Predigt vom 19.2.2012

 

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
ESTOMIHI

Pfr. Dr. Martin Klein
Talkirche,
19.2. 2012
Text: Amos 5,21-24.27

Ich hasse eure Feiertage und verachte
sie
und mag eure Versammlungen nicht riechen.
An euren
Speisopfern habe ich kein Gefallen
und mag auch eure fetten
Dankopfer nicht ansehen.
Tu weg von mir das Geplärr deiner
Lieder;
denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
Stattdessen
sollte das Recht strömen wie Wasser
und die Gerechtigkeit
wie ein nie versiegender Bach.
Und ich will euch wegführen
lassen bis jenseits von Damaskus,
spricht der HERR.

Stellen Sie sich
vor, wir feiern hier in der Talkirche einen festlichen Gottesdienst.
In den Bänken wird es eng, sogar die Empore ist gut gefüllt. Auf
dem Altar steht das Abendmahlsgeschirr, silbern glänzend und frisch
poliert. Die Sonne scheint herein und taucht die bunten Chorfenster
in ein zauberhaftes Licht. Alle sind gut gelaunt und freuen sich
auf einen schönen, erbaulichen Vormittag. Beim Vorspiel zeigt Andrea
Stötzel, was sie kann und was die 28 Register der Mebold-Orgel an
wunderbaren Klängen hergeben. Nach der Begrüßung singt der Kirchenchor,
vielleicht spielen auch die Bläser aus Klafeld oder Setzen. Alle
haben fleißig geübt und tun ihr Bestes zur Ehre Gottes und zur Freude
der Gemeinde. Die will da natürlich nicht zurückstehen und singt
beim ersten Lied kräftig und fröhlich mit. Die Eingangsliturgie
nimmt ihren Lauf. Der Wochenpsalm wird gesprochen, und nach dem
Gebet will der Pastor gerade Amen sagen, da ruft in einer der hinteren
Reihen plötzlich jemand laut und vernehmlich: „Halt, hört auf damit!“

Der Pastor guckt
verdutzt, alle drehen sich um oder beugen sich über die Emporenbrüstung,
um zu sehen, was da los ist. Der Mann, der jetzt aus seiner Bankreihe
in den Mittelgang tritt, ist fremd in Geisweid. Auch in Setzen,
Buchen oder Birlenbach kennt ihn niemand. Was will der hier, und
was hat er bloß? Aber noch bevor irgendwer diese verwirrten Fragen
sortieren kann, beginnt der Mann mit erhobener Stimme zu sprechen:
„Hört auf! Gott hasst eure Festgottesdienste, und eure Abendmahlsfeiern
kann er nicht ausstehen. Eure Kollekten sind ihm egal, und er pfeift
auf eure großzügigen Spenden. Lasst ihn in Ruhe mit eurer ewigen
Singerei! Euer Getröte und Orgelgedudel geht ihm auf die Nerven.
Geht lieber nach Hause und setzt euch für eure Mitmenschen ein:
Besucht die Einsamen, kümmert euch um die Kranken, verteidigt die,
denen Unrecht geschieht, lindert mit eurem Geld die Not der Ärmsten,
statt es für teure Neubauten und Mikrofonanlagen rauszuschmeißen!
Aber weil ihr das ja sowieso nicht tun werdet, sage ich euch, dass
Gott euch strafen wird: Immer mehr Leute werden euch wegsterben
und aus der Kirche austreten, ihr werdet immer weniger Kirchensteuern
einnehmen, ihr werdet auf Pfarrer und anderes Personal verzichten
und noch mehr Häuser verkaufen müssen, bis ihr irgendwann nur noch
ein kleines, vergessenes Häuflein seid, das wehmütig der guten alten
Zeit nachtrauert. Wundert euch nicht, wenn es so kommt, denn ihr
habt es nicht besser verdient!“

