Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 31. März 2019

GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG LAETARE

Text: Joh 6,51-58

Jesus sprach zu ihnen: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch – für das Leben der Welt.“

Da stritten die Juden untereinander und sprachen: „Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?“ Jesus sprach zu ihnen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohns und trinkt sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich gesandt hat der lebendige Vater und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“

„Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?“ So reagieren die Jünger auf diese Worte Jesu. Und es kommt zu einer Spaltung unter ihnen: Viele verlassen Jesus, nur wenige bleiben da.

Ich kann sie gut verstehen. Denn auch mir gehen diese Verse ziemlich quer runter. Jesu Fleisch essen (wörtlich heißt es sogar: „zerkauen“)? Sein Blut trinken? Ja, sind wir denn Kannibalen oder Vampire? Bei solchen Sprüchen ist es kein Wunder, dass sich bei Römern und Griechen bald das Gerücht verbreitete, die Christen würden bei ihrem Abendmahl kleine Kinder schlachten und verspeisen. Das war natürlich ein furchtbares Missverständnis, und selbstverständlich sind Jesu Worte nicht wörtlich zu nehmen. Aber es gibt eben Bilder und Vergleiche, die sind einfach daneben, weil sie Gedankenverbindungen auslösen, die an der Sache vorbeigehen und zu Missverständnissen geradezu einladen. Dieser Abschnitt aus dem Johannesevangelium ist in der Hinsicht mindestens grenzwertig.

Manche Ausleger haben deshalb versucht, ihn elegant loszuwerden. Als Aussage des irdischen Jesus kann er ohnehin nicht gelten. Wie alle Jesus-Reden bei Johannes ist auch die so genannte „Brotrede“ in Johannes 6 vom Evangelisten formuliert. Was er Jesus sagen lässt, das ist geprägt von dem, was er und seine Gemeinde von Jesus glauben: dass er nämlich der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes ist. So ist es auch hier. Aber die besagten Ausleger gehen noch darüber hinaus. Sie meinen, dass dieser spezielle Abschnitt auch nicht vom Evangelisten stammt, sondern erst später angefügt wurde. Eine so genannte „kirchliche Redaktion“ habe mit solchen Ergänzungen das recht eigensinnige Evangelium an den kirchlichen „Mainstream“ anpassen wollen. An dieser Stelle habe man zum Stichwort „Brot des Lebens“ Aussagen über das Abendmahl vermisst. Und die Verfasser der Ergänzung hätten in punkto Abendmahl ganz handfest-real gedacht: Für sie verwandelten sich Brot und Wein tatsächlich und leibhaftig in Fleisch und Blut Christi. So dienen sie dann allen, die davon gläubig essen und trinken, als Heilmittel für die Seele – ein Heilmittel, das Unsterblichkeit verleiht. Dieses Verständnis des Abendmahls wurde für die katholische Kirche später prägend. Die Reformatoren dagegen haben es abgelehnt. Sollte es an dieser Stelle nachträglich ins Johannesevangelium eingefügt sein, könnten wir Evangelischen es also getrost beiseite legen.

Aber dass es sich so verhält, ist keineswegs sicher. Gut möglich, dass die Zuspitzung auf das Abendmahl vom Evangelisten selber stammt. Dann wollte er uns sagen: Jesus ist das Brot des Lebens, das heißt, nur in ihm können wir zu Gott und zum wahren, ewigen Leben finden, und konkret erfahrbar wird das durch Brot und Wein beim Abendmahl.

Wenn es sich so verhält – und ich glaube, es ist so –, dann müssen wir uns freilich noch mal Gedanken machen: Wie ist das denn nun beim Abendmahl? Christus lädt uns ein an seinen Tisch, sagen wir gern. Er ist mitten unter uns, wenn wir Abendmahl feiern, sagen wir auch. Und irgendwas muss das mit dem Brot und dem Wein zu tun haben. Denn sonst könnte Christus ja auch einfach so mitten unter uns sein. Schließlich hat er uns das schon für den Fall versprochen, dass zwei oder drei sich in seinem Namen versammeln. Aber was genau verbindet Brot und Wein mit Jesus? Was haben sie mit seinem Leib oder gar Fleisch und seinem Blut zu tun? Oder kann sich da jeder vorstellen, was er will?

Auch evangelische Christen haben sich darüber lange gestritten. Brot und Wein sind beim Abendmahl wirklich Leib und Blut Christi, davon war Martin Luther überzeugt. Schließlich hat Jesus doch gesagt: „Nehmt und esst, das ist mein Leib.“ Brot und Wein sind nur Zeichen, hat Ulrich Zwingli entgegnet. Sie bedeuten, dass Christus wirklich und leibhaftig für uns gestorben ist. Aber jetzt sitzt er samt seinem verklärten Leib zur Rechten Gottes – wie soll dieser Leib dann gleichzeitig in einem Stück Brot zu finden sein? Darüber haben sich Luther und Zwingli heftig entzweit, anno 1529 in Marburg. Und so kam es, dass die Reformation in zwei Lager zerfiel: ein lutherisches und ein reformiertes. Zeitweise haben die sich dann schlimmer beekriegt als Protestanten und Katholiken.

