Gottesdienst für den vierten Sonntag vor der Passionszeit
Text: Mk 4,35-41 (dazu im Gottesdienst: Rembrandt, Sturm auf dem See Genezareth)
Und am Abend desselben Tages sprach Jesus zu seinen Jüngern: „Lasst uns ans andre Ufer fahren.“ Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Und es erhob sich ein großer Windwirbel und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: „Schweig! Verstumme!“ Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Sie aber fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: „Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!“
Ein kleines Schiffchen in höchster Seenot. Die Wellen schlagen über Bord, schütteln die Nussschale durch und durch. Der Sturm reißt Leinen los und zerfetzt die Segel. Jeden Moment kann das Boot kentern, jeden Moment kann ein Brecher die dreizehn Mann an Bord unrettbar in die wogende See spülen. Die Seeleute unter ihnen machen verzweifelte Anstrengungen, um die Kontrolle zu behalten: einer stemmt sich mit aller Kraft ins Ruder, die anderen versuchen die Segel zu bergen. Die Übrigen sind einfach nur hilflos. Einer hängt über Bord und füttert die Fische. Andere krallen sich irgendwo fest, starren entsetzt auf Wind und Wellen. Nur einer, der wirkt ganz ruhig. Er hat gerade noch geschlafen, mitten im Sturm. Nun haben sie ihn geweckt: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ – Doch, er fragt danach. Aber er kann so ruhig bleiben, weil er weiß, dass das Boot nicht untergehen wird. Als einziger an Bord sieht er schon, dass der Himmel aufklart, dass die Sonne durch die Wolken bricht und ihm ins Gesicht scheint. Die Rettung ist nah, und ein Wort von ihm wird sie bewirken: „Schweig! Verstumme!“ Und schon werden Wind und Wellen sich legen.
„Der Sturm auf dem See Genezareth“ wird dieses Gemälde genannt. Ein frühes Meisterwerk von Rembrandt aus dem Jahr 1633. Genial, wie der Künstler hier die Dramatik der biblischen Szene festhält und doch zugleich schon den guten Ausgang andeutet.
Wie immer hat Rembrandt die Geschichte aus Markus 4 in seine eigene Zeit übertragen. Die Kleidung der Jünger entspricht dem 17. Jahrhundert, und das Boot ist ein kleines Plattbodenschiff, wie man es täglich im Amsterdamer Hafen sehen konnte. Auch auf dem Ijsselmeer kann es ziemlich stürmisch werden, deshalb konnten die Betrachter des Gemäldes sich gut in die Situation hineinversetzen.
Auch auf der symbolischen Ebene holt Rembrandt die Szene in die Gegenwart: Auf der zerrupften Fahne am Mast ist ein Kreuz zu sehen. Wir mögen dabei an das Lied von Gerhard Schneider denken, das wir eben gesungen haben: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit.“ Aber auch zu Rembrandts Zeiten war dieses Bild schon vertraut: Die Kirche als Schiff auf dem Weg durch die Geschichte. Und da blies der Sturm gerade besonders heftig, als Rembrandt dieses Bild malte – jedenfalls für die Evangelischen, zu denen er gehörte. Im benachbarten Deutschland tobte der dreißigjährige Krieg. Noch vor kurzem waren die Protestanten dem Untergang geweiht gewesen, bis Gustav Adolf von Schweden in den Krieg eingegriffen hatte. Und auch die Niederlande waren noch nicht sicher vor einer Rückeroberung durch das katholische Spanien. Also enthält das Bild auch eine Botschaft an bedrängte Christen: Seid getrost, die Kirche Jesu Christi wird niemals untergehen, solange sie ihren Herrn mit an Bord hat, auch wenn er scheinbar schläft. Und das gilt für die Bedrängnisse unserer Tage genauso wie zu Rembrandts Zeiten.
