Predigt Talkirche, Sonntag, 30.01.2022

GOTTESDIENST FÜR DEN LETZTEN SONNTAG NACH EPIPHANIAS

Text: Ex 34,29-35

Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte. Als aber Aaron und alle Israeliten sahen, dass die Haut seines Angesichts glänzte, fürchteten sie sich, ihm zu nahen. Da rief sie Mose, und sie wandten sich wieder zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde, und er redete mit ihnen. Danach nahten sich ihm auch alle Israeliten. Und er gebot ihnen alles, was der Herr mit ihm geredet hatte auf dem Berge Sinai. Und als er dies alles mit ihnen geredet hatte, legte er eine Decke auf sein Angesicht. Und wenn er hineinging vor den Herrn, mit ihm zu reden, tat er die Decke ab, bis er wieder heraus­ging. Und wenn er herauskam und zu den Israeliten redete, was ihm geboten war, sahen die Israeliten, wie die Haut seines Angesichts glänzte. Dann tat er die Decke auf sein Angesicht, bis er wieder hinein­ging, mit ihm zu reden.

Während ich diese Predigt geschrieben habe, hat seit langem mal wieder die Sonne in mein Arbeitszimmer geschienen. Ist man ja gar nicht mehr gewohnt in diesen Wintertagen. Ich hab mich natürlich gefreut. Es hebt halt gleich die Stimmung, wenn es richtig hell wird. Aber es hat auch Nebenwirkungen, die eher unangenehm sind. Zum Beispiel sieht man dann den Dreck auf der Fensterscheibe, der sonst im Trüben verborgen ist. Müsste mal wieder geputzt werden, aber man kommt ja zu nichts! Und dann überstrahlt die Sonne das Licht des Computer-Bildschirms. Ich muss mich anstrengen und blinzeln, um noch was zu erkennen. Besser würde ich die Jalousie herunterlas­sen. Aber es wäre doch schade, den seltenen Gast gleich wieder auszusperren! Und so bin ich gar nicht unglücklich, wenn sich doch wieder eine Wolke vor das helle Himmelslicht schiebt.

Ja, es ist so eine Sache mit der lieben Sonne: Nichts geht ohne sie. Sie gibt uns Licht und Leben. Sie tut uns gut an Leib und Seele. Und es schlägt uns aufs Gemüt, wenn wir sie lange nicht zu sehen bekom­men. Aber sie bringt eben auch Verborgenes an den Tag: Dinge, von denen wir lieber nichts gewusst hätten oder die wir gern vergessen würden. Und wir müssen aufpassen, dass sie uns die Haut nicht verbrennt oder uns gar blind macht, wenn wir ihr zu intensiv ins Gesicht schauen.

Wenn wir das bedenken, verstehen wir wohl besser, wie es dem Volk Israel mit dem strahlenden Antlitz des Mose erging. Vierzig Tage war er auf dem Berg gewesen, hatte mit dem Herrn geredet, von Angesicht zu Angesicht, wie einer mit seinem Freund redet (Ex 33,11). Niemand sonst war dem Herrn jemals so nahe gekommen. Und das blieb nicht ohne Folgen. Mose hatte es nicht bemerkt, aber ein wenig hatte die Herrlichkeit des Herrn auf ihn abgefärbt. Jetzt kehrte er endlich zurück zu seinem Volk, mit den Gebotstafeln un­term Arm und mit einem Glänzen auf dem Gesicht, das die Majestät Gottes widerspiegelte.

Das Volk hatte sehnlich darauf gewartet, dass Mose endlich wieder­kam. Aber als er jetzt in ihre Mitte trat, waren sie geblendet von seinem Licht. Und sie hatten Respekt davor, trauten sich nicht, nä­her an Mose heranzutreten. Er musste sie erst zu sich rufen, ehe sie ihre Furcht überwinden konnten, erst die Obersten, dann alle ande­ren. Selbst der schwache Widerschein des göttlichen Lichts auf Mo­ses Haut war zu viel für sie. Also verhüllte Mose das Strahlen mit einer Decke, einer Gesichtsmaske, wenn er mit ihnen sprach. Nur so konnte er mit beiden reden, mit Gott und den Menschen, als Mittler zwischen dem Herrn und seinem Volk.

Wie würde es mir wohl ergehen, wenn ich mit eigenen Augen Got­tes Herrlichkeit sehen könnte, wenn ich unverhüllt mit ihm in Verbin­dung treten würde, und sei es indirekt wie bei Mose und Is­rael? Wie würde es sein, wenn ich plötzlich voll im Licht stünde, wenn nichts mehr verborgen bliebe an mir und in mir? Würde ich begeistert in diesem Licht baden, so viel wie möglich davon in mich aufnehmen? Oder würde ich mich in Grund und Boden schämen ob der unschönen Dinge, die da zutage treten würden? Wir erleben das ja gerade bei den Amtsträgern der katholischen Kirche: wie da man­cher gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, und wie andere dann doch ganz schnell die Jalousie herunterlassen, um bloß nicht noch mehr von sich preiszugeben. Und sie hat noch nicht das Licht Gottes getroffen, sondern nur das Licht der Öffentlichkeit! Hüten wir uns vor dem Gedanken, wir würden vor Gott irgendwie besser dastehen als sie!

