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GOTTESDIENST FÜR DEN SONNTAG 
            INVOKAVIT
Wenschtkirche, 1.3. 2009 Pfr. Dr. Martin Klein Text: 
            Mt 4,1-11 
Da wurde Jesus 
            vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht 
            würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, 
            hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: „Bist du 
            Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Er aber 
            antwortete und sprach: „Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht 
            vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund 
            Gottes geht.«“  
Da führte ihn 
            der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die 
            Zinne des Tempels und sprach zu ihm: „Bist du Gottes Sohn, so wirf 
            dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Dengeln deinetwegen 
            Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du 
            deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«“ Da sprach Jesus zu ihm: 
            „Wiederum steht auch geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, 
            nicht versuchen.«“  
Darauf führte 
            ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm 
            alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: „Das 
            alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“ 
            Da sprach Jesus zu ihm: „Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben: 
            »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«“ 
            Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und 
            dienten ihm. 
Es gibt viele 
            Menschen, auch viele Christen, die können mit dieser Geschichte 
            nichts mehr anfangen. Der Teufel als Person, die herzutreten und 
            sprechen kann? Das ist doch finsterer Aberglaube! Oder ein Jesus, 
            der Stimmen hört und Visionen hat – vielleicht gar hervorgerufen 
            durch Hunger oder Einsamkeit? Das würde ihn für rational denkende 
            Menschen nicht gerade vertrauenswürdig machen. Und selbst wenn Jesus 
            tatsächlich so etwas erlebt hätte, warum hätte er anderen davon 
            erzählen sollen? Wenn man schon vierzig Tage in der Wüste verbringt, 
            dann will man doch wohl allein sein mit sich oder mit Gott, und 
            das geht sonst keinen etwas an. Für viele Ausleger der Geschichte 
            bleibt demnach nur das moralische Vorbild übrig: „So wie Jesus in 
            der Versuchung standhaft blieb, so auch ihr, seine Nachfolger!“ 
            Aber das allein kann’s auch nicht sein; denn Jesu Versuchungen sind 
            ja sehr speziell, ganz auf den „Sohn Gottes“ zugeschritten. Unsere 
            Glaubensprüfungen sehen ganz anders aus, und man könnte uns kaum 
            damit locken, Steine in Brot zu verwandeln oder ohne Fallschirm 
            von einem Turm zu springen. Also hat schon so mancher gedacht, dass 
            man diesen Bibelabschnitt getrost ad acta legen kann – ein Stück 
            Mythologie, uns nicht mehr zugänglich und unerheblich für das tägliche 
            Christenleben. 
Eins allerdings 
            macht mich nachdenklich: Je mehr die biblische  Versuchungsgeschichte 
            aus unserer Wirklichkeit verschwindet, desto mehr beschäftigt sie 
            offenbar unsere Phantasie. Man beachte dazu nur mal die erfolgreichsten 
            Büchern und Filmen der letzten Jahrzehnte, denn dort begegnet uns 
            das Thema „Versuchung“ auf Schritt und Tritt: Saurons Ring, der 
            auch die Stärksten schwach werden lässt und unter seine Herrschaft 
            zwingt. Darth Vader, der Luke Skywalker auf die „dunkle Seite der 
            Macht“ ziehen will. Harry Potter, der Lord Voldemort bekämpft, aber 
            auch ein Stück von dessen Seele in sich trägt. Batman, der Verbrecherjäger 
            im Fledermauskostüm, der den bösen „Joker“ anscheinend nur besiegen 
            kann, wenn er ebenso wie er über Leichen geht. In immer neuen Variationen 
            stehen sie sich hier gegenüber: die guten, aber angefochtenen Helden 
            und das personifizierte Böse. All diese Geschichten spielen in Phantasie-Welten. 
            Anscheinend haben sie mit unserem Alltag wenig zu tun. Und doch 
            fiebern Millionen von Menschen in der ganzen Welt mit, bis das Gute 
            am Ende den Sieg behält. Offensichtlich sind uns diese fernen Welkten 
            also doch sehr nah. Wie kommt das?  
