Predigt, Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 28.05.2017

Gottesdienst für den Sonntag Exaudi

Text: Joh 7,37-39

Am letzten, dem höchsten Tag des Festes, trat Jesus auf und rief: „Wen da dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Von seinem Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

„Ströme lebendigen Wassers“ – was für einen kraftvollen Ausdruck hat Martin Luther da mal wieder gefunden, als er Johannes 7 übersetzte! Was schwingt da nicht alles mit: an Lebensfülle und Lebensdurst, an Sehnsüchten und Hoffnungen! Und wer versucht nicht alles, etwas von diesem kräftigen Sprachfluss auf seine eigenen Mühlen zu leiten! Ich hab dazu mal ein bisschen gegoogelt (also im Internet gesucht). Als Erstes bin ich auf „lebendigeswasser.de“ gestoßen. Diese Homepage wollte mich überzeugen, dass ich unbedingt eine „Osmoseanlage“ für besseres Trinkwasser brauche. Und als ich „Wasser des Lebens“ eingegeben habe, sprang mir ein Buch ins Auge mit dem Titel: „Wasser des Lebens – Einführung in die Spiritualität des – Whiskys“. Denn „Whisky“ soll auf Gälisch „Wasser des Lebens“ bedeuten. Aha. Nichts gegen einen guten Schluck Whisky vorm Schlafengehen – aber sind jetzt auch die Spirituosen schon spirituell? Und kann eine Osmoseanlage wirklich Wasser zum Leben erwecken? Auch für ein handelsübliches Mineralwasser wurde vor Jahren mal mit „das Wasser des Lebens“ beworben – für solche Angeberei wurde die Firma dann allerdings mit der baldigen Pleite bestraft.
Nein, in der Werbung ist das „lebendige Wasser“ wohl doch eher fehl am Platz. Ohne Google schießt mir da ganz anderes durch den Kopf: Bilder, Erfahrungen, Wissensfetzen. Ich sehe Erde ohne Wasser vor mir: steinhart und aufgesprungen, und abgezehrte Menschen, die auf diesem Boden kauern, hungernd und dürstend. Ich muss an Quellen in der Wüste denken: Inseln der Fruchtbarkeit in einer lebensfeindlichen Umgebung. Mir fällt ein, dass im Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn das knappe Wasser eine entscheidende Rolle spielt. Im Wasser hat alles Leben auf Erden angefangen, habe ich gelernt, und ohne Wasser geht alles zugrunde. Wasser des Lebens, in der Tat. Wasser ist Leben!
Kein Wunder, dass sich lange vor heutigen Werbesprüchen eine Menge Sagen und Geschichten darum gerankt haben. Unter Grimms Märchen zum Beispiel gibt es eins namens „Das Wasser des Lebens“. Es geht dabei um ein Wasser, das alle Krankheiten heilen kann. Und der berühmte „Jungbrunnen“, der ewige Jugend verleiht, geistert schon seit dem Mittelalter durch die Literatur- und Kunstgeschichte und durch die Sehnsüchte von Entdeckungsreisenden.
Kein Wunder ebenfalls, dass Wasser auch in allen Religionen eine wichtige Rolle spielt. Es ist nicht nur das Element des Lebens, sondern es ist auch ein Symbol für Ursprung, Sinn und Ziel des Lebens. Dafür gibt es zahllose Beispiele. Von einem möchte ich erzählen, weil es mit dem heutigen Predigttext zu tun hat.
Eines der drei jüdischen Hauptfeste ist das Laubhüttenfest zum Jahresanfang im Herbst. Es ist ein Erntedankfest und zugleich ein Erinnerungsfest an die Zeit der Wüstenwanderung Israels. Es dauert eine Woche und erreicht seinen Höhepunkt am letzten Tag. Zur Zeit Jesu, als in Jerusalem noch der Tempel stand, wurde beim Laubhüttenfest ein eigenartiger Brauch gepflegt. Am Fuß des Tempelbergs, im Kidrontal gab und gibt es noch immer die Gihon-Quelle, die einzige Quelle Jerusalems, die das ganze Jahr Wasser führt. Seit König Hiskias Zeiten wird das Wasser dieser Quelle durch einen unterirdischen Tunnel in den Schiloa-Teich auf der anderen Bergseite und damit ins Innere der Stadt geleitet. An jedem Tag des Laubhüttenfestes nun schöpften Priester Wasser aus diesem Teich, trugen es hinauf zum Tempel