Predigt, Ostermontag, 06. April 2015, Talkirche

Text: Jes 24,21-23; 25,6-10a

Gemeinsam essen und trinken, das verbindet. Es führt zusammen, es überwindet Fremdsein und Feindschaft, es begründet Gemein­schaft und Vertrauen und lässt Menschen einander verpflichtet sein. Deshalb gibt es Festmähler bei Hochzeiten, wo sich zwei Familien verbinden. Es gibt Festmähler, wo Feinde sich versöhnen, wo Völker miteinander Frieden schließen. Und in früheren Zeiten gab es oft auch Festmähler für die Untergebenen, wenn jemand ein neues Amt antrat. Ein neuer König zum Beispiel verköstigte bei der Thronbestei­gung auch das Volk, jedenfalls in der nächsten Umge­bung. Und wenn der neue Chef heute den Mitarbeitern einen aus­gibt, ist das noch so was Ähnliches.

Aber weil unsere Welt nun mal keine heile ist, sind solche Feste nicht immer vom gewünschten Erfolg gekrönt. So manches Hochzeits­fest hat schon in einer blutigen Schlägerei geendet. Die Versöhnung, auf die alte Feinde miteinander anstoßen, hält oft nicht lange. Der neue König oder Chef entpuppt sich manchmal doch als Ekel und Tyrann, obwohl er sich so spendabel gezeigt hat. Und Mär­chen und Sagen, aber leider auch die Historie sind voll von Festmäh­lern, die sogar eigens dazu ausgerichtet wurden, sich der wehr- und ahnungslosen Gäste zu entledigen. Ein solcher Bruch des Gastrechts galt immer als besonders frevelhaft – trotzdem sind gewis­senlose Gesellen selten davor zurückgeschreckt.

Das Festmahl, das uns der heutige Predigttext schildert, ist aller­dings anders. Auch mit diesem Mahl tritt ein König seine Herrschaft an, aber dieses Mal bringt es wirklich Frieden und Versöhnung, und das für immer, denn der neue König, das ist Gott selbst:

Zu der Zeit wird der Herr das Heer der Höhe heimsuchen in der Höhe und die Könige der Erde auf der Erde, dass sie gesammelt werden als Gefangene im Gefängnis und verschlossen werden im Kerker und nach langer Zeit heimgesucht werden. Und der Mond wird schamrot werden und die Sonne sich schämen, wenn der Herr Zebaoth König sein wird auf dem Berg Zion und zu Jerusalem und vor seinen Ältes­ten in Herrlichkeit.

Und der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fet­tes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesich­tern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der Herr hat‘s gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.« Denn die Hand des Herrn ruht auf diesem Berge.

Für mich ist dieser Text eine der großartigsten Verheißungen des Alten Testaments. Sie reizt mich dazu, mir die Szene auszumalen, die hier geschildert wird. Ich stelle mir den Berg Zion in Jerusalem vor, ein heiliger Ort seit Tausenden von Jahren. Er war zuerst eine kanaanäische Opferstätte, dann stand dort das zentrale Heiligtum Israels, anschlie­ßend ein Tempel des römischen Jupiter und schließ­lich bis heute der musli­mische Felsendom, zwischenzeitlich, wäh­rend der Kreuzzüge, umgewandelt in eine christliche Kirche. Es gibt wohl keinen anderen Ort auf Erden, der so vielen verschiedenen Religionen heilig war und ist. Es gibt aber auch kaum einen Ort, der in seiner über 3000-jähri­gen Geschichte so viel Unheil erlebt hat: Hass und Aufruhr, An­schläge und Attentate, Entweihung und Zerstö­rung.

An diesem heilig-unheilvollen Ort also richtet der Herr sein großes Festmahl aus. Es ist ein Krönungsmahl, denn der Herr hat endlich für alle sichtbar die Königsherrschaft der Welt angetreten. Alle widergöttli­chen Mächte hat er besiegt, all die gottlosen und verbreche­rischen Herrscher der Erde hat er in den Kerker geworfen, wo sie hingehören. Aber ihre Völker lädt er zum Festmahl ein, und zwar alle, ohne Aus­nahme. Dort, wo heute nicht einmal zwei Natio­nen miteinander in Frieden leben können, soll nun die ganze Welt versöhnt und vereint am Tisch sitzen: Israelis und Palästinenser, Russen und Ukrainer, Sunniten und Schiiten. Und was Gott ihnen da servieren lässt, das ist alles vom feinsten. Der beste Wein ist gerade gut genug – aber be­stimmt gibt es für Antialkoholiker auch herrliche Obstsäfte und für Siegerländer ein gutes, frisch gezapftes Pils. Und das Fleisch stammt von ausgesuchten Bio-Höfen und ist garantiert frei von Antibiotika und genetisch verändertem Futter – was nicht heißt, dass für Vegetarier nicht auch frisches Obst und Gemüse bereit­stehen – sonnenge­reift und unge­spritzt – und für Siegerländer jede Menge „goore Dof­feln“. Unter all diesen guten Dingen biegen sich die Tische. Es gibt reichlich für jeden, und alle werden satt.