Es liegt wohl 
            daran, dass es ein Urinstinkt von uns Menschen ist, mit einer Macht 
            des Bösen zu rechnen, auch wenn wir sie uns nicht als Person vorstellen. 
            Und dazu kommt, dass dieser Urinstinkt gerade in den letzten hundert 
            Jahren reichlich Nahrung erhalten hat. Wir selbst oder unsere Eltern 
            und Großeltern haben es ja erlebt, dass auch die löblichsten Ziele 
            und die anständigsten Menschen auf übelste Weise korrumpiert werden. 
            Was für eine erstrebenswerte Sache wäre zum Beispiel eine klassenlose 
            Gesellschaft, in der jeder Mensch gleich viel gilt – aber wie viele 
            Millionen Menschen sind gestorben, um sie herbei zu zwingen! Oder 
            nehmen wir die Schergen des NS-Regimes: einerseits tierlieb, musik- 
            und kunstbeflissen, vorbildliche Ehemänner und Familienväter, andererseits 
            eiskalte und brutale Verbrecher! Es braucht offenbar nicht viel, 
            um aus einem vernünftigen, zivilisierten Menschen ein Ungeheuer 
            zu machen, das schlimmer ist als jedes Raubtier. Und wer von uns 
            kann die Hand dafür ins Feuer legen, dass er gegebenenfalls nicht 
            auch zu allem fähig ist? Wer kann garantieren, dass er sich nicht 
            verführen lässt, wenn nur das Angebot verlockend genug ist? 
Und deshalb faszinieren 
            uns all die Beutlins, Potters oder Batmans, all die Buch- und Filmgestalten, 
            die verführbare Sterbliche sind wie wir selber und es trotzdem schaffen, 
            den Teufelskreis des Bösen zu durchbrechen und standhaft zu bleiben 
            gegen alle Versuchungen. Denn so wären wir ja auch gern. Und deshalb 
            träumen wir uns mit ihrer Hilfe für ein paar Stunden in eine bessere 
            Welt, in der das Gute über das Böse triumphiert. Doch wenn wir das 
            Buch zuklappen oder den Kinosaal verlassen, müssen wir enttäuscht 
            zur Kenntnis nehmen, dass es das alles nur in Mittelerde gibt oder 
            in einer weit entfernten Galaxie. 
Nun behauptet 
            allerdings die biblische Versuchungsgeschichte, dass es wenigstens 
            einmal anders war. Dass wenigstens ein Mensch, der in dieser ganz 
            realen Welt gelebt hat, „versucht war wie wir, doch ohne Sünde“. 
            Diese Geschichte nimmt, denke ich, nicht für sich in Anspruch, eine 
            einmalige, wirkliche Begebenheit aus dem Leben Jesu zu schildern. 
            Aber sie verdichtet in einer kurzen Erzählung, was den Lebensweg 
            Jesu insgesamt ausgezeichnet hat. Sie versteht sich als das Vorzeichen, 
            unter dem alles steht, was die Evangelien über Jesus berichten. 
            Deshalb ist sie eine wahre Geschichte – jedenfalls für alle, die 
            glauben, dass Jesus tatsächlich Gottes Sohn ist. Und was in ihren 
            modernen Variationen an Wahrheit steckt, das haben sie von ihr geborgt. 
            Grund genug, nun doch noch einmal genauer hinzuschauen: Was sagt 
            denn die Versuchungsgeschichte über die Macht des Bösen, über Jesus 
            und damit auch über uns? 
Zunächst zeigt 
            sich, dass der Teufel auch bei Jesus genau weiß, wo er ihn packen 
            muss, wenn er ihn überhaupt zu packen bekommen will: Nicht bei irgendwelchen 
            Schwächen, sondern gerade bei dem, was ihn stark macht: dass er 
            Gottes Sohn ist, von Gott gesandt, um der Welt das Heil zu bringen. 
