Predigt Tal- und Wenschtkirche, Sonntag, 14.01.2018

GOTTESDIENST FÜR DEN ZWEITEN SONNTAG NACH EPIPHANIAS

Text: 1. Kor 2,1-5

„Liebe Gemeinde“, sprach der Pfarrer, nachdem er die Kanzel erklommen hatte, „heute fällt die Predigt aus; denn ich habe euch etwas zu sagen.“
Diese kleine Anekdote bringt auf den Punkt, was viele Menschen – und insgeheim wohl auch manche Pfarrer – über Predigten denken. „Predigen“ und „etwas zu sagen haben“ schließen sich für sie gegenseitig aus. Denn Predigten gelten landauf, landab als eine Form der Kommunikation, die heutigen Ansprüchen nicht genügt und ausgesprochen – nichts sagend ist: zehn bis zwanzig Minuten Monolog, die sich gefühlt leicht auf eine Stunde dehnen, eintönig vorgetragen mit unverständlichen Wörtern und Redewendungen, ohne jede Bedeutung für das wirkliche Leben. Deshalb ist die genannte Anekdote auch nur einer von zahllosen Witzen über unfähige und unbeholfene Prediger, sanft entschlummerte Predigthörer und verzweifelte Versuche wiederum der Prediger, dagegen anzukämpfen. Der eigentliche Inhalt der Predigten spielen in solchen Geschichten kaum eine Rolle. Und man bedenke, dass sie schon seit dem Mittelalter kursieren! Wie ergeht es da der Predigt erst in unserer reizüberfluteten Zeit, wo die meisten nur noch auf bunte Bilder reagieren und keiner mehr richtig zuhören kann? Alles in allem fällt also die Bilanz von fast 2000 Jahren christlicher Predigt ziemlich ernüchternd aus.
Was wäre dann aber eine gute Predigt? Offenbar eine, die etwas zu sagen hat. Aber was? Wenn ich dazu heute Morgen eine Umfrage machen würde, bekäme ich bestimmt sehr verschiedene Antworten. „Wenn überhaupt, ist nur eine kurze Predigt eine gute Predigt“, sagen die Konfis. „Eine gute Predigt muss etwas mit meinem Alltag zu tun haben“, sagen Menschen, die mitten im Leben stehen. „Eine gute Predigt muss mir Trost und Kraft vermitteln“, sagen die Müden und Belasteten. „Eine gute Predigt muss meinen Verstand herausfordern und mir etwas zu denken geben“, sagen die Intellektuellen. „Eine gute Predigt muss mich gut über den biblischen Text informieren“, sagen die historisch Interessierten. „Eine gute Predigt muss Menschen zur Entscheidung für Jesus Christus rufen“, sagen die Evangelikalen. „Eine gute Predigt muss vor allem laut und deutlich gesprochen sein“, sagen die Schwerhörigen. Und da steh ich nun, ich armer Pastor, versuche all diesen Anforderungen gerecht zu werden, und muss trotzdem damit rechnen, dass ich an einem Großteil der Menschen, die hier sitzen, vorbei predige.
Deshalb frage ich noch mal anders: Was wäre denn in den Augen Gottes eine gute Predigt? Eine gute Antwort darauf gibt der heutige Predigttext. Er steht im ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth, im zweiten Kapitel:

Auch ich, meine Geschwister, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