So wunderbar ist dieses Festmahl, das im Handumdrehen alle Sor­gen und Belastungen, alle Feindschaft und alle Vorurteile vergessen sind. Die alten Gegner aus dem zweiten Weltkrieg hören endlich auf, Verbrechen der Wehrmacht und der SS gegen Bombenterror und Vertreibung aufzurechnen. Flüchtlinge sitzen neben denen, vor de­nen sie geflohen sind, und Bio-Deutsche sitzen neben Migranten ohne jede Angst um ihren Arbeitsplatz oder ihren Geldbeutel. Die Armen aus Afrika, Asien oder Süd­amerika vergessen ganz, dass sie von so einem Festmahl bis vor kur­zem nur träumen konnten. Trau­ernde vergessen ihre Tränen, Kranke ihre Schmerzen, Einsame ihre Niedergeschlagenheit. Das alles zählt nicht mehr jetzt, wo Gott ihnen einen Tisch bereitet im Angesicht ihrer Feinde.

Und das Schönste ist: dieses Fest wird kein Ende mehr haben, denn Gott „wird den Tod verschlingen auf ewig“. Das ist eine erstaunli­che, eine einmalige Aussage für das Alte Testament. Sonst ist es dort immer der Tod, der die Lebenden verschlingt und nicht wieder her­gibt. Und das deckt sich ja auch mit unserer Erfahrung: Wie viele Menschen aus unserem Bekanntenkreis hat der Tod schon ver­schlun­gen – je älter wir werden, desto deutlicher wird uns das. Wie viele Tote kommen in einer einzigen Nachrichtensendung zu­sam­men: Terror-Tote, Kriegs-Tote, Unfall-Tote, Katastrophen-Tote. Ganz zu schweigen von den Vielen, die der Tod schon mitten im Leben verschlingt. Weil sie nur noch funktionieren, aber nicht mehr leben. Weil keiner da ist, der ihr Leben mit ihnen teilt. Weil die Zukunft für sie nur noch leer und trostlos ist. Aber hier wird der Spieß nun um­gedreht: Der Tod, der alle verschlingt wird selber verschlungen. Er verliert seine Macht und seinen Schrecken. „Der Tod ist verschlun­gen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Tod, wo ist dein Sieg?“ so formuliert es Paulus (1. Kor 15,55) – wir haben es in der Schriftle­sung gehört. Und Martin Luther hat es in seiner kräftigen Sprache nachgedichtet: „Es war ein wunderlicher Krieg, / da Tod und Leben ‘rungen; / das Leben behielt den Sieg, / es hat den Tod verschlun­gen. / Die Schrift hat verkündet das, / wie ein Tod den andern fraß, / ein Spott aus dem Tod ist worden.“

Eine großartige Verheißung. Eine mitreißende Vision. Aber ist das alles nicht doch nur ein schöner Traum? Zu schön, um wahr zu sein oder jemals wahr zu werden?

Das hängt für mich daran, ob wir mit Paulus und Luther dem Bild aus dem Alten Testament noch einen entscheidenden Zug hinzufügen können. Im Text heißt es: „Zu der Zeit wird man sagen: Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften.“ Man kann Gott also anschauen bei seinem großen Fest. Er ist mit dabei. Er feiert mit den Völkern der Erde, mit seinem Volk Israel. Und dieses Fest ist für mich kein bloßer Traum, wenn Gott dabei die Züge Jesu trägt. Ich stelle mir vor, dass er dort auf dem Platz Gottes sitzt, dass er wahr macht, was er seinen Jüngern beim Abschiedsmahl versprochen hat: „Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich neu davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich.“ (Mt 26,29) Und wenn er dort sitzt, er, der durch Tod und Leben hindurchgegangen ist, dann wird aus dem schönen Traum eine lebendige Hoffnung. Und dann ist das alles nicht nur Zukunfts­musik, sondern es fängt hier und jetzt schon an. Dann ist es schon ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommt, wenn wir in diesen Tagen Ostern feiern. Dann weist jedes Stück Versöhnung hier auf Erden, so vorläufig und unvollkommen es sein mag, schon hin auf das große Versöhnungsmahl im Reich Gottes. Dann können wir jetzt schon anfangen, miteinander zu teilen, weil wir wissen, dass wir am Ende alle an einem Tisch sitzen werden. Dann ist jede Tat der Nächstenliebe ein Zeichen für das kommende Fest Gottes.

Möge diese Hoffnung uns leiten, wenn wir uns den Menschen zuwen­den, die uns brauchen: wenn wir Einsame besuchen, Trau­ernde trösten, Verzweifelten Mut machen. Wenn wir uns einsetzen für Menschen die Not leiden, hier bei uns und in aller Welt. Wenn wir uns um die Flüchtlinge in den Notunterkünften kümmern. Wenn wir einen Mittagstisch für Bedürftige einrichten. All das sind kleine Zeichen der kommenden Herrschaft Gottes. Und wenn wir sie set­zen, dann gilt, was Manfred Siebald gedichtet hat: „Können wir jetzt schon singen und feiern, hat sich schon was getan? Ja, denn Gott will die Erde erneuern und fängt bei uns schon an.“ Amen.

Pfr. Dr. Martin Klein