Predigt zur Einführung des Presbyteriums

 

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
OKULI

zur Einführung des Presbyteriums

Pfr. Dr. Martin Klein
Talkirche,
11.3. 2012
Text: 1. Petr 1,13-21

Darum
umgürtet die Lenden eures Denkens, seid nüchtern und setzt eure
Hoffnung ganz auf die Gnade, die zu euch gebracht wird in der Offenbarung
Jesu Christi. Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden
hin, denen ihr früher in der Zeit eurer Unwissenheit dientet; sondern
wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig
sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht geschrieben: »Ihr sollt
heilig sein, denn ich bin heilig.«

Und da ihr
den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet
nach seinem Werk, so führt euer Leben, solange ihr hier in der Fremde
weilt, in Gottesfurcht; denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem
Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der
Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen
und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt
Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen,
die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den
Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung
zu Gott habt.

 

Wer auch immer
diesen Brief im Namen des Apostels Petrus geschrieben hat, er war
jedenfalls keiner, der sich mit halben Sachen zufrieden gibt. „Ihr
sollt heilig sein in eurem ganzen Wandel“ – das fordert er von den
Christen in Kleinasien, an die er schreibt. Und er tut es mit großer
Selbstverständlichkeit. Christ sein und heilig sein, das ist für
ihn ganz dasselbe.

So wie wir üblicherweise
das Wort „heilig“ verstehen, können wir das wohl kaum nachvollziehen.
Wenn ich hier in der Kirche eine Umfrage machen würde zu der Frage:
„Empfinden Sie sich in Bezug auf Ihren Lebenswandel als heilig oder
streben Sie es wenigstens an?“ Ich denke, dann würden alle Befragten
das weit von sich weisen – auch die neu oder wieder gewählten Presbyter.
„Heilig? Ich? Nie und nimmer! Sicher, ich bemühe mich. Ich lebe
nach den Zehn Geboten, so gut ich kann. Ich glaube an Gott, ich
setze mich ein für die Gemeinde, ich versuche meine Mitmenschen
freundlich und anständig zu behandeln. Aber heilig? Das bin ich
nicht. Das möchte ich, glaube ich, auch gar nicht sein. Überhaupt:
Gibt es Heilige nicht nur bei den Katholiken? Und muss man dafür
nicht schon tot sein?“

Und wenn doch
jemand meine Frage allen Ernstes mit Ja beantworten würde? – „Heilig?
Ja, passt schon! Ein Heiliger zu sein, das ist mein großes Ziel,
und ich bin da schon ein gutes Stück vorangekommen.“ – Dann wäre
„ein bisschen überspannt“ wohl noch einer der freundlicheren Kommentare.

Tja, so ist es.
Bezüglich der Qualität unseres Lebenswandels eher tief zu stapeln,
das ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Alles andere gilt
als selbstgerecht und unbescheiden und außerdem als taktisch unklug
– es könnte ja jemand was rauskriegen! Aber seltsam: Von anderen,
besonders von den Inhabern höherer Ämter, erwarten wir dann doch
die Einhaltung moralischer Qualitätsstandards, die wir für uns selber
so hoch nie hängen würden. Und wenn dann solche Menschen mit Vorbildfunktion
ihre Doktorarbeit abschreiben, betrunken über rote Ampeln fahren
oder sich von guten Freunden zuviel schenken lassen, sind Häme und
Entrüstung groß und der Rücktritt nur eine Frage der Zeit. Nein,
es geschieht in unserem Lande wirklich nicht viel, was das Etikett
„heilig“ verdient hätte. Wo sollen Vorbilder dafür auch herkommen,
wenn die meisten von uns erst gar keinen Ehrgeiz entwickeln, ein
vorbildliches Leben zu führen? In einem solchen Umfeld kann eben
bestenfalls Scheinheiligkeit gedeihen.

Aber zurück zum
ersten Petrusbrief: Auch damals waren die Menschen nicht grundsätzlich
anders als heute. Wieso sagt er seinen Lesern trotzdem: „ihr sollt
heilig sein“? Und wie kommt er dazu, das für einen selbstverständlichen
Ausdruck christlichen Lebens zu halten?

