Predigt vom 20.03.2010

 

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
REMINISZERE

Pfr. Dr. Martin Klein
Wenschtkirche,
20.3. 2011
Text: Mt 12,38-42

Vielleicht kennen
Sie die Geschichte: Ein großer Fluss tritt über die Ufer und überschwemmt
das flache Land ringsum. Ein frommer Mann, der dort wohnt, kann
sich auf das Dach seines Hauses retten, aber das Wasser steigt unaufhörlich.
Da richtet der Mann ein Stoßgebet gen Himmel: „Herr, ich habe dir
immer treu gedient. Ich bitte dich: Rette mich vor dem Ertrinken!“
Und sogleich überkommt ihn die Gewissheit: „Ja, mein Gebet ist erhört
– der Herr wird mich retten!“

Kurz darauf –
der Mann bekommt schon nasse Füße – treibt eine ausgehängte Tür
vorbei, auf der einer seiner Nachbarn sitzt. „Komm, spring rüber“,
ruft der ihm zu, „die Tür kann uns beide tragen!“ Aber der fromme
Mann winkt ab. „Nein, sie wird bestimmt mit uns beiden untergehen.
Ich bleibe lieber hier. Ich bin ganz sicher, dass der Herr mich
retten wird!“ Da ist die Tür auch schon vorbei getrieben.

Eine Weile später
– das Wasser reicht dem Mann schon bis an die Knie – kommt ein Rettungsboot
vorbei. „Kommen Sie, steigen Sie ein“, drängt der Bootsführer, „wir
haben noch einen Platz frei!“ Aber wieder schüttelt der Mann den
Kopf. „Nein, das ist mir viel zu wackelig. Ich bleibe lieber hier.
Der Herr wird mich ganz bestimmt retten!“ – „Dann eben nicht“, sagt
der Bootsführer und fährt weiter, denn er sieht von einem anderen
Haus schon jemand winken.

Schließlich, als
der Mann schon bis zum Bauch in den Fluten steht, kommt auch noch
ein Hubschrauber. Aber auch in den will der Mann nicht einsteigen.
„Nein, nein“, sagt er, „ich hab viel zu viel Angst vorm Fliegen
– aber ich weiß genau, dass der Herr mich retten wird!“

Als der gute Mann
schließlich ganz versinkt, verliert er das Bewusstsein und wacht
im Himmel wieder auf. „Nanu, denkt er, bin ich etwa gestorben?“
Und vorwurfsvoll fragt er Gott: „Ich hab so fest auf dich vertraut!
Warum hast du mich denn nicht gerettet?“ – „Was hast du denn erwartet?“
fragt der Herr zurück. „Ich hab dir den Nachbarn auf der Tür geschickt,
das Rettungsboot und schließlich sogar einen Hubschrauber. Was hätte
ich denn sonst noch tun sollen, um dich zu retten?“

Diese Geschichte
kam mir beim Nachdenken über den heutigen Predigttext in den Sinn.
Er steht beim Evangelisten Matthäus in Kapitel 12 und lautet folgendermaßen:

Da fingen einige
von den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu Jesus:
„Meister, wir wollen von dir ein Zeichen sehen.“ Und er antwortete
und sprach zu ihnen: „Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert
ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei
denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und
drei Nächte im Bauch des Seeungeheuers war, so wird der Menschensohn
drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. Die Leute von
Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht
und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des
Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin vom Süden wird
auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es
verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, um Salomos Weisheit zu
hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.“

Was die Schriftgelehrten
und Pharisäer hier machen, ist im Grunde das Gleiche wie bei dem
Mann aus der Geschichte. Auch sie können hören, was Jesus sagt,
sie können sehen, was er tut, und sie könnten erkennen, dass er
von Gott gesandt ist. Aber wie bei dem frommen Mann ist es gerade
ihr Glaube, der ihnen den Blick verstellt – ein fehlgeleiteter Glaube,
auch wenn er sich auf den Gott Israels beruft und sich damit an
die richtige Adresse richtet. Deshalb reicht es ihnen nicht, dass
Jesus in unerhörter Vollmacht von Gott redet. Es reicht ihnen nicht,
dass er Kranke heilt und Dämonen austreibt. All das ist ihnen zu
unsicher und zu zweideutig. Ein geschickter Verführer, der womöglich
mit dem Teufel im Bunde steht, könnte das in ihren Augen auch. Ihnen
fehlt eine unwiderlegbares Zeichen vom Himmel her. Denn hatte Gott
nicht solche Zeichen angekündigt für das Kommen des Messias und
das Ende der Welt? Hätte Jesus wie Mose die Fluten des Meeres geteilt
oder wie Elia Feuer vom Himmel herabfallen lassen, dann wären sie
zufrieden gewesen. Hätten sie alle die Stimme bei Jesu Taufe gehört:
„Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ – das hätte
sie überzeugt. Aber so? So passt Jesus einfach nicht mit dem zusammen,
was sie glauben. Und alles, was an ihm Eindruck macht, können sie
auch anders erklären.

