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 GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAGREMINISZERE
Pfr. Dr. Martin KleinWenschtkirche,
 20.3. 2011
 Text: Mt 12,38-42
 Vielleicht kennenSie die Geschichte: Ein großer Fluss tritt über die Ufer und überschwemmt
 das flache Land ringsum. Ein frommer Mann, der dort wohnt, kann
 sich auf das Dach seines Hauses retten, aber das Wasser steigt unaufhörlich.
 Da richtet der Mann ein Stoßgebet gen Himmel: „Herr, ich habe dir
 immer treu gedient. Ich bitte dich: Rette mich vor dem Ertrinken!“
 Und sogleich überkommt ihn die Gewissheit: „Ja, mein Gebet ist erhört
 – der Herr wird mich retten!“
 Kurz darauf –der Mann bekommt schon nasse Füße – treibt eine ausgehängte Tür
 vorbei, auf der einer seiner Nachbarn sitzt. „Komm, spring rüber“,
 ruft der ihm zu, „die Tür kann uns beide tragen!“ Aber der fromme
 Mann winkt ab. „Nein, sie wird bestimmt mit uns beiden untergehen.
 Ich bleibe lieber hier. Ich bin ganz sicher, dass der Herr mich
 retten wird!“ Da ist die Tür auch schon vorbei getrieben.
 Eine Weile später– das Wasser reicht dem Mann schon bis an die Knie – kommt ein Rettungsboot
 vorbei. „Kommen Sie, steigen Sie ein“, drängt der Bootsführer, „wir
 haben noch einen Platz frei!“ Aber wieder schüttelt der Mann den
 Kopf. „Nein, das ist mir viel zu wackelig. Ich bleibe lieber hier.
 Der Herr wird mich ganz bestimmt retten!“ – „Dann eben nicht“, sagt
 der Bootsführer und fährt weiter, denn er sieht von einem anderen
 Haus schon jemand winken.
 Schließlich, alsder Mann schon bis zum Bauch in den Fluten steht, kommt auch noch
 ein Hubschrauber. Aber auch in den will der Mann nicht einsteigen.
 „Nein, nein“, sagt er, „ich hab viel zu viel Angst vorm Fliegen
 – aber ich weiß genau, dass der Herr mich retten wird!“
 Als der gute Mannschließlich ganz versinkt, verliert er das Bewusstsein und wacht
 im Himmel wieder auf. „Nanu, denkt er, bin ich etwa gestorben?“
 Und vorwurfsvoll fragt er Gott: „Ich hab so fest auf dich vertraut!
 Warum hast du mich denn nicht gerettet?“ – „Was hast du denn erwartet?“
 fragt der Herr zurück. „Ich hab dir den Nachbarn auf der Tür geschickt,
 das Rettungsboot und schließlich sogar einen Hubschrauber. Was hätte
 ich denn sonst noch tun sollen, um dich zu retten?“
 Diese Geschichtekam mir beim Nachdenken über den heutigen Predigttext in den Sinn.
 Er steht beim Evangelisten Matthäus in Kapitel 12 und lautet folgendermaßen:
 Da fingen einigevon den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu Jesus:
 „Meister, wir wollen von dir ein Zeichen sehen.“ Und er antwortete
 und sprach zu ihnen: „Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert
 ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei
 denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und
 drei Nächte im Bauch des Seeungeheuers war, so wird der Menschensohn
 drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. Die Leute von
 Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht
 und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des
 Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin vom Süden wird
 auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es
 verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, um Salomos Weisheit zu
 hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.“
 Was die Schriftgelehrtenund Pharisäer hier machen, ist im Grunde das Gleiche wie bei dem
 Mann aus der Geschichte. Auch sie können hören, was Jesus sagt,
 sie können sehen, was er tut, und sie könnten erkennen, dass er
 von Gott gesandt ist. Aber wie bei dem frommen Mann ist es gerade
 ihr Glaube, der ihnen den Blick verstellt – ein fehlgeleiteter Glaube,
 auch wenn er sich auf den Gott Israels beruft und sich damit an
 die richtige Adresse richtet. Deshalb reicht es ihnen nicht, dass
 Jesus in unerhörter Vollmacht von Gott redet. Es reicht ihnen nicht,
 dass er Kranke heilt und Dämonen austreibt. All das ist ihnen zu
 unsicher und zu zweideutig. Ein geschickter Verführer, der womöglich
 mit dem Teufel im Bunde steht, könnte das in ihren Augen auch. Ihnen
 fehlt eine unwiderlegbares Zeichen vom Himmel her. Denn hatte Gott
 nicht solche Zeichen angekündigt für das Kommen des Messias und
 das Ende der Welt? Hätte Jesus wie Mose die Fluten des Meeres geteilt
 oder wie Elia Feuer vom Himmel herabfallen lassen, dann wären sie
 zufrieden gewesen. Hätten sie alle die Stimme bei Jesu Taufe gehört:
 „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ – das hätte
 sie überzeugt. Aber so? So passt Jesus einfach nicht mit dem zusammen,
 was sie glauben. Und alles, was an ihm Eindruck macht, können sie
 auch anders erklären.
