Auf ein Wort ….

 

Lass dich nicht vom Bösen
überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Römer 12,21, Jahreslosung 2011

Die
beste Auslegung dieser Worte ist für mich immer noch eine alte Ballade
von Conrad Ferdinand Meyer. Sie spielt zur Zeit der Hugenottenverfolgung
in Frankreich und heißt „Die Füße im Feuer“.

Da bittet ein
königlicher Kurier in einer stürmischen Nacht um Quartier im Haus
eines hugenottischen Edelmanns. Zu spät erkennt er das Haus wieder:
Vor drei Jahren hat er auf „Hugenottenjagd“ die Ehefrau des Hausherrn
gefoltert, um dessen Aufenthaltsort zu erfahren. Ihre Füße hat er
ins Kaminfeuer gehalten, aber sie hat eisern geschwiegen. Schließlich
ist sie an der Tortur gestorben. Der Kurier verbringt eine ungemütliche
Nacht in diesem Haus, voller Angst vor der Rache des Hugenotten.
Aber der rührt ihn nicht an, gewährt ihm Nahrung und Bett und gibt
ihm am nächsten Morgen noch das Geleit. Sein Haar allerdings ist
über Nacht ergraut. Beim Abschied spricht der Kurier: „Herr, / ihr
seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit / und wisst, dass ich
dem größten König eigen bin. / Lebt wohl! Auf Nimmerwiedersehen!“
Und er bekommt die Antwort: „Du sagsts! Dem größten König eigen!
Heute ward sein Dienst mir schwer … Gemordet hast du teuflisch mir
/ mein Weib! Und lebst … Mein ist die Rache, redet Gott.“

Diese Ballade
macht klar, was es einem Christen abverlangen kann, wenn er die
Worte des Römerbriefs wirklich ernst nimmt: nicht Böses mit Bösem
vergilt, sondern Böses mit Gutem überwindet. Sie macht aber auch
klar, welche Verheißung in diesen Worten liegt: Hier schafft es
einer, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Und er sammelt
dadurch wirklich „glühende Kohlen“ auf das Haupt seines Feindes,
wie es kurz vorher im Römerbrief heißt. Es bleibt zwar unausgesprochen,
aber der Kurier des Königs wird seine Angst vor der Rache, das Bewusstsein
ihrer Berechtigung und die Erleichterung über ihr Ausbleiben sicher
nicht vergessen. Und wenn noch ein Funken Anstand in ihm ist, wird
er wohl nicht noch einmal einem unschuldigen Menschen Gewalt antun.

Wenn ich darüber
nachdenke, kommen mir die deprimierenden Nachrichten aus den Krisengebieten
dieser Erde in den Sinn: Christenverfolgung im Irak, Kämpfe in Afghanistan,
Schüsse zwischen Nord- und Südkorea, Angst vor Terroranschlägen
– immer noch, immer wieder. Wenn doch da endlich mal jemand Böses
nicht mit Bösem vergelten würde! Natürlich: Von denen, die die Gewalt
am eigenen Leib erleiden, kann ich das nicht verlangen. Aber die
Politiker, die religiösen Führer, die, die Verantwortung tragen,
die könnten doch endlich mal zur Besinnung kommen, oder?

Die Verantwortlichen
sind allerdings nur selten die wirklich Betroffenen. Und solange
man nicht selber betroffen ist, ist eben der Krieg bequemer als
der Frieden, die Vergeltung einfacher als die Versöhnung. Wenn man
sich damit abfindet, dass immer wieder zu- und zurückgeschlagen
wird, kann man weitermachen wie bisher. Für Frieden und Versöhnung
dagegen müsste man umdenken, Phantasie entwickeln, über den eigenen
Schatten springen, Anfeindung von den Unversöhnlichen in Kauf nehmen,
der Gefahr des Scheiterns ins Auge sehen – womöglich gar mit dem
Leben bezahlen. Feinde lieben ist anstrengend und gefährlich, Feinde
hassen geht von allein.

Das können wir
ja auch an uns selber beobachten: Es ist viel leichter, sich mit
dem schwierigen Nachbarn oder Familienglied weiterzuzanken als den
Streit zu begraben. Es ist viel bequemer, negative Vorurteile zu
pflegen, als sie durch persönliche Kontakte widerlegen zu lassen.
Ohne ein oder mehrere Feindbilder an der Wand kann offenbar kaum
jemand leben. Deshalb werden diese Feindbilder gepflegt und poliert,
so schlecht sie auch gemalt sein mögen. Sie sind in ihrer Schlichtheit
eben leichter zu begreifen als die komplizierte Wirklichkeit. Wenn
das nun schon uns so geht, die wir ernsthafte Feinde eigentlich
gar nicht haben, wie schwer muss es dann erst für die sein, die
Feindseligkeit und Gewalt Tag für Tag hautnah erleben?

Aber kann man
es dann überhaupt schaffen, das Böse durch Gutes zu überwinden?
In dem Abschnitt aus dem Römerbrief steckt die Antwort in der Anrede,
die Paulus für die Christen in Rom gebraucht: er nennt sie „Geliebte“
und meint damit „von Gott Geliebte“. Gott hat euch seine Liebe bewiesen,
sagt Paulus, indem er in Jesus Christus zu euch gekommen ist. Das
ist so, auch unabhängig von eurem Verhalten. Aber nur, wenn ihr
euch wirklich darauf einlasst, dass Gott euch lieb hat, könnt ihr
die Liebe auch zum Maßstab eures Lebens machen. Was das Gute ist,
das wisst ihr. Denn dieses Gute sieht für Christen nicht viel anders
aus als für Juden oder Muslime oder Atheisten: es bedeutet Achtung
vor der Würde, dem Leben und dem Eigentum jedes Menschen. Aber die
Liebe Gottes in Christus gibt euch die Motivation, dieses Gute auch
in die Tat umzusetzen, aus Gottes Liebe Nächstenliebe zu machen.

Das heißt ja nicht,
dass wir unseren Feinden um den Hals fallen müssen. Für den hugenottischen
Edelmann war Nächstenliebe nicht mehr als schlichte Gastfreundschaft
und der Verzicht auf Rache. Und selbst das wäre ihm unerträglich
schwer geworden, wenn das Bewusstsein, Gott, dem „größten König“,
zu gehören, nicht stärker gewesen wäre als der Drang nach Vergeltung.
Auch wir müssen Menschen, die uns fremd sind oder gar abstoßen,
nicht gleich sympathisch finden, aber wir sollten sie als Menschen
akzeptieren und dann eben, soweit an uns liegt, Frieden mit ihnen
halten. Auf diesem Weg gibt es noch viel zu tun – bei uns und überall
auf der Welt. Aber es gibt auch viel zu gewinnen. Gott verlangt
nicht mehr von uns, als dass wir, seine Geliebten, auf diesem Weg
mit gutem Beispiel vorangehen. Und das wäre doch mal ein wirklich
guter Vorsatz fürs neue Jahr, oder?

Ihr Pastor Klein