Der Evangelist
ist natürlich überzeugt, dass es Jesus ein Leichtes gewesen wäre,
die Forderung der Schriftgelehrten und Pharisäer zu erfüllen. Aber
er tut es nicht. Was er dem Teufel verweigert hat – „Bist du Gottes
Sohn, dann mach aus diesen Steinen Brot!“ –, das verweigert er den
Pharisäern erst recht. Denn das einzige Zeichen, das er ihnen verspricht,
ist in Wahrheit auch keins. Jona, drei Tage und drei Nächte im Bauch
des Seeungeheuers, der Menschensohn, drei Tage und drei Nächte im
Schoß der Erde – das spielt für die Leser des Evangeliums deutlich
auf Tod und Auferstehung Jesu an. Aber die Auferstehung geschah
eben auch nicht vor den Augen der Gegner Jesu, und sein Verbrechertod
am Kreuz ist für sie ja gerade der Beweis, dass er auf gar keinen
Fall von Gott sein kann. Dass sein Grab leer war und die Jünger
behaupteten, Jesus sei auferstanden und ihnen erschienen, dafür
gab es wieder jede Menge andere Erklärungen. Es bleibt also für
Matthäus dabei: Wer glauben will, dass Jesus Gottes Sohn ist, der
muss sich an das halten, was er gesagt und getan hat. Er muss sich
daran orientieren, wie er gelebt hat und gestorben ist. Mehr gibt’s
nicht.

Aber hätten die
frommen Juden damals denn wirklich erkennen können, wer Jesus war
– auch ohne das geforderte Zeichen? Matthäus  ist überzeugt,
dass sie das gekonnt hätten und dass es deshalb ihre eigene Schuld
ist, wenn sie es nicht getan haben – so wie bei dem Mann in der
eingangs erzählten Geschichte. Schließlich hat den Leuten von Ninive
doch auch die schlichte Predigt Jonas gereicht, um Buße zu tun und
umzukehren. Und der Königin von Saba war das Hörensagen von Salomos
Weisheit auch genug, um die weite Reise nach Jerusalem zu anzutreten.
Zeichen vom Himmel waren in beiden Fällen nicht erforderlich. Also
werden sie im Weltgericht als Belastungszeugen gegen Jesu jüdische
Zeitgenossen auftreten. Denn die waren doch fromme Israeliten und
keine Heiden, und bei Jesus gab es doch viel mehr zu hören und zu
sehen als bei Jona oder Salomo, aber trotzdem haben sie nicht geglaubt.
Das Verdammungsurteil trifft sie also zu recht.

Dass Matthäus
und seine Gemeinde so gedacht haben, kann ich verstehen. Denn sie
waren ja selber geborene Juden. Deshalb schmerzte und verletzte
es sie ganz persönlich, dass die meisten ihrer jüdischen Landsleute
von Jesus nichts wissen wollten und dass die jüdischen Oberen sie
aus der Gemeinschaft der Juden ausgeschlossen hatten. Wir Heutigen
dagegen müssen mit den jüdischen Gegnern Jesu barmherziger sein.
Denn von ihren Denk- und Glaubensvoraussetzungen her konnten sie
gar nicht anders über Jesus urteilen, als sie es getan haben. Paulus
sieht es so, dass Gott ihnen den Zugang zum Glauben bewusst verschlossen
hat, damit das Evangelium erst einmal zu den Heiden gelangen konnte.
Er gibt ihnen also nicht die Schuld daran, und wir sollten es deshalb
erst recht nicht tun – nach allem, was Christen in der Zwischenzeit
den Juden angetan haben.