Gott sei Dank ist das vorbei. Denn im Lauf der Zeit hat sich herausgestellt, dass es im Neuen Testament diesen Gegensatz von „ist“ und „bedeutet“ gar nicht gibt. Der kam eher dadurch zustande, dass Luther und Zwingli aus verschiedenen Denkschulen des Mittelalters stammten. Also konnten sich Reformierte und Lutheaner schließlich darauf einigen, dass ihr unterschiedliches Abendmahlsverständnis sie nicht mehr trennt. 1973 war das, auf dem Leuenberg bei Basel. Und seitdem können sie uneingeschränkt gemeinsam Abendmahl feiern. „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.“ So lautet die Formel auf die man sich verständigt hat. Wie Christus nun genau „mit Brot und Wein“ gegenwärtig ist, das hat man damals bewusst offen gelassen. Ja man hat sogar gewarnt, es zu genau wissen zu wollen. Denn dann bestünde die Gefahr, den Sinn des Abendmahls nicht zu erhellen sondern zu verdunkeln.

Wenn wir in unseren Predigttext schauen und vom „Fleisch essen“ und „Blut trinken“ lesen, mag uns das zu schwammig vorkommen. Aber es ist ja tatsächlich so: Immer wenn jemand festlegen wollte: „So ist es, und nicht anders“, hat dies die Spaltung unter Christen vertieft. Und weil die katholische Kirche da bis heute sehr festgelegt ist, gibt es ihrerseits eben keine Abendmahlsgemeinschaft mit uns Evangelischen. Auch ich werde mich also hüten zu sagen: „So ist es, und alles andere ist falsch.“ Zwar klingt unser Predigttext sehr genau und konkret, aber er ist im Neuen Testament auch nur eine von vielen Stimmen. Immerhin macht er mir Mut, Ihnen konkret zu sagen, wie ich persönlich über die Art der Gegenwart Christi beim Abendmahl denke. Und Sie mögen dann selber überlegen und beurteilen, ob sie dem folgen können oder nicht.

Ich glaube, auch beim Abendmahl sind Brot und Wein nichts anderes als Brot und Wein – oder Traubensaft. Deshalb ist es für mich kein Unglück, wenn mal ein Stück Abendmahlsbrot versehentlich auf den Boden fällt oder ein Schluck Wein verschüttet wird. Dem Leib Christi und dem neuen Bund in seinem Blut tut das keinen Abbruch. Und wenn ich Reste hinterher nicht gern wegwerfe, dann deshalb, weil ich das bei Lebensmitteln sowieso zu vermeiden versuche, nicht deshalb, weil die Abendmahlsreste irgendwie besonders heilig wären. Für mich sind Brot und Wein Symbole, aber solche, die wirklich etwas bedeuten, und deshalb behandle ich sie mit entsprechender Achtung. Durch sie erfahre ich, welchen Sinn das Leiden und Sterben Jesu für mich hat, und das nicht nur mit dem Verstand, sondern mit allen Sinnen: ich höre die Einsetzungsworte, ich sehe und berühre das Brot und den Kelch, ich rieche und schmecke das Brot und den Wein. Und damit „schmecke und sehe ich, wie freundlich der Herr ist“.

Schade finde ich es deshalb, dass bei unseren üblichen Abendmahlsfeiern die sinnlichen Eindrücke auf ein Minimum reduziert sind. Hier im reformierten Siegerland gibt es ja immerhin richtiges Brot und nicht nur Oblaten, die am Gaumen kleben, nach nichts schmecken und einem auch nichts zu kauen geben. Aber satt macht so ein kleines Stück Brot natürlich auch nicht. Und obwohl ich es gut und richtig finde, dass es bei uns zum Abendmahl auch Traubensaft gibt: ein guter Schluck Wein ist einfach ein intensiveres Erlebnis als ein Schluck Saft. Was mich persönlich angeht, hätte ich also beim Abendmahl gern richtiges Brot und richtigen Wein – noch besser eine richtige Mahlzeit. Deshalb lade ich alle herzlich ein zum Gottesdienst am Gründonnerstag in der Wenschtkirche, weil wir das Abendmahl wenigstens da mal so feiern (mit Wein und Saft).

Und was schmecke und sehe ich nun genau in, mit und unter Brot und Wein? Ich drücke es immer noch gern mit den Worten des Heidelberger Katechismus aus: So gewiss, wie ich das Brot breche und zerbeiße, so gewiss wurde Christi Leib für mich am Kreuz zerschunden und gebrochen. Und so gewiss ich den Wein aus dem Kelch in meinen Mund rinnen lasse und trinke, so gewiss wurde Christi Blut für mich vergossen. Er ist gestorben, um Gottes Liebe zu mir und allen Menschen ans Ziel zu bringen. Er hat damit alles überwunden, was mich von ihm trennt – selbst den Tod. Deshalb ist er auferstanden und lebt. Deshalb dürfen wir mit ihm leben und sein – hier auf Erden und bis in Ewigkeit. Deshalb ist er da, wenn wir Abendmahl feiern, und wir nehmen ihn bei uns und in uns auf, so gewiss wie das Brot und den Wein. Und deshalb schließt er sich und uns zu einer Gemeinschaft zusammen, so gewiss, wie wir alle am Brot und am Wein teilhaben. Und auch, was uns untereinander trennt, wird dadurch überwunden. Mögen wir daran denken, wenn wir das nächste Mal zum Abendmahl zusammen sind. Amen.

Ihr Pastor Martin Klein