und gossen es dort auf den Brandopferaltar. Besonders feierlich ging es dabei am letzten Festtag zu. Wie das Symbol des Wassers überhaupt hatte dieser Brauch viele Bedeutungen. Einmal bat man damit Gott am Anfang des neuen Jahres um genügend Regen für die nächste Ernte. Dann erinnerte man sich an die Wüstenwanderung Israels: daran, wie Mose im Auftrag Gottes mit seinem Stab an einen Felsen schlug und Wasser heraus floss, das den Durst des Volkes stillte. Und schließlich blickte man voraus auf die Zukunft: Man dachte an Verheißungen aus dem Propheten Jesaja: „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen“ (Jes 12,3). Oder: „Ich, der Herr, will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre: ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nachkommen“ (Jes 44,3). Und man las beim Propheten Hesekiel nach, wie er einen Wasserstrom beschreibt, der in der künftigen Heilszeit mitten im Tempel entspringen und das ganze Land bewässern wird. Die Offenbarung des Johannes greift dieses Bild auf, wenn sie das himmlische Jerusalem beschreibt. All diese Bilder drücken Sehnsucht und Hoffnung aus. Hoffnung auf eine Zeit, in der es Leben in Hülle und Fülle geben wird. Niemand muss dann mehr Hunger und Durst leiden, niemand muss sich mehr um knappes Wasser streiten. Alles Leben kann sich frei und ungehindert entfalten. Und dass es so kommt, dafür sorgt Gott, sagen die Propheten.
An diesem letzten Tag des Laubhüttenfestes nun, während die feierliche Wasserzeremonie stattfindet, stellt sich Jesus im Tempel hin und sagt: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!“ Der Evangelist will damit sagen: In Jesus Christus sind alle diese Verheißungen erfüllt. Aus ihm werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Er ist das Wasser des Lebens. Nicht deshalb, weil er ein so bemerkenswerter Mensch ist. Auch nicht deshalb, weil er einzigartige Dinge sagt und tut. Sondern deshalb, weil in ihm Gott selbst Mensch geworden ist. Nur Gott kann von sich behaupten, dass er das Wasser des Lebens ist. Denn ohne ihn, den Schöpfer, gäbe es kein Leben und auch kein Wasser, das Leben spendet. Unser christliches Symbol dafür ist die Taufe und die Gabe des heiligen Geistes, die mit ihr verbunden ist.
Wir sehen: Es steckt viel drin in dem Ausdruck „Wasser des Lebens“. Es geht dabei letztlich um nicht weniger als das Heil der Menschheit und der ganzen Welt. Und dann kommen in unseren Zeiten Werbe-strategen daher und wollen uns mit diesem Etikett Sprudel, Schnaps oder Filteranlagen von zweifelhaftem Nutzen verkaufen. Was für eine absurde Anmaßung, kann man da nur sagen, wenn man all die Sagen und Mythen, wenn man Jesaja, Jesus und Johannes im Kopf hat! Was für eine dreiste Gedankenlosigkeit! Das Wasser des Lebens lässt sich doch nicht technisch herstellen oder auf Flaschen ziehen!
Gut, wahrscheinlich nehme ich die Werbung damit viel zu wichtig und wörtlich. Die meisten Zeitgenossen zucken bei so was nur die Achseln und sagen: „Na und? Ist halt irgend so ein Spruch!“ Und der verantwortliche Marketing-Experte würde auf Nachfrage wahrscheinlich antworten: „Ein Produkt wird nur gekauft, wenn es auffällt. Und weil der Markt heiß umkämpft ist, muss man eben mit starken Sprüchen nachhelfen.“ Helfen tut es allerdings nicht. Ich werde trotzdem keine Osmoseanlage kaufen. Und wenn ich mal einen Whisky trinke, dann einfach, weil er mir schmeckt.
Also lasse ich es besser, einen Feldzug gegen den Missbrauch religiöser Sprache in der Werbung zu starten. Es wäre auch ein viel zu weites Feld, und ich würde ich mich damit nur lächerlich machen. Ich stelle nur einfach fest, dass es so ist. Und ich frage mich, wie das kommt. Wie kommt es, dass sich heutzutage ein Ausdruck von so tiefer und weitreichender Bedeutung auf so banale Dinge reduzieren lässt? Und warum ist uns das im Allgemeinen so egal?