 Der Evangelistist natürlich überzeugt, dass es Jesus ein Leichtes gewesen wäre,
 die Forderung der Schriftgelehrten und Pharisäer zu erfüllen. Aber
 er tut es nicht. Was er dem Teufel verweigert hat – „Bist du Gottes
 Sohn, dann mach aus diesen Steinen Brot!“ –, das verweigert er den
 Pharisäern erst recht. Denn das einzige Zeichen, das er ihnen verspricht,
 ist in Wahrheit auch keins. Jona, drei Tage und drei Nächte im Bauch
 des Seeungeheuers, der Menschensohn, drei Tage und drei Nächte im
 Schoß der Erde – das spielt für die Leser des Evangeliums deutlich
 auf Tod und Auferstehung Jesu an. Aber die Auferstehung geschah
 eben auch nicht vor den Augen der Gegner Jesu, und sein Verbrechertod
 am Kreuz ist für sie ja gerade der Beweis, dass er auf gar keinen
 Fall von Gott sein kann. Dass sein Grab leer war und die Jünger
 behaupteten, Jesus sei auferstanden und ihnen erschienen, dafür
 gab es wieder jede Menge andere Erklärungen. Es bleibt also für
 Matthäus dabei: Wer glauben will, dass Jesus Gottes Sohn ist, der
 muss sich an das halten, was er gesagt und getan hat. Er muss sich
 daran orientieren, wie er gelebt hat und gestorben ist. Mehr gibt’s
 nicht.
 Aber hätten diefrommen Juden damals denn wirklich erkennen können, wer Jesus war
 – auch ohne das geforderte Zeichen? Matthäus  ist überzeugt,
 dass sie das gekonnt hätten und dass es deshalb ihre eigene Schuld
 ist, wenn sie es nicht getan haben – so wie bei dem Mann in der
 eingangs erzählten Geschichte. Schließlich hat den Leuten von Ninive
 doch auch die schlichte Predigt Jonas gereicht, um Buße zu tun und
 umzukehren. Und der Königin von Saba war das Hörensagen von Salomos
 Weisheit auch genug, um die weite Reise nach Jerusalem zu anzutreten.
 Zeichen vom Himmel waren in beiden Fällen nicht erforderlich. Also
 werden sie im Weltgericht als Belastungszeugen gegen Jesu jüdische
 Zeitgenossen auftreten. Denn die waren doch fromme Israeliten und
 keine Heiden, und bei Jesus gab es doch viel mehr zu hören und zu
 sehen als bei Jona oder Salomo, aber trotzdem haben sie nicht geglaubt.
 Das Verdammungsurteil trifft sie also zu recht.
 Dass Matthäusund seine Gemeinde so gedacht haben, kann ich verstehen. Denn sie
 waren ja selber geborene Juden. Deshalb schmerzte und verletzte
 es sie ganz persönlich, dass die meisten ihrer jüdischen Landsleute
 von Jesus nichts wissen wollten und dass die jüdischen Oberen sie
 aus der Gemeinschaft der Juden ausgeschlossen hatten. Wir Heutigen
 dagegen müssen mit den jüdischen Gegnern Jesu barmherziger sein.
 Denn von ihren Denk- und Glaubensvoraussetzungen her konnten sie
 gar nicht anders über Jesus urteilen, als sie es getan haben. Paulus
 sieht es so, dass Gott ihnen den Zugang zum Glauben bewusst verschlossen
 hat, damit das Evangelium erst einmal zu den Heiden gelangen konnte.
 Er gibt ihnen also nicht die Schuld daran, und wir sollten es deshalb
 erst recht nicht tun – nach allem, was Christen in der Zwischenzeit
 den Juden angetan haben.