Was würde wohl
nach diesem Auftritt passieren? Wahrscheinlich wäre erst einmal
Totenstille. Für einen Moment wären alle geschockt, und mancher
würde darüber nachdenken, ob der Mann nicht Recht haben könnte.
Aber dann würde sich wohl doch die Entrüstung Bahn brechen: „Das
ist ja wohl der Gipfel! Wie kann der sich nur so aufblasen? Wie
kann der sich einfach hier rein schleichen und unseren Gottesdienst
stören? Er ist ja noch nicht mal von hier! Wie kann er sich da herausnehmen,
über uns zu Gericht zu sitzen, und das auch noch im Namen Gottes?
Er kann doch gar nicht beurteilen, ob das wahr ist, was er uns vorwirft!
Der gehört bestimmt zu einer Sekte, zu irgend so einem Verein von
fundamentalistischen Spinnern, die glauben, dass sie die Wahrheit
für sich gepachtet haben.“ Dann würden Küster und Presbyter den
Störenfried wohl höflich aber bestimmt hinausexpedieren und ihm
für die Zukunft Hausverbot erteilen. Wahrscheinlich wäre der Vorfall
noch eine Zeitlang Stadt- und Dorfgespräch, vielleicht gäbe es auch
einen Artikel in der Siegener Zeitung mit anschließender Leserbriefdebatte,
aber irgendwann würde der nächste Aufreger kommen und das Ganze
in Vergessenheit geraten lassen.

Aber was wäre,
wenn der Mann tatsächlich im Namen Gottes reden würde? Wenn er ein
Prophet wäre, wie Amos einer war? Dessen Worte stehen heute in der
Bibel. Deshalb gehen wir davon aus, dass er recht hatte, als er
die Opfergottesdienste im Reichsheiligtum zu Bethel verurteilte
– wir haben es eingangs gehört. Die Israeliten, zu denen er sprach,
sind für uns Heuchler und Schurken: feiern prächtige Gottesdienste,
aber kümmern sich nicht um die Not der Armen. Dagegen gilt uns der
Prophet Amos als mutiger Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit und
für Gottes Gebot. Damals jedoch war diese Rollenverteilung keineswegs
klar. Die Menschen im Heiligtum von Bethel waren genauso überzeugt,
Gottesdienst zur Ehre Gottes zu feiern, wie wir das sind. Sie hielten
sich bestimmt mit nicht weniger Recht für anständige Menschen, wie
wir das heute auch tun. Und als der Priester Amazja Amos aus Bethel
nach Juda, in seine Heimat, abschob, da war er überzeugt, im Namen
Gottes zu handeln.

Könnten die Worte
des Amos also auch uns gelten, der Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde
Klafeld im Jahre 2012 nach Christus? Geschähe uns Recht mit einer
solchen Strafpredigt? Wir sollten es uns mit der Antwort auf diese
Frage nicht zu einfach machen.

Natürlich gibt
es vieles in unserer Gemeinde, wofür wir froh und dankbar sein können:
Für die vielen engagierten Mitarbeiter, für den guten Gottesdienstbesuch
und das vielfältige Angebot, für das friedliche Miteinander, für
die endlich wieder soliden Gemeindefinanzen, für die vielen Menschen,
die oft ganz im Stillen viel Gutes tun. Wenn man wie ich auch schon
Gemeinden kennen gelernt hat, in denen es das alles kaum oder gar
nicht gab, weiß man diese Dinge sehr zu schätzen. Und ich denke,
dass sich auch Gott darüber freut.

Aber wenn an den
Worten des Amos etwas dran ist, dann ist das alles kein sanftes
Ruhekissen. Man kann sich wohl fühlen in der Gemeinde Klafeld, vieles
für sich mitnehmen und sich vielfältig einsetzen – das ist wahr
und das ist ein Grund zur Freude. Aber es steckt auch immer eine
Gefahr darin. Die Gefahr nämlich, dass die, die drin sind, sich
so wohl fühlen und so sehr mit sich selber beschäftigt sind, dass
sie gar nicht mehr an die denken, die draußen sind. Und das sind
nicht wenige, sondern es ist der Großteil unserer 7400 Gemeindeglieder
– von all den anderen, die um uns herum leben, ganz zu schweigen.
Haben wir uns damit abgefunden, weil es ja immer so war und immer
so bleiben wird, oder treibt es uns noch um?