Auch die Korinther hatten feste Ansichten darüber, was eine gute Predigt ist. Wie alle alten Griechen waren sie an tiefgründiger Weisheit interessiert und an ausgefeilter Rhetorik. Wohlhabende Leute gaben damals viel Geld aus für eine entsprechende Ausbildung. Und wenn jemand durch sprachliches Geschick die Menschen davon überzeugen konnte, dass er tief in die Geheimnisse Gottes und der Welt eingedrungen war, dann durfte er des Gehörs nicht nur der gebildeten Schichten sicher sein.
Paulus hatte in dieser Hinsicht nicht viel zu bieten. Er war nach allem, was wir wissen, weder eine imposante Erscheinung noch ein mitreißender Redner. „Ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern“, erinnert er die Korinther. Und wer so auftrat, womöglich mit scheuem Blick und schlotternden Knien, der musste nach allen Regeln der Redekunst gar nicht erst den Mund aufmachen. Wie sollte der jemand überzeugen können? Jeder Staubsaugervertreter lernt auch heute, dass man so nichts verkauft.
Doch Paulus sah es anders. Für ihn passte sein Auftreten bestens zu dem, was er den Korinthern zu sagen hatte. Keine innere Erleuchtung hatte er ihnen zu bieten, keine sensationellen Enthüllungen über das Wesen der Gottheit, kein esoterisches Geheimwissen, sondern nichts anderes als Jesus Christus, und den als Gekreuzigten.
Wir können wahrscheinlich kaum noch ermessen, wie unmöglich Paulus sich mit dieser Botschaft machte, besonders bei den Weisen und Gebildeten seiner Zeit. Dass es nur einen Gott gibt, den Schöpfer und Herrn aller Dinge, das konnten sie ihm noch abnehmen, denn die Vielzahl der griechischen Götter war auch für sie längst überholt. Aber dass dieser Gott Mensch wurde, wirklich und wahrhaftig Mensch, und nicht etwa nur vorübergehend menschliche Gestalt annahm, das war für sie völliger Blödsinn. Doch Paulus vertrat diesen Blödsinn nicht nur, sondern setzte ihm sogar noch die Krone auf: Gott wurde nicht nur Mensch, sagte er, sondern starb auch als Mensch, und zwar den übelsten und widerlichsten Verbrechertod, den die antike Welt zu bieten hatte: den Tod am Kreuz. Er starb, um den Tod zu überwinden und die Menschen aus ihrer Gottesferne ins Leben zu holen. Zwar erzählte man sich damals auch von anderen Göttern, die starben und wiederauferstanden. Aber das galt als Mythos, als Sinnbild der ewigen Wiederkehr von Werden und Vergehen. Doch dieser Jesus Christus, den Paulus verkündigte, der sollte ja an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit gestorben und auferstanden sein, und das ein für alle Mal. Konnte es eine aberwitzigere Botschaft geben – ganz abgesehen davon, dass es einfach unappetitlich und geschmacklos war, sich Gott am Kreuz vorzustellen?
In Athen, dem altehrwürdigen Hort der Gelehrsamkeit, war Paulus denn auch glatt durchgefallen. Man hatte über seine Predigt die Köpfe geschüttelt, ihn müde bis mitleidig belächelt, ihn auf ein unbestimmtes „Später“ vertröstet. Aber in Korinth war es anders gewesen. Hier hatte Paulus trotz seines schwächlichen Auftretens und seiner unmöglichen Botschaft Glauben gefunden, und eine christliche Gemeinde war entstanden. Die Weisen, die Einflussreichen, die Vornehmen, die hatten auch hier weitgehend abgewinkt. Aber die Ungebildeten, die Machtlosen, die Armen, die hatten sich angesprochen gefühlt. Die konnten staunen darüber, dass Gott einer von ihnen geworden war: ein Kind einfacher Leute, ohne festes Zuhause, ohne Geld und am Ende ohne jede Chance gegen die grausame Justiz der Römer. Die hatten gespürt und erlebt, was Paulus ein paar Verse vorher ausführt: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft.“ Paulus erinnert seine Gemeinde daran, jetzt, wo die übliche Weisheit der Welt für sie doch wieder attraktiv wird. Er ruft ihnen ins Gedächtnis, dass nicht menschliche Weisheit oder überzeugendes Auftreten sie zum Glauben gebracht haben, sondern einzig und allein die Kraft Gottes.
Was ist also in den Augen Gottes eine gute Predigt? Vielleicht kann man es so sagen: Gut ist eine Predigt, die nicht gut sein will, sondern die dem Wirken Gottes Raum gibt. Gut ist eine Predigt, die nicht von dem ausgeht, was die Leute gern hören wollen und unterhaltsam finden, sondern von dem, was Gott ihnen zu sagen hat. Und da steht bis zum heutigen Tag Jesus Christus im Mittelpunkt, und bei ihm wiederum nicht seine Worte, seine Taten oder seine Nachwirkung, sondern sein Tod am Kreuz. Das heißt nicht, dass das Kreuz direkt Thema jeder Predigt sein müsste. Auch Paulus hat in seinen Briefen noch viele andere Themen drauf. Über weite Passagen kommt das Wort „Kreuz“ gar nicht vor, und in seinen Predigten wird es nicht anders gewesen sein. Aber man spürt bei Paulus immer wieder, dass all sein Denken, Reden und Schreiben im Wort vom Kreuz sein Zentrum hat. Diese grundstürzende Botschaft verkehrt alle menschlichen Maßstäbe in ihr Gegenteil. Sie preist die Dummen, die Schwachen und die Armen selig, weil Gott einer von ihnen geworden ist. Und sie hält fest, dass hier und nirgendwo sonst das Heil der Welt zu finden ist.
Und? Habe ich Ihnen und euch nun heute eine gute Predigt gehalten? Ich weiß es nicht. Ich habe mich bemüht, klar und deutlich zu reden, eine verständliche Sprache zu gebrauchen, das Ganze ordentlich und nachvollziehbar zu gliedern, und es auch nicht zu lang werden zu lassen. Ich bin diesmal relativ wenig auf Alltagsdinge und aktuelle Ereignisse eingegangen, aber ich wollte Ihnen einige Hintergründe des Textes vermitteln und habe Ihnen hoffentlich etwas zu denken gegeben. Ob mir das gelungen ist, müssen Sie selber beurteilen und dürfen es mir gern auch sagen, so oder so.
Aber ob das Evangelium von Jesus Christus, das Wort vom Kreuz bei Ihnen ankommt, so dass Ihr Glaube geweckt und gestärkt wird, das habe ich nicht in der Hand. Ich hätte es auch dann nicht in der Hand, wenn ich Sie wortreicher und eindringlicher zum Glauben aufgerufen hätte. Den „Erweis des Geistes und der Kraft“, den muss Gott selbst erbringen. Nur er kann bewirken, dass ein Mensch glaubt, dass er zur Botschaft des Evangeliums Ja sagt und sein Leben darauf ausrichtet. Ich kann nur darum beten, dass es geschieht, wann und wo es Gott gefällt. Und wenn ich eines Tages erfahren sollte, dass Gott meine unvollkommenen Worte benutzt hat, um bei einem Menschen anzukommen, dann kann ich nur sagen: „Danke, Gott, dass du aus meinen zwölf Minuten Monolog eine richtig gute Predigt gemacht hast!“ Amen.

Ihr Pastor Martin Klein