 Stattdessen solltenwir uns lieber an die eigene Nase packen: Wo machen wir denn unseren
 Glauben von „Zeichen“ abhängig? Wo fordern wir von Gott Beweise
 seiner Gegenwart? Über den Mann, der ertrinken musste, weil ihm
 Gottes Rettungsmittel nicht wunderbar genug waren, können wir vielleicht
 noch schmunzeln. So dämlich ist natürlich in Wirklichkeit keiner.
 Aber trotzdem stehen wir alle in der Gefahr, unseren Glauben von
 Dingen abhängig zu machen, die für unsere Sinne und unseren Verstand
 wahrnehmbar sind. Und dann geraten wir ins Schwimmen, wenn diese
 Dinge nicht da sind. Dann denken wir: Ich spüre gar nichts von Gottes
 Nähe – dann gibt es ihn ja vielleicht doch nicht, oder mir fehlt
 immer noch der echte Glaube. Oder wir schauen auf all die schrecklichen
 Ereignisse um uns herum: Auf Menschen in einem reichen und hoch
 technisierten Land, die den Naturgewalten hilflos ausgeliefert sind,
 ja, die es gerade durch den so genannten technischen Fortschritt
 noch viel schlimmer gemacht haben. Auf einen größenwahnsinnigen
 und skrupellosen Diktator, der das eigene Volk zusammenschießen
 lässt, um seine Macht zu retten. Auf Verantwortliche in Politik
 und Wirtschaft, die nichts dagegen tun und nichts daraus lernen.
 Und wir fragen uns: Warum greift Gott nicht ein? Warum lässt er
 zu, was Menschen anderen Menschen antun oder fahrlässig in Kauf
 nehmen?
 Natürlich dürfenwir so fragen. Und erst recht dürfen es die, die anders als wir
 direkt betroffen sind. Aber wir müssen uns trotzdem damit abfinden,
 dass uns Beweise für die Wahrheit unseres Glaubens nicht verheißen
 sind. Auch wir haben nur das Zeichen das Jona: Dass Gott sich in
 Jesus ganz tief nach unten begeben hat. Dass er sich von dem Ungeheuer
 unserer Schuld und Gottesferne hat verschlingen lassen. Dass er
 die Hölle des Leidens und des Todes durchschritten hat – nicht um
 darin unterzugehen, sondern um sie zu besiegen. Und dass er deshalb
 da ist, wenn wir uns fühlen wie Jona im Bauch des Fisches, wenn
 uns das Chaos dieser Welt zu verschlingen droht, wenn wir orientierungslos
 im Finstern sitzen, abgeschnitten vom Leben, fern von Gott. Wir
 glauben, dass Gott uns liebt und es gut mit uns meint. Aber es gibt
 nichts, was diesen Glauben zur Selbstverständlichkeit macht. Wir
 müssen uns nicht darüber wundern, dass so viele Menschen das nicht
 glauben können, sondern wir können das Wunder nicht hoch genug preisen,
 wenn uns dieser Glaube geschenkt ist. Denn ein unverdientes Geschenk
 ist und bleibt er. Deshalb preist Jesus diejenigen selig, die keinen
 Anstoß an ihm nehmen. Denn an ihm Anstoß nehmen, das ist das Normale,
 das kann jeder. An ihn glauben, ihm vertrauen, das kann nur der,
 dem Gott Auge, Ohr und Herz öffnet. Das aber will er tun bei jedem,
 der ihn darum bittet.
 Also lasst unsnicht auf Zeichen von oben warten. Denn sie werden nicht kommen.
 Es wird uns keine Erleuchtung zuteil werden, die uns nie mehr an
 Gott zweifeln lässt. Es wird weiter Erdbeben geben, und es werden
 immer wieder Menschen dabei umkommen. Kein Gaddafi wird sich plötzlich
 zum Guten bekehren. Und Friede und Gerechtigkeit werden nicht vom
 Himmel fallen. Aber Gott wird bei uns sein, selbst im Bauch des
 Fisches, selbst in der Hölle auf Erden. Und im Vertrauen darauf
 lasst uns anpacken, was wir mit unseren Kräften tun können. Lasst
 uns die ganz irdischen Gelegenheiten ergreifen, die Gott uns zufallen
 lässt. Dann kann sich vieles ändern. Dann kann viel Leid verhindert
 oder zumindest gelindert werden. Und dann kann aus dieser Welt ein
 besserer Ort werden – bis eines Tages Gott selbst Himmel und Erde
 neu macht. Vor seinem Urteil im Gericht muss uns dann nicht bange
 sein.
 Amen. |