Was sollen wir also tun? Müssen wir uns schützen vor dem Licht, das alles offenbar macht? Müssen wir die strahlende „Sonne der Gerechtigkeit“ gnädig verhüllen, damit sie uns nicht verbrennt und andere auch nicht? Bleibt die Herrlichkeit des Herrn besser unsicht­bar, damit wir sie ertragen können, damit sie unsere Schande nicht bloßlegt?

Nein, es gibt noch einen anderen Weg. Jedenfalls, wenn wir uns nach dem richten, was Paulus im 2. Korintherbrief schreibt. Wir, die wir an Jesus Christus glauben, sagt er, wir brauchen das Licht Gottes nicht zu scheuen, wie Israel es damals tat. Denn wir sind so wie Mose: „Wir alle spiegeln mit aufgedecktem Angesicht die Herrlich­keit des Herrn wider.“ (2. Kor 3,18) Wir alle dürfen mit Gott reden wie mit einem Freund – nicht weil wir wie Mose zu ihm auf den Berg gestiegen sind, sondern weil er zu uns heruntergekommen ist. Es ist Jesus Christus, der menschgewordene Gott, der das Licht für uns erträglich macht. Es mag uns dann immer noch beschämen, wenn uns seine Strahlen treffen – so wie es Petrus erging, als Jesus sich ihm zuwendete: „Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!“ So sprach er, weil ihm aufging, wie wenig er diese Zuwen­dung verdient hatte (Lk 5,8). Aber wir müssen nicht vor Scham verge­hen oder in den Schatten flüchten. Denn es ist das Licht der Liebe, das uns da bescheint. Es verbrennt nicht uns, sondern nur das, was uns von Gott trennt. Dann können wir wirklich in diesem Licht baden, solange und so viel wir wollen. Und je länger, je mehr werden wir dieses Licht widerspiegeln und Gottes Liebe weiterge­ben.

Nun gibt es allerdings viele Christen – und ich selber zähle manch­mal auch dazu – die das Strahlen ihres Angesichts geniert. Die den­ken: „Trete ich meinen Mitmenschen nicht doch zu nahe, wenn ich das Licht Gottes ungehemmt leuchten lasse? Es könnte ihnen ja unange­nehm sein, in dieses Licht zu schauen. Es könnte sie blenden und irritieren. Und dann geben sie mir die Schuld daran. Also ziehe ich doch lieber wieder eine Decke über den Kopf und lass höchstens hier und dort mal ein Strählchen durch, das niemandem weh tut.“

Jesus hat sich das anders vorgestellt. „Ihr seid das Licht der Welt“, hat er seinen Jüngern gesagt (Mt 5,14). Eben kein Licht unterm Schef­fel, das keiner sieht und das bald ausgeht, sondern eins auf dem Leuchter, das das Haus hell macht. Ich wünsche uns also mehr Mut, damit wir von dem, was wir glauben, auch reden, damit wir Konsequenzen daraus ziehen und danach handeln. Wir klagen gern darüber, dass die Kirchen und Gemeinden immer kleiner werden, dass immer weniger Menschen sie noch wahrnehmen und etwas mit ihnen anfangen können. Aber das liegt eben auch daran, dass wir uns selber gern klein und unscheinbar machen. Natürlich, wir selber sind nicht die großen Leuchten, die die Welt hell machen – weder als einzelne, noch als „die Kirche“. Es hätte keine Miss­brauchs­skandale gebraucht, um uns das klar zu machen, aber spä­testens jetzt sollte es selbst der reaktionärste katholische Bischof begriffen haben (und der eitelste evangelikale Prediger auch).

Nein, es geht nicht um unser Licht. Aber das Licht Gottes, das brennt in jedem Christenmenschen, und wenn es nur ein kleines Flämm­chen ist. Also lasst es scheinen, dieses Licht! Redet von eurem Glau­ben – so wie ihr’s versteht und wie euch der Schnabel gewachsen ist. Bringt Licht zu denen, die im Finstern sitzen: zu den Armen, den Verzweifelten, den Einsamen, den Trauernden. Steht ihnen bei und sagt ihnen, warum. Bringt Licht in finstere Machenschaften: deckt Lügen auf, weist auf Unrecht offen hin, lasst nicht zu, dass schlimme Dinge unter den Teppich gekehrt werden – und zwar zuerst in euren eigenen Angelegenheiten. Steht zu dem, was bei euch falsch läuft, auch wenn es weh tut. Weist aber auch hin auf den, der selbst mit den schlimmsten Sündern neu anfangen kann. Erwartet nicht, dass alle euch dafür mögen. Denn zu viel Licht gefällt nicht jedem. Aber es macht lebendig und frei, es sorgt für Klarheit und Wahrheit, und so bringt es schließlich Gerechtigkeit und Frieden.

„Es werde Licht“, das war Gottes erstes Wort, als er anfing, Himmel und Erde zu erschaffen (Gen 1,2). Das gilt durch alle Zeiten hin­durch, bis am Ende Gottes großer Tag anbricht. Und bis dahin gilt für uns der Auftrag Jesu: „Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, da­mit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel prei­sen“ (Mt 5,16). Amen.

Ihr Pastor Martin Klein