Natürlich sind es ganz andere Dinge, die uns bedrängen. Uns will ja keiner leibhaftig an den Kragen. Viele halten uns allerdings inzwischen für so verstaubt und überholt, dass wir ihnen völlig egal sind. Es sei denn, es kommt mal wieder ein Skandal ans Licht. Da muss sich dann mancher Christ einiges anhören: „Wie, du bist noch in der Kirche? Wie kannst du nur in dem Verein noch Mitglied sein? Oder gar mitarbeiten?“ Aber auch, wenn die Kirchen das tun, was nach der Barmer Erklärung ihre Aufgabe ist, nämlich „an Gottes Gebot und Gerechtigkeit“ zu erinnern „und damit an die Verantwortung der Regierenden und der Regierten“ (Barmen V), auch dann werden sie dafür nicht gemocht. Donald Trump hält es für eine Beleidigung, wenn eine Bischöfin an seine „Barmherzigkeit“ appelliert. Und wenn Kirchenvertreter hierzulande sich kritisch zu dem äußern, was die Parteien mit dem „C“ vorletzte Woche im Bundestag veranstaltet haben, dann nennt man sie dafür „selbsternannte Moralwächter“, auf die man „keine Lust“ hat. Na, da weiß man doch wenigstens, wo man dran ist!
Gern sähe ich da auch für uns schon den aufklarenden Himmel am Horizont. Jedoch, ich fürchte, der Gegenwind wird noch zunehmen und zumindest in Böen Sturmstärke erreichen. Aber seien wir getrost: unser Herr und Meister fragt danach, ob wir umkommen, und er wird es nicht zulassen. Also, ihr Christen, auch in unserer Gemeinde, macht weiter mit dem, was ihr alles Gutes tut. Lasst euch nicht den Mund verbieten. Und lasst euch durch kleiner werdende Zahlen nicht entmutigen. Es wird weitergehen mit dem Schiff, das sich Gemeinde nennt, bis es schließlich in Gottes Hafen einläuft. Das hat Gott uns versprochen. Und das ist auch der tiefere Sinn der Geschichte von der Sturmstillung.
Aber nochmal zurück zu Rembrandts Gemälde. Wenn ich recht sehe, enthält es noch eine weitere Botschaft, und die ist eher persönlicher Natur. Rembrandt hat sich gern selber in seine Bilder hineingemalt – so auch hier. Einer der Jünger an Bord trägt seine Züge: der im hellblauen Mantel, der als einziger sein Gesicht dem Betrachter zuwendet (Vergrößerung). Auch er wirkt völlig seekrank und verzweifelt, schlägt die eine Hand vor die schmerzende Stirn, klammert sich mit der anderen an die Wanten und schaut entsetzt auf die Wellen. Er sieht weder zu Jesus hin noch bemerkt er den aufklarenden Himmel in seinem Rücken. Aber auch für ihn naht die Rettung.
„Ach, Rembrandt, du Kleingläubiger“, mag er sich selber damit zugerufen haben. „Du siehst oft nur auf das, was dir das Leben schwer macht, auf die Nöte und Gefahren um dich herum und denkst: Ich geh unter! Wer soll mich hier noch herausholen? Dreh dich doch um! Schau auf Jesus, lass dich von seiner Ruhe anstecken. Und dann siehst du, wie dein Lebenshorizont sich aufhellt – oft schon in diesem Leben, und erst recht am Ziel der Reise in Gottes neuer Welt.“
Und das Gleiche wünsche ich Ihnen und mir. Auch wir haben ja im Moment das Gefühl, dass die schlechten Nachrichten immer heftiger auf uns einprasseln. Zwischen all den Kriegen und Katastrophen, Anschlägen und Amokläufen, wüsten Drohungen und finsteren Prognosen kommt man ja kaum noch zum Atemholen und fragt sich, wo das alles enden soll. Dazu haben wir dann alle noch unsere persönlichen Sorgen: um unsere Lieben, um die Gesundheit, um unser Ergehen und unser Auskommen im Alter und um manches mehr. Aber auch da können wir getrost sein: Es gibt einen, der uns im Chaos nicht untergehen lässt – nicht die Welt, nicht die Kirche, und uns persönlich auch nicht. Wir werden nie tiefer fallen als in Gottes Hände. Und wir werden es erleben, wenn wir ihm vertrauen – hier und jetzt und alle Tage unseres Lebens. Amen.
Ihr Pastor Martin Klein