Vielleicht kommt es daher, dass wir nicht mehr wissen, was Wasser wirklich bedeutet. Während die Wüsten immer größer werden und während ein Großteil der Menschheit kein sauberes Wasser zur Verfügung hat, erlauben wir uns den Luxus, mit bestem Trinkwasser unseren Rasen zu sprengen oder unser Klo zu spülen. Und trinken tun wir sowieso lieber Kaffee oder Tee oder Cola oder Bier. Einfaches Leitungswasser schmeckt ja nach nichts. Die meisten Menschen genießen es einfach, wenn das Wetter schön und trocken ist so wie dieser Tage, ohne sich viel um die Sorgen der Landwirte zu scheren. Klar, dem Garten tut Regen schon mal gut, aber bitte nur nachts! Und Wasser aus dem Schlauch tut’s notfalls auch – dafür müssen wir ja nur den Hahn aufdrehen. Klar, ohne Wasser könnten auch wir nicht leben. Aber wir machen uns keine Gedanken darum. Wir haben’s ja!
Und wie mit dem Symbol des Wassers, so ist es wohl auch mit dem, wofür es steht. Leben, erfülltes Leben, Leben im Einklang mit Gott und der Welt. Sicher, unser Leben lässt immer manche Wünsche offen, beim einen mehr, beim anderen weniger. Aber kennen wir noch echten Lebensdurst? Schließlich ist es noch keiner Generation und keinem Landstrich der Erde je so gut gegangen wie uns hier und heute. Wir können uns Lebensträume erfüllen, die für unsere Großeltern noch unerreichbar waren und es für siebzig bis achtzig Prozent der Weltbevölkerung immer noch sind. Brauchen wir da noch einen, der uns zuruft: „Wen da dürstet, der komme zu mir“? Ist doch auch nur so ein Werbeslogan, denken viele. Und dann nehmen sie die Einladung Jesu genauso achselzuckend zur Kenntnis wie die sonstige Reklame. Erfülltes Leben? Danke, wir haben’s ja – und was wir noch nicht haben, das bekommen wir noch!
Damit könnte alles gesagt sein. Wenn es da nicht die Momente gäbe, wo wir etwas davon ahnen, dass unsere ganze Selbstzufriedenheit auf tönernen Füßen steht. Zum Beispiel wenn sich mal wieder ein selbsternannter Glaubenskrieger einen LKW schnappt oder eine Bombe bastelt und ahnungslose Menschen mit sich in den Tod reißt – wie kurz vor Weihnachten in Berlin, wie letzte Woche in Manchester. Wir merken dann: Es kann jeden treffen, immer und überall, und das macht uns Angst. Oder wenn wir mal wieder erfahren, wie verwundbar unsere moderne Technik ist, auf die wir uns im Alltag so selbstverständlich verlassen. Wie leicht ein geschickter Hacker Millionen von Computern lahm legen kann – mit unabsehbaren Folgen. Wie leicht es auch in einem angeblich sicheren Kernkraftwerk zur Katastrophe kommen kann, wenn unzähmbare Naturgewalten auf menschliches Versagen treffen – wie in Fukushima vor sechs Jahren. Solche Ereignisse machen uns klar, wie schnell auch uns Heutigen etwas passieren kann, was unser ganzes Leben über den Haufen wirft – von persönlichen Schicksalsschlägen mal ganz abgesehen. Wäre es da nicht doch gut, wenn unser Leben nicht damit steht und fällt, was wir daraus machen? Wäre es nicht tröstlich, zu wissen, dass die Quelle des Lebens nicht versiegt, auch wenn wir mit unseren Lebensplänen scheitern?
Vielleicht sollten wir noch einmal über die Einladung Jesu nachdenken, nämlich bei dem das Leben zu suchen und zu finden, der es uns gegeben hat. Das sollten wir immer wieder tun, auch wenn wir die Einladung schon oft gehört haben, auch wenn wir sie grundsätzlich schon für uns angenommen haben. Denn es tut uns gut, wenn wir uns das immer wieder klar machen: Wir können das Wasser des Lebens nicht auf Flaschen ziehen. Aber wir können uns darauf verlassen, dass seine Quelle niemals aufhören wird, zu sprudeln – in diesem Leben und darüber hinaus. Amen.

Ihr Pastor Dr. Martin Klein