Predigt vom 27.2.2011

 

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG
SEXAGESIMAE

Pfr. Dr. Martin Klein
Wenschtkirche,
27.2. 2011
Text: Mk 4,26-29

Ab und zu werde
ich gefragt, warum ich eigentlich Pastor geworden bin. Ich erzähle
dann meistens von meinem Werdegang, meinen Gaben und Interessen
und den Entscheidungen und Wendepunkten, die mich schließlich in
diesen Beruf gebracht haben. Aber wenn es nach den Vorstellungen
ginge, die sich manche Leute vom Pastorenleben machen, könnte die
Antwort auch ganz kurz sein: Ich bin Pastor geworden, weil ich schon
immer gern einen bequemen und trotzdem leidlich gut bezahlten Job
haben wollte. Wie das kommt? Na, richtig arbeiten muss ich doch
nur sonntags vormittags. Ansonsten kann ich es mir in meinem Studierzimmer
gemütlich machen und tiefsinnigen theologischen Gedanken nachhängen.
Und wenn mir nach Gesellschaft ist, dann besuche ich eben ein paar
Gemeindeglieder zum Geburtstag – natürlich nur die, die ich besonders
mag – und lass mich zu Kaffee und Kuchen einladen. Wer wirklich
dringend meine Hilfe braucht, kann ja kommen oder anrufen.
Ansonsten lass ich den lieben Gott einen guten Mann sein und lass
ihn dafür sorgen, dass seine Kirche nicht untergeht.

Sie meinen, diese
Vorstellung sei vielleicht doch ein bisschen naiv? Da wären doch
noch die Konfirmandenarbeit, die Kindergärten, die Taufen, Trauungen,
Beerdigungen, die Frauenkreise und Seniorenclubs, die Glaubens-
und Bibelgespräche, die Seelsorge, nicht nur an Alten und Kranken,
die Sitzungen und Besprechungen, der Verwaltungskram und, und, und?
Sie haben ja recht. Und ich kann Sie beruhigen: Ich bin mir
völlig im Klaren darüber, dass ich keinen bequemen Job habe und
bin trotzdem gern Pastor. Nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung
kann man sich das Pastorendasein so gemütlich vorstellen, wie ich
es eben beschrieben habe.

Wenn ich es also
hätte bequem haben wollen, dann hätte ich einen anderen Beruf ergreifen
müssen. Bauer zum Beispiel. Die haben’s wirklich gut! Jedenfalls,
wenn es sich mit der Landwirtschaft so verhält wie in dem Gleichnis,
das heute Predigttext ist. Jesus hat es erzählt, und der Evangelist
Markus hat es aufgeschrieben. Es steht in Markus 4,26-29:

Und er sprach:
Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land
wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht
auf und wächst, ohne dass er’s weiß. Von selbst bringt die Erde
Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen
in der Ähre. Wenn aber die Frucht es gestattet, so schickt er alsbald
die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Das ist doch nun
wirklich ein beschauliches Leben, oder? Im Frühjahr wird gesät.
Dann überlässt man das Korn sich selbst und genießt den Sommer.
Im Herbst braucht man dann nur noch zu ernten. Und dann sagt Jesus
auch noch: so ist das Reich Gottes. So verwirklicht sich Gottes
neue Welt, seine Herrschaft über die Erde: ganz von selbst, ohne
viel Arbeit und Mühe. Da frage ich mich dann ja wieder, ob ich als
Pastor und „Reich-Gottes-Arbeiter“ nicht einfach doch eine ruhige
Kugel schieben könnte.

Nun sitzen hier
im Gottesdienst wahrscheinlich keine echten Landwirte. Aber viele
wissen noch von früher, wie es da so zugeht, und viele haben einen
Garten, ich ja auch. Deshalb wissen wir alle: So einfach, wie Jesus
sich das anscheinend vorstellt, geht es beim Getreideanbau auch
nicht zu. Da muss man erst mal pflügen und eggen und düngen, ehe
man säen kann. Und dann muss man womöglich noch Unkraut jäten oder
gar – „grüne Hähne“ bitte weghören! – Herbizide und Pestizide versprühen.
Das alles war sicher schon mal anstrengender, als es noch keine
Maschinen gab, aber viel Arbeit ist es immer noch, trotz technischem
Fortschritt. Erst wenn man das alles getan hat, und wenn es dann
noch genug Regen und Sonnenschein gibt und nicht hagelt, dann hat
man Chancen auf eine ordentliche Ernte. Von wegen beschauliches
Landleben!