Nun, heilig ist
nach biblischem Sprachgebrauch erst einmal Gott selbst. Und davon
abgeleitet ist alles heilig, was ganz und ausschließlich zu Gott
gehört. In diesem Sinne kann es im Alten Testament heilige Orte
geben, wo Gott in besonderer Weise gegenwärtig ist, oder heilige
Geräte, die ausschließlich zum Gebrauch in einem solchen Heiligtum
bestimmt sind. Und in beiden Teilen der Bibel werden Menschen, die
zu Gott gehören, als heilig angesprochen und zum Heiligsein aufgefordert.
Der klassischen Kernsatz dazu aus dem dritten Buch Mose wird in
unserem Predigttext zitiert: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin
heilig, spricht der HERR.“ (Lev 19,2)

Also: Für den
ersten Petrusbrief sind Christen Menschen, die ganz und gar zu Gott
gehören. Und bevor es um den Lebenswandel geht, heißt das erst mal:
Christen sind Menschen, die ihre Hoffnung ganz und gar auf die Gnade
Gottes setzen. Denn damit fängt der Text ja an: „Setzt eure Hoffnung
ganz auf die Gnade, die zu euch gebracht wird in der Offenbarung
Jesu Christi.“ Und zu dieser Hoffnung auf Gottes Gnade, sagt der
erste Petrusbrief, haben wir auch allen Grund. Denn sie ist uns
ja schon zuteil geworden. Wir sind schon erlöst, wie es ein paar
Verse später heißt. Wie man damals einen Sklaven von seinem Herrn
loskaufen und ihm die Freiheit schenken konnte, so hat Gott uns
losgekauft aus der Sklaverei der Ichsucht und Gottlosigkeit – nicht
mit Geld, auch nicht nur mit guten Worten, sondern mit dem Einsatz
seines eigenen Lebens. Er wurde in Jesus Christus Mensch, wie es
schon immer sein Plan war. Er ließ sich schuldlos umbringen und
starb so an unserer Stelle den Tod, den wir verdient hätten. Und
so besiegte er den Tod, indem er Jesus von den Toten auferweckte,
und gab damit auch uns Hoffnung, die über den Tod hinausreicht.

Das wisst ihr
alles schon, sagt der erste Petrusbrief seinen Lesern. Er erinnert
sie dazu an die Bekenntnisformeln, die sie mal gelernt haben, als
sie getauft wurden. Und wir wissen es auch. Die Älteren haben es
noch mit den Worten des Heidelberger Katechismus gelernt: „Was ist
dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und
Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen
Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für
alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des
Teufels erlöst; und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines
Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupte fallen kann, ja, dass
mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Darum macht er mich auch
durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen
willig und bereit, fortan ihm zu leben.“ Unsere heutigen Konfirmanden
lernen es so nicht mehr, und manchmal finde ich das schade. Aber
natürlich erfahren auch sie etwas darüber, was es mit dem Leben,
Sterben und Auferstehen Jesu auf sich hat und was es für uns bedeutet.

Nur, ob Heidelberger
oder anders, wir machen oft so wenig aus dem, was wir da gelernt
haben. Wir trauen uns nicht, für uns in Anspruch zu nehmen, was
wir doch längst sind. Wir sind erlöst, wir gehören zu Gott, wir
sind heilig. Und Gott hat teuer dafür bezahlt: mit dem Leben seines
Sohnes, mit seinem eigenen Leben. Da müssten wir doch alles daran
setzen, dieses kostbare Leben nun auch entsprechend zu führen! Stattdessen
begnügen wir uns allzu schnell mit „ich schaff’s nicht, aber ich
bemüh mich“. Dabei wissen wir doch, dass es gar nicht gut ist, wenn
es in einem Zeugnis heißt: „Mitarbeiter XY war stets bemüht …“!