            Das hat sein Vater im Himmel ihm gerade erst zugesprochen bei der 
            Taufe im Jordan. Und in diesem Bewusstsein, bewegt vom Geist Gottes, 
            hat er sich auf den Weg in die Wüste gemacht. Der Teufel weiß das 
            und nutzt es aus: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine 
            Brot werden.“ 
Es geht hier nicht 
            nur darum, dass Jesus mit seinen göttlichen Fähigkeiten seinen akuten 
            Hunger stillt. Das wäre billig: Ich zaubere mir ein bisschen Brot, 
            und schon bin ich satt! Nein, hier sind noch andere Dinge mit im 
            Spiel: Israel in der Wüste, von Gott mit Brot vom Himmel versorgt. 
            5000 Menschen, die Jesus satt werden lässt, ausgehend von fünf Broten 
            und zwei Fischen. Bei Johannes wollen sie ihn dafür zum König machen. 
            Und genau darin liegt die Versuchung: „Du, Jesus, du, der Sohn Gottes, 
            du könntest nicht nur deinen eigenen Hunger stillen, sondern den 
            Hunger von der Erde tilgen. Brot für die Welt – du könntest es wahr 
            machen, ganz ohne Spendensammlung. Alle werden satt. Alle bekommen, 
            was sie zum Leben brauchen – und du bist es, der es ihnen gibt. 
            Sie werden dich lieben dafür, sie werden dich verehren, sie werden 
            alles tun, was du willst, wenn du nur weiter ihre Bedürfnisse befriedigst: 
            Mach uns ruhig zu Sklaven, aber mach uns satt! Und dann werden sie 
            dir bedingungslos folgen, was auch immer du ihnen befiehlst.“ 
Aber Jesus sagt 
            nein. So will er nicht Sohn Gottes sein. Denn wer den Menschen auf 
            seine materiellen Bedürfnisse reduziert, und sei es mit edlem humanitärem 
            Anstrich, der nimmt ihm seine Würde, seine Freiheit. Er verleugnet, 
            dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von jedem Wort, 
            das aus dem Mund Gottes geht. Durch dieses Wort ist der Mensch Gottes 
            Ebenbild, sein lebendiges Gegenüber. Als solches hat er auch ein 
            Recht, satt zu werden, das ist wahr. Aber er muss dafür nicht jede 
            Hand lecken, die ihn füttert. Das ist unter seiner Würde. Diesem 
            Wort Gottes bleibt Jesus gehorsam, und damit hat der Teufel die 
            erste Runde verloren. 
Beim zweiten Mal 
            stellt er es noch schlauer an: „Du bist Gottes Sohn“, sagt er, „aber 
            alles, was du Gutes sagst und tust, wird nichts helfen, solange 
            die Menschen dir das nicht abnehmen. Sie glauben nun mal nur, was 
            sie sehen. Also brauchen sie ein Zeichen, ein Wunder, das man nicht 
            irgendwie anders erklären kann und das nur der Sohn Gottes vollbringen 
            kann. Dann bist du „Jesus Christ Superstar“, dann werden sie an 
            deinen Lippen hängen, dir alles glauben, was du ihnen von Gott erzählst 
            – und das willst du doch, oder? Also stürz dich ruhig hinunter in 
            den Tempelhof – vor all den vielen Menschen, die da jeden Tag herumlaufen! 
            Dein Vater im Himmel wird schon dafür sorgen, dass du heil unten 
            ankommst.“ Und zum Beweis zitiert nun auch der Teufel die Bibel: 
            „Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden 
            dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein 
            stößt.“ Psalm 91,11 und 12. Ein schöner Vers, zur Zeit der beliebteste 
            aller Taufsprüche. Aber nicht alles ist immer und überall Wort Gottes, 
            nur weil es in der Bibel steht. Es kann jederzeit verdreht, missbraucht 
            und zur Lüge werden und damit dem Bösen dienen. Erschreckend für 
            alle, die die Bibel lieben und ehren, aber doch nicht zu leugnen! 