Aber ich denke,
wir sollten bei dem Gleichnis noch etwas genauer hinschauen. Jesus
ist zwar kein Bauer, sondern Handwerker. Aber er ist auf dem Land
groß geworden, und er wird schon mitbekommen haben, was es da alles
zu tun gab. Trotzdem lässt er die menschliche Arbeit hier weitgehend
beiseite. Und das hat auch seinen Sinn. Denn so lenkt Jesus unser
Augenmerk auf den einen entscheidenden Vorgang, ohne den es kein
Getreide geben würde. Und für den sorgt nicht der Bauer, sondern
die Natur. Alles, was das Saatkorn braucht, um eine volle Getreideähre
hervorzubringen, alles das steckt schon in ihm drin. Es braucht
nur einen geeigneten Boden, dazu Wasser, Luft und Sonne, dann wird
es sich entfalten. Wir können ein wenig nachhelfen, damit das alles
in der richtigen Mischung zusammenkommt. Aber das Wachstum selbst,
das können wir nicht machen. Es geschieht von allein, sagt Jesus
– „automatisch“ steht da im griechischen Text.

Genauso, sagt
Jesus, ist es auch mit dem Reich Gottes, das er verkündigt. Auch
das Reich Gottes wächst von selbst, ohne menschliches Zutun. Das
heißt allerdings nicht, dass Jesus uns ein Vorbild der Bequemlichkeit
liefert. Im Gegenteil: auch er hat alle Hände voll zu tun. Er ist
ständig unterwegs, predigt, lehrt, redet mit den Menschen, heilt
ihre Krankheiten, segnet ihre Kinder. So wie der Bauer seinen Samen,
so streut er in Wort und Tat die Botschaft aus, dass Gott nahe ist
– mit seiner Liebe und seinem Heil, mit seiner Gerechtigkeit und
seinem Gericht. Mehr kann Jesus nicht tun. Er kann das Reich Gottes
nicht herbeizwingen, nicht mit Geld und guten Worten, und erst recht
nicht mit Gewalt. Er kann nur warten, dass seine Saat aufgeht und
Frucht bringt. Aber er ist voller Zuversicht, dass sie das tun wird.
Denn er weiß, was in ihr steckt. Er weiß, welche Energien seine
Botschaft freisetzt, wenn sie in einem Menschen auf fruchtbaren
Boden fällt. Erst verändert sie ihn selbst, dann seine Umgebung,
und schließlich die ganze Welt. Und dann ist die Ernte da, dann
ist das Reich Gottes Wirklichkeit.

Das Vertrauen,
das Jesus in seine Botschaft setzt, beeindruckt mich immer wieder.
Aber ich frage mich unwillkürlich, woher er eigentlich diese Zuversicht
nimmt. Denn wenn Gottes neue Welt ganz von selbst wächst und gedeiht,
wieso ist sie dann immer noch nicht da? Wieso kommt die Botschaft
Jesu nur bei so wenigen an? Und warum geht dann so viel schief,
auch bei denen, die sich auf die Botschaft Jesu einlassen? Anscheinend
haben schon die Evangelisten Matthäus und Lukas so gedacht. Sie
haben sonst fast das ganze Markts-Evangelium übernommen, aber dieses
Gleichnis haben sie weggelassen. Matthäus hat es bezeichnender Weise
durch das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen ersetzt.

Schon Matthäus
und Lukas hatten also Grund, das Gleichnis zu optimistisch zu finden.
Wir Heutigen natürlich erst recht. Wir haben ja oft das Gefühl,
dass wir säen und säen, aber die Saat einfach nicht aufgehen will.
7500 Gemeindeglieder haben wir immer noch – 200 davon kommen im
Schnitt sonntags zum Gottesdienst – Heiligabend und Ähnliches mitgerechnet.
70 Konfis werden wir dieses Jahr konfirmieren, aber wenn 10 davon
nach der Konfirmation noch irgendwo mitmachen, ist das viel. Ein
paar hundert Handzettel wurden verteilt, um Außenstehende und Randsiedler
der Gemeinde zum Glaubenskurs einzuladen – gekommen sind etwa 12,
und die gehören doch eher zu den Insidern. Im Vergleich mit anderen
sind diese Zahlen gar nicht schlecht, aber als Verhältnis von Saat
und Ernte sind sie doch eher deprimierend. Dabei hat sich in letzter
Zeit eine Menge getan bei Kirchens. Vielerorts geht es längst nicht
mehr so verstaubt und fantasielos zu wie vielleicht noch vor zwanzig
Jahren. Trotz Finanzkrise war das kirchliche Angebot wahrscheinlich
noch nie so bunt, so vielfältig und so einladend wie heute. Aber
die Zahl der Christen, die sich ihres Glaubens bewusst sind und
danach leben, wird scheinbar unaufhaltsam kleiner. Und von so hehren
Zielen wie Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, die
ja auch zur Vision vom Reich Gottes gehören, habe ich jetzt noch
gar nicht geredet.