Stattdessen sollten
wir uns lieber an die eigene Nase packen: Wo machen wir denn unseren
Glauben von „Zeichen“ abhängig? Wo fordern wir von Gott Beweise
seiner Gegenwart? Über den Mann, der ertrinken musste, weil ihm
Gottes Rettungsmittel nicht wunderbar genug waren, können wir vielleicht
noch schmunzeln. So dämlich ist natürlich in Wirklichkeit keiner.
Aber trotzdem stehen wir alle in der Gefahr, unseren Glauben von
Dingen abhängig zu machen, die für unsere Sinne und unseren Verstand
wahrnehmbar sind. Und dann geraten wir ins Schwimmen, wenn diese
Dinge nicht da sind. Dann denken wir: Ich spüre gar nichts von Gottes
Nähe – dann gibt es ihn ja vielleicht doch nicht, oder mir fehlt
immer noch der echte Glaube. Oder wir schauen auf all die schrecklichen
Ereignisse um uns herum: Auf Menschen in einem reichen und hoch
technisierten Land, die den Naturgewalten hilflos ausgeliefert sind,
ja, die es gerade durch den so genannten technischen Fortschritt
noch viel schlimmer gemacht haben. Auf einen größenwahnsinnigen
und skrupellosen Diktator, der das eigene Volk zusammenschießen
lässt, um seine Macht zu retten. Auf Verantwortliche in Politik
und Wirtschaft, die nichts dagegen tun und nichts daraus lernen.
Und wir fragen uns: Warum greift Gott nicht ein? Warum lässt er
zu, was Menschen anderen Menschen antun oder fahrlässig in Kauf
nehmen?

Natürlich dürfen
wir so fragen. Und erst recht dürfen es die, die anders als wir
direkt betroffen sind. Aber wir müssen uns trotzdem damit abfinden,
dass uns Beweise für die Wahrheit unseres Glaubens nicht verheißen
sind. Auch wir haben nur das Zeichen das Jona: Dass Gott sich in
Jesus ganz tief nach unten begeben hat. Dass er sich von dem Ungeheuer
unserer Schuld und Gottesferne hat verschlingen lassen. Dass er
die Hölle des Leidens und des Todes durchschritten hat – nicht um
darin unterzugehen, sondern um sie zu besiegen. Und dass er deshalb
da ist, wenn wir uns fühlen wie Jona im Bauch des Fisches, wenn
uns das Chaos dieser Welt zu verschlingen droht, wenn wir orientierungslos
im Finstern sitzen, abgeschnitten vom Leben, fern von Gott. Wir
glauben, dass Gott uns liebt und es gut mit uns meint. Aber es gibt
nichts, was diesen Glauben zur Selbstverständlichkeit macht. Wir
müssen uns nicht darüber wundern, dass so viele Menschen das nicht
glauben können, sondern wir können das Wunder nicht hoch genug preisen,
wenn uns dieser Glaube geschenkt ist. Denn ein unverdientes Geschenk
ist und bleibt er. Deshalb preist Jesus diejenigen selig, die keinen
Anstoß an ihm nehmen. Denn an ihm Anstoß nehmen, das ist das Normale,
das kann jeder. An ihn glauben, ihm vertrauen, das kann nur der,
dem Gott Auge, Ohr und Herz öffnet. Das aber will er tun bei jedem,
der ihn darum bittet.

Also lasst uns
nicht auf Zeichen von oben warten. Denn sie werden nicht kommen.
Es wird uns keine Erleuchtung zuteil werden, die uns nie mehr an
Gott zweifeln lässt. Es wird weiter Erdbeben geben, und es werden
immer wieder Menschen dabei umkommen. Kein Gaddafi wird sich plötzlich
zum Guten bekehren. Und Friede und Gerechtigkeit werden nicht vom
Himmel fallen. Aber Gott wird bei uns sein, selbst im Bauch des
Fisches, selbst in der Hölle auf Erden. Und im Vertrauen darauf
lasst uns anpacken, was wir mit unseren Kräften tun können. Lasst
uns die ganz irdischen Gelegenheiten ergreifen, die Gott uns zufallen
lässt. Dann kann sich vieles ändern. Dann kann viel Leid verhindert
oder zumindest gelindert werden. Und dann kann aus dieser Welt ein
besserer Ort werden – bis eines Tages Gott selbst Himmel und Erde
neu macht. Vor seinem Urteil im Gericht muss uns dann nicht bange
sein.

Amen.