im Inneren entdeckt man aber auch deutliche Einflüsse des Jugendstils.

Der Außenbau bekam seinen unverwechselbaren
Charakter durch die vier unterschiedlichen Gesteinsarten. Das Sockelgeschoss
besteht aus sechsseitigen, dunkelblauen Basaltsteinen vom Hohenseelbachskopf,
während das aufstrebende Mauerwerk einschließlich des Turmes aus
behauenen, grauen Tuffsteinen (die Maßwerke) und gelbem (Ecken)
und grünem Trachitstein (Felder) besteht. Die Seitenschiffe trugen
ursprünglich jeweils drei Zwerchgiebel. Leider wurden sie bei der
Renovierung 1955 beseitigt.

Das drei schiffige Kirchenschiff und der Chorraum
wurden damals von dem Kirchenmaler Otto Berg (Berlin/Dortmund) ausgemalt.
Das Chorgewölbe hatte einen blauen Grundton, die Wände verzierte
er mit Ornamenten. Die drei Nischen im Chorschluss erhielten Teppichmuster.
Spruchbänder über den Nischen erinnerten an die drei tragenden Elemente
des evangelischen Gottesdienstes. Links stand: Joh. 6,35: Ich bin
das Brot des Lebens (Abendmahl); mittig: Jes. 40,8: Das Wort unseres
Gottes bleibt ewiglich (Predigt) und rechts: Marc. 10,14: Lasset
die Kindlein zu mir kommen (Taufe).
 

Abendmahlstisch Talkirche

Altar, festlich geschmückt zum Erntedankfest

Altar, Taufstein und Kanzel sind aus französischem
weißen Savonierestein hergestellt, Kanzel- und Taufsteinfuß und
vier Säulchen des Altares aus schwarzgrünem Serpentin. 1955 wurde
sie über strichen. Der Triumphbogen zwischen Chor und Schiff trug
die vier Evangelisten-Symbole und im Scheitel ein Bild Christi.

 

Dazwischen stand der Spruch: Ich bin der Weg,
die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich.
Joh, 14,6. Die Füllungen der Emporenbrüstungen wiesen im Wechsel
gotisch stilisiert auf: Weinrebe, Eiche, Passionsblume, Distel,
Efeu und Glockenblume (alles religiöse Symbole). Die Chorfenster
er zählen das Leben Christi und stammen aus der Kunstglaserei Türcke
u. Cie. in Zittau. In der Mitte der Kirche hing ursprünglich ein
großer, schmiedeeiserner Kronleuchter, der Gaslampen trug.

Chorfenster Talkirche

Chorfenster der Talkirche


In einem Pressebericht zur Einweihung heißt
es: “Eine Hauptzierde der Kirche ist die neue Orgel mit ihrem 20
klingenden Registern. Das Gehäuse passt ganz reizend in seiner Schönheit
zu der Bauart der Kirche. Es ist von dem Erbauer der Kirche entworfen.”
Glücklicherweise ist dieses Orgelgehäuse fast unverändert erhalten
geblieben. Leider gilt das nicht für das Orgelwerk. Es wurde auf
eine nicht glückliche Weise 1955 umgebaut und ist heute abgängig.
Als Geburtstagsgeschenk für die Talkirche wünschen wir uns einen
Beitrag für ein neues Orgelwerk. Schenken Sie Ihrer Kirche doch
etwas zum Geburtstag. Denn auch uns gilt der Satz “Was du ererbt
von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen”.

Burkhard Schäfer

Talkirche im Rohbaun ohne Turmspitze

Talkirche im Rohbau (noch ohne
Turmspitze), Blick vom Schießberg