Jesus weiß das, 
            und deshalb fällt er nicht darauf herein. Er weiß, dass Gott sich 
            nicht dazu zwingen lässt, nach unseren Wünschen ins Weltgeschehen 
            einzugreifen. Er weiß, dass Gott nicht mal eben die Naturgesetze 
            außer Kraft setzt, um unsere Sensationsgier zu befriedigen. Und 
            deshalb versucht er es gar nicht erst. Wieder will er den Menschen 
            die Freiheit des Glaubens lassen, statt sie zu überwältigen und 
            zum Gehorsam zu zwingen. 
Nach zwei Versuchen 
            muss der Teufel einsehen, dass alle Verschleierungstaktik und Verführungskunst 
            bei Jesus versagt. Also versucht er es nun direkt und unverhüllt: 
            „Alle Reiche der Welt will ich dir geben, wenn du niederfällst und 
            mich anbetest!“ Herrschaft über die Welt – wer das Matthäusevangelium 
            zum wiederholten Mal liest, der weiß ja, dass es am Ende genauso 
            kommt: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“, sagt 
            der auferstandene Christus. Na also, könnte der Teufel sagen, darauf 
            läuft es doch sowieso hinaus! Warum dann nicht die Abkürzung nehmen? 
            Warum sich nicht gleich zum Weltherrscher aufschwingen? Warum  nicht 
            den Vater im Himmel um zwölf Legionen Engel bitten und damit die 
            römische Armee vernichten? Warum sich von Herodes schikanieren und 
            von Pilatus kreuzigen lassen statt an ihre Stelle zu treten? Warum 
            dieser Weg durch Niedrigkeit und Leiden, durch Blut, Schweiß und 
            Tränen? Warum soll der Sohn Gottes sterben müssen? Er allein von 
            allen Menschen hätte das doch nicht nötig, wenn es stimmt, dass 
            er zugleich wahrer Gott ist! 
Aber die Geschichte 
            von der Versuchung will uns deutlich machen: Wenn Jesus diesen Weg 
            durch Leiden und Tod nicht gegangen wäre, wenn er des Teufels Angebot 
            angenommen hätte, dann wäre aus ihm vielleicht der größte Herrscher 
            geworden, den die Welt je gesehen hat. Aber Tod und Sünde hätten 
            ihre Macht behalten. Die Trennung zwischen Gott und den Menschen 
            wäre bestehen geblieben. Und selbst wenn er ohne die Kriege und 
            Verbrechen aller anderen „großen“ Herrscher ausgekommen wäre, würden 
            wir heute bestenfalls ehrfürchtig sein Grab pflegen. Aber wir hätten 
            keine Hoffnung, dass wir je Böses mit Gutem überwinden könnten. 
            Und wir hätten keinen Grund zu dem Glauben, dass Gottes Liebe stärker 
            ist als der Tod. 
Doch Jesus hat 
            es getan, er hat das Böse und Tod besiegt, indem er sie erlitten 
            hat. Und deshalb kann uns doch gelingen, was unseren Buch- und Filmhelden 
            gelingt – jedenfalls den Normalsterblichen unter ihnen: Wir können 
            zum Bösen Nein sagen. Wir müssen der Versuchung nicht erliegen, 
            so verlockend sie uns auch erscheinen vermag. Wir müssen nicht mit 
            dem Strom schwimmen, wenn wir überzeugt sind, dass er uns und andere 
            ins Unglück stürzt. Wir können Gott mehr gehorchen als den Menschen, 
            selbst wenn diese Menschen die Macht haben, uns leiden und sterben 
            zu lassen. Und wenn es uns in dieser Welt auch nie ganz gelingen 
            wird, uns von dem Bösen fern zu halten, in das wir mit verstrickt 
            sind, so können wir doch in dem Bewusstsein leben, dass dieses Böse 
            längst besiegt ist, dass all seine Angriffe nur noch Rückzugsgefechte 
            eines geschlagenen Heeres sind. Mit Martin Luther gesprochen: „Der 
            Fürst dieser Welt, / wie sauer er sich stellt, / tut er uns doch 
            nichts; / das macht, er ist gericht’t: ein Wörtlein kann ihn fällen.“ 
            Und dieses Wörtlein lautet Jesus Christus – Gottes Sohn, unser Retter. 
             
Amen. 
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