Wenn ich das sage,
dann will ich damit keinen Druck oder Zwang ausüben. Wir müssen
und können uns das Geschenk des Heils nicht verdienen – weder im
Voraus noch im Nachhinein. Ich habe zu viele Menschen gekannt, die
gemeint haben, sie müssten sich der Gnade Gottes doch noch irgendwie
würdig erweisen, und die schlimm dar-unter gelitten haben, dass
sie das nicht schafften. Auch ich selber habe zu Zeiten dazu gehört
und möchte auf keinen Fall dahin zurück. Ich denke nur, wenn uns
wirklich mal aufginge, wie groß Gottes Geschenk an uns tatsächlich
ist, dann müsste uns keiner mehr zwingen, „von Herzen willig und
bereit ihm zu leben.“ Sondern dann wäre uns dieser Erweis unserer
Dankbarkeit das Selbstverständlichste von der Welt. Und dann wäre
uns „heilig sein in unserem Wandel“ nicht zu viel gesagt, sondern
das einzig angemessene Ziel.

Aber jetzt noch
mal ganz konkret: Heute beginnt ja in unserer Gemeinde die Amtszeit
eines neuen Presbyteriums. Eine Presbyterin und drei Presbyter treten
dieses Amt erstmals an, zehn weitere sind schon länger dabei, vier
Plätze bleiben vorerst unbesetzt. Was kann ich diesen vierzehn Menschen,
und darüber hinaus uns allen, vom ersten Petrusbrief her mit auf
den Weg geben?

Zuerst und vor
allem gilt auch euch: Lebt, was ihr seid. Ihr gehört ganz und gar
zu Gott, also stellt nun auch euer Leben ihm ganz zur Verfügung.
Nicht nur als Presbyter, nicht nur als ehrenamtliche Mitarbeiter
unserer Gemeinde. Sondern auch als Eheleute, Väter und Mütter, in
eurem Beruf, in eurer Freizeit. All das gehört zu eurem Leben, und
es soll auch weder euer Beruf, noch eure Familie, noch eure Erholung
darunter leiden, dass ihr im Presbyterium seid. Nur lasst Gott in
keinem Bereich eures Lebens außen vor. Wenn ihr arbeitet, egal wo
und für wen, dann tut es in Gottes Namen. Und wenn ihr euch ausruht
und die schönen Dinge des Lebens genießt, dann vergesst nicht, Gott
dafür zu danken.

Dann greife ich
noch das Bild auf, mit dem unser Text beginnt: „Umgürtet die Lenden
eures Denkens“. Klingt etwas verunglückt, okay. Wir würden vielleicht
eher sagen: „Krempelt innerlich die Ärmel hoch“. Seid bereit, anzupacken,
was anliegt. Konzentriert euch auf das Wichtige und Wesentliche,
aber das setzt dann auch entschlossen in die Tat um. Vertraut den
neuen Wegen, auf die der Herr euch weist, und lasst allen Ballast
zurück, der euch am Vorankommen hindert. In dieser Hinsicht hat
das Presbyterium in den vergangenen Jahren manches geleistet. Diejenigen,
die noch für acht Jahre gewählt waren, haben ihre Amtszeit in einer
Gemeinde begonnen, die in vieler Hinsicht noch völlig anders aussah
als heute. Was in der Zwischenzeit an Umwälzungen passiert ist,
war wahrlich nicht einfach, aber es trägt Früchte – Gott sei Dank,
aber Dank auch an alle, die diese Entwicklung getragen haben. Das
neue Presbyterium kann darauf jetzt auf- und weiterbauen.

Und als Letztes
sei euch mit dem ersten Petrusbrief noch gesagt: „Seid nüchtern“.
Macht euch kein Wunschbild von unserer Gemeinde und der Kirche im
Ganzen, auch nicht von euch selber, sondern nehmt alles, wie es
ist: mit seinen Stärken und Schwächen, mit seinen Chancen und Risiken.
Schwierige Zeiten liegen hinter uns, aber rechnet nicht damit, dass
jetzt alles ganz einfach wird. Seid aber auch nicht auf Zahlen fixiert,
die zwangsläufig kleiner werden, so dass ihr nur noch schwarz seht.
Stattdessen rechnet ganz nüchtern mit der menschlichen Unzulänglichkeit,
aber auch mit den unberechenbaren Möglichkeiten des heiligen Geistes
und mit der Unverbrüchlichkeit von Gottes Verheißungen. Dann werden
die nächsten vier Jahre für unser Presbyterium und unsere Gemeinde
bestimmt eine gute Zeit, die unter Gottes Segen steht. Und der Friede
Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der wird unsere Herzen
und Sinne bewahren in Jesus Christus.

Amen.