Wie kommt das?
Weshalb sieht es so aus, als seien wir von Gottes neuer Welt weiter
entfernt als je zuvor? Die Antworten darauf sind verschieden. Die
einen sagen: Wir arbeiten immer noch zu wenig. Wir müssten uns noch
mehr für dies oder jenes engagieren, wir müssten mehr auf diese
oder jene Menschen zugehen. Andere sagen, wir machen zuviel unnötige
Arbeit. Wir sollten uns auf das Wesentliche besinnen, mehr Wert
auf klare Verkündigung legen als auf Offenheit und Vielfalt. Wieder
andere sagen, das Saatgut ist schlecht: zu alt, zu trocken, zu schwer
verdaulich. Passt nicht zu der fröhlich-bunten Fassade, die wir
so gern davor aufbauen. Und noch andere sagen, der Boden ist ausgelaugt:
Materialismus und Egoismus prägen unsere Gesellschaft, und daraus
kann eben keine Gottes- und Nächstenliebe wachsen.

Ich glaube, dass
diese Antworten drei Dinge gemeinsam haben. Erstens ist an allen
etwas dran. Zweitens werden sie alle falsch, wenn man eine davon
für die einzig richtige hält. Und drittens treffen sie alle nicht
den Kern. Denn sie reden alle davon, was wir tun oder lassen müssen.
Wenn aber Jesus Recht hat, dann sorgen ja nicht wir sondern Gott
dafür, dass seine Botschaft Erfolg hat. An ihn müssen wir also unsere
Fragen richten, und von ihm müssen wir die Antwort erwarten. Und
das Gleichnis will uns die Gewissheit geben, dass wir die auch bekommen
werden.

Vielleicht könnte
sie ungefähr so lauten: Auch die Bauern machen sich seit Jahrtausenden
Gedanken, wie sie ihre Arbeit optimieren können. Aber trotzdem bleiben
sie darauf angewiesen, dass der eine entscheidende Vorgang funktioniert,
den sie nicht machen können: dass aus einem Saatkorn ein Getreidehalm
mit voller Ähre wird. Und so ist es auch mit uns und dem Reich Gottes:
Wir können uns noch so abstrampeln, wir können noch so klar und
deutlich und zeitgemäß von Gott reden und Zeichen seiner Gegenwart
setzen: wir werden es nie in der Hand haben, dass das bei den Menschen
auch ankommt und sie verändert. Denn das ist der eine, entscheidende
Vorgang, der nicht in unserer Macht steht. Dafür sorgt Gott selbst,
niemand sonst. In diesem Sinne können wir tatsächlich gelassen bleiben
und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Diese gelassene
Zuversicht, die will uns Jesus mit seinem Gleichnis vermitteln.

Gut, dass uns
wenigstens ein Evangelist dieses Gleichnis überliefert hat. Denn
es bedeutet eine ungeheure Entlastung für alle, die ihren christlichen
Glauben in Wort und Tat umsetzen wollen – sei es im privaten, im
öffentlichen oder im Gemeindeleben, sei es haupt-, neben- oder ehrenamtlich.
Denn Jesus spricht uns damit zu: Das, was ihr als Christen sagt
oder tut, das hat Wirkung. Es kommt bei anderen an, und es
setzt etwas in Bewegung. Oft geschieht es im Verborgenen, ohne dass
ihr es wisst. Aber früher oder später kommt es zum Vorschein. Vielleicht
muss zum Beispiel ein Kind erst erwachsen werden, ehe es die christliche
Erziehung seiner Eltern zu schätzen lernt. Vielleicht müssen wir
noch lange Zeichen setzen für Frieden und Gerechtigkeit, bis die
Früchte endlich sichtbar werden. Vielleicht müssen wir noch lange
Wissen über das Christentum vermitteln, bis aus diesem Wissen lebendiger
Glaube wird. Und vielleicht müssen wir auch in unserer persönlichen
Beziehung zu Gott lange Durststrecken überwinden. Aber dass diese
Mühen nicht vergeblich sind, darauf können wir uns verlassen. Spätestens,
wenn Gott die Ernte einfährt, werden wir wissen – und staunen -,
was aus unserer Saat geworden ist.

Amen.