Es gibt zum Beispiel
bei uns viele alte Menschen, die krank und ein-sam sind, und es
werden immer mehr. Etliche von ihnen haben sogar einmal dazugehört,
kamen zum Gottesdienst, waren im Chor oder in der Frauenhilfe, aber
jetzt sind sie draußen. Denken wir an sie? Werden wir auf sie aufmerksam,
wenn sie in unserer Nähe wohnen? Können wir uns um sie kümmern,
und wenn ja, wie?

Ein zweites Beispiel:
Wir haben zurzeit verteilt auf zwei Jahrgänge gut 150 Konfirmanden.
Und wir sind Träger eines Familienzentrums, das in fünf Tagesstätten
rund 250 Kinder betreut. Viele der Konfis und viele der jungen Familien
haben mit Kirche nicht wirklich was am Hut. Aber vielleicht ändern
sie ihre Meinung, wenn sie merken, dass sie uns willkommen sind,
dass wir bereit sind auf ihre Fragen, ihre Bedürfnisse einzugehen,
auch wenn es andere sind als unsere, so dass sie bei uns einen Platz
zum Dabeisein und Mitmachen finden. Sind wir dafür offen? Tun wir
genug dafür? Oder regen wir uns nur gern auf über Konfis oder Kindergarteneltern,
die sich in der Kirche nicht benehmen können – und gehen deshalb
zu Vorstellungs- oder Familiengottesdiensten, wo man ihnen begegnen
könnte, am liebsten gar nicht hin?

Drittes und letztes
Beispiel: Wir haben als Kirche immer auch einen gesellschaftlichen
Auftrag. Viele erwarten Orientierung von uns: Stellungnahmen zu
aktuellen Problemen und entsprechendes Handeln. Wir mögen uns damit
überfordert fühlen und es deshalb ganz gern den Hauptamtlichen und
den Experten überlassen, aber wir können trotzdem nicht daran vorbei.
Trauen wir uns noch, in Streitfragen eine christlich fundierte Position
zu beziehen, auch wenn wir dafür Prügel einstecken? Nehmen wir unser
Stück Verantwortung für die Geschicke dieser Welt wahr, auch wenn
es vielleicht nur ein sehr kleines Stück ist?

Das sind nur Fragen,
auf die ich keine fertigen Antworten habe. Aber ich finde, wir müssen
darüber nachdenken, und das immer wieder. Wir werden nie alle Probleme
lösen und alle Not beenden können, nicht einmal dann, wenn wir nur
an unsere engste Umgebung denken. Wir werden es auch nie erreichen,
dass alle unsere Gemeindeglieder sich auch am Gemeindeleben beteiligen.
Aber auch wenn wir im Kleinen anfangen, können wir viel bewegen.
Wir müssen es nur wollen und müssen es dann auch tun. Mit einem
„wir können doch eh nichts ändern“ gibt Gott sich jedenfalls nicht
zufrieden. Wenigstens das sollten wir uns von Amos hinter die Ohren
schreiben lassen.

Bevor ich meine
Predigt beende, muss ich allerdings noch ein mögliches Missverständnis
ausräumen. Wir könnten von den Worten des Amos her versucht sein,
Gottesdienst und Dienst am Menschen gegeneinander auszuspielen nach
dem Motto: Gerechtigkeit statt Gottesdienst, Arbeiten statt Beten.
Aber das wäre falsch. Im Gegenteil: Je mehr wir unsere Verantwortung
für unsere Mitmenschen wahrnehmen, desto dringender brauchen wir
den Gottesdienst. Denn wir müssen ja irgendwo Kraft schöpfen für
das, was wir tun. Wir brauchen Vergebung für das, was wir falsch
machen. Und wir brauchen die Gemeinschaft mit Gott und unseren Mitchristen,
die uns Halt gibt. Sonst wird unser Handeln blinder Aktionismus,
und uns wird bald die Puste ausgehen. Damit ist keinem geholfen.
Gottesdienst und Dienst am Menschen gehören zusammen wie Einatmen
und Ausatmen. Also ist es gut, wenn wir auch weiterhin schöne Gottesdienste
feiern – mit Wort und Sakrament, mit Musik und mit Stille, mit Reden
und mit Hören, mit Ernst und mit Freude. Und wenn wir das ausgiebig
getan haben, dann können wir uns frisch gestärkt dorthin wenden,
wo Menschen uns brauchen. Gott segne uns